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"Die DDR war zweifellos ein Unrechtsstaat"

Vor 20 Jahren beschloss die DDR-Volkskammer den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Die Debatte, ob die DDR ein Unrechtstaat war, oder nicht, stößt bei dem Historiker auf Unverständnis.

Prof. Rainer Eckert im Gespräch mit Christian Bremkamp | 23.08.2010
    " O-Ton Sabine Bergmann-Pohl: Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990. Mit Ja haben 294 Abgeordnete gestimmt. "

    " O-Ton Gregor Gysi: Frau Präsidentin, das Parlament hat soeben nicht mehr und nicht weniger als den Untergang der Deutschen Demokratischen Republik zum 3. Oktober 1990 beschlossen. Ich bedauere, dass die Beschlussfassung im Hauruckverfahren über einen Änderungsantrag geschehen ist und keine würdige Form ohne Wahlkampftaktik gefunden hat, denn die DDR, wie sie auch immer historisch beurteilt werden wird, war für jeden von uns mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen das bisherige Leben. "

    Christian Bremkamp: Ostberlin, Palast der Republik – heute vor 20 Jahren nach stundenlanger Debatte beschließt die Volkskammer der DDR den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Nicht jedem gefiel, was die damalige Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl spät in der Nacht bekannt gab. Die kritischen Worte kamen vom damaligen PDS-Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi. – Verbunden bin ich jetzt mit Professor Rainer Eckert, er ist Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Guten Tag, Herr Eckert.

    Rainer Eckert: Ja, guten Tag!

    Bremkamp: Welche Erinnerung haben Sie ganz persönlich an dieses denkwürdige Datum?

    Eckert: Ich denke, ich habe das damals direkt verfolgt im Fernsehen, kann mich auch noch daran erinnern, dass das sehr lange dauerte und ständig unterbrochen war von Beratungspausen der unterschiedlichen Fraktionen der Volkskammer. Ich kann mich an Frau Bergmann-Pohls Wort erinnern und noch stärker auch an Gysis Worte, der innerlich offensichtlich auch stark betroffen war und sagte, jetzt ist die DDR am Ende.

    Bremkamp: Herrschte bei Ihnen denn uneingeschränkte Freude, oder war da auch ein Fragezeichen im Kopf?

    Eckert: Nein, bei mir war kein Fragezeichen gewesen. Dass die DDR am Ende war, war klar gewesen nach dem Fall der Berliner Mauer, eben als Folge der friedlichen Revolution am 9. November. Und da es klar war, dass die DDR am Ende war, waren auch alle Hoffnungen, eigenständig Reformen in der DDR zu realisieren, obsolet geworden und es ging nur noch darum, eine möglichst gute und schnelle Wiedervereinigung zu erreichen.

    Bremkamp: Ärgert es Sie, wenn Sie genau 20 Jahre danach vom letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière, Äußerungen lesen, wonach die DDR kein Unrechtsstaat gewesen sein soll?

    Eckert: Ärger ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Richtiger wäre Unverständnis. Wie Lothar de Maizière zu dieser Aussage kommt, ist mir persönlich nicht nachvollziehbar. Es ist eine unsinnige Diskussion und die DDR war zweifellos ein Unrechtsstaat.

    Bremkamp: Herr de Maizière begründet das mit den Worten, der Begriff Unrechtsstaat unterstellt, dass alles, was dort im Namen des Rechts geschehen ist, Unrecht war, auch in der DDR war Mord Mord und Diebstahl Diebstahl.

    Eckert: Na, das ist toll. Da hat er recht und auch Verkehrsdelikte wurden gesühnt. Das ist schon richtig. Aber der Begriff Unrechtsstaat zielt, glaube ich, auf zwei Dinge. Das eine ist: Er beschreibt die Abwesenheit einer modernen Rechtskultur, die unter anderem dadurch geprägt ist, dass es ein Verfolgungsgericht gibt und eine Verwaltungsgerichtsbarkeit und dass der Bürger gegen Aktionen, gegen Handeln des Staates klagen kann. Das ist der eine Punkt und der zweite Punkt ist: In der DDR hatte das letzte Wort vor allen Dingen in politischen Verfahren die diktatorische Staatspartei und nicht die Justiz. Diese beiden Punkte reichen meines Erachtens aus, die DDR insgesamt oder ihre Justiz als Unrechtsstaat zu bezeichnen.

    Bremkamp: Hat Herr de Maizière möglicherweise auch etwas anderes gemeint, nämlich dass wir die DDR in den vergangenen 20 Jahren unter Umständen zu wenig differenziert betrachtet haben?

    Eckert: Die grundsätzliche Disqualifizierung der DDR als Diktatur, die halte ich weiterhin für richtig. Ich denke aber, wir haben in den letzten 20 Jahren teilweise die Schwerpunkte der Auseinandersetzung mit der DDR falsch gelegt. Ich denke, dass die Auseinandersetzung vor allen Dingen mit der Staatssicherheit und mit ihren inoffiziellen Mitarbeitern zwar notwendig war, aber andere wichtige Felder verdrängt hat, also zum einen nach dem Alltag der Leute zu fragen, der Menschen in der DDR, und zum anderen, die Staatspartei, die SED, auch als Auftraggeber ihrer Geheimpolizei stärker in das Blickfeld zu nehmen.

    Bremkamp: Ich würde gerne noch mal auf den Volkskammerbeschluss zurückkommen. Ist da möglicherweise auch eine Chance vertan worden? Oder anders gefragt: Ist von der DDR zu wenig übrig geblieben?

    Eckert: Ich glaube, da ist keine Chance vertan worden. Man könnte im Einzelnen sagen, dieses und jenes war ganz sinnvoll gewesen, vielleicht die Polikliniken, auch andere Dinge im Bildungssystem. Vielleicht müsste man ein Fragezeichen setzen. Aber die DDR war als Gesamtsystem am Ende. Sie war durch die eigene Bevölkerung in einer Revolution beseitigt worden und es blieb bloß noch der Weg, eben die deutsche Einheit, die Einheit in Freiheit und unter rechtsstaatlichen Bedingungen herzustellen. Ich glaube, dass jedes Herauspicken von Einzelpunkten, um damit zu sagen, der Weg damals war falsch gewesen, in die Irre führen muss.

    Bremkamp: Herr Eckert, Sie sind Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig. Was hören Sie eigentlich von Ihren Besuchern dort dieser Tage?

    Eckert: Der direkte Bezug auf diesen Volkskammerbeschluss, der ist nicht gegeben. Es wird sehr allgemein natürlich über unsere Ausstellung geurteilt, und zwar weiterhin hoch positiv. Das eine sind die Westdeutschen, die sagen, wir lernen hier ein Stück weit kennen, wie es in der DDR, wie es in Ostdeutschland gewesen ist. Viele aus der Generation der Mitlebenden fühlen sich erinnert an ihre eigene Lebensgeschichte und die Jüngeren sagen in der Regel, wir können jetzt besser verstehen, wie unsere Eltern gelebt haben.

    Bremkamp: Der Historiker Professor Rainer Eckert war das. Herzlichen Dank für das Gespräch.

    Eckert: Ja, ich bedanke mich.