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"Die chinesische Führung macht eine Gratwanderung"

Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung sieht Anzeichen in der chinesischen Medienlandschaft für mehr Pluralität. Die offenere Berichterstattung nach der Erdbebenkatastrophe mache das deutlich. Allerdings handele es sich nach wie vor um eine gelenkte Berichterstattung, die Themen wie Religion, militärische Machenschaften und Minderheitenpolitik unterdrücke.

Moderation: Jochen Fischer |
    Fischer: Seit in China die Erde gebebt hat, erleben wir eine neue Offenheit in den chinesischen Medien, die im Westen wohl niemand für möglich gehalten hätte. Fernsehteams, auch ausländische, bekommen Zugang zu den Katastrophengebieten. Wir sehen verzweifelte Opfer, zerstörte Landstriche und - ganz unvorstellbar - einen weinenden Ministerpräsidenten. Und die "FAZ" überschrieb einen Artikel "Selbst die Generäle beantworten Fragen". Was ist also passiert in der chinesischen Medienpolitik? Hat das Erdbeben die strenge Medienzensur hinweggefegt, oder bereitet China eine Medienoffensive vor, um die Welt auf die Olympischen Spiele vorzubereiten? Fragen, die die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin ab heute auf einer Tagung vertiefen will. Und ich bin nun verbunden mit Barbara Unmüßig vom Vorstand der Stiftung. Schönen guten Morgen!

    Unmüßig: Schönen guten Morgen zurück.

    Fischer: Bislang gab es doch nur zeitversetzte Bilder von den Fackelläufen, aus denen alle Proteste herausgeschnitten waren. Wir erinnern uns auch noch: Als die Lungenseuche SARS ausgebrochen war, da hatte die chinesische Führung alles daran gesetzt zu versuchen zu vertuschen, dass es überhaupt ein Problem gibt. Was ist denn jetzt los in den chinesischen TV-Anstalten?

    Unmüßig: Ja. Es ist richtig, dass China anders als bei früheren Naturkatastrophen eine ausführliche Berichterstattung zulässt. Das ist ungewöhnlich. Das hat es zuvor nicht gegeben. Bereits im Winter, als die große Schneekatastrophe über China hereinbrach, hatten wir noch ein ganz anderes Bild: Vertuschung. "Keine Bilder" war da die Botschaft. Die Chinesen haben umgeschwenkt, haben erkannt, dass es wichtig ist, eben auch Bilder zu liefern, die Solidarität auslösen - im Inland wie im Ausland. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles an der Berichterstattung nach wie vor gelenkt ist. Die Trauerfeier gestern auf dem Tian'anmen-Platz war eindeutig auch ganz klar und gezielt von der chinesischen Führung genutzt worden, um solche Bilder auch für die Weltpresse zu liefern. Es ist eine gute Entwicklung, aber man sollte sich nicht täuschen, dass hier jetzt die große Pressefreiheit ausgebrochen ist.

    Fischer: In den Berichterstattungen über das Erdbeben, da sah man ja Moderatoren, Reporter und auch Betroffene in den Erdbebengebieten, die eine Wertung vornahmen. Es gab Kritik an den Staatsoberen. Auf Pressekonferenzen wurde sogar zu Antworten genötigt. Kann dieses Ventil eigentlich für das Regime nicht gefährlich werden?

    Unmüßig: Es gibt ja schon auch in anderen Zusammenhängen eine bestimmte Öffnung in den Medien, und zwar dort, wo die chinesische Führung Interesse hat, Korruption zu bekämpfen oder die Bekämpfung des Umweltschmutzes voranzutreiben. Hier haben die Chinesen schon immer gesagt ja, da wollen wir auch recherchiert haben. Da lassen wir in Einzelfällen eben auch Berichte zu, Reportagen zu, die aufklären helfen sollen, was die Hintergründe für Umweltverschmutzung oder für Korruption sind.

    Es ist sicherlich so, dass die chinesische Führung eine Gratwanderung macht. Wenn sie öffnet, lässt sich das Rad selten zurückdrehen. Es gibt Tausende von Journalisten, die recherchieren möchten, die auf dem Weg sind, kritisch zu berichten. Das Internet ist trotz aller Zensur von den Chinesen ebenfalls nicht zu bremsen. Es gibt ein richtiges Blogger-System, wo im Internet sich ausgetauscht wird, Informationen geliefert werden. Auch das kann die chinesische Regierung schon lange nicht mehr kontrollieren und das ist eine positive und gute Entwicklung.

    Fischer: Aber kritische Fragen an die Staatsführung in Sachen Menschenrechte, darauf werden wir noch lange warten im Fernsehen?

    Unmüßig: Das ist so, dass die Chinesen nach wie vor Tabufelder definiert haben. Man darf in China weiterhin nicht über Religion, nicht über militärische Machenschaften berichten und auch nicht über die Minderheitenpolitik. Dann sind wir eben wieder bei Tibet, wo nach wie vor trotz Erdbeben Zensur herrscht und es keinerlei Pressefreiheit gibt. Ein gemischtes Bild eben bei China wie immer!

    Fischer: Werden ausländische und inländische Journalisten in China gleich behandelt?

    Unmüßig: Nein, sie werden nicht gleich behandelt. Die chinesischen Journalisten müssen in ganz starkem Maße immer wieder ihre Interviews anmelden. Sie müssen Reportagen vorlegen. Sie werden nach wie vor doch ziemlich stark kontrolliert - allerdings mit diesen Spielräumen, die ich schon benannt habe. Ausländischen Journalisten ist ja ab 01. Januar 2007 eine offenere Politik im Zuge der Olympischen Spiele gewährt worden. Allerdings haben wir neue Anzeichen dazu, dass ausländische Berichterstatter nicht selbständig Interview-Partner suchen dürfen, sondern nach wie vor Listen vorlegen sollen, wen sie interviewen. Da bricht also die chinesische Regierung auch Zusagen, die sie dem Olympischen Komitee gegeben hat, nämlich Journalisten freien Zugang zu gewähren, ohne Kontrolle auch Interviews zu machen. Das wird eben nicht erfüllt.

    Fischer: Rechnen Sie zu den Olympischen Spielen dann also mit einer ähnlichen Offenheit der Berichterstattung wie bei dem Erdbeben, oder wird sich die Lage wieder verschärfen?

    Unmüßig: Ich rechne eher mit einer Verschärfung der Lage nach der Olympiade. Die Chinesen wollten der Welt einen Traum zelebrieren. Sie sind jetzt hart in die Kritik geraten durch die Niederschlagung des Tibet-Aufstands. Insgesamt gibt es eine sehr kontroverse, auch zum Teil schwarz/weiß gemalte Berichterstattung hier bei uns. Die Chinesen haben Interesse an einem Bild von China, was sie der Weltöffentlichkeit bieten wollen, von Offenheit, von Freude und so weiter. Von daher denke ich, dass die Olympiade tatsächlich einen Beitrag für diese Öffnung leistet. Aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass nach der Olympiade es ganz bestimmt nicht zu einer großen Öffnung kommt. Allerdings - das sagte ich ja schon - gibt es genug Anzeichen in der Medienlandschaft für mehr Pluralität, für mehr Offenheit und das werden sich auch vor allem die Journalisten in China erkämpfen. Wir haben hier bei unserer Tagung einige sehr kritische Journalisten, die uns das ja bestätigen, dass sie ihre Spielräume versuchen auszunutzen.

    Fischer: Die chinesische Führung versucht, mit einer Medienoffensive Vertrauen zu gewinnen. Danke an Barbara Unmüßig von der Heinrich-Böll-Stiftung.