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Die dichtende Fürstin

Mit Esprit, Eleganz und Selbstironie trat die Schriftstellerin und Dichterin Mechtilde Lichnowsky für ein neues Frauenbild ein. Mit Romanen wie "Götter, Könige und Tiere in Ägypten" wurde sie bekannt, verkehrte mit Carl Sternheim und Rainer Maria Rilke. Vor 50 Jahren starb die dichtende Fürstin.

Von Beatrix Novy | 04.06.2008
    "Wir Glücklichen besaßen drei bedeutende Schriftstellerinnen, drei im Naturell eigenwillig weibliche, drei im Charakter entschlossene männliche Frauen."

    Als noch keine feministische Bewegung über traditionelle Geschlechts-Zuschreibungen hinweggegangen war, widmete Erich Kästner dieses Kompliment den Dichterinnen Ricarda Huch, Annette Kolb - und Mechtilde von Lichnowsky, die kurz zuvor in London gestorben war: am 4. Juni 1958.

    Zur Welt gekommen war sie 1879 in Bayern als Mechtilde von Arco-Zinneberg. Zu ihren Vorfahren gehörte die Kaiserin Maria Theresia, ihre Mutter war eine Portugiesin: dem Adel, dem Mechtilde angehörte, hatten nationale Grenzen nie etwas bedeutet.

    Eine große Dame war sie, mit klaren und schönen, tatsächlich etwas männlichen Gesichtszügen, bestens ausgestattet mit dem lässigen Selbstbewusstsein ihrer Klasse, zu deren Privilegien auch gehörte, auf bürgerliche Konventionen nicht allzu viel geben zu müssen.

    "Die merkwürdige Schwabinger Bohème, die ihre Züge dem damaligen künstlerischen München aufgeprägt hatte, war auch an Mechtilde nicht spurlos vorübergegangen. Zweifellos war sie ein Charakter","

    schrieb ein Jugendfreund. Aber die junge Mechtilde heiratete dann doch nicht ihre erste unstandesgemäße Liebe, sondern den Fürsten Max Lichnowsky. Der war sowohl Österreicher, als auch im preußischen Herrenhaus vertreten. Seine Güter lagen im Tschechischen. 1912 ging er mit Mechtilde und den drei Kindern als Botschafter nach London - just in dem Jahr, in dem ihr erstes Buch erschien, "Götter, Könige und Tiere in Ägypten" - ein Erfolg.

    ""Mein Vertrag mit Rowohlt lautet auf fünf Jahre, also muss ich mich höllisch anstrengen, damit er nicht merkt, dass ich nichts kann!"

    Selbstironie konnte sie sich leisten. Ihrer gesellschaftlichen Stellung, kombiniert mit Esprit und Intelligenz, entzog sich niemand. Carl Sternheim war ihr Mentor, Rainer Maria Rilke ihr verehrter Brieffreund, dem drogensüchtigen und verhungernden Johannes R. Becher half sie aus der Patsche, Picassos und Chagalls Bilder kaufte sie für die deutsche Botschaft. Ein Foto aus dem Jahr 1919 zeigt sie mit ihrem ältesten Sohn in Stil und Haltung einer Avantgarde-Prinzessin.

    Hochgeboren zu sein, bedeutete für Mechtilde von Lichnowsky Privileg und Fluch zugleich. Nichts fürchtete sie mehr, als die vorgefasste Meinung des Kritikers,

    "der bloß denkt: Fürstin, Dame, aha: ergo angelesen, brokatschön, salonmäßig, voller Illusionen."

    Also alles, was in ihrem Werk nicht zu finden ist. Dazu stand sie auch zu sehr im drängenden, gesellschaftskritischen, expressiven Geist der Zeit.

    "Ich beuge mein Haupt in vollkommener Liebe zu Dir, oh Mensch, ich beuge es, denn ich fühle kein Leid."

    Das Poem "Gott betet" erinnerte einen Zeitgenossen zu Recht an Nietzsches Zarathustra. Und der Kritiker Alfred Kerr warnte sie, ihr "Spiel vom Tod" nicht zu sehr nach Hofmannsthal-Art ausklingen zu lassen, gerade, weil er dieses Stück so schätzte, in dem ein Bettler den Adelsstand der Autorin zu kommentieren scheint:

    "Mit der Faust umwerfen, was sich entgegenstellt! Morden, stehlen und einen schönen Namen dafür finden. Dann in Frieden leben und die Urgroßeltern unserer fetten Urenkel werden."

    Spätestens seit 1917, seit ihrem konsequent modern angelegten, vielstimmigen Roman "Der Stimmer" galt Mechtilde Lichnowsky, wie sie sich jetzt nannte, nicht mehr als "dichtende Fürstin".

    Selbst Karl Kraus, der gern den Frauenfeind mimte, konnte sie für sich gewinnen, und nicht nur wegen der Sommerfrische-Einladungen auf ihr Schloss Kuchelna. Für ihn, der bei seinen Vorträgen außer eigenen Liedern und Texten auch andere Autoren zu Gehör brachte, vertonte sie Couplets aus Stücken von Johann Nestroy.

    Mit Kraus verband sie die unnachsichtige Leidenschaft für die Präzision der Sprache; ihr bekanntestes Buch "Der Kampf mit dem Fachmann" richtete sich gegen die Idiotie vorgeprägter Auffassungen, eine Haltung, die sie immunisierte, als die Nazis ihr nach 1933 die Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer zumuteten. Sie lehnte ab. Und wie für so viele bedeuteten die Folgen - Schreibverbot und Isolation - einen Bruch in ihrer Karriere, der nach dem Krieg nur schwer zu kitten war. In ihren letzten Jahren lebte sie allein in London. Ihr Leben hatte sich sehr verändert, aber Sentimentalität war ihre Sache nie gewesen:

    "Wer so lange auf der Sonnenseite des Lebens gestanden hat, muss auch die Dunkelheiten aushalten."