Engels: Die Grünen haben auf einmal zwei neue Parteivorsitzende. Am Wochenende waren Claudia Roth und Fritz Kuhn bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover mit ihrem Ansinnen gescheitert, so lange im Amt zu bleiben bis sich die Basis entschieden hat, ob sie die Trennung von Amt und Mandat lockern will. Und weil das alte Spitzenduo derweil die frisch errungenen Bundestagsmandate behalten wollte, standen die Grünen auf einmal ohne Parteispitze da. Die Lücke wurde gestern geschlossen. Mit deutlichen Mehrheiten wurden Reinhard Bütikofer und Angelika Beer zu den neuen Parteichefs gewählt. Vor gut zweieinhalb Stunden haben wir mit Angelika Beer gesprochen und die erste Frage musste natürlich lauten, ob sie sich schon von der Überraschung erholt hat?
Beer: Viel Zeit bleibt da nicht. Wir sind gewählt worden, um die Reformpolitik von uns weiterzuführen. Das heißt wir werden uns heute Morgen in Berlin zum erstenmal zusammensetzen, der neu gewählte Bundesvorstand, die Lage sichten, die Baustellen prüfen, denn richtig darauf vorbereitet waren wir in der Tat nicht, und dann geht es los.
Engels: Stichwort Baustellen. Sind Sie denn derzeit in allen Themen eingearbeitet, dass Sie das Amt der Parteivorsitzenden ganz schnell ausfüllen können?
Beer: Wir sind ein gutes Team. Das hat auch der Parteitag gestern im Verlauf dann bestätigt. Wir werden uns ergänzen. Ich sage mal etwas ganz locker: die 100 Tage werden wir sicherlich nicht haben, die man einem sonst zugesteht, aber wir haben bestimmte Projekte, die wir jetzt vorantreiben. Wir haben auch ganz klare Beschlüsse des Bundesparteitages mitbekommen, wie die schnelle Durchführung der Urabstimmung, das heißt die Ferienzeit zu schieben, und wir fangen jetzt an.
Engels: Die Presselandschaft sieht das heute recht skeptisch. Das Führungsduo Beer/Bütikofer sei eine zweite Wahl – so wird es oft genannt – und die Ablösung der alten Spitze sei eine politische Dummheit gewesen. Wie wollen Sie sich denn bei solchen internen Kämpfen als fortschrittliche Kraft präsentieren?
Beer: Erst einmal ist zu konstatieren, dass Fritz Kuhn und Claudia Roth eine hervorragende Bundesvorstandsarbeit getan haben, gerade im Hinblick auf das Wahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl. Zweitens ist festzuhalten, dass es positiv ist, dass alle im Parteirat – und das ist ja die Zusammenarbeit aller, um grundlegende Entscheidungen zu treffen -, auch Fritz und Claudia, weiter mit dabei sind. Das heißt es gibt keine weiteren Kämpfe intern, sondern das ist ein Zeichen des Willens der Gemeinsamkeit, der auch vom Parteitag gestern ausging in Form einer sehr breiten Unterstützung für alle Kandidaten des Bundesvorstandes. Insofern denke ich, wir hätten sicherlich auf den Verlauf dieses Parteitages in dieser Form gut verzichten können, aber wir haben eine Basisdemokratie in unserer Partei. Die ist zu akzeptieren und der Knoten, der uns seit zehn Jahren immer wieder an dieser Frage sage ich mal auf dem falschen Bein erwischt, das ist die Frage der Zwei-Drittel-Mehrheit, der Satzung. Der wird gelöst werden in sehr kurzer Zeit, nämlich durch eine Entscheidung der Basis, wirklich der Mitglieder durch die Urabstimmung.
Engels: Bleiben Sie dann, wenn sich die grüne Basis dafür ausspricht, dass diese Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird, auf jeden Fall im Amt, oder machen Sie gegebenenfalls wieder Platz für die alte Spitze?
Beer: Wir sind schon eine Partei, die auch auf Kontinuität Wert legt. Dem dient auch die Satzungsänderung, die nach dem ersten Votum des Parteitages keine generelle Öffnung sein wird. Aber wie gesagt das entscheiden die Mitglieder. Wir sind nicht als Übergangskandidaten gewählt worden. Ich kenne die Zahlenspiele, dass wir als Nr. 29 und Nr. 30 Zählkandidaten sind. Das macht mich nicht unruhig. Wir haben einen klaren Auftrag. Wir werden mit unserer Kraft und zusammen mit der Partei diese zwei Jahre führen und ich denke, dass vielleicht auch die Abläufe der Nacht von Samstag auf Sonntag gezeigt haben, es ist wirklich der Auftrag der Wähler an uns, uns mit den Reformprojekten der Arbeitslosigkeit, der Entlastung auf dem Arbeitsmarkt zu beschäftigen, mit der Gesundheitspolitik, und wirklich jetzt die Grünen in die gerade Zielrichtung zu bringen, Urabstimmung, und damit ist das Thema erledigt.
Engels: Aber das Signal, das von Hannover ausging, kann man doch auch so interpretieren, Prinzipienreiterei wirkt weiter?
Beer: Nein. Ich finde es schon gut – und das ist Bestandteil unserer Partei -, auch wenn es persönlich bitter ist. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin Anfang des Jahres an der Satzung meines Landesverbandes gescheitert, weil man nicht das dritte Mal ein gleiches Mandat ausführen darf. Das ist aber Bestandteil der Grünen. Das ist nicht durchweg schlecht und ich glaube wirklich, dass der Parteitag eine gute Entscheidung getroffen hat, was die Strukturen betrifft, nämlich dort Veränderungen vorzunehmen in sehr kurzer Zeit. Wir sind Politiker aus Leidenschaft. Da kriegt man mal einen Knuff von der Basis. Das heißt aber nicht, dass wir unsere grünen Ziele oder unsere Gemeinsamkeit an den Nagel hängen, sondern dann auch wieder geschlossen nach vorne gehen. Das ist ein Prädikat, was uns auszeichnet, und darauf bin ich auch ein Stück weit stolz.
Engels: Sie haben einige Reformprojekte rund um den Arbeitsmarkt beispielsweise angesprochen, die Sie vorantreiben wollen. Wo wollen Sie denn aber persönlich Ihre Akzente, Ihren Schwerpunkt im Amt setzen?
Beer: Ich kann Ihnen nur sagen, dass es keinen generellen Kurswechsel geben wird. Wir haben ein Grundsatzprogramm verabschiedet. Wir haben einen Vertrag für die Zukunft den Wählern versprochen während des Wahlkampfes. Das ist nicht Altpapier, sondern das ist eine Zielsetzung. Wir wollen eine pragmatische und auch eine programmatische Weiterentwicklung unserer Partei. Wir haben unsere Ideen, die wir jetzt auch sage ich mal in den bevorstehenden Landtagswahlkämpfen in Niedersachsen und Hessen zu einem Wahlerfolg führen wollen, genauso wie bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, und wir haben gestern den Start gelegt zum Auftakt für einen Europawahlkampf. Den darf man nicht vergessen, weil grün wirkt nicht nur in Deutschland. Wir haben gute Umfrageergebnisse, weil wir eine gute Politik machen und auch eine klare Reformaussage treffen, uns nicht verstecken vor Problemen. Das wollen wir in Europa erreichen und da sehen Sie eigentlich, dass wir als Gesamtprojekt so viele Ziele haben, dass wir gut daran tun, uns jetzt erst mal zu sortieren. Das habe ich am Anfang gesagt. Es ist kein Vorstand, der in Wartestellung war, aber er ist arbeitsfähig, er ist handlungsfähig und heute fängt die Arbeit damit an.
Engels: Aber Ihr Steckenpferd war ja bislang die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Sie waren lange verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktionen. Da passt es ja, dass gerade gestern die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" meldete, die USA hätten von der NATO für einen möglichen Irak-Konflikt Awacs-Aufklärungsflugzeuge angefordert. In den Maschinen sind normalerweise auch deutsche Soldaten im Einsatz. Also doch deutsches Militär in einem Irak-Konflikt?
Beer: Nein, aber ich habe mir auch als Expertin gerade in diesen Fragen abgewöhnt, auf Zeitungsberichte, die durchaus auch einen Streit innerhalb der Koalition provozieren wollen oder darauf hoffen, nicht gleich öffentlich zu reagieren.
Engels: Aber Sie wären gegen einen solchen Einsatz, wenn er denn käme?
Beer: Wir haben gestern einen Parteitagsbeschluß gehabt, gestern Abend sehr spät zwar, aber immerhin doch gültig, der ganz klar sagt, bei einem verfassungswidrigen und völkerrechtswidrigen Angriff der Amerikaner in einer möglichen Koalition mit anderen NATO-Partnern werden wir uns in keiner Form beteiligen. Das entspricht auch der Wahlkampfaussage des Bundeskanzlers. Das heißt also dort jetzt den Spalt zwischen Rot und Grün zu suchen, ist relativ erfolglos. Nur noch einmal: Ich gucke mir Anfragen, wenn sie denn tatsächlich existieren, erst mal richtig an. Das werden wir auch heute besprechen. Ansonsten bleibt es dabei, dass ich natürlich außen- und sicherheitspolitisch engagiert bin. Auch das ist übrigens ein Feld, was es zu bearbeiten gilt. Aus dem Koalitionsvertrag ergibt sich die Perspektive, die Wehrpflicht abzuschaffen, und dazu werden wir sicherlich auch unseren Beitrag leisten, denn gerade die Reformversuche der letzten Woche von Verteidigungsminister Struck zeigen, dass dort nur ein Drittel der ganzen Arbeit angepackt wird und wir wollen gerne die zwei Drittel übernehmen, die übrig bleiben.
Engels: Ein zweites außenpolitisches Thema kocht diese Woche hoch. Der Kopenhagen-Gipfel steht an und im Vorfeld spricht alles über einen möglichen Beitrittstermin für die Türkei. Sie sind nun auch Kennerin der Türkei. Nun hat sich gestern der dänische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Rasmussen noch einmal gegen die Nennung eines möglichen Beitrittsdatums ausgesprochen und das steht ja im Kontrast zu Bundeskanzler Schröder, der gemeinsam mit Frankreich dazu vor wenigen Tagen Mitte 2005 als Gesprächsbeginn mit der Türkei ins Gespräch gebracht hatte. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Beer: Wir werden unsere ganze Kraft in die Waagschale werfen, um die Haltung Dänemarks zu korrigieren. Ich habe eine ganz klare Meinung. Ich rede nicht von einem Datum, sondern die Türkei braucht, weil sie jetzt eine Reformchance vor sich hat, ein festes Datum. Es geht da nicht nur um wirtschaftliche Fragen, die natürlich zu berücksichtigen sind, sondern wenn ich die Menschenrechtskriterien zu Grunde lege, die die Türkei natürlich erfüllen muss. Mir geht es um die Menschen, die durch die europäische Mitgliedschaft und die Verhandlungen dorthin – das wird Jahre dauern – hoffen, diesen Druck der Demokratie zu erhöhen, die Menschenrechtssituation zu verbessern, nicht mehr bedroht zu sein von erzwungenen Aussagen von Folter, von Vertreibung. Das sind einmalige Chancen nach dieser Wahl. Ich will wohl sagen: wir müssen gucken, wie diese islamisch orientierte Regierung sich entwickelt. Wenn man jetzt aber sagt, Schiebebahnhof, ihr müsst warten, wir können nicht, wir wollen nicht, begeht man meines Erachtens außen-, aber auch innenpolitisch einen der größten Fehler. Ich bin dafür, dass schnellstmöglich die Verhandlungen aufgenommen werden, ohne dass man sagen kann, wann die Türkei tatsächlich aufgenommen wird.
Engels: Ist für Sie die Außenpolitik ein Feld, um mit oder auch manchmal gegen Joschka Fischer das Profil gegen den starken heimlichen Vorsitzenden zu schärfen?
Beer: Ach wissen Sie, wir haben uns die letzten 12 Jahre ganz gut zusammengerauft. Das war auch notwendig in sehr schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Situationen. Ich bin optimistisch, obwohl Joschka Fischer eigentlich eine andere Spitze wollte, dass wir diesen sehr guten Weg zusammen gehen. Das kann auch gar nicht anders sein. Wir unterstützen unseren Außenminister. Wir haben aber auch die Interessen unserer Partei zu vertreten und wir haben eine kompetente Fraktion in diesen Fragen. Das heißt dort mache ich mir eigentlich nicht die großen Sorgen.
Engels: Vielen Dank Angelika Beer und Ihnen einen angenehmen Tag heute!
Link: Interview als RealAudio
Beer: Viel Zeit bleibt da nicht. Wir sind gewählt worden, um die Reformpolitik von uns weiterzuführen. Das heißt wir werden uns heute Morgen in Berlin zum erstenmal zusammensetzen, der neu gewählte Bundesvorstand, die Lage sichten, die Baustellen prüfen, denn richtig darauf vorbereitet waren wir in der Tat nicht, und dann geht es los.
Engels: Stichwort Baustellen. Sind Sie denn derzeit in allen Themen eingearbeitet, dass Sie das Amt der Parteivorsitzenden ganz schnell ausfüllen können?
Beer: Wir sind ein gutes Team. Das hat auch der Parteitag gestern im Verlauf dann bestätigt. Wir werden uns ergänzen. Ich sage mal etwas ganz locker: die 100 Tage werden wir sicherlich nicht haben, die man einem sonst zugesteht, aber wir haben bestimmte Projekte, die wir jetzt vorantreiben. Wir haben auch ganz klare Beschlüsse des Bundesparteitages mitbekommen, wie die schnelle Durchführung der Urabstimmung, das heißt die Ferienzeit zu schieben, und wir fangen jetzt an.
Engels: Die Presselandschaft sieht das heute recht skeptisch. Das Führungsduo Beer/Bütikofer sei eine zweite Wahl – so wird es oft genannt – und die Ablösung der alten Spitze sei eine politische Dummheit gewesen. Wie wollen Sie sich denn bei solchen internen Kämpfen als fortschrittliche Kraft präsentieren?
Beer: Erst einmal ist zu konstatieren, dass Fritz Kuhn und Claudia Roth eine hervorragende Bundesvorstandsarbeit getan haben, gerade im Hinblick auf das Wahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl. Zweitens ist festzuhalten, dass es positiv ist, dass alle im Parteirat – und das ist ja die Zusammenarbeit aller, um grundlegende Entscheidungen zu treffen -, auch Fritz und Claudia, weiter mit dabei sind. Das heißt es gibt keine weiteren Kämpfe intern, sondern das ist ein Zeichen des Willens der Gemeinsamkeit, der auch vom Parteitag gestern ausging in Form einer sehr breiten Unterstützung für alle Kandidaten des Bundesvorstandes. Insofern denke ich, wir hätten sicherlich auf den Verlauf dieses Parteitages in dieser Form gut verzichten können, aber wir haben eine Basisdemokratie in unserer Partei. Die ist zu akzeptieren und der Knoten, der uns seit zehn Jahren immer wieder an dieser Frage sage ich mal auf dem falschen Bein erwischt, das ist die Frage der Zwei-Drittel-Mehrheit, der Satzung. Der wird gelöst werden in sehr kurzer Zeit, nämlich durch eine Entscheidung der Basis, wirklich der Mitglieder durch die Urabstimmung.
Engels: Bleiben Sie dann, wenn sich die grüne Basis dafür ausspricht, dass diese Trennung von Amt und Mandat aufgehoben wird, auf jeden Fall im Amt, oder machen Sie gegebenenfalls wieder Platz für die alte Spitze?
Beer: Wir sind schon eine Partei, die auch auf Kontinuität Wert legt. Dem dient auch die Satzungsänderung, die nach dem ersten Votum des Parteitages keine generelle Öffnung sein wird. Aber wie gesagt das entscheiden die Mitglieder. Wir sind nicht als Übergangskandidaten gewählt worden. Ich kenne die Zahlenspiele, dass wir als Nr. 29 und Nr. 30 Zählkandidaten sind. Das macht mich nicht unruhig. Wir haben einen klaren Auftrag. Wir werden mit unserer Kraft und zusammen mit der Partei diese zwei Jahre führen und ich denke, dass vielleicht auch die Abläufe der Nacht von Samstag auf Sonntag gezeigt haben, es ist wirklich der Auftrag der Wähler an uns, uns mit den Reformprojekten der Arbeitslosigkeit, der Entlastung auf dem Arbeitsmarkt zu beschäftigen, mit der Gesundheitspolitik, und wirklich jetzt die Grünen in die gerade Zielrichtung zu bringen, Urabstimmung, und damit ist das Thema erledigt.
Engels: Aber das Signal, das von Hannover ausging, kann man doch auch so interpretieren, Prinzipienreiterei wirkt weiter?
Beer: Nein. Ich finde es schon gut – und das ist Bestandteil unserer Partei -, auch wenn es persönlich bitter ist. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen. Ich bin Anfang des Jahres an der Satzung meines Landesverbandes gescheitert, weil man nicht das dritte Mal ein gleiches Mandat ausführen darf. Das ist aber Bestandteil der Grünen. Das ist nicht durchweg schlecht und ich glaube wirklich, dass der Parteitag eine gute Entscheidung getroffen hat, was die Strukturen betrifft, nämlich dort Veränderungen vorzunehmen in sehr kurzer Zeit. Wir sind Politiker aus Leidenschaft. Da kriegt man mal einen Knuff von der Basis. Das heißt aber nicht, dass wir unsere grünen Ziele oder unsere Gemeinsamkeit an den Nagel hängen, sondern dann auch wieder geschlossen nach vorne gehen. Das ist ein Prädikat, was uns auszeichnet, und darauf bin ich auch ein Stück weit stolz.
Engels: Sie haben einige Reformprojekte rund um den Arbeitsmarkt beispielsweise angesprochen, die Sie vorantreiben wollen. Wo wollen Sie denn aber persönlich Ihre Akzente, Ihren Schwerpunkt im Amt setzen?
Beer: Ich kann Ihnen nur sagen, dass es keinen generellen Kurswechsel geben wird. Wir haben ein Grundsatzprogramm verabschiedet. Wir haben einen Vertrag für die Zukunft den Wählern versprochen während des Wahlkampfes. Das ist nicht Altpapier, sondern das ist eine Zielsetzung. Wir wollen eine pragmatische und auch eine programmatische Weiterentwicklung unserer Partei. Wir haben unsere Ideen, die wir jetzt auch sage ich mal in den bevorstehenden Landtagswahlkämpfen in Niedersachsen und Hessen zu einem Wahlerfolg führen wollen, genauso wie bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, und wir haben gestern den Start gelegt zum Auftakt für einen Europawahlkampf. Den darf man nicht vergessen, weil grün wirkt nicht nur in Deutschland. Wir haben gute Umfrageergebnisse, weil wir eine gute Politik machen und auch eine klare Reformaussage treffen, uns nicht verstecken vor Problemen. Das wollen wir in Europa erreichen und da sehen Sie eigentlich, dass wir als Gesamtprojekt so viele Ziele haben, dass wir gut daran tun, uns jetzt erst mal zu sortieren. Das habe ich am Anfang gesagt. Es ist kein Vorstand, der in Wartestellung war, aber er ist arbeitsfähig, er ist handlungsfähig und heute fängt die Arbeit damit an.
Engels: Aber Ihr Steckenpferd war ja bislang die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Sie waren lange verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktionen. Da passt es ja, dass gerade gestern die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" meldete, die USA hätten von der NATO für einen möglichen Irak-Konflikt Awacs-Aufklärungsflugzeuge angefordert. In den Maschinen sind normalerweise auch deutsche Soldaten im Einsatz. Also doch deutsches Militär in einem Irak-Konflikt?
Beer: Nein, aber ich habe mir auch als Expertin gerade in diesen Fragen abgewöhnt, auf Zeitungsberichte, die durchaus auch einen Streit innerhalb der Koalition provozieren wollen oder darauf hoffen, nicht gleich öffentlich zu reagieren.
Engels: Aber Sie wären gegen einen solchen Einsatz, wenn er denn käme?
Beer: Wir haben gestern einen Parteitagsbeschluß gehabt, gestern Abend sehr spät zwar, aber immerhin doch gültig, der ganz klar sagt, bei einem verfassungswidrigen und völkerrechtswidrigen Angriff der Amerikaner in einer möglichen Koalition mit anderen NATO-Partnern werden wir uns in keiner Form beteiligen. Das entspricht auch der Wahlkampfaussage des Bundeskanzlers. Das heißt also dort jetzt den Spalt zwischen Rot und Grün zu suchen, ist relativ erfolglos. Nur noch einmal: Ich gucke mir Anfragen, wenn sie denn tatsächlich existieren, erst mal richtig an. Das werden wir auch heute besprechen. Ansonsten bleibt es dabei, dass ich natürlich außen- und sicherheitspolitisch engagiert bin. Auch das ist übrigens ein Feld, was es zu bearbeiten gilt. Aus dem Koalitionsvertrag ergibt sich die Perspektive, die Wehrpflicht abzuschaffen, und dazu werden wir sicherlich auch unseren Beitrag leisten, denn gerade die Reformversuche der letzten Woche von Verteidigungsminister Struck zeigen, dass dort nur ein Drittel der ganzen Arbeit angepackt wird und wir wollen gerne die zwei Drittel übernehmen, die übrig bleiben.
Engels: Ein zweites außenpolitisches Thema kocht diese Woche hoch. Der Kopenhagen-Gipfel steht an und im Vorfeld spricht alles über einen möglichen Beitrittstermin für die Türkei. Sie sind nun auch Kennerin der Türkei. Nun hat sich gestern der dänische Ministerpräsident und EU-Ratspräsident Rasmussen noch einmal gegen die Nennung eines möglichen Beitrittsdatums ausgesprochen und das steht ja im Kontrast zu Bundeskanzler Schröder, der gemeinsam mit Frankreich dazu vor wenigen Tagen Mitte 2005 als Gesprächsbeginn mit der Türkei ins Gespräch gebracht hatte. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Beer: Wir werden unsere ganze Kraft in die Waagschale werfen, um die Haltung Dänemarks zu korrigieren. Ich habe eine ganz klare Meinung. Ich rede nicht von einem Datum, sondern die Türkei braucht, weil sie jetzt eine Reformchance vor sich hat, ein festes Datum. Es geht da nicht nur um wirtschaftliche Fragen, die natürlich zu berücksichtigen sind, sondern wenn ich die Menschenrechtskriterien zu Grunde lege, die die Türkei natürlich erfüllen muss. Mir geht es um die Menschen, die durch die europäische Mitgliedschaft und die Verhandlungen dorthin – das wird Jahre dauern – hoffen, diesen Druck der Demokratie zu erhöhen, die Menschenrechtssituation zu verbessern, nicht mehr bedroht zu sein von erzwungenen Aussagen von Folter, von Vertreibung. Das sind einmalige Chancen nach dieser Wahl. Ich will wohl sagen: wir müssen gucken, wie diese islamisch orientierte Regierung sich entwickelt. Wenn man jetzt aber sagt, Schiebebahnhof, ihr müsst warten, wir können nicht, wir wollen nicht, begeht man meines Erachtens außen-, aber auch innenpolitisch einen der größten Fehler. Ich bin dafür, dass schnellstmöglich die Verhandlungen aufgenommen werden, ohne dass man sagen kann, wann die Türkei tatsächlich aufgenommen wird.
Engels: Ist für Sie die Außenpolitik ein Feld, um mit oder auch manchmal gegen Joschka Fischer das Profil gegen den starken heimlichen Vorsitzenden zu schärfen?
Beer: Ach wissen Sie, wir haben uns die letzten 12 Jahre ganz gut zusammengerauft. Das war auch notwendig in sehr schwierigen außen- und sicherheitspolitischen Situationen. Ich bin optimistisch, obwohl Joschka Fischer eigentlich eine andere Spitze wollte, dass wir diesen sehr guten Weg zusammen gehen. Das kann auch gar nicht anders sein. Wir unterstützen unseren Außenminister. Wir haben aber auch die Interessen unserer Partei zu vertreten und wir haben eine kompetente Fraktion in diesen Fragen. Das heißt dort mache ich mir eigentlich nicht die großen Sorgen.
Engels: Vielen Dank Angelika Beer und Ihnen einen angenehmen Tag heute!
Link: Interview als RealAudio