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"Die deutschen Fans sind im Regelfall sicher"

Nach Auffassung von Kicker-Chefredakteur Rainer Holzschuh sind die deutschen Stadien die sichersten der Welt. Deutsche Fans seien darüber hinaus "bewunderungswürdig dafür, wie sie sich dann mit ihren Emotionen dennoch im Griff haben". Holzschuh glaubt, dass Deutschland mit der Vorbereitung wesentlich weiter sei, als "im Vergleich alle Ausrichter der Weltmeisterschaft in den letzten 20/25 Jahren gewesen sind".

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Mehr als 4000 Gäste, weltweit über 300 Millionen Fernsehzuschauer und eine versprochene Show der Superlative, die Weltmeisterschaft 2006 erlebt heute mit der Gruppenauslosung in der neuen Messe in Leipzig einen ersten der vielversprochenen Höhepunkte, genau 182 Tage vor dem Eröffnungsspiel in München. Dabei ist der Zeitpunkt heute vielleicht gar nicht so günstig, denn weltweit macht seit Wochen ausgerechnet die Fußballbundesliga negative Schlagzeilen, mit dem Tenor: Gewalt in den Stadien, undisziplinierte Spieler, undisziplinierte Trainer, undisziplinierte Trainer, undisziplinierte Fans. Der Kopfstoß des Duisburger Trainer Norbert Meier ist dafür nur das jüngste Beispiel. Die FIFA hat schon ihre Argusaugen nach Deutschland geworfen. Darüber wollen wir nun reden mit Kicker-Chefredakteur Rainer Holzschuh, guten Morgen nach Leipzig.

    Rainer Holzschuh: Einen schönen guten Morgen.

    Müller: Herr Holzschuh, hat das in den vergangenen Wochen, was da in den Stadien passiert ist, dem deutschen Fußball richtig wehgetan?

    Holzschuh: Natürlich tut so etwas dem deutschen Fußball weh, weil wir es nicht gewohnt sind, solche Szenen zu erleben. Das hat es in den vergangenen Jahrzehnten vielleicht mal gegeben, gerade im Fanverhalten. In den letzten Jahren war absolute Ruhe und jetzt sehen wir plötzlich wieder, wie irgendein Durchgeknallter dann auf die Spieler oder wen auch immer Gegenstände wirft. Das tut uns nicht gut. Aber ich muss immer noch dazu sagen, wir sind in der Beziehung im Vergleich zu manch anderem Land immer noch auf der Insel der Seligen.

    Müller: Haben denn die deutschen Verantwortlichen zu viel italienisches Fernsehen geschaut?

    Holzschuh: Ach ne, warum sollen sie zu viel italienisches Fernsehen... es ist ja gut, wenn man sich auch mal im Ausland überhaupt umschaut, und sieht, was da los ist. Aber in Italien, in der Tat, sind die Rüpeleien ja und die ganzen Krawalle auf den Rängen viel, viel größer als bei uns. Ich möchte jetzt nicht mit dem Finger auf die Italiener zeigen, die spielen dafür einen wunderbaren Fußball, zum Teil zumindest. Aber es soll nicht sein, was hier in Deutschland der Fall ist und es ist für meinen Begriff ein unglücklicher Zufall, dass gerade innerhalb von einer Woche so viele negative Schlagzeilen gekommen sind.

    Müller: Gibt es über den Zufall hinaus eine mögliche Erklärung?

    Holzschuh: Erklärungen kann man tausend Stück davon geben. Ich weiß es nicht. Ich glaube wirklich nach wie vor, Norbert Meier, der eigentlich wirklich ein liebenswerter Mensch ist - ich kenne ihn seit dreißig Jahren - der tut so was im Normalfall nicht. Irgendwo muss er halt auch in dieser Sekunde seine Nerven verloren haben und ich kann mir das wirklich alles nur mit Zufall erklären.

    Müller: Wenn wir auf die Ränge schauen: Sind die deutschen Stadien sicher?

    Holzschuh: Ja, sie sind wirklich sicher. Ich glaube auch, die deutschen Fans sind im Regelfall sicher. Es gibt natürlich immer wieder ein paar hundert vielleicht auch ein paar tausend, wenige im Vergleich zu den Millionen Fans, die dann nicht wissen, was sie tun, oder wie sie ausflippen sollen. Das wird es immer wieder geben, das wird es auch in zehn und zwanzig und fünfzig Jahren noch geben. Aber im Prinzip sind diese deutschen Stadien die sichersten der Welt und die deutschen Fans sind normalerweise begeisterungsfähige Fans, aber bewunderungswürdig dafür, wie sie sich dann mit ihren Emotionen dennoch im Griff haben.

    Müller: Sind die deutschen Stadiendächer sicher?

    Holzschuh: Sie spielen auf das Frankfurter Debakel an beim Confederations Cup und auch zu Beginn der Bundesligasaison. Auch daraus lernt man ja. Ich glaube, dass immer wieder mal Fehler vorkommen, auch wir haben bestimmt, oder die Deutschen, die deutschen Erbauer der Stadien und alle Organisatoren haben bestimmt Fehler gemacht und es werden auch während der Weltmeisterschaft Fehler vorkommen. Aber ich glaube, dass wir dennoch eine fantastische Weltmeisterschaft erleben werden. Man kann nicht immer alles ausschließen vorher und vielleicht wird es irgendwo eine Situation geben, wo man sich hinterher sagen muss, "Ja hätte das denn eigentlich sein müssen". Unterm Strich werden wir eine fantastische Weltmeisterschaft erleben. Und ich habe die letzten sechs oder sieben Weltmeisterschaften alle vor Ort miterlebt, ich glaube, es wird etwas ganz Tolles sein.

    Müller: Nun hat der Kaiser, Franz Beckenbauer, ja der Organisation bis zum jetzigen Zeitpunkt nur eine Zwei plus verteilt. Heißt das dann in Wirklichkeit Drei minus, Vier minus?

    Holzschuh: Der Präsident der FIFA war das, der gesagt hat, Deutschland hat eine Zwei plus und der Kaiser hat dann darauf gesagt, damit kann ich unheimlich gut leben, ich wollte als Schüler nie eine Eins haben, da gilt man als Streber. 2+ ist doch etwas ganz Gutes. Ich glaube, dass wir mit der Vorbereitung wesentlich weiter sind, als im Vergleich alle Ausrichter der Weltmeisterschaft in den letzten 20/25 Jahren gewesen sind. Wir sind unheimlich weit. Natürlich, in Kaiserlautern ist das Stadium noch nicht ganz fertig. Es gibt kleine Sonderfälle. Vielleicht noch, dass in Nürnberg die Schwingungsprobleme noch nicht ganz gelöst sind, wobei man mir gesagt hat, es ist alles in Ordnung. Ansonsten ist in Deutschland alles perfekt. Wir könnten eigentlich morgen anfangen, wenn wir im Sommer wären.

    Müller: Reden wir über heute Abend, die Auslosung in Leipzig. Welche Mannschaften dürfen denn nicht in die deutsche Gruppe kommen?

    Holzschuh: Es dürfen alle mit Ausnahme diejenigen, die im Topf Eins sind, das heißt, Brasilien, Italien, Spanien, Argentinien, Frankreich, England, Mexiko sind neben uns im Topf eins. Die dürfen nicht zugelost werden, können nicht zugelost werden und Serbien/Montenegro aus bestimmten Gründen. Ansonsten können wir alle anderen Nationen zugelost bekommen und ich bin mal gespannt, was da wirklich heute Abend passiert. Wir haben es ja eben vorhin in dem Beitrag gehört.

    Müller: Ich muss das noch mal präzisieren diese Frage: Sportlich gesehen, wer sollte denn nicht in unsere Gruppe kommen?

    Holzschuh: Das ist mir Wurscht, das ist mir wirklich völlig egal. Ich habe gestern Abend noch lange mit Berti Vogts gesprochen. Der sagte, hoffentlich kriegen wir die Holländer. Jeder sagt momentan, alle nur nicht Holland und er sagt genau das Gegenteil. Und ich kann das nachvollziehen, seine Argumentation, nach dieser Diskussion, weil die Holländer dann in unserer Gruppe sind, wir gegen die verlieren können, aber noch nicht deswegen ausscheiden müssen. Kriegen wir sie im Achtelfinale oder im Viertelfinale, so einen starken Gegner wie die Holländer, dann ist jede Niederlage plötzlich für uns aber wirklich das Aus und wir sind damit aus einem Wettbewerb heraus, wo wir uns doch alle vorstellen können, dass wir bis in Finale vielleicht hinein kommen. Also mir ist es wirklich völlig egal, wen wir bekommen. Schlagen müssen wir sowieso alle, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Ob wir nun in eine leichte Gruppe kommen und unsere Spieler gehen dann vielleicht nicht so vom ersten Moment an, so konzentriert in ihre Aufgabe hinein, oder eine schwere und jeder sagt, "Jetzt müssen sie sich aber wirklich anstrengen". Ich finde, das ist alles Gedankenspiele, die man ein halbes Jahr vorher machen kann, aber nicht machen sollte.

    Müller: Das bedeutet auch, aus Ihrer Sicht, die Deutschen spielen gegen die Großen, obwohl es keine großen Erfolge gegeben hat, in den vergangenen Jahren meistens besser.

    Holzschuh: Ja, aber wir können ja nur höchstens einen Großen kriegen aus dem Topf Drei, wo wirklich Große noch drin sind, zum Beispiel die Tschechen, die Ukraine, die sind sehr stark momentan sind und die Niederländer. Alle anderen sind ja doch wirklich Mannschaften aus der zweiten Garnitur. Und die ersten beiden in jeder Gruppe qualifizieren sich. Das heißt also, wir müssen zwei auf alle Fälle schlagen, dann sind wir automatisch eine Runde weiter und wir haben es bei den vergangenen Weltmeisterschaften oft genug erlebt, dass wir in Gruppenspielen uns hart getan haben, teilweise auch nur Zweiter geworden sind. Ich erinnere sogar an das letzte Mal, als wir der Gastgeber der Weltmeisterschaft waren, 1974, da sind wir ja auch nicht Gruppensieger geworden, sondern haben gegen die DDR verloren. Und dann sind wir trotzdem hinterher, als es in die K.O.-Spiele gegangen ist, immer vorangegangen und haben uns den Weltmeistertitel gesichert.

    Müller: Das hört sich so an, als sei das jetzt schon klar: Deutschland gegen Brasilien.

    Holzschuh: Das wäre toll! Sollen wir drauf wetten? Ich weiß es nicht, ich kann es beim besten Willen nicht sagen. Es wäre eine Wunschvorstellung! Wir sind fußballerisch nicht so stark, aber wir waren auch vor vier Jahren, bei der letzten Weltmeisterschaft, sogar vielleicht noch ein bisschen schlechter fußballerisch als heute, und sind trotzdem bis ins Finale gekommen. Ich sage, gerade als Fachmann, im Fußball ist, Gott sei Dank, alles möglich. Wir können früh ausscheiden. Ich sage mal, nicht in der Gruppenphase, aber ab dem Achtelfinale. Wir können genauso gut ins Finale kommen und vielleicht sogar wieder Weltmeister werden!

    Müller: Im Deutschlandfunk ist Wetten leider verboten. Vielen Dank nach Leipzig, Rainer Holzschuh, Chefredakteur des Fußballmagazins Kicker.