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"Die Entscheidung ist notwendig, und sie ist richtig"

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verteidigt den Euro-Stabilisierungsfonds. Wenn man den Euro stärken wolle, sei das die richtige Entscheidung. Die geforderte Finanztransaktionssteuer sei hingegen mit vielen Hindernissen verbunden.

Wolfgang Schäuble im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.05.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist gerade einmal 14 Tage her, da hatte der Bundestag über den deutschen Beitrag zur milliardenschweren Rettung Griechenlands zu befinden. Wie bereits bei der Bankenrettung im Herbst 2008 ging die Finanzhilfe im verkürzten Verfahren über die Bühne. Jetzt sollen die Parlamentarier erneut im Eilverfahren entscheiden. Dabei geht es diesmal um weit größere Summen. 750 Milliarden Euro ist es schwer, das Rettungspaket von EU und IWF, das greifen soll für den Fall, dass nach Griechenland weitere Euro-Länder ins Taumeln geraten. Deutschland gewährt im Fall des Falles Kredite und Bürgschaften in Höhe von 123 Milliarden Euro. Das ist das Thema heute im Bundestag, und dazu begrüße ich den Bundesfinanzminister, Wolfgang Schäuble von der CDU. Schönen guten Morgen, Herr Schäuble.

    Wolfgang Schäuble: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Schäuble, in jüngster Zeit ist immer öfter davon die Rede, dieses oder jenes Vorhaben sei alternativlos. Wie alternativlos ist der Euro-Stabilisierungsschirm?

    Schäuble: Wenn man den Euro als eine stabile Währung verteidigen will, angesichts der nervösen Situation auf den Weltmärkten, dann ist das nach unserer gemeinsamen Überzeugung eine notwendige Entscheidung. Das kann man als alternativlos bezeichnen, aber viele ärgern sich ja über die ständige Verwendung dieses Wortes. Ich glaube, die Entscheidung ist notwendig, und sie ist richtig.

    Heckmann: Die Zusage für die Hilfsmilliarden für Griechenland, die habe dazu gedient, dass Athen die Hilfe gar nicht in Anspruch nehmen müsse, hieß es damals. 14 Tage ist das ja erst her. Es kam anders, wie bekannt. Wie sicher sind Sie denn, dass die 750 Milliarden jetzt nicht benötigt werden?

    Schäuble: Wir haben ja gesehen: bei Griechenland hat man das lange gehofft, allerdings vor 14 Tagen hat man schon damit gerechnet, dass sie es auch in Anspruch nehmen werden. Aber ein paar Wochen zuvor hat Griechenland ja selber immer gesagt, wir brauchen das nicht, wir brauchen nur die Erklärung der Solidarität, um die Märkte zu überzeugen, dass wir zahlungsfähig bleiben. Jetzt ist das mit dem Euro eine andere Situation, aber man hat ja gesehen, man muss eben immer damit rechnen, dass es auch passieren kann. Deswegen: wir haben dieses Paket im europäischen Rat beschlossen, wir müssen es jetzt in den nationalen Entscheidungen umsetzen, dazu machen wir unseren Anteil im Bundestag jetzt heute, morgen, übermorgen in den parlamentarischen Beratungen, aber bisher haben wir ja die Märkte auch noch nicht wirklich überzeugt, denn wir haben ja gesehen, dass der Euro weiter sinkt, und das heißt, das entscheidende ist: wir müssen die Defizite reduzieren in allen Mitgliedsländern der Euro-Zone. Darüber haben wir die letzten zwei Tage im Kreis der Finanzminister sehr ernst und eindringlich geredet. Da müssen wir Deutsche auch unseren Teil leisten. Und wir müssen das, was wir verabredet haben, in Kraft setzen, damit die Märkte auch glauben, das ist nicht nur eine Absichtserklärung, sondern das ist Realität.

    Heckmann: Praktisch, Herr Schäuble, sind wir aber auf dem Weg zur Transferunion, so wie es aussieht, denn ob beispielsweise Griechenland die Milliarden zurückzahlen kann, das stehe in den Sternen. Darauf hatte Deutsche Bank-Chef Ackermann hingewiesen.

    Schäuble: Ich weiß nicht, ob das eine sehr kluge Äußerung gewesen ist, denn natürlich gehen wir davon aus, dass jeder seine Schulden auch zurückzahlt. Bisher hat im Übrigen auch Griechenland jede Verbindlichkeit zurückbezahlt und deswegen: das ist das Prinzip. Wissen Sie, der Begriff Transferunion, der wird auch vielfältig verwendet. Natürlich: in Deutschland sind wir auch ein Bundesstaat und die stärkeren Länder leisten auch einen Ausgleich in die Gemeinschaft zu Gunsten der schwächeren Länder. Die stärkeren Länder profitieren ja mehr davon, von dem Erfolg des gemeinsamen Ganzen. So ist es übrigens in Europa auch. Deutschland hat am meisten wirtschaftlich von der gemeinsamen Währung profitiert.

    Heckmann: Das heißt, wenn ich da einhaken darf, Herr Schäuble, wir müssen uns darauf einstellen, die deutschen Steuerzahler, dass eben Steuergeld in Griechenland verbleibt?

    Schäuble: Nein. Es ist ja heute schon so: wir haben europäische Fonds. Wir haben übrigens für den Aufbau der neuen Bundesländer nach der Wiedervereinigung von anderen europäischen Ländern viele Milliarden bekommen. Diese Diskussion ist ein bisschen einseitig. Eine Gemeinschaft funktioniert nur, wenn jeder seine Verpflichtungen wahrnimmt, wenn jeder sich anstrengt, wenn jeder solide wirtschaftet, sich auch an die Regeln hält, die müssen wir auch strenger durchsetzen. Aber dann muss es natürlich auch ein Stück weit eine Gemeinsamkeit geben, sonst ist es eben keine Gemeinschaft, und dann muss sich jeder fragen, was haben wir davon, ist es unser Interesse, und ich bin ganz überzeugt: Deutschland ist von der europäischen Einigung nicht nur politisch, sondern wirtschaftlich mit am meisten begünstigt. Wir sind die erfolgreichsten, wir sind die stärksten, andere kritisieren uns ja fast schon für die Erfolge, die wir haben, und das muss man in der Debatte auch ein Stück weit der Bevölkerung wieder und wieder erklären. Wir wären viel ärmer, unser sozialer Standard, unser Lebensstandard wäre viel geringer, wenn wir die europäische Einigung, wenn wir die gemeinsame europäische Währung nicht hätten. Wir hätten auch die Wirtschafts- und Bankenkrise in den letzten Jahren mit größeren Schäden durchlitten, wenn wir nicht eine gemeinsame Währung gehabt hätten. Wir sind am meisten in den Außenhandel verflochten von allen Wirtschaftsländern der Welt und wir haben die stärksten Exporte und wir exportieren fast zwei Drittel unserer Exporte in Mitgliedsländer der Euro-Zone. Das heißt, wir haben keine Wechselkursprobleme mit unseren Exporten und Importen. Das ist ein großer Vorteil. Man muss nicht immer mit solchen Schlagworten die Bevölkerung verunsichern.

    Heckmann: Herr Schäuble, SPD, Grüne und Linke haben in den vergangenen Wochen immer und immer wieder eine sogenannte Finanztransaktionssteuer gefordert und das auch zur Bedingung gemacht für eine Zustimmung schon der Griechenland-Hilfe und jetzt auch bei dem Euro-Stabilisierungsschirm, um die Banken eben an der Krise zu beteiligen. Die Koalition hatte das zuletzt bei der Griechenland-Hilfe abgelehnt. Jetzt soll es doch zu einet Besteuerung des Finanzmarkts kommen, wenn es auch noch offen ist, in welcher Form. Was hat denn den Sinneswandel bewirkt?

    Schäuble: Nein. Dass der Finanzsektor besteuert werden soll, ist ja im Prinzip völlig unumstritten. Die Bundesregierung hat bereits in der Woche vor Ostern in der Kabinettssitzung eine Bankenabgabe und einen entsprechenden Fonds beschlossen. Die Frage ist, wie man es am besten macht, wie man am besten die Regulierung so macht, dass künftig solche extremen Übertreibungen in den Märkten vermieden werden, dass man also die sogenannten systemischen Risiken stärker bekämpft. Das ist der eine Punkt.

    Heckmann: Pardon, Herr Schäuble. Wir hatten die Kanzlerin immer so verstanden und auch Sie, dass Sie eine Finanztransaktionssteuer abgelehnt haben, weil sie schädliche Wirkungen habe auf die Realwirtschaft, und auch mit dem Hinweis, dass der Internationale Währungsfonds dagegen sei.

    Schäuble: Herr Heckmann, darf ich Sie mal daran erinnern, dass die Bundeskanzlerin und die CDU im Wahlkampf eine Finanztransaktionssteuer gefordert haben, dass sie auf dem Gipfel der G20-Staats- und –Regierungschefs vor einem Jahr in Pittsburgh gesagt hat, wir wollen das, aber es geht nur global. Das sagen übrigens auch diejenigen, die in anderen Ländern, auch in unserem eigenen Land das fordern. Die Frage aber ist, ob wir global eine Vereinbarung zu Stande bringen. Die meisten sagen, eine Finanztransaktionssteuer macht nur Sinn, wenn man sie nicht umgehen kann. Deswegen: sie muss nicht nur in Europa eingeführt werden, sondern weltweit an den großen Finanzplätzen. Sonst wird sie sofort umgangen. Das ist der Punkt und das haben wir immer gesagt. Wenn sie global zu vereinbaren ist, dann kann man sie machen, aber ob sie global zu vereinbaren ist – das hat sich übrigens in den letzten 14 Tagen nicht wirklich geändert -, das werden wir auf dem Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G20-Staaten im Juni in Kanada sehen, und die meisten sagen uns – ich habe ja gestern und vorgestern wieder alle meine Kollegen in Europa gefragt -, die Chance dafür, dass es eine solche Übereinkunft gibt, ist sehr gering. Und dann muss man sich fragen, macht es einen Sinn, dass wir sie alleine in Europa einführen – mit dem Risiko, dass die ganzen Finanzumsätze dann nach Amerika, nach Singapur, nach Schanghai oder wo immer, nach Hongkong ausweichen. Das kann man dann im europäischen Bereich diskutieren. Zunächst einmal konzentrieren wir uns darauf, sie global zu Stande zu bringen, aber ich sage noch einmal: die Chancen dafür sind jedenfalls deutlich niedriger als 100 Prozent.

    Heckmann: Der Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker, sagt, man solle sich nicht immer hinter den USA verstecken.

    Schäuble: Das ist völlig richtig. Deswegen: wir werden in jedem Fall – das ist ja auch unstreitig – den Finanzsektor stärker besteuern, um eben die Wiederholung dieser Übertreibungen zu verhindern. Die Frage ist nur, wie man es am besten zielführend macht, und darüber sind wir miteinander auch im europäischen Bereich im Gespräch und da werden wir gemeinsam Entscheidungen treffen.

    Heckmann: Wir sprechen mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU. – Herr Schäuble, schauen wir mal auf die Situation in Deutschland. Laut Schuldenbremse, die ja im Grundgesetz verankert ist, muss der Bund bis 2015 10 Milliarden Euro jährlich einsparen. Die "Süddeutsche Zeitung" meldet heute, dass man sogar im Jahr 2011 etwas ehrgeiziger sein könne. Sehen Sie da Möglichkeiten?

    Schäuble: Ja. Wir haben ja verabredet, dass wir diese schwierigen Entscheidungen – wir müssen das machen, so wie Sie es beschrieben haben – in einer Klausur des Bundeskabinetts Anfang Juni treffen werden, denn ich habe ja immer gesagt, das kann nicht der Finanzminister alleine, das ist eine Sache der ganzen Regierung, wir müssen dann entsprechende Prioritäten setzen und Posterioritäten auch. Aber wenn man das so macht, wie wir es jetzt beschlossen haben, dann werden wir das auch schaffen. Das wird nicht so dramatisch werden, aber es fordert Anstrengungen, und im Übrigen: das ist ja der eigentliche Punkt. Wenn wir den Euro stabil halten wollen und wenn wir solche Übertreibungen im Weltfinanzsystem verhindern wollen, dann müssen alle ihre zu großen Defizite zurückfahren, nicht nur Griechenland, nicht nur andere Mitgliedsländer der Euro-Zone, sondern Deutschland auch, und im Übrigen auch nicht nur die Euro-Zone. Die USA haben ein viel höheres Defizit als die Euro-Zone, Großbritannien, das nicht zur Euro-Zone gehört, im Übrigen auch. Aber jeder muss sich an der eigenen Nase packen. Wir machen das in Deutschland und wir werden die Schuldenbremse des Grundgesetzes erfüllen.

    Heckmann: Aber Kürzungen im Bereich Bildung und Forschung, der frühkindlichen Betreuung, wie von Roland Koch, dem hessischen Ministerpräsidenten, angesprochen, die sind ausgeschlossen, die werden nicht kommen?

    Schäuble: Wir werden natürlich jede Maßnahme so machen, dass sie Sinn macht, und wir müssen ja nicht nur kürzen, sondern wir müssen zugleich dafür sorgen, dass die Wirtschaft weiter wächst. Wir haben ja ein Problem mit unserer Demographie. Das heißt, wir haben eine Bevölkerung, die zahlenmäßig abnimmt und deren Durchschnittsalter älter wird. Deswegen müssen wir ja alles daran setzen, dass wir die Beschäftigungspotenziale möglichst vollständig ausschöpfen, und deswegen brauchen wir jedes Kind und jeden jungen Menschen für den Arbeitsmarkt und nicht als Dauerbezieher von Sozialleistungen. Deswegen wäre es natürlich ganz falsch, wenn man bei der Integration, bei der frühkindlichen Ausbildung und in der Schule sparen würde. Deswegen: es geht hier nicht um Tabus, sondern es geht einfach darum, dass wir nicht sinnlos sparen, sondern das richtige tun, die Wachstumskräfte stärken.

    Heckmann: DIW-Chef Zimmermann hat eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent ins Spiel gebracht. Können Sie hier und jetzt, Herr Schäuble, ausschließen, dass Sie an den Mehrwertsteuersatz herangehen, sei es auch nur an den ermäßigten Mehrwertsteuersatz?

    Schäuble: Ich will zunächst einmal sagen, wir haben so viele Stellungnahmen von mehr oder weniger klugen Leuten, die kann man gar nicht mehr alle kommentieren. Es ist völlig klar: eine Erhöhung der Mehrwertsteuer steht für diese Legislaturperiode nicht auf der Tagesordnung. Wir haben ausdrücklich gesagt, schon vor der Wahl, wir werden die Mehrwertsteuer nicht erhöhen. Wir haben vier Jahre zuvor gesagt, wir müssen die Mehrwertsteuer erhöhen. Das war im Wahlkampf nicht populär, aber wir haben es dann auch gemacht, und dieses Mal haben wir gesagt, weil wir vor vier Jahren um drei Prozentpunkte erhöht haben, ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Es wird keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geben.

    Heckmann: Wäre es nicht zumindest an der Zeit, die Mehrwertsteuersenkung für Hotels zurückzunehmen, denn das war doch offenbar ein Fehler?

    Schäuble: Darüber den Streit jetzt noch drei Jahre zu führen, da gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist nun entschieden, das ist auch nicht der zentrale Punkt. Wenn wir kein anderes Problem haben als den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Übernachtungsleistungen, dann geht es Deutschland offenbar zu gut. Da waren die Meinungen unterschiedlich, die Entscheidung ist getroffen, jetzt sollten wir uns der Zukunft zuwenden.

    Heckmann: Letzte Frage, Herr Schäuble. In letzter Zeit wurde viel berichtet über Ihren Gesundheitszustand, die Frage aufgeworfen, ob Sie noch fitt genug sind für den Job. Haben Sie angesichts dieser Schlagzeilen manchmal an Rücktritt gedacht in letzter Zeit?

    Schäuble: Nein. Die Frage ist ja berechtigt. Wer ein so schwieriges Amt wahrzunehmen hat, muss natürlich dazu auch in der Lage sein. Ich habe mir ein paar Tage Erholung gegönnt und ich fühle mich dem Amt gewachsen und ich weiß auch um meine Verantwortung. Deswegen: wenn ich mich dem nicht gewachsen fühlen würde, würde ich das auch für mich entscheiden und sagen. Aber die Debatte ist legitim. Nur ich kann sagen, ich glaube, dass ich mir das Amt zutrauen kann, dass ich diese Verantwortung übernehmen und tragen kann.

    Heckmann: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU, hier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Herr Schäuble, ich danke Ihnen für das Gespräch und Ihnen einen schönen Tag noch.

    Schäuble: Gerne! Das wünsche ich Ihnen auch. Auf Wiederhören, Herr Heckmann.