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"Die Dunkelziffer ist extrem groß"

Nicht nur Doktoranden schreiben ab - die Doktorväter sind kaum besser, sagt der Juraprofessor Volker Rieble und fordert transparentere Verfahren, Plagiate aufzudecken und die fraglichen Werke dann - wie in der Autobranche üblich - zurückzurufen.

Volker Rieble im Gespräch mit Manfred Götzke |
    Manfred Götzke: Karl-Theodor zu Guttenberg - vor einem Monat hat der berühmteste Plagiator seinen Hut genommen und seinen Rücktritt vom Amt des Verteidigungsministers erklärt. Seit bekannt geworden ist, dass er seine Dissertation in mühevoller Kleinstarbeit abgeschrieben hat, wird bei Doktorarbeiten genauer hingesehen - komischerweise aber nur bei Doktorarbeiten. Und das ist ein Problem, denn nicht nur unter Doktoranden gibt es schwarze Schafe, sondern auch unter denen, die die Arbeiten eigentlich kontrollieren sollen. Auch so mancher Professor nimmt es mit Fußnoten nicht so genau. Noch schlimmer: Er lässt Arbeiten von Assistenten schreiben und veröffentlicht sie unter eigenem Namen. Das muss aufhören, sagt der Juraprofessor Rieble. Ist das Professorenplagiat ein Tabu?

    Volker Rieble: Nein, Tabu ist es nicht, es geschieht, es geschieht sogar häufig und es geschieht natürlich aus einer ganz anderen Motivation heraus. Der Doktor oder der Doktorand, der plagiiert, möchte schnell die eine Arbeit erledigen und wird sich dann in der Wissenschaft nie wieder tummeln. Der Professor aber, der abschreibt oder die Ergüsse seiner Mitarbeiter als eigenes Werk ausgibt, der produziert ein Plagiat nach dem anderen, der beschädigt die Wissenschaft weitaus stärker.

    Götzke: Und das wird aber nicht weiter hinterfragt?

    Rieble: Das wird nicht weiter hinterfragt, in der Tat. Das liegt einmal daran, dass das Geistschreiben sehr schwer nachzuweisen ist, denn die Assistenten, die da in Knechtschaft gehalten werden und ausgebeutet werden, die wehren sich nicht. Die sind ja auch abhängig, erstens abhängig aufgrund der Assistentenstelle, zweitens aber auch abhängig, weil typischerweise sie auch promovieren und der Doktorvater zugleich der Professor ist.

    Götzke: Das heißt, derjenige, der eigentlich kontrollieren sollte, plagiiert genau so wie der Doktorand, der möglicherweise mit den Fußnoten es nicht so genau nimmt?

    Rieble: Der plagiiert eigentlich noch viel schlimmer, denn Professoren müssen natürlich erstens Vorbild sein. Wenn Sie von einem solchen Abschreiberlehrstuhl kommen, haben Sie ja nie gelernt, wie Wissenschaft richtig funktioniert, wie redliche Wissenschaft funktioniert.

    Götzke: Sie haben ja ein Buch über das Plagiat in der Wissenschaft und vor allem auch in der Professorenschaft geschrieben. Wie verbreitet ist denn dieses Phänomen?

    Rieble: Also richtig saubere empirische Daten haben wir nicht. Es sind immer nur Zufallsfunde, die hochkommen, das Dunkelfeld, die Dunkelziffer ist extrem groß. Dementsprechend könnte man bestenfalls schätzen, aber das ist eigentlich unseriös. Aber es ist jedenfalls nicht vernachlässigbar, das muss man sagen.

    Götzke: Ein Text, der von einem Assistenten geschrieben wurde, aber vom Professor veröffentlicht – dieses Phänomen beschäftigt bisher Universitäten und auch Gerichte kaum. Woran liegt das eigentlich?

    Rieble: Nun, das liegt eben erstens daran, dass der Assistent sich typischerweise nicht wehrt. Es kommt dann nur durch einen Zufall heraus, so hat beispielsweise ein Professor ein Juristentagsgutachten abgeliefert, das doch eine ganz erstaunliche Werkähnlichkeit zur Dissertation eines seiner Schüler aufweist. Also wenn ich zwei Werke habe, die ich vergleichen kann, dann kann ich schon ansetzen. Aber im Normalfall ist es ja eher so, dass der Assistent den Aufsatz für den Professor schreibt, der Professor veröffentlicht den, da gibt es nur ein Werk. Und solange der Assistent nicht auspackt, kommen wir da nicht drauf oder können es zumindest nicht beweisen.

    Götzke: Haben Sie das Gefühl, dass durch die ganze Guttenberg-Debatte jetzt Rollen auch in dieses Thema gekommen ist?

    Rieble: Eigentlich nicht. Also es ist eher scheinheilig, wie die DFG betont, dass ihre Kontrollmechanismen alle wunderbar funktionieren, wie der Deutsche Hochschulverband betont, dass alles bestens sei, und die Organisationen der Wissenschaft dieses unterdrücken, das stimmt überhaupt nicht, es passiert nichts.

    Götzke: Sie haben das Stichwort genannt, die Justiziarin der Deutschen Forschungsgemeinschaft hat vergangene Woche genau das gesagt, die Selbstkontrolle in der Wissenschaft funktioniere. Wie kann man denn so was sagen, wo ja jetzt gerade diese ganzen Plagiate ans Licht gekommen sind?

    Rieble: Nun, das kann man deswegen sagen, weil die Selbstkontrolle der Wissenschaft ein höchst intransparenter Vorgang ist, wie die DFG insgesamt höchst intransparent agiert. Wir erfahren als Publikum, selbst als Wissenschaftler nicht, was dort hinter verschlossenen Türen passiert. Im Februar hat die DFG etwa eine Pressemitteilung herausgegeben, dass sie zwei Wissenschaftler dabei erwischt hat, dass sie Förderanträge gestellt haben, die aber ihrerseits plagiiert waren. Also da war der Förderantrag bei Veröffentlichung fremder Kollegen abgeschrieben. Was ist passiert: Man hat den beiden eine Rüge erteilt. Da sind sie natürlich schwer erschüttert! Noch nicht einmal eine Sperre für DFG-Anträge wurde verhängt, und was auch nicht geschehen ist, wofür ich sehr stark plädieren würde, wäre die Akten an die Staatsanwaltschaft zu geben. Denn wer Forschungsfördergelder mit plagiierten Anträgen zu erschleichen sucht, der begeht einen Subventionsbetrug.

    Götzke: Sie zeichnen ein ganz düsteres Bild von der Wissenschaftslandschaft. Was müsste sich ändern, damit weniger plagiiert wird in Zukunft?

    Rieble: Ich will da nicht missverstanden werden, 90, 95 Prozent der Wissenschaftler sind völlig sauber und arbeiten ordnungsgemäß. Aber es sind halt überall immer die schwarzen Schafe, und wenn man dagegen nichts tut, dann entsteht ein Klima der Duldsamkeit, der Kumpanei, der Hinnahme, der Verschleierung. Was müsste geschehen: Also aus meiner Sicht helfen eigentlich nur öffentliches und transparentes Wirken. Warum werden Wissenschaftler, die solche Plagiate begehen, mit ihren Plagiaten nicht bloßgestellt? Wenn jemand einen Aufsatz schreibt, der nicht von ihm ist, dann muss das doch korrigiert werden, das ist nichts anderes als ein Produktrückruf.

    Götzke: Sie haben das in Ihrem Buch vor einem Jahr ja auch mehrfach gemacht, Sie haben Ross und Reiter genannt, auch unter Juraprofessoren, Kollegen. Da haben Sie sich nicht so viele Freunde gemacht, oder?

    Rieble: Nein, aber auf die Freundschaft zu Plagiatoren lege ich jetzt auch nicht den ganz großen Wert, muss ich sagen. Es ist umgekehrt so, dass viele Kollegen auch sehr darunter leiden, wie plagiiert wird, es sind vielfach auch Funktionäre, also Großordinarien, die sich unglaublich wichtig tun, die aber selbst sozusagen höchst unlauter publizieren, und da erfahre ich auch viel Unterstützung und Rückhalt.