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Die EU und der Brexit
"Das Ziel ist, kein Scheitern zu sehen"

Am 1. April 2019 soll es soweit sein: Dann verlässt Großbritannien die EU. Die Uhr ticke, sagte der britische Botschafter Sebastian Wood im Dlf. Nun gehe es darum, über die Zukunft zu sprechen und dabei die Interessen der Bürger und Unternehmen zu berücksichtigen. Ziel sei es, einen guten Deal für beide Seiten auszuhandeln.

Sebastian Wood im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.09.2017
    Sir Sebastian Wood, britischer Botschafter in Deutschland.
    Der britische Botschafter Sir Sebastian Wood glaubt nicht an ein Scheitern der Brexit-Verhandlungen (pa/dpa/Carstensen)
    Jörg Münchenberg: Ausgerechnet die Renaissance-Stadt Florenz hat sich Theresa May für ihre Brexit-Rede gestern ausgesucht. Das ist dann auch höchst unterschiedlich interpretiert worden. Die einen sagen, sie wollte weit weg von Brüssel ihren weiteren Brexit-Kurs abstecken, andere meinten, sie wolle in der Geburtsstadt von Machiavelli Stärke demonstrieren, denn Machiavelli konnte mit schwachen Politikern nicht viel anfangen. Am Ende könnte man die Rede wohl so zusammenfassen: In einigen Punkten gab es kleinere Zugeständnisse, an anderer Stelle aber blieb May weiter vage.
    Die zweijährige Übergangsphase war einer der konkretesten Punkte in der Rede, innenpolitisch, wir haben es gehört, durchaus umstritten. Aber heißt das auch, dass sich Ende März 2019, also dem eigentlichen Brexit, dann zunächst einmal kaum etwas ändern wird? Das habe ich vor der Sendung den britischen Botschafter in Berlin, Sir Sebastian Wood, gefragt.
    Sebastian Wood: Natürlich wird sich etwas verändert haben, weil wir nicht mehr Mitglied der EU sein werden. Und deshalb werden wir zum Beispiel nicht mehr am Tisch in Brüssel sein, kein Mitbestimmungsrecht mehr haben und so weiter. Aber die Premierministerin hat gesagt, dass während dieser Übergangsphase die gleichen Regelungen und Vorschriften immer noch gelten sollten, damit wir Kontinuität schaffen können, um ein bisschen mehr Zeit zu haben, die neue Partnerschaft, ein neues Abkommen zwischen uns auszuhandeln.
    "Es ist wichtig diese Periode zu haben"
    Münchenberg: Sie haben recht, natürlich wird man nicht mehr in Brüssel mit an den Verhandlungstischen sitzen. Auf der anderen Seite sollen die EuGH-Urteile weiter Bestand haben. Großbritannien will auch weiter in das Budget der EU einzahlen für diese zwei Jahre. Das hört sich doch trotzdem letztlich nach Status quo an, wenn man mal jetzt wegrechnet, dass natürlich Großbritannien nicht mehr am Tisch sitzen wird?
    Wood: Das ist eine Übergangsphase oder eine Umsetzungsphase, wie die Premierministerin sie genannt hat. Und es ist wichtig, diese Periode zu haben, um mehr Zeit zu haben, über die Zukunft zu sprechen und ein neues Verhältnis zwischen uns zu gestalten, das für beide Seiten so gut wie möglich ist. Und in ihrer Rede hat die Premierministerin eine sehr positive Vision des künftigen Verhältnisses zwischen uns dargestellt.
    "Sie müssen wissen, was am 1. April 2019 passieren wird"
    Münchenberg: Nun hat in der Tat sie ja schon sehr weit in die Zukunft geschaut. Die EU sagt aber, wir müssen ja erst mal die Scheidungsmodalitäten sozusagen regeln, bevor wir überhaupt über die Zukunft reden können, während May wiederum versucht, immer wieder die Zukunft sozusagen auch nach vorn zu bringen.
    Heißt das unter dem Strich, dass Großbritannien, London eigentlich weiterhin die Vorgabe aus der EU nicht akzeptiert, dass man eben erst über die Scheidung redet und dann über die Zukunft?
    Wood: Wir haben uns schon darauf geeinigt, dass es sufficient progress geben muss, ausreichenden Fortschritt geben muss über diese sogenannten Ausscheidungsfragen. Aber wir wissen alle, dass diese Fragen nicht endgültig geklärt werden können, wenn wir noch nicht über die Zukunft gesprochen haben, weil sie sehr eng mit der Zukunft verbunden sind. Wir glauben, dass wir schon gute Fortschritte gemacht haben, was Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien anbelangt, die Rechte von Briten in der EU, was die finanziellen Verpflichtungen anbelangt.
    Gestern hat die Premierministerin klargemacht, dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen werden und dass kein Land weniger bekommen sollte oder mehr bezahlen sollte während der Haushaltsperiode, als sie erwarten, also wir werden unsere Verpflichtungen einhalten.
    Jetzt ist der Fortschritt deshalb ausreichend, und jetzt müssen wir über die Zukunft sprechen, weil Familien und Unternehmen, die Wirtschaft, sie alle warten auf uns. Sie müssen wissen, was am 1. April 2019 passieren wird, nachdem wir aus der EU ausgetreten sind.
    "Im Moment weiß niemand genau, wie viel Großbritannien bezahlen wird"
    Münchenberg: Aber Herr Botschafter, der EU-Unterhändler Michel Barnier hat eine ganz andere Zwischenbilanz gezogen. Er hat gesagt, das sind äußerst zähe Gespräche, man wisse oft gar nicht, wofür stehe eigentlich die britische Regierung, und Sie haben ja die Zahlen auch genannt zum Beispiel bei den Haushaltsverpflichtungen. Da ist May scheinbar bereit, eben jetzt 2018 und 2019 oder nach der Übergangsphase noch, 2019, einzubezahlen, aber in Brüssel gibt es ja Zahlen, die gehen bis zu 100 Milliarden Euro.
    Warum hat May gestern keine konkrete Zahl genannt, was zum Beispiel vorstellbar ist aus britischer Sicht, was man noch bereit sei, an die EU zu zahlen?
    Wood: Ich glaube, im Moment weiß niemand genau, wie viel Großbritannien bezahlen wird, weil die Fragen so wahnsinnig kompliziert sind. Aber die Premierministerin hat ein wichtiges Prinzip sehr klar gemacht: Dass wir unseren Verpflichtungen nachkommen werden und dass während der gegenwärtigen Haushaltsperiode kein Land weniger bekommen wird oder mehr bezahlen wird, als sie erwartet haben. Das wollen wir nicht, und wir haben uns dazu verpflichtet jetzt. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn.
    "Die Uhr tickt"
    Münchenberg: Aber die Briten zahlen im Augenblick zehn Milliarden Euro Pi mal Daumen pro Jahr an die EU. Hieße das quasi, das Angebot ist sozusagen, versteckt, 20 Milliarden Euro?
    Wood: Ich weiß nicht genau, wie viel das sein soll. Aber das Prinzip ist klar. Und jetzt haben wir nach meiner persönlichen Ansicht und, was noch wichtiger ist, nach Ansicht der britischen Regierung, haben wir ausreichenden Fortschritt gesehen, und jetzt ist es Zeit, über die Zukunft zu reden. Wir müssen jetzt die Interessen der Familien und Unternehmen berücksichtigen. Diejenigen, die von diesen Verhältnissen zwischen uns abhängig sind. Wir müssen jetzt ihre Interessen berücksichtigen und so schnell wie möglich über die Zukunft sprechen.
    Wir haben schon unsere Ideen veröffentlicht. Die Premierministerin hat ihre Vision dargestellt, jetzt brauchen wir ein Gespräch zwischen den beiden Seiten, um ein neues Verhältnis zwischen uns zu gestalten. Die Uhr tickt.
    "Ein wichtiger Schritt nach vorn"
    Münchenberg: Das sagte der EU-Chefunterhändler auch jedes Mal, bei jeder Verhandlungsrunde. Sie sagen, man habe jetzt schon gute Fortschritte gemacht, die EU sieht das ganz anders. Heißt das aber auch, bei dieser nächsten Verhandlungsrunde am kommenden Montag wird David Davis, der Brexit-Minister, der zuständige, keine weiteren konkreten Angebote vorlegen?
    Wood: Sie werden natürlich über die Einzelheiten sprechen und bestätigen, was von der Premierministerin gestern gesagt worden ist. Sie hat sozusagen den Umriss gegeben, und jetzt müssen die Verhandler über die Einzelheiten sprechen. Aber das gestern, das war sicher ein wichtiger Schritt nach vorn. Wir haben schon ausreichenden Fortschritt gesehen, und jetzt ist es dringend, wir müssen über die Zukunft sprechen.
    Münchenberg: Herr Botschafter, die Premierministerin hat gestern auch noch mal gesagt, kein Deal sei am Ende besser als ein schlechter Deal. Heißt das, auch aus britischer Sicht, ein Scheitern der Brexit-Gespräche ist immer noch eine Option?
    Wood: Ihre Rede hat völlig klar gemacht, dass das Ziel der britischen Regierung ist, einen guten Deal für beide Seiten auszuhandeln. Die Rede hat sich völlig darauf konzentriert. Und als Teil davon ist es jetzt wichtig, über die Zukunft zu sprechen, weil die uns verbleibende Zeit ist schon nicht so lang.
    Münchenberg: Aber noch mal: Ein Scheitern schließt auch die britische Regierung weiterhin nicht aus?
    Wood: Das Ziel ist, kein Scheitern zu sehen, sondern einen guten Deal auszuhandeln.
    Münchenberg: So weit der britische Botschafter Sir Sebastian Wood.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.