Der CSU-Politiker warnte jedoch davor, die Flüchtlingsfrage mit den Anschlägen zu vermengen. Das sei gefährlich und in der Sache falsch. Das Verhalten der polnischen Regierung etwa, die die Aufnahme von weiteren Flüchtlingen nach den Attentaten verweigere, sei falsch kritisierte Weber und foderte das Land auf, Verantwortung zu übernehmen.
Zudem sprach er sich für einen stärkeren Einsatz der EU in Syrien aus. Dann würden Russland, die arabischen Staaten und Europa vielleicht erkennen, "dass uns im Kampf gegen den IS mehr eint, als uns trennt."
Das Interview in voller Länge:
Sandra Schulz: In den Korrespondentenberichten aus Paris ist immer wieder die Rede davon, wie still es sei in der französischen Hauptstadt nach den Anschlägen vom Wochenende, und wie gespenstisch das ausgerechnet dort sei. Heute Mittag will ganz Europa schweigen. Mit einer Schweigeminute soll der Opfer der Pariser Attentate gedacht werden. Europa will zusammenstehen. Gleichzeitig haben noch am Wochenende viele Staaten ihre Grenzkontrollen intensiviert, wächst das Misstrauen, Schengen-Abkommen hin oder her.
Ich habe vor einer knappen dreiviertel Stunde darüber mit dem CSU-Politiker, mit dem Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber gesprochen, und als erstes habe ich ihn gefragt, was die Anschläge von Paris für Europa bedeuten.
"Man spürt diesen verblendeten Hass"
Manfred Weber: Zunächst ist es persönlich für uns alle ein Schock. Es ist ein Anschlag auf unsere Art zu leben, auf unsere Prinzipien, vor allem auf die Freiheit, die uns allen so wertvoll ist, und man spürt dort diesen verblendeten Hass, den man nicht verstehen kann, was diese Menschen umtreibt, so vorzugehen. Und für uns heißt das jetzt, zusammenzustehen, miteinander Antworten zu geben.
Schulz: Wenn die Staaten jetzt aber noch mehr als in der Flüchtlingsdiskussion ja ohnehin auf Abschottung setzen, haben die Terroristen dann nicht schon jetzt einen Teilerfolg erzielt?
Weber: Zunächst haben wir es mit einer Sicherheitsherausforderung zu tun und der Schengen-Vertrag sieht ausdrücklich vor, dass man temporär Grenzkontrollen auch in Sicherheitsfragen umsetzen kann, einsetzen kann. Deswegen sind die jetzigen Maßnahmen auch in Ordnung. Allerdings das Einigeln, das Zurückziehen ins Nationale wird die Probleme definitiv nicht lösen. Und ja: Ich glaube auch, wenn wir unsere Art zu leben - und dazu gehört eben auch die Freiheit auf diesem Kontinent, die Offenheit der Grenzen -, wenn wir die jetzt in Frage stellen, dann würden auch die Terroristen ein Stück weit gewinnen, und das wollen wir nicht.
"Gerade jetzt ist die Solidarität mit den Flüchtlingen gefordert"
Schulz: Und neue Fragezeichen kommen natürlich auch an die Flüchtlingsdiskussion. Es gibt eine Meldung aus Polen: Der neugewählte Europaminister, der heute sein Amt antreten soll, der kündigt jetzt an, sein Land könne die Flüchtlinge, die Polen sich eigentlich verpflichtet hat zu nehmen, angesichts dieser Lage jetzt doch nicht nehmen. Sieht so ein Europa aus, das zusammensteht?
Weber: Na ja, das sind hoffentlich nur Einzelmeinungen. Tatsache ist, dass die Flüchtlinge, die kommen, Opfer des Terrors sind und keine Problemverursacher sind. Das heißt, gerade jetzt ist auch die Solidarität mit den Flüchtlingen gefordert. Es wäre brandgefährlich, die beiden Bereiche Flüchtlinge und Terroristen zu vermengen. Und die Polen müssen an ihre Verantwortung erinnert werden. Die polnische Regierung, die Vorgängerregierung, und insgesamt die europäischen Innenminister haben die Quote beschlossen, die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen, und da muss Polen auch in dieser Tradition seine Verantwortung wahrnehmen. Da werden wir sie dran erinnern, weil sonst Europa in eine schwierige Richtung geht, wenn jeder nur das macht, was er für sich persönlich für richtig hält.
Schulz: Was macht Sie denn da so zuversichtlich, dass das aus Polen eine Einzelmeinung ist? Wir hatten ja schon vor den Pariser Anschlägen die Ausgangslage, dass es ein Ringen gab um eine faire Lastenverteilung, aber überhaupt nicht ansatzweise erkennbar war, dass die auch verabredet werden kann. Und jetzt gibt es zumindest Spekulationen über das Szenario, vor dem viele Kritiker schon gewarnt haben, nämlich dass einer der Attentäter sich als Flüchtling ausgegeben haben könnte, sage ich heute Morgen mit sehr vielen Fragezeichen, weil nicht klar ist, ob da was gefälscht ist, oder vielleicht auch bewusst eine falsche Spur gelegt worden war. Aber trotzdem: Wie soll sich bei der Ausgangslage denn was ändern?
"Mehr Kooperation für mehr Sicherheit"
Weber: Andererseits haben wir auch Belege dafür, dass Teile der Terroristen Franzosen waren, in Frankreich aufgewachsen sind. Das könnte ja in der Logik auch zu entsprechenden Konsequenzen führen. Wir müssen die Terroristen als Terroristen sehen und wir müssen die Flüchtlinge als Menschen sehen, die um Hilfe bitten. Dieses Denken muss Europa schaffen und wird Europa auch schaffen. Da bin ich überzeugt. Entscheidend ist das, dass wir jetzt überlegen, wie wir dem Terrorismus wirklich begegnen können. Das ist die Antwort, die wir den Menschen geben müssen, um ein Sicherheitsgefühl zu zeigen, wie wir Antworten geben können, und da hat Europa eine Reihe von Maßnahmen am Tisch. Beispielsweise haben wir in Deutschland eine Gefährderdatei, die die islamistische Terrorszene oder die islamistische Gefährderszene in Deutschland überwacht und die Landeskriminalämter sich austauschen, und genau so eine Gefährderdatei brauchen wir in Europa auch. Wenn es richtig ist, dass Bayern mit Baden-Württemberg zusammenarbeitet, dann muss Bayern auch mit Österreich zusammenarbeiten. Wir brauchen mehr Kooperation, dann werden wir die Sicherheit verstärken.
Schulz: Herr Weber, ich möchte auf einen Punkt noch zurückkommen, den Sie gerade gesagt haben. Sie haben gesagt, eine Vermengung beider Diskussionen, der Terrordiskussion und der Flüchtlingsdiskussion, die wäre brandgefährlich. Jetzt hat genau das der bayerische Finanzminister Markus Söder am Wochenende gemacht. Er sagt, Paris ändert alles. Verstehe ich Sie richtig: Das was Markus Söder macht ist brandgefährlich?
Weber: Ich bleibe dabei: Die Vermengung von der Flüchtlingsfrage mit der Terrorfrage ist gefährlich und wäre auch in der Sache falsch, und deswegen müssen wir jetzt sehr, sehr vorsichtig argumentieren. Wie gesagt, wir brauchen bei der Flüchtlingsfrage Antworten. Beispielsweise die Registrierung muss funktionieren. Wir müssen natürlich Fingerabdrücke nehmen. Wir müssen wissen, wer nach Europa kommt. Das muss an der Außengrenze Europas gewährleistet werden. Und bei der Terrorfrage muss Europa jetzt gemeinsame Antworten geben.
Schulz: Sie sagen, wir müssen wissen wer kommt. Schwingt da nicht das Misstrauen mit und genau dieses Schüren von Sorgen und Vorurteilen?
Weber: Nein, sicher nicht. Weil die Fragestellung, wer kommt, ist schlicht und einfach eine normale staatliche Aufgabe. Jeder Staat der Welt kontrolliert an seiner Außengrenze, wer einreist. Da werden Pässe kontrolliert, da werden Visa kontrolliert. Oder es wird eben Asyl beantragt, ein Flüchtlingsschutz beantragt. Und das muss Europa auch gewährleisten. Wir hatten in den letzten Wochen schon eine Situation, wo Tausende, Zehntausende von Menschen durch Mitteleuropa gegangen sind und gefahren wurden, ohne dass wir wussten, wer dort unterwegs ist, und das ist ein Zustand, den wir nicht halten wollen. Europa hat, beispielsweise die EU-Kommission, hat ein Border Package vorgelegt, also ein Grenzschutzpaket vorgelegt, legislativ, wo wir zukünftig auch eine Einreise- und Ausreisekontrolle machen. Ich glaube, dass diese Maßnahmen richtig sind, dass wir wissen, wer sich auf dem Kontinent bewegt, und eventuelle Gefährder, die wir ja auch kennen, weil unsere Geheimdienste ja Informationen haben, dass wir die auch an der Grenze dingfest machen können. Ich glaube, das erwarten die Menschen.
Schulz: Aber wenn das in der Praxis dann so wenig klappt wie jetzt in Frankreich, was bringt es dann?
Weber: Nur weil trotzdem Schlupflöcher gesucht werden und gefunden werden von Terroristen - und wir müssen da auch ehrlich sein: Es wird in einer offenen Gesellschaft, die wir ja alle wollen, auch sich nicht hundertprozentige Sicherheit organisieren lassen -, nur weil es Schlupflöcher gibt, darf man doch Prinzipien nicht außer Frage stellen. Und eines der Prinzipien ist, dass wir an der Schengen-Außengrenze, so wie es auch im Schengen-Vertrag rechtlich fixiert ist, einfach kontrollieren, wer in den Schengen-Raum einreist. Da müssen wir dabei bleiben.
"Wir müssen uns mehr um Syrien kümmern"
Schulz: Wenn die Kanzlerin jetzt sagt, unser freies Leben sei stärker als der Terror, und wir gleichzeitig beobachten, Sie sagen es ja auch, wie die Terroristen Schlupflöcher suchen und finden, ist diese Losung dann eher ein Pfeifen im Wald, wenn wir beobachten, wie wehrlos die Ermittler dann im Ergebnis doch auch sind und waren?
Weber: Wir sind ja nicht wehrlos, in keinster Weise. Wir hatten auch viele Ermittlungserfolge im Kampf gegen Terroristen. Gerade wir in Deutschland hatten Gott sei Dank Ermittlungserfolge. Wir müssen die Arbeiten aber jetzt wieder intensivieren. Wir brauchen endlich bei Europol das gemeinsame Terrorzentrum, das am 1. Januar seine Arbeit aufnehmen soll. Wir müssen, was jetzt auch beim G20-Gipfel aktuell diskutiert wird, die Finanzwege für die Terrorszene trockenlegen. Dafür liegen Rechtslagen in Europa vor. Wir brauchen den Austausch bei den DNA-Datensätzen über den sogenannten Prümer Vertrag und, wie schon angesprochen, das Border Package. Da liegt ein Paket von Maßnahmen vor, die wir in Europa anpacken müssen, mit dem Ziel, die Sicherheit in Europa zu verbessern, ohne unsere Grundprinzipien, unsere Lebensfreude und die Freiheit, die wir auf diesem Kontinent genießen dürfen, in Frage zu stellen. Das ist die Gratwanderung, die wir anpacken müssen. Zu dem kommt übrigens der Blick nach Syrien. Wir müssen uns um das Land mehr kümmern. Ganz ehrlich gesagt hat Europa natürlich auch jahrelang jetzt das eher als ein externes Problem wahrgenommen und wir spüren sowohl mit der Flüchtlingsfrage als auch mit den anderen Themen, dass die Fragen jetzt bei uns ankommen. Wir müssen uns um das Thema kümmern und das kann der Startpunkt sein, dass Russland, die Araber und wir Europäer erkennen, dass in Syrien uns im Kampf gegen den Islamischen Staat mehr eint als uns trennt.
Schulz: Der CSU-Europaabgeordnete, der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, Manfred Weber, heute hier in den "Informationen am Morgen". Danke Ihnen für das Interview.
Weber: Ich bedanke mich.
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