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Die europäische Agrarrreform

    Heinlein: Sie sind der dickste Brocken im EU-Haushalt: die Agrarsubventionen. 40 bis 50 Milliarden Euro werden jährlich aus Brüssel verteilt. Wer wie viel, der Poker um die Verteilung dieser enormen Summe gehört zu den Dauerthemen auf europäischer Ebene. Die bisherige Subventionslogik belohnte vor allem die Massenproduktion und führte zu gigantischen Agrarüberschüssen, Fleischbergen und Milchseen. Deshalb soll nun nach dem Willen von EU-Agrarkommissar Franz Fischler ein grundlegender Wandel vollzogen werden. Morgen präsentiert er seine Vorschläge für eine umfassende europäische Agrarreform. Die Zielrichtung ist seit dem vergangenen Sommer klar: das Ende von Massen- und Überproduktionen, dafür die Belohnung von Qualitäts- und Umweltbewusstsein. Und die Direktbeihilfen für Landwirte werden gekappt. Es soll ein gestaffeltes Grundgehalt für Landwirte aus den EU-Töpfen gezahlt werden. Doch die Details der EU-Agrarreform sind noch nicht auf dem Tisch, und deshalb jetzt am Telefon der eben angesprochene EU-Agrarkommissar Franz Fischler. Guten Morgen!

    Fischler: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Fischler, warum muss denn überhaupt das bisherige System der Agrarsubventionen reformiert werden?

    Fischler: Dafür gibt es mehrere gute Gründe. Einige haben Sie ja eigentlich schon genannt. Das wichtigste scheint mir aber zu sein, dass es darum gehen muss, dass die Gesellschaft, dass unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger Vertrauen in die gemeinsame Agrarpolitik haben können, dass sie wissen, was sie für ihr Steuergeld bekommen, dass die Ausgaben auch klaren Limits unterworfen sind und vor allem, dass man mehr Qualität, eine bessere Umwelt und auch mehr Landschaftspflege in dieses System hineinbringt.

    Heinlein: Nun könnte man ja ketzerisch fragen, warum es denn überhaupt Subventionen braucht? Warum kann man nicht alles der freien Marktwirtschaft überlassen?

    Fischler: Dafür gibt es einen guten Grund. Sie dürfen nicht vergessen, dass ganz wichtige Güter, die heute von der Gesellschaft verlangt werden, ganz einfach auf dem Markt nicht vorkommen. Man kann Landschaft nicht auf dem Markt kaufen. Genauso wenig kann man auch einen guten Tierschutz und so weiter auf dem Markt kaufen. Für diese öffentlichen Leistungen soll der Landwirt in erster Linie mit öffentlichen Mitteln bezahlt werden.

    Heinlein: Habe ich das denn eingangs richtig dargestellt: mehr Klasse statt masse? Ist das die Leitthese Ihrer Agrarreformvorschläge, die Sie morgen vorstellen?

    Fischler: Das ist eine der Leitthesen, aber wie in einem großen politischen Feld immer gibt es eben nicht nur ein Ziel, sondern mehrere Ziele gleichzeitig, die wir erreichen wollen. Aber Qualität, das heißt also Klasse statt Masse, ist eines der vorrangigsten Ziele.

    Heinlein: Was sind die anderen Ziele?

    Fischler: Die anderen Ziele sind, dass wir natürlich auch eine gewisse soziale Ausgewogenheit brauchen und dass wir vor allem dafür sorgen müssen, dass die Agrarpolitik oder die Landwirtschaft nicht auf Kosten der Umwelt und des Tierschutzes geht.

    Heinlein: Und wie sollen diese beiden Ziele nun durch Ihre Reform erreicht werden?

    Fischler: Der Hauptansatzpunkt, den wir gewählt haben, ist, dass wir in den Mittelpunkt nicht mehr die Tonnen Weizen oder die Zahl der Rinder, die ein Landwirt produziert, stellen, sondern den Landwirt selber. Der Landwirt selber soll eine Grundförderung bekommen und im Gegenzug dazu soll er eben diese öffentlichen Güter produzieren, die die Gesellschaft erwartet. Auf diese Weise ergibt sich aber dann eine automatische Konsequenz, und zwar, dass die Landwirte ihren Betrieb nicht mehr danach ausrichten, wie sie die meiste Förderung ergattern können, sondern danach ausrichten, was sie am besten am Markt verkaufen können. Das kommt dann auch den Konsumenten zugute, denn der Konsument entscheidet dann, was der Bauer produzieren soll.

    Heinlein: Wer gehört denn zu den Gewinnern dieser Reformpläne?

    Fischler: Zu den Gewinnern gehören in erster Linie jene Betriebe, die eher extensiv wirtschaften. Zu den Gewinnern gehören aber auch die Konsumenten, wie ich schon gesagt habe, weil sie eben erstens damit rechnen können, dass ihre Steuermittel besser eingesetzt werden, zweitens aber, dass es ausgeglichenere Märkte sprich auch entsprechend langfristig stabile Preise geben wird.

    Heinlein: Wenn es Gewinner gibt, muss es auch Verlierer geben. Sind das die Großbetriebe, die bisher vor allem Massenproduktionen auf den Markt gebracht haben?

    Fischler: Hier muss ich ein bisschen korrigieren. Es ist nicht richtig, dass automatisch groß gleich industriell bedeutet und klein gleich umweltfreundlich heißt. Es sind diejenigen, die sehr intensiv produzieren. Die werden hier nicht mehr im bisherigen Umfang Gewinne machen, vor allem dann nicht, wenn sie diese intensive Produktion nur deshalb durchgeführt haben, weil sie sich damit mehr Förderung versprochen haben.

    Heinlein: Rechnen Sie mit einer Beschleunigung des Höfesterbens bei diesen Betrieben?

    Fischler: Was uns die Experten sagen – und wir haben insgesamt sechs internationale Studien in Auftrag gegeben -, kann man damit nicht rechnen.

    Heinlein: Nun gibt es, Herr Fischler, ja bereits recht heftige Kritik im Vorfeld an Ihren Vorschlägen. Unter anderem der deutsche Bauernverband nennt Sie wenig schlüssig und in hohem Maße bürokratiefördernd. Was sagen Sie denn zu diesen Vorwürfen?

    Fischler: In der Landwirtschaft ist es zum einen möchte ich beinahe sagen Tradition, dass Vorschläge zunächst einmal heftig kritisiert werden. Wenn Sie sich erinnern, wie wir 1999 die Agenda 2000 vorgeschlagen haben, also meine erste Reform, da hat auch der deutsche Bauernverband erklärt die Welt geht unter. Jetzt ist er der erste Verteidiger der Agenda 2000. Ich glaube, dass diese neuen Vorschläge durchaus zu dieser Tendenz führen werden. Es ist ja auch schon ein Hinweis darauf, dass der deutsche Bauernverband keine konkreten Argumente hat, dass er eigentlich nicht sehr viel substanzielle Kritik im Köcher hat.

    Heinlein: Sie haben, Herr Fischler, eben vorgerechnet und durch Ihre sechs Institute vorrechnen lassen, dass die Landwirte unter dem Strich durch die Reformen mehr verdienen werden als zuvor. Der eben angesprochene Bauernverband zweifelt an diesen Zahlen. Rechnen Sie die Reform für die Bauern schön?

    Fischler: Nein, das tue ich nicht, sondern hier muss ich wirklich sagen: das Problem ist, dass hier der Bauernverband schlecht rechnet. Das hat er auch in der Vergangenheit immer getan. Auch bei der Agenda 2000 hat er darauf hingewiesen, wie massiv die Einkommensverluste sein werden. In Wahrheit ist im Durchschnitt der letzten Jahre das Einkommen ständig gestiegen und nicht gesunken. Wir haben jedenfalls mit unseren Berechnungen keine Verluste in Aussicht gestellt. Wir haben hier nicht selber die Rechnungen durchgeführt, sondern unabhängige Wissenschaftler gebeten, das zu tun, unter anderem auch deutsche Wissenschaftler gebeten, das zu tun, und die sind zu diesem Ergebnis gekommen.

    Heinlein: Sie haben, Herr Fischler, eingangs gesagt, auch der Verbraucher würde zu den Gewinnern Ihrer Reform gehören. Dennoch die Frage: muss nicht am Ende der Verbraucher die Zeche zahlen für das Ende der Massenproduktion, weil Qualität ja ihren Preis hat?

    Fischler: Hier sind klare Schranken eingezogen, denn man darf nicht vergessen: wir wollen nicht nur neue politische Inhalte oder verbesserte politische Inhalte, sondern es gibt ja auch einen klaren finanziellen Rahmen. Die Regierungschefs haben schon im Vorjahr beim Brüsseler Gipfel entschieden, dass die Agrarausgaben nicht mehr steigen dürfen. Also wir müssen diese ganze Politik machen, ohne dass die finanziellen Belastungen für die Steuerzahler steigen.

    Heinlein: Glauben Sie, dass der Marktanteil von Ökoprodukten hier in Deutschland – er liegt derzeit bei rund zwei Prozent – noch gesteigert werden kann durch Ihre Reform?

    Fischler: Ja, das glaube ich durchaus, dass der noch gesteigert werden kann. Aber das ist natürlich nicht nur durch die Reformen möglich, sondern da ist es in erster Linie notwendig, dass zum einen die Konsumenten Bioprodukte kaufen und demzufolge dann auch die Handelsketten entsprechende Angebote machen.

    Heinlein: Herr Fischler, die EU-Mitglieder müssen Ihrer Reform ja noch im Ministerrat zustimmen. Doch vielerorts, vor allem in Frankreich, gibt es große Widerstände. Rechnen Sie denn mit einer Annahme Ihrer Vorschläge in unveränderter Form?

    Fischler: Dass sie völlig eins zu eins umgesetzt werden, das wäre ja das erste Mal in der Geschichte Europas, dass man das zu Stande brächte. Eine gewisse Kompromissbereitschaft wird es geben müssen. Meine Kompromissbereitschaft geht eben nicht so weit, dass dadurch die Substanz meiner Vorschläge leiden würde. Über Details kann man sicher reden, aber die Substanz muss bleiben.

    Heinlein: Können Sie ein zwei Beispiele nennen für diese Sollbruchstellen in Ihren Reformvorschlägen?

    Fischler: Zur Zeit gibt es die größte Auseinandersetzung im Zusammenhang mit dieser sogenannten Entkoppelung, und das ist wirklich das Kernstück der Reform. Mit anderen Worten geht es darum, davon wegzukommen, dass die Förderung an die Zahl der Rinder oder die Tonnen Weizen, die produziert werden, gebunden wird und hinzukommen zu einer Förderung der Landwirte.

    Heinlein: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk der EU-Agrarkommissar Franz Fischler. – Herr Fischler, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören

    Link: Interview als RealAudio