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"Die Dinge müssen aufgeklärt werden"

Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hält nichts von einem Generalverdacht gegen die Bundeswehr. Gleichwohl sollten Fälle von Körperverletzung und Entwürdigung disziplinar- und strafrechtliche Konsequenzen haben.

Ulrich Kirsch im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Was mögen Wehrpflichtige jetzt denken, die ihren Wehrdienst demnächst bei Gebirgsjägereinheiten beispielsweise leisten sollen? Von entwürdigenden Aufnahmeritualen ist in E-Mails die Rede, die den Wehrbeauftragten des Bundestages, Reinhold Robbe, erreicht haben. Der Verteidigungsausschuss dürfte sich damit heute befassen. Nun bin ich mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, Oberst Ulrich Kirsch, telefonisch verbunden. Guten Morgen, Herr Kirsch.

    Ulrich Kirsch: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Wir haben es gerade gehört: Verteidigungsminister zu Guttenberg sagt, man müsse den Fällen im Einzelnen nachgehen. Er wehrt sich aber gegen Pauschalurteile. Ist das die richtige Reaktion?

    Kirsch: Wenn sich bei einzelnen Koordinaten im Kopf verschoben haben – vielleicht sind es auch ein paar mehr als Einzelne -, dann ist es garantiert nicht zulässig, einen Generalverdacht auf alle auszusprechen. Das teile ich voll. Auf der anderen Seite denke ich, dass die Kultur der Aufmerksamkeit, die unser Bundespräsident gefordert hat, der richtige Ansatz ist. Nur müssen wir dann auch eine Kultur der Aufklärung entwickeln und ich kann nur davor warnen, Menschen vorzuverurteilen, denn auch bei den Beiträgen, die wir gerade gehört haben, hieß es immer, "soll so gewesen sein", "die Vorgesetzten hätten gegebenenfalls davon Kenntnis gehabt". Das hilft nicht weiter. Wir müssen hier sehr konkret werden und da sind wir voll dafür, aber bitte sehr sachlich, und wenn es disziplinar- und strafrechtliche Relevanz hat, weil es um Körperverletzung geht, weil es um entwürdigende Behandlung geht, dann muss dementsprechend gehandelt werden, gar keine Frage.

    Herter: Die Staatsanwaltschaft ermittelt zumindest in einem Fall, da wird es konkret. Halten Sie das für angemessen?

    Kirsch: In dem ganz konkreten Fall, der Herrn Robbe zunächst zur Kenntnis gebracht wurde – ich habe die Detailkenntnis dazu auch inzwischen erhalten -, halte ich das für richtig, in der Tat, denn hier geht es um Körperverletzung und hier geht es vor allen Dingen um entwürdigende Behandlung. Trotzdem müssen wir auch mal schauen, was in der Vergangenheit denn immer so übrig geblieben ist, was die strafrechtliche Relevanz angeht. Deswegen kann ich nur davor warnen, jetzt alles vorzuverurteilen. Wir müssen die Geduld haben, von dem Zeitpunkt, wo wir das zur Kenntnis nehmen, auszuhalten bis zu dem Zeitpunkt, wo dann offiziell eben auch etwas vorliegt, was passiert ist, und dann sollten wir auch darüber wieder Bericht erstatten.

    Herter: Wann, an welchem Punkt würden Sie denn nicht mehr von Einzelfällen sprechen?

    Kirsch: Ich spreche in dem Moment nicht mehr von Einzelfällen, wenn das ein durchgängiges Ritual grundsätzlich in der Grundausbildung sein sollte. Aber wissen Sie, ich war mein halbes Leben lang Disziplinarvorgesetzter und ich habe auch viele Dinge gehabt, die ich erst sehr spät erfahren habe, nachdem sie passiert waren, und dann weiß ich ganz sicher, dass die Disziplinarvorgesetzten in den Streitkräften dann auch dementsprechend tätig werden. Sie sind die Disziplinarvorgesetzten und sonst niemand. Das sind Offiziere auf der Ebene des Kompaniechefs und dann auf der Ebene des Bataillonskommandeurs und so weiter, und die werden tätig. Da können Sie definitiv von ausgehen. Sie sind auch dazu verpflichtet, tätig zu werden, weil sie sich sonst selber in eine Situation bringen, wo gegen sie disziplinarrechtlich ermittelt wird, und von daher habe ich in die Disziplinarvorgesetzten allerhöchstes Vertrauen, dass sie das abarbeiten werden.

    Herter: Man erinnert sich an die Vorgänge von Coesfeld. Da wurden Geiselnahmen simuliert. Das ist vor Gericht noch anhängig. Da ging es zum Beispiel um Elektroschocks. 2005 gab es Zwischenfälle bei den Fallschirmjägern in Zweibrücken. Täuscht da der Eindruck, oder geht es vor allem um Einheiten, die besonders herausgehoben sind, auch wenn es um Auslandseinsätze geht?

    Kirsch: Die gruppendynamischen Prozesse sind hinlänglich bekannt, die sich ergeben können. Dabei ist natürlich auch Gruppenzwang und es mag sein, dass diejenigen, die ganz besonders gefordert sind, vielleicht auch eher bereit sind, sich einem solchen Gruppenzwang zu unterziehen. Zumindest war es bei dem Soldaten der Gebirgsjäger so, der an den Wehrbeauftragten geschrieben hat. Aber da eine generelle Ableitung herzuführen, das halte ich nicht für zulässig. Ich kann nur noch mal sagen, die Dinge müssen aufgeklärt werden und wir müssen auch die Kultur der Aufklärung ein bisschen entwickeln, und ich kann nur noch mal davor warnen, nicht vorzuverurteilen.

    Herter: Was hat die Bundeswehr in den letzten Jahren getan, um solche Misshandlungen besser zu vermeiden?

    Kirsch: In den Streitkräften gibt es natürlich die Ausbildung im Führungsverhalten und die Grenze scheint allerdings jedoch recht fließend zu sein von dem, was harmlos ist, hin zu dem, wo eben die Würde des Menschen angetastet ist. Ich denke, dass das noch intensiviert werden muss. Das ist natürlich Thema auf Lehrgängen, was die Vorgesetzten angeht. Das muss noch intensiviert werden. Ich bin, wiederhole mich sehr, bei unserem Bundespräsidenten, der von der Kultur der Aufmerksamkeit sprach, aber wir müssen natürlich auch immer eines vor Augen halten: Wir sind Spiegelbild der Gesellschaft auch in den Streitkräften. Das rechtfertigt überhaupt nichts, aber die moralischen Verwerfungen sind doch im Moment sehr breit angelegt. Vielleicht ist auch eine gesamtgesellschaftspolitische Debatte erforderlich, um mal zu schauen, was passiert denn in unserem Land.

    Herter: Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee. Wenn man von jungen Männern verlangt, dass sie ihren Wehrdienst leisten, besteht dann nicht aber doch eine doppelte Verpflichtung, sozusagen Misshandlungen und Ähnlichem vorzubeugen, dies zu verhindern?

    Kirsch: Natürlich! Wir müssen mit den Menschen, die uns anvertraut sind, sorgfältig und sorgsam umgehen. Das steht außer Frage. Und wenn das nicht der Fall ist, dann muss dem dementsprechend begegnet werden.

    Herter: Kann man da vielleicht auch von anderen Armeen lernen?

    Kirsch: Es gibt bestimmte Parallelen in anderen Armeen zu dem, was wir gerade hier debattieren. Ich denke mal, wir sind eigentlich vom Prinzip her gut aufgestellt, was das Thema Innere Führung angeht und alles, was sich daraus ableiten lässt, insbesondere auf die Menschenführung bezogen und auf das Führungsverhalten im Allgemeinen. Deswegen gibt es trotzdem Ausrutscher. Die soll es ja überall durchaus mal geben und da muss man gucken, war das menschlich noch akzeptierbar, oder hat das eben disziplinarrechtliche oder strafrechtliche Relevanz. Wenn das der Fall ist, dann muss dementsprechend reagiert werden.

    Herter: Oberst Ulrich Kirsch, Vorsitzender des Bundeswehrverbands, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk über Rekrutenmisshandlungen, jedenfalls Verdachtsfälle in deutschen Kasernen. Vielen Dank, Herr Kirsch.

    Kirsch: Gerne!