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"Die einfachsten Dinge werden mittlerweile als vertraulich gestempelt"

Nach Ansicht des Journalisten Hans Leyendecker wird die Arbeit der Presse erschwert, weil in Verwaltungsakten sehr schnell der Vermerk "vertraulich" vergeben werde. Anlässlich des Verfassungsgerichtsurteils im Fall "Cicero" sagte Leyendecker, er erwarte, dass zukünftig die Entgegennahme vertraulicher Akten durch Journalisten "juristisch unproblematisch" sein wird.

Moderation: Klaus Remme | 27.02.2007
    Klaus Remme: Das Bundesverfassungsgericht wird gleich sein Urteil im so genannten Fall Cicero sprechen. Dabei geht es um die Rechte der Presse, aus zugespielten geheimen Informationen zu berichten. Die Zeitschrift hatte im April 2005 einen Artikel über den islamistischen Terroristen Abu Musab al-Sarkawi veröffentlicht. Darin wurde aus einem internen Bericht des Bundeskriminalamts ausführlich zitiert. Redaktionsräume und die Wohnung des Autors Bruno Schirra wurden daraufhin durchsucht. Für die Staatsanwaltschaft geht es um Beihilfe zu einer strafbaren Handlung, für die Kläger um das Recht der Journalisten auf Informantenschutz.

    Hans Leyendecker ist politischer Redakteur der "Süddeutschen Zeitung". Er wurde in diesem Verfahren als Sachverständiger gehört und sitzt zur Stunde im Zug auf dem Weg nach Karlsruhe. Am frühen Morgen habe ich mit ihm gesprochen. Meine erste Frage: ist er als Sachverständiger neutral, oder ist er als Kollege von Bruno Schirra vor allem Partei?

    Hans Leyendecker: Ich bin Journalist wie Bruno Schirra auch und verstehe mich aber auch als Sachverständiger, weil ich natürlich mit solchen Fragen, das heißt Bruch des Geheimnisses, häufiger zu tun habe und die Erfahrung gemacht habe und auch für mich abwägen muss, was ist richtig: Ist das Geheimnis so wichtig, dass der Bruch strafbar sein kann, die Beihilfe durch Journalisten zum Bruch? Oder steht eigentlich im Mittelpunkt das Veröffentlichungsinteresse und auch das Sammeln und Veröffentlichen von Informationen? Darum geht es ja in der Regel.

    Remme: Herr Leyendecker, ist es also für Sie als investigativen Journalisten Alltagserfahrung, dass Recherchen ganz schnell in eine juristische Grauzone führen?

    Leyendecker: Das hängt ein bisschen vom Thema ab. Wenn Sie Feuilletonist sind, haben Sie damit in der Regel nichts zu tun, auch in anderen Bereichen nicht, aber sobald Sie in einem Bereich sind, in dem Sie häufiger mit Nachrichtendiensten zu tun haben, mit Verwaltung zu tun haben, kommen Sie schon in diese Beihilfekonstruktion, um die es heute in diesem Fall geht, häufiger hinein. Wir erleben es, dass also auch die einfachsten Dinge mittlerweile als vertraulich gestempelt werden, wenn ich an den BND-Untersuchungsausschuss in Berlin erinnern darf. Wenn man da in den Akten blättert, was man ja nicht darf, dann kann man feststellen, dass sogar Zeitungsartikel im Nachhinein vertraulich sind. Erschienene Artikel werden, weil sie zu einer gesamten Akte gehören, als vertraulich gestempelt und da ist die Verwaltung auch schnell dabei, Dinge zu sperren.

    Remme: Ist das denn das Grundproblem, denn eigentlich klingt es doch ganz einfach. Der betreffende Bericht des BKA war klar als "nur für den Dienstgebrauch" markiert. Schirra hat ihn in Teilen veröffentlicht. Was gibt ihm das Recht dazu?

    Leyendecker: Es wird damit begründet, dass Schirra einen wesentlichen Sachverhalt geschildert hat. Hier ging es darum, die Gefährlichkeit eines Islamisten zu zeigen. Ich glaube das Problematische bei der Veröffentlichung war, dass er beispielsweise Telefondaten auch veröffentlicht hat. Damit konnte niemand etwas anfangen. Das half auch nicht bei der Beurteilung des Sachverhaltes, ob hier irgendjemand, der zu el-Kaida gehören soll, irgendwelche Telefonnummern hat und wie die denn lauten sollen. Das ist glaube ich anscheinend nicht das Problem.

    Generell geht es darum, dass die Behörden in jüngerer Zeit gerade sehr eifrig damit sind, alles zu sperren damit es nicht nach draußen geht. Wenn man es am Beispiel des BND-Untersuchungsausschusses macht, was nicht unwesentlich ist auch für die Betrachtung des Falles. Da gibt es beispielsweise einen Fünf-Seiten-Vermerk des Bundesinnenministeriums aus dem Herbst 2002 und in diesem Vermerk geht es darum, dass auf keinen Fall der Kurnaz nach Deutschland zurück kann, der in Guantanamo war, und dass man alles tun muss, um das zu verhindern. Unter anderem steht da auch drin, falls das heraus kommt, dass man jetzt versucht, seinen Pass zu besorgen, seine Aufenthaltsgenehmigung zum Erlöschen zu bringen, wird man dann den Anwalt beschuldigen, der habe es einfach versäumt. Das ist also ein wesentlicher Fall, durch den man erkennt, wie hinterhältig eine Verwaltung vorgeht, um ihr Ziel zu erreichen. Ich glaube da ist das Aufklärungsinteresse evident.

    Natürlich muss man sagen, die Freiheit des Journalisten ist nicht unbegrenzt. Sie wird durch andere hochrangige Verfassungsgüter immer wieder beschränkt. Aber bei diesen Fällen? Wenn wir Staatsgeheimnisse hätten, dann finde ich ist es überhaupt keine Diskussion. Ein Staatsgeheimnis darf durch niemanden gebrochen werden. Nur so inflationsartig erleben wir ja, dass sehr vieles als vertraulich eingestuft wird, was nicht vertraulich ist, und da hilft es schon, wenn man dort die Beihilfe heraus nimmt.

    Remme: Aber wenn wir noch mal den Fall nehmen, mit dem das Gericht jetzt heute zu tun hat, hätten Sie an der Stelle von Bruno Schirra anders gehandelt?

    Leyendecker: Ich hätte den Bericht nicht so gemacht, wie er ihn gemacht hat, weil die Art der Veröffentlichung war aus meiner Sicht auch ein Stück eine Provokation gegenüber der Verwaltung, die aus Gründen, die ich nicht für richtig halte, diesen Vorgang zu einem vertraulichen Vorgang gemacht hat. Aber indem er halt deutlich machte, das ist alles aus einer Handakte, das ist ein Vorgang, der hoch geheim ist, und damit eine gewisse Aufmerksamkeit auch haben wollte, geht er natürlich auch ein hohes Risiko ein. Ich hätte viele Dinge, die in diesem Bericht drin stehen - und eine Reihe von Kollegen hatten ja diesen Bericht und sind nicht diese Gefahr gelaufen, wo er reingekommen ist -, anders formuliert und vermutlich hätte dann niemand einen Strafantrag gestellt.

    Remme: Herr Leyendecker, einige fühlen sich bei diesem Verfahren an das "Spiegel"-Urteil aus den 60er Jahren erinnert. Hat es wirklich eine vergleichbare Bedeutung?

    Leyendecker: Wir versuchen halt immer, unsere Erinnerung aufzufrischen, indem wir große Vergleiche machen. Das "Spiegel"-Urteil vor 40 Jahren war natürlich ein Urteil, wo es grundsätzlich um die Frage ging, wie geht der Staat mit Presse um. Da ging es auch um die Demokratie. Es gab den berühmten Spruch "Spiegel tot, Freiheit tot, Demokratie tot". Das ist hier glaube ich nicht der Fall, aber es ist schon, wenn man auf die Vielzahl der Verfahren schaut, auf die Versuche einzuschüchtern, die es in der Vergangenheit gegeben hat, ein wichtiger Punkt. Ich denke auch das Bundesverfassungsgericht wird eine Zäsur machen und sagen, wohin die Richtung zu gehen hat. Es wird nicht diesen §353b der Beihilfe streichen. Es wird so vermute ich die Anstiftung lassen, was nicht unproblematisch ist. Wenn ich das Entgegennehmen toleriere, die Anstiftung aber lasse, wird natürlich die Frage sein was ist die Anstiftungshaltung. Ist bereits die gezielte Frage des Journalisten nach einer bestimmten, als vertraulich eingestuften Information eine Anstiftungshandlung. Das ist glaube ich rechtstheoretisch ein bisschen kompliziert. Es wäre einfacher, den Paragraphen für Journalisten ganz zu streichen, aber dazu wird es nicht kommen.

    Remme: Jetzt habe ich Sie verloren, Herr Leyendecker. Das ging mir jetzt zu schnell. Welche Auswirkungen hätte das Urteil, so wie Sie es voraussehen?

    Leyendecker: So wie ich das Urteil voraussehe wird es die Konsequenz haben, dass das passive Entgegennehmen einer Information durch Journalisten nicht mehr strafbar sein wird. Es ist eine Unterlage als vertraulich eingestuft, ein Journalist bekommt sie. Er hat also nicht gezahlt oder irgendetwas anderes, aber er hat auch nicht angestiftet. Das wird glaube ich in Zukunft juristisch unproblematisch sein. Dagegen fürchte ich, dass das Gericht sagt, dass die Anstiftungshandlung, dass er also angestiftet hat dazu, dass ein Amtsträger diese Information herausgibt, weiterhin strafbar sein soll. Da wird es dann in der Realität halt Diskussionen darüber geben, was ist diese Anstiftungshandlung eigentlich. Der Grundsatz muss sein: Öffentliche Verwaltung ist res publica und es muss auch einsehbar sein, was öffentliche Verwaltung macht.

    Remme: Sie haben jetzt in den vergangenen Minuten mehrfach den zunehmenden Druck von offiziellen Stellen auf Journalisten erwähnt. Das sehen wir ja nicht nur in Deutschland. Vor allem auch in den USA gibt es Druck auf US-Journalisten. Dort sind Gefängnisstrafen verhängt worden für die Weigerung, die Quellen Preis zu geben. Wo sehen Sie die Ursachen für diesen zunehmenden Druck?

    Leyendecker: Ich glaube eine der wesentlichen Ursachen, wobei wir Unterscheidungen machen müssen - Wir haben ein sehr irrsinniges Verfahren in der Schweiz gehabt. Wir haben in den USA ein Verfahren gehabt, wo Journalisten beispielsweise auch im Sportbereich bedroht wurden, die wichtige Dinge herausgefunden hatten. Das heißt Verwaltung versucht, sich zu sperren vor dem, was der Bürger wissen soll. Das hat zugenommen eigentlich weltweit. In diesem Zusammenhang ist dieser deutsche Fall zu sehen. Der deutsche Fall ist nicht vergleichbar mit dem, was in den USA ist. Er ist auch nicht vergleichbar mit dem, was in der Schweiz stattfindet. Es ist aber der Versuch abzuschrecken, einzuschüchtern, den Journalisten dazu zu bringen, dass er sich an solche Sachverhalte gar nicht herantraut, weil am Ende kann dann - und das ist häufig auch das Schlimmste - die Heimsuchung des Journalisten erfolgen. Das heißt die Staatsgewalt schaut vorbei, nimmt Unterlagen mit, wie im Fall Schirra es dann gewesen ist, konfisziert, was in der Regel dazu führt, dass ein Journalist, der recherchierend tätig ist, eine ganze Weile nicht mehr arbeiten kann. Wir haben ja strafrechtlich am Ende nicht so schrecklich zu befürchten wie in anderen Ländern, wo es dann auch tatsächlich Haftstrafen gibt. Daran kann ich mich jedenfalls nicht erinnern, dass ein Kollege auch nur mal zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist in diesem Zusammenhang.

    Remme: Hans Leyendecker war das, leitender politischer Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung".