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"Die chinesische Führung zur Rede stellen"

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günther Nooke, hat die Hoffnung geäußert, dass mit den Olympischen Spielen in Peking auch eine Öffnung Chinas verbunden sein wird. Die Medien sollten die Spiele nutzen, um nicht nur von den Sportveranstaltungen zu berichten, sondern auch die Menschenrechtsverletzungen ins Blickfeld zu rücken. Allerdings sei die Entwicklung der Menschenrechtslage "an einigen Stellen durchaus auch positiv", so Nooke.

Moderation: Philipp Krohn |
    Philipp Krohn: Nach den Doping-Skandalen der Tour de France befürchten Kritiker schmutzige Spiele im kommenden Jahr in Peking. Morgen in einem Jahr wird das Olympische Feuer in der chinesischen Hauptstadt entfacht und die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland denken bereits jetzt über Konsequenzen nach, falls auch dort Sportlern unerlaubte Mittel nachgewiesen werden. Jenseits dieser sportlichen Fragen greifen internationale Organisationen regelmäßig die chinesische Regierung für die Menschenrechtssituation an, denn die Hoffnung, mit der Vergabe an Peking praktisch durch die Hintertür auch die Menschenrechte zu importieren, hat sich bislang noch nicht erfüllt. Die Vorbereitungen dagegen laufen nach Plan. Die Olympischen Ringe aus Handschellen, mit diesem Motiv haben gerade die "Reporter ohne Grenzen" auf die eingeschränkte Pressefreiheit in China hingewiesen. Nachdem die Organisation Plakate mit diesem Motiv vor der Zentrale des Vorbereitungskomitees aufgehängt hatte, wurden mehrere Journalisten festgenommen. "Amnesty International" hat die chinesische Regierung aufgefordert, die Einhaltung der Menschenrechte zu einem Teil ihrer Vorbereitungen zu machen. Andernfalls würde die Bilanz der Spiele schwer getrübt, sagte Amnesty-Generalsekretärin Khan. Am Telefon begrüße ich jetzt Günther Nooke, den Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik. Guten Tag Herr Nooke!

    Günther Nooke: Schönen guten Tag Herr Krohn!

    Krohn: Herr Nooke, ist in den vergangenen sechs Jahren genug passiert?

    Nooke: Ganz sicher, was die Menschenrechtssituation in China angeht, ist nicht genug passiert. Allerdings muss man hier zwei Sachen auseinanderhalten. Die Entwicklung, was die Menschenrechtslage in China angeht, ist an einigen Stellen durchaus auch positiv. Das heißt man bewegt sich wenigstens in der richtigen Richtung. Das heißt es gibt durchaus Verbesserungen in einigen Bereichen, aber die sind so marginal, so kleine Schritte eben, dass man ganz klar sagen muss, China gehört einfach von den vielen Menschen, die dort leben, und von der Schwere und der Vielfalt der Menschenrechtsverletzungen zu den wohl größten Problemfällen, die wir überhaupt haben in der Welt.

    Krohn: Laut dem letzten Amnesty-Bericht aus dem Monat Mai geht hervor, dass die Repressalien gegen Anwälte und kritische Journalisten sogar noch zugenommen haben. Welche Hoffnung haben Sie auf Verbesserungen?

    Nooke: Die Hoffnung, die man haben kann, ist natürlich, dass mit Olympischen Spielen immer auch eine Öffnung verbunden ist. Man strahlt Sportveranstaltungen und Sendungen aus China, aus dem Land in die weite Welt, aber es kommen auch viele Menschen nach China und natürlich wird nicht nur über Sport berichtet, sondern auch über die Situation im Lande. Ich kann nur hoffen, dass im Vorfeld Druck auf die chinesische Regierung, auf die chinesische Führung weiter ausgeübt wird, das Thema Menschenrechte nicht auszublenden, sondern sich darauf einzustellen, dass man hier auch kritischen Fragen nicht ausweichen kann, sondern wirklich auch erstens Auskunft geben muss und zweitens natürlich auch etwas vorzuweisen haben sollte, dass man sich bemüht, die Menschenrechtslage zu verbessern, und das betrifft eben sehr, sehr viele Menschen, nicht nur Tibeter und Uiguren, Minderheiten in China, sondern das geht vor allem eben um Menschenrechtsverteidiger und Aktivisten, es geht um Leute, die ohne irgendwelche Verurteilung oder Gerichtsprozesse in Lager gesteckt werden, diese Umerziehung durch Arbeit, die vielen Todesstrafen, die vollstreckt werden. Die nicht bekannten Zahlen sind wahrscheinlich viel höher als die offiziellen. Das sind alles Themen, die natürlich angesprochen werden müssen. Insofern heißt das natürlich an uns, an die Bundesregierung, aber auch an Nichtregierungsorganisationen, an den Sportbund in Deutschland und vor allem den Ländern, die Demokratien und die freie Welt repräsentieren, dass alle, die dort hinreisen, von Sportlern, aber auch Ärzten und Trainern bis hin zu Touristen und Zuschauern, dafür sorgen müssen, dass die chinesische Führung weiß, sie wird auch zu Menschenrechten gefragt, es wird darüber berichtet und das wird keine Jubelveranstaltung, nur weil man dort in der Lage ist, schöne Bauten mit tollen Architekten hinzusetzen und vielleicht schöne Bilder an der Oberfläche zu erzeugen.

    Krohn: Herr Nooke, Regierungsvertreter aus China bezeichnen "Amnesty International" als eine extremistische Organisation. Wie soll da denn Dialog über Menschenrechte möglich sein?

    Nooke: Na gut, wir führen zum Beispiel einen Dialog über Menschenrechte mit der chinesischen Führung und ich denke, dass das auch ein richtiger Weg ist. Aber es muss natürlich auch Organisationen geben, die im Grunde Menschenrechtsverletzungen einfach nur anprangern. Amnesty gehört dazu und ist, was die Zivilgesellschaft angeht, weltweit aktiv. Ich finde, dass es geradezu entlarvend für die chinesische Führung ist, wenn sie solche Organisationen als terroristisch bezeichnet. Das macht einerseits deutlich, welches Verhältnis man zu einer unabhängigen und freien zivilen Gesellschaft überhaupt hat, und zum anderen natürlich auch, dass man sich mit den Inhalten, die dort angesprochen werden, nicht sachlich auseinandersetzen will. Ich denke, dass die Vorwürfe, die Amnesty, aber auch "Human Rights Watch" und andere Menschenrechtsorganisationen gegenüber der chinesischen Führung erheben, zum großen Teil doch voll berechtigt sind. Insofern sind auch die Verantwortlichen in China gut beraten, hier nicht einfach nur zurückzuschlagen, sondern sich dieser Debatte zu stellen. Dann kann man ja auch im Einzelfall sagen, das und das war anders. Ich glaube, dass man durchaus bereit sein muss auch zu prüfen, was wirklich vorgeht. Ich habe ja selbst erwähnt: Es gibt Bereiche, zum Beispiel was Justiz angeht, was Überprüfung von Verfahren angeht, auch was die Straftatbestände, nach denen die Todesstrafe verhängt wird, angeht, dass das etwas eingeengt wurde. Das heißt aber noch nicht, dass das nun irgendwie den internationalen Standards entspräche.

    Krohn: Herr Nooke, wie konkret werden diese Probleme im Menschenrechtsdialog angesprochen?

    Nooke: Die Probleme werden sehr konkret angesprochen. Das Problem ist immer genau diese Nachfolge, dran zu bleiben, das "Follow up" zu organisieren beim Dialog im nächsten Jahr, das wieder aufzugreifen und an den entsprechenden Stellen tiefer zu gehen und nicht an der Oberfläche zu argumentieren und einfach nur Argumente auszutauschen. Menschenrechtspolitik hat ja ein Ziel, nämlich den Menschenrechtsschutz für die Betroffenen vor Ort zu verbessern. Es muss ja darum gehen, dass die Menschen in China etwas davon haben, dass sie freier, unabhängiger leben können, dass es nicht sein kann, dass jemand einfach nur, weil er im Internet eine Website betreibt oder vielleicht nur eine einzige E-Mail schreibt, die der chinesischen Führung nicht passt, dann für Jahre ins Gefängnis geht. All diese Dinge müssen einerseits öffentlich werden, aber die müssen natürlich auch den Druck entfalten, dass die chinesische Führung diese Menschen frei lässt oder zumindest dass sie nicht mehr als unbekannte Menschenrechtsaktivisten verschwinden oder gar umgebracht werden.

    Krohn: Bislang, Herr Nooke, bestand die Hoffnung, bis 2008 eine Verbesserung der Menschenrechtssituation hinzubekommen. Welchen Hebel wollen Sie denn ab September 2008 nutzen, wenn die Olympischen Spiele vorbei sind?

    Nooke: Ich glaube, dass wir erst mal darüber reden sollten, was wir in dem verbleibenden Jahr jetzt tun können. Da bleibt mein Appell, den ich schon gesagt habe: Wir alle von der Bundesregierung über Nichtregierungsorganisationen, Sportler, Verbände, Trainer, Ärzte, aber Touristen und Zuschauer genauso, wir alle können dadurch, dass wir auch über Menschenrechte reden, die chinesische Führung zur Rede stellen. Auch Journalisten können das, indem sie nicht bloß über die tollen Bauten berichten, sondern über die Lage der Menschen, die dort betroffen sind von Menschenrechtsverletzungen, genauso sachlich informieren, dass wir uns da auch gemeinsam nichts vormachen lassen von der Führung. Wenn man so einige vom IOC dann schwärmen hört, wie toll in einer quasi Diktatur man bauen kann, wie schnell man das hinkriegt und wie schön die Gebäude dann auch zeitgerecht fertig werden und wie viel Geld da reinfließt, dann ist das einerseits toll, weil es natürlich auch ein System ist, wo man die Menschen nicht fragen muss, wenn man eine Straße räumt, aber auf der anderen Seite ist es eben auch naiv zu denken, was die Olympische Charta ja selber sagt, nämlich dass es Mindeststandards was Ethik und Menschenwürde angeht gibt und dass die Olympischen Spiele gerade dieser Menschenwürde und den ethischen Grundprinzipien dienen sollen, dass das gerade in China nicht passiert. Insofern wünschte ich mir auch von allen Verantwortlichen im Internationalen Olympischen Komitee, aber auch in den Nationalen, dass sie nicht nur jubeln über das, was da gut organisiert ist, sondern dass sie selbst auch sagen, wir haben uns hier der Olympischen Charta verpflichtet und haben uns alle darauf eingeschworen und das müssen wir auch von den Chinesen erwarten, dass sie etwas tun. Dieses Jahr sollten wir dafür nutzen, damit es während der Olympiade und möglichst dann auch lange Zeit danach für die Menschen vor Ort besser ist.