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Die Dopingstudie "bringt in der Sportpolitik einiges gewaltig ins Wanken"

Nach Bekanntwerden einer Studie zum politisch gebilligten Doping während des Kalten Kriegs fordert der SPD-Politiker Martin Gerster schnelle Aufklärung. Das Innenministerium müsse die Studie veröffentlichen, der Sportausschuss Präventivmaßnahmen gegen Doping schaffen.

Martin Gerster im Gespräch mit Christine Heuer | 05.08.2013
    Christine Heuer: Leichtathleten und Fußballer als kalte Krieger? Forscher der Humboldt-Uni in Berlin behaupten, dass in Westdeutschland seit den 70er-Jahren Sportler ebenso systematisch und organisiert gedopt wurden wie in der DDR, und zwar mit Wissen und Billigung der Politik. Die Studie, in der das Westdoping im Kalten Krieg beschrieben wird, ist noch nicht veröffentlicht. Die Wissenschaftler machen dafür ihren Auftraggeber, das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, verantwortlich, ein Institut, das der Studie zufolge eine Schlüsselrolle beim Sportdoping in der Bonner Republik spielte. Da steckt politischer Zündstoff drin.
    Wir sind verbunden mit Martin Gerster, SPD-Obmann im Bundestagssportausschuss. Guten Morgen, Herr Gerster.

    Martin Gerster: Ich grüße Sie.

    Heuer: Es ist die Rede von organisiertem systematischem Doping auch in Westdeutschland im Kalten Krieg. Hat Sie das überrascht?

    Gerster: Ja zumindest das, was wir bisher scheibchenweise erfahren haben. Das erschüttert einen doch schon sehr, denn das hat mehrere Konsequenzen oder Auswirkungen. Zum einen ist es ja noch immer so, dass in der früheren Bundesrepublik weit verbreitet die Annahme ist, dass der sportliche Erfolg im Ostblock und speziell in der DDR vor allem auf massivem Doping beruht, während ja in der früheren Bundesrepublik alles mit rechten Dingen zuging. Genau diese Annahme bricht jetzt zusammen, und dass jetzt auch das westdeutsche Sportsystem sozusagen als Dopingsystem entlarvt wird, das ist natürlich schon eine Geschichte, die einiges ins Wanken bringt. Zum Zweiten kommt natürlich hinzu, die Politik und vor allem auch der organisierte Sport propagieren die Werte des Sports, den fairen Wettbewerb, und da passt es natürlich überhaupt nicht zusammen, dass auch in Westdeutschland ein Doping unterstützendes System vorhanden gewesen sein soll. Soll man so weit gehen und sagen, noch immer vorhanden ist? Jedenfalls bringt das doch in der Sportpolitik und im Sport, glaube ich, einiges gewaltig ins Wanken.

    Heuer: Die Politik sprechen Sie an. Glauben Sie, dass es tatsächlich so etwas wie einen politischen Auftrag zum Doping im Kalten Krieg gab?

    Gerster: Ja man kann sich das natürlich schon ganz gut vorstellen, dass auch in der Bundesrepublik oder insgesamt im Westen natürlich geschaut wurde, dass man im Sport die Ostseite übertreffen kann, und ich könnte mir gut vorstellen, dass da etliche Leute auch in Verantwortungsbereichen unterwegs waren, die gesagt haben, da ist uns jedes Mittel recht, ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler, ohne Rücksicht auf die eigenen Werte des Sports. Wir wissen, Sport beruht natürlich auf die eigenen Werte, und wenn man die natürlich über Bord wirft, dann ist Sport eigentlich gar kein Sport mehr, und deswegen stimmt das einen so traurig. Das Ganze verringert den Glauben an den fairen Sport doch sehr enorm.

    Heuer: Nun haben sich aber gleich am Wochenende drei ehemalige Bundesinnenminister zu Wort gemeldet, Hans-Dietrich Genscher, Gerhart Baum und Rudolf Seiters, und haben alle gesagt, sie hätten davon nichts mitbekommen und das könne gar nicht sein. Lügen die denn?

    Gerster: Ich weiß nicht, ob sie lügen, oder ob sie vielleicht auch nicht richtig informiert waren. Wissen Sie, das Schwierige an der Sache ist ja, dass wir im Deutschen Bundestag, wir Abgeordneten, die Ergebnisse dieser Studie von der Humboldt-Universität noch gar nicht richtig kennen. Wir haben in den letzten Tagen Stück für Stück immer wieder Fakten und Forschungsergebnisse aus den Medien erfahren, aber uns liegt die Studie noch gar nicht vor, weil der Bundesinnenminister Friedrich, aber auch Schwarz-Gelb bisher es verhindert haben, dass wir die Studie zu Gesicht bekommen, und es wäre ja schon für eine Beratung und für eine Bewertung sehr wichtig, natürlich die komplette Studie zu bekommen und nicht nur aus der Zeitung hier und da einen Artikel und einige Teilfakten zu erfahren. Deswegen sage ich, für eine Bewertung ist es absolut notwendig, dass wir im Deutschen Bundestag jetzt nun endlich diese Studie bekommen. Minister Friedrich und Institute, die dem Bundesinnenministerium anhängig sind, halten die ja bisher unter Verschluss. Und deswegen sagen wir, wir brauchen endlich den vollständigen Bericht, um überhaupt eine Bewertung vornehmen zu können.

    Heuer: Unter Verschluss gehalten wird die Studie ja eigentlich nicht. Es gibt da eine Auseinandersetzung über den Rechtsschutz im Falle, dass Klagen der Veröffentlichung dieser Studie folgen. Trotzdem: Die Forscher beklagen, ihre Auftraggeber versuchten de facto, die Veröffentlichung zu verhindern. Herr Gerster, soll da was vertuscht werden?

    Gerster: Ja das ist eben gerade mein Eindruck, wenn ich da natürlich höre von den Forschern, dass Unterlagen vernichtet worden sind, wenn ich mir anschaue, wie jetzt letztendlich die Beratung im Sportausschuss immer weiter verzögert wurde mit dem Hinweis auf Datenschutz. Schauen Sie, bei mir ist bisher nicht der Eindruck entstanden, dass Bundesinnenminister Friedrich ein großer Fan des Datenschutzes ist. Ich verweise hier auf das schlechte Agieren oder das nicht vorhandene Agieren oder die nicht vorhandene Aufklärung, was die Ausspähaffäre zum Beispiel anbelangt.

    Heuer: Darüber sprechen wir hier um 7:15 Uhr.

    Gerster: Genau. Und ich sage auch mal, wir haben das schon öfters gehört, auch als es zum Beispiel darum ging, ob wir die Zielvereinbarung mit dem deutschen Sport im Sportausschuss des Bundestages einsehen können. Da wurde dann plötzlich auch auf Datenschutz verwiesen. De facto wurde es aber hinausgezögert vom Bundesinnenminister und er hat ja nicht umsonst auch von einem Journalistennetzwerk die sogenannte Verschlossene Auster als Preis überreicht bekommen, ein Negativpreis. Insofern sage ich mal, es wäre gut, wenn nun endlich der Bundesinnenminister und Schwarz-Gelb den Weg frei machen würden, damit wir diese Studie bekommen, damit wir endlich auch mal eine gesicherte Grundlage für eine Diskussion bekommen.

    Heuer: Herr Gerster, wenn man an den Ergebnissen, wie Sie das interpretieren, kein Interesse hat, warum gibt man dann eine solche Studie überhaupt erst in Auftrag?

    Gerster: Vielleicht möchte man einiges präsentieren, aber doch nicht die volle Wahrheit. Vielleicht möchte man Teilwahrheiten tatsächlich der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ich weiß es nicht. Jedenfalls scheint es mir so zu sein, dass der Zeitpunkt jetzt unter Umständen für den Bundesinnenminister und die aktuelle Bundesregierung höchst unangenehm ist, so kurz natürlich vor der Bundestagswahl. Jetzt im Wahlkampf eine Diskussion über konsequente Bekämpfung von Doping erscheint unangenehm, denn erst vor wenigen Wochen wurde ja im Bundestag unser Gesetzentwurf abgelehnt, in dem wir als SPD-Fraktion beispielsweise ein starkes, ein massives Vorgehen gegen Doping einfordern. Das wurde von Schwarz-Gelb abgelehnt. Da passt natürlich so eine Diskussion jetzt ein paar Wochen vor der Bundestagswahl vielleicht nicht so gut rein. Aber wir von der SPD-Fraktion fordern, dass wir noch im September uns mit dieser Studie auf Grundlage der tatsächlichen Forschungsergebnisse im Sportausschuss befassen können.

    Heuer: Ganz kurz zum Schluss, fairerweise müssen wir das erwähnen. Die SPD hat es jetzt im Wahlkampf mit dem Thema natürlich ganz gut, weil sie in der fraglichen Zeit so gut wie nie den Innenminister stellte.

    Gerster: Na ja, was heißt "hat es ganz gut"? Wir haben im Übrigen schon im Juni im Sportausschuss gefordert, dass wir eine Sondersitzung im September bekommen. Das wurde von Schwarz-Gelb im Sportausschuss mehrheitlich abgelehnt. Da wussten wir noch gar nicht, was über Medien in diesen Tagen häppchenweise zum Vorschein kommt. Insofern sage ich mal, ich habe auch nicht geguckt, wer hat wann den Innenminister gestellt, sondern mir kommt es darauf an, dass wir endlich Klarheit und Wahrheit bekommen in dieser Frage und auch die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft bei der Dopingbekämpfung ziehen können.

    Heuer: Der SPD-Obmann im Bundestagssportausschuss, Martin Gerster, im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Gerster, haben Sie vielen Dank.

    Gerster: Herzlichen Dank und viele Grüße.


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