Gerner: Herr Verheugen, wenn man das hört, verraten, verkauft, Angst aufgesogen zu werden, die Umfragen in Polen, Tschechien zeigen, dass die Meinung eher skeptischer wird. Warum ist es Ihnen nicht gelungen, die Stimmung zu entkräften?
Verheugen: Nein, das stimmt nicht. Auch die Zahl, die in Ihrem Bericht genannt worden ist, ist irreführend. In beiden Ländern, in Polen und in Tschechien, liegen die Zahlen derjenigen, die bei einem Volksentscheid jetzt über die Erweiterung zustimmen würden, deutlich über 70 Prozent. Wir haben in Polen im Augenblick die höchste Zustimmungsrate überhaupt, die wir während des gesamten Erweiterungsprozesses hatten. Also das ist eine ein bisschen einseitige Darstellung, die ich da gerade gehört habe. Aber natürlich gibt es diese Ängste in den Kandidatenländern. Ich muss nur sagen: Das Problem dabei steckt immer darin, dass die Menschen schwer unterscheiden können, was Folgen der großen Transformation sind, die sich ergibt aus der kommunistischen Vergangenheit der Länder, und was Folgen der Vorbereitung auf den Beitritt sind. Die Wahrheit ist natürlich, dass diese Transformation in jedem Fall stattfinden muss, und die einzige Frage für diese Länder ist, ob sie diese Transformation mit Hilfe der Europäischen Union oder ohne Hilfe bewältigen wollen, und richtigerweise haben sich alle dafür entschieden, es mit unserer Hilfe zu tun.
Gerner: Das ist ja ein Einschnitt, der uns jetzt bevorsteht, den wir noch nie erlebt haben. Mehr als drei Länder hat die EU nie aufgenommen; jetzt gleich zehn. Können Sie schon überschauen, wohin das führen wird?
Verheugen: Ja, das führt zu zehn Mitgliedern mehr.
Gerner: Ich meine, Stichwort Kulturschock. Kann es sein, dass wir als wohlstands- und stabilitätsgewohnte Westeuropäer auch unseren Kulturschock ähnlich wie die Osteuropäer erleben?
Verheugen: Wir sowohl einwohnermäßig als auch flächenmäßig schon größere Erweiterungen gehabt. Es sind ja zehn im wesentlichen kleinere Länder, die dazukommen. Es ist ein großes Land: Polen. Alle anderen Länder sind ja kleine und mittlere Länder. Es sind zusammen 75 Millionen Einwohner, und die Erweiterung ist so vorbereitet, dass das alles wirklich zu verkraften ist. Was man schwer vorhersehen kann ist, wie wird eine Erweiterung um gleich zehn neue Mitglieder, wenn sie so kommt, sozusagen den Geist der Europäischen Union verändern. Meine Vorhersage ist, dass wir positive Einflüsse erleben werden. Wir erleben, dass ein frischer Impuls nach Europa kommen wird, und gerade von den jüngeren Menschen in den neuen Mitgliedsländern können wir genau den Enthusiasmus wieder erwarten, den wir früher auch in den Mitgliedsländern hatten. Also ich verspreche mir davon eigentlich positive Auswirkungen. Das Argument, wir haben noch nie zehn Länder zugleich aufgenommen, ist ja richtig, aber was soll ich damit anfangen. Wir hatten auch noch nie eine Situation, in der die gesamte Landmasse zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer gleichzeitig in die Europäische Union wollte, und nach welchen Gesichtspunkten hätte man denn aussuchen sollen?
Gerner: Das Wohlstandsgefälle war ja zwischen neuen und alten Mitgliedern auch noch nie so groß. Schwächt man die EU mit der Aufnahme der Zehn möglicherweise?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht. Zunächst einmal haben wir einige Länder dabei, deren Wohlstandsniveau heute schon über dem liegt, das etwa Spanien und Portugal zum Zeitpunkt ihres Beitritts hatten. Die Entwicklung in den ost- und mitteleuropäischen Ländern verläuft sehr schnell. Sie haben Zuwachsraten, die deutlich über den Zuwachsraten des Durchschnitts der Europäischen Union liegen, und es ist ja keine Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, dass man reich ist, also wir sind ja kein Club der Reichen. Disparitäten kennen wir innerhalb der Mitgliedsländer zwischen Regionen, und wir kennen sie auch zwischen den Mitgliedsländern. Dafür haben ja ein System in Europa entwickelt, das Solidarität zwischen den Armen und den Reichen darstellt.
Gerner: Die Unzufriedenheit in den osteuropäischen Ländern hat ja auch damit zu tun, dass der Termin, eine konkrete Jahreszahl, nicht genannt wurde. Für die zehn, die jetzt beitreten sollen, kann man definitiv sagen, 2004?
Verheugen: Dieser Vorwurf, die Länder haben keinen Termin, kenne ich. Das ist zurückzuführen auf den früheren Bundeskanzler Kohl, der den Polen versprochen hatte, ihr seid im Jahre 2000 Mitglied.
Gerner: Chirac und auch andere hatten das auch versprochen.
Verheugen: Ja, Chriac hat es getan, weil er nicht hinter Kohl zurückstehen wollte. Aber diese Versprechungen wurden gemacht, ohne das Geringste dafür zu tun, dass die Verhandlungen überhaupt in Gang kommen. Die Kommission, die jetzt am Werke ist, hat vom ersten Tag ihrer Amtsübernahme an gesagt, wenn alle sich anstrengen und große Mühe geben, dann können wir die Verhandlungen Ende 2002 abschließen. Das können Sie in meinem ersten Bericht vom Dezember 1999 bereits lesen, und punktgenau werden wir diese Vorgabe erreichen, und ebenso punktgenau werden wir die Vorgabe erreichen, die ebenfalls im Jahre 2000 bereits gemacht worden ist, dass die Beitritte vor der Europawahl des Jahres 2004 stattfinden. Wissen Sie, die Kritik, der ich mich viel häufiger erwehren muss, ist eine ganz andere, nicht die, dass es zu langsam geht, sondern ich muss mich viel mehr mit der Kritik auseinandersetzen, dass es viel zu schnell geht, und Sie werden erleben, dass bei der Auseinandersetzung, die im nächsten Jahr die innenpolitische Auseinandersetzung in allen Mitgliedsländern werden wird, nicht gesagt werden wird, oh, das ging aber sehr langsam, sondern dass gesagt werden wird, oh, das ging wahrscheinlich viel zu schnell.
Gerner: Mit der Türkei werden vorerst keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Die Position der EU ist zumindest ambivalent. Die Tür wird nicht ganz zugeschlagen, aber richtig aufgemacht wird sie auch nicht. Ist dieser Staat am geografischen Rande des Islam eine zu große Gefahr?
Verheugen: Also die Tür ist offen...
Gerner: Halboffen.
Verheugen: ...die Entscheidung ist in Helsinki getroffen worden, und sie hat sich ja als richtig herausgestellt, denn die Veränderungen, die wir in der Türkei in den letzten achtzehn Monaten erlebt haben in Richtung mehr Demokratie, mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr Achtung der Menschenrechte, sind stärker als die, die wir vorher in Jahrzehnten gesehen haben, das heißt die Erweiterungsperspektive, die Mitgliedschaftsperspektive hat die Türkei genau auf den Weg gebracht, auf dem wir sie sehen wollten. Jetzt kommt es darauf an, dass dieser Weg auch entschlossen und konsequent weitergegangen wird, und darum braucht die Türkei ein ermutigendes Signal, und das wird sie heute auch kriegen.
Gerner: Die Hausaufgaben sind ja nicht nur bei den Osteuropäern, sondern auch bei uns in der aktuellen EU. Die Iren entscheiden ja in zehn Tagen in einer Volksabstimmung zum zweiten Mal über den Vertrag von Nizza. Was ist, wenn dort wieder ‚Nein’ entschieden wird?
Verheugen: Dann haben wir ein Riesenproblem, und dann stimmt wahrscheinlich alles nicht mehr, was ich Ihnen eben erzählt habe. Dann wird sich der Zeitplan nicht einhalten lassen. Ich weiß noch nicht mal, ob das ganze Projekt überhaupt zustande kommt.
Gerner: Heißt das, die ganze Osterweiterung könnte noch an den Iren scheitern?
Verheugen: Ja.
Gerner: Sagen Sie uns warum.
Verheugen: Ja, weil wir dann die institutionellen Voraussetzungen für den Abschluss der Verträge nicht haben.
Gerner: Das heißt wenn einer Nizza nicht akzeptiert, gibt es Nizza nicht?
Verheugen: Ja! Der Vertrag ist eine Änderung des Primärrechts der Europäischen Union. Das muss in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, wie übrigens auch die Beitrittsverträge in allen Mitgliedsländern ratifiziert werden müssen. Wenn es in irgendeinem Parlament nicht ratifiziert wird, ist das gesamte Projekt gescheitert. Da sind also noch große Hürden zu überwinden.
Gerner: Sie klingen jetzt sehr alarmiert. Das klingt fast so, als ob die bisherige EU zerfallen würde.
Verheugen: Nein, das ist seit langem bekannt. Es ist seit Jahren bekannt, dass es für einige Mitgliedsländer eine Bedingung für diese Erweiterung war, dass sie vorher einen Vertrag haben, der sozusagen die Balance zwischen Erweiterung und Vertiefung herstellt. Das ist der Vertrag von Nizza. Sonst hätten wir einfach sagen können, wir schreiben die institutionellen Regeln in die Beitrittsverträge rein und fertig.
Gerner: Ist es unter dem Vorzeichen nicht ein Risiko, dass viele der osteuropäischen Länder auch per Referendum das absegnen lassen wollen?
Verheugen: Ich glaube nicht, dass das in den osteuropäischen Ländern anders möglich ist. Es ist eine so grundlegende Veränderung aller staatlichen und gesellschaftlichen Grundlagen, dass die höchste politische Legitimation dafür gewählt werden muss.
Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Verheugen: Nein, das stimmt nicht. Auch die Zahl, die in Ihrem Bericht genannt worden ist, ist irreführend. In beiden Ländern, in Polen und in Tschechien, liegen die Zahlen derjenigen, die bei einem Volksentscheid jetzt über die Erweiterung zustimmen würden, deutlich über 70 Prozent. Wir haben in Polen im Augenblick die höchste Zustimmungsrate überhaupt, die wir während des gesamten Erweiterungsprozesses hatten. Also das ist eine ein bisschen einseitige Darstellung, die ich da gerade gehört habe. Aber natürlich gibt es diese Ängste in den Kandidatenländern. Ich muss nur sagen: Das Problem dabei steckt immer darin, dass die Menschen schwer unterscheiden können, was Folgen der großen Transformation sind, die sich ergibt aus der kommunistischen Vergangenheit der Länder, und was Folgen der Vorbereitung auf den Beitritt sind. Die Wahrheit ist natürlich, dass diese Transformation in jedem Fall stattfinden muss, und die einzige Frage für diese Länder ist, ob sie diese Transformation mit Hilfe der Europäischen Union oder ohne Hilfe bewältigen wollen, und richtigerweise haben sich alle dafür entschieden, es mit unserer Hilfe zu tun.
Gerner: Das ist ja ein Einschnitt, der uns jetzt bevorsteht, den wir noch nie erlebt haben. Mehr als drei Länder hat die EU nie aufgenommen; jetzt gleich zehn. Können Sie schon überschauen, wohin das führen wird?
Verheugen: Ja, das führt zu zehn Mitgliedern mehr.
Gerner: Ich meine, Stichwort Kulturschock. Kann es sein, dass wir als wohlstands- und stabilitätsgewohnte Westeuropäer auch unseren Kulturschock ähnlich wie die Osteuropäer erleben?
Verheugen: Wir sowohl einwohnermäßig als auch flächenmäßig schon größere Erweiterungen gehabt. Es sind ja zehn im wesentlichen kleinere Länder, die dazukommen. Es ist ein großes Land: Polen. Alle anderen Länder sind ja kleine und mittlere Länder. Es sind zusammen 75 Millionen Einwohner, und die Erweiterung ist so vorbereitet, dass das alles wirklich zu verkraften ist. Was man schwer vorhersehen kann ist, wie wird eine Erweiterung um gleich zehn neue Mitglieder, wenn sie so kommt, sozusagen den Geist der Europäischen Union verändern. Meine Vorhersage ist, dass wir positive Einflüsse erleben werden. Wir erleben, dass ein frischer Impuls nach Europa kommen wird, und gerade von den jüngeren Menschen in den neuen Mitgliedsländern können wir genau den Enthusiasmus wieder erwarten, den wir früher auch in den Mitgliedsländern hatten. Also ich verspreche mir davon eigentlich positive Auswirkungen. Das Argument, wir haben noch nie zehn Länder zugleich aufgenommen, ist ja richtig, aber was soll ich damit anfangen. Wir hatten auch noch nie eine Situation, in der die gesamte Landmasse zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer gleichzeitig in die Europäische Union wollte, und nach welchen Gesichtspunkten hätte man denn aussuchen sollen?
Gerner: Das Wohlstandsgefälle war ja zwischen neuen und alten Mitgliedern auch noch nie so groß. Schwächt man die EU mit der Aufnahme der Zehn möglicherweise?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht. Zunächst einmal haben wir einige Länder dabei, deren Wohlstandsniveau heute schon über dem liegt, das etwa Spanien und Portugal zum Zeitpunkt ihres Beitritts hatten. Die Entwicklung in den ost- und mitteleuropäischen Ländern verläuft sehr schnell. Sie haben Zuwachsraten, die deutlich über den Zuwachsraten des Durchschnitts der Europäischen Union liegen, und es ist ja keine Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, dass man reich ist, also wir sind ja kein Club der Reichen. Disparitäten kennen wir innerhalb der Mitgliedsländer zwischen Regionen, und wir kennen sie auch zwischen den Mitgliedsländern. Dafür haben ja ein System in Europa entwickelt, das Solidarität zwischen den Armen und den Reichen darstellt.
Gerner: Die Unzufriedenheit in den osteuropäischen Ländern hat ja auch damit zu tun, dass der Termin, eine konkrete Jahreszahl, nicht genannt wurde. Für die zehn, die jetzt beitreten sollen, kann man definitiv sagen, 2004?
Verheugen: Dieser Vorwurf, die Länder haben keinen Termin, kenne ich. Das ist zurückzuführen auf den früheren Bundeskanzler Kohl, der den Polen versprochen hatte, ihr seid im Jahre 2000 Mitglied.
Gerner: Chirac und auch andere hatten das auch versprochen.
Verheugen: Ja, Chriac hat es getan, weil er nicht hinter Kohl zurückstehen wollte. Aber diese Versprechungen wurden gemacht, ohne das Geringste dafür zu tun, dass die Verhandlungen überhaupt in Gang kommen. Die Kommission, die jetzt am Werke ist, hat vom ersten Tag ihrer Amtsübernahme an gesagt, wenn alle sich anstrengen und große Mühe geben, dann können wir die Verhandlungen Ende 2002 abschließen. Das können Sie in meinem ersten Bericht vom Dezember 1999 bereits lesen, und punktgenau werden wir diese Vorgabe erreichen, und ebenso punktgenau werden wir die Vorgabe erreichen, die ebenfalls im Jahre 2000 bereits gemacht worden ist, dass die Beitritte vor der Europawahl des Jahres 2004 stattfinden. Wissen Sie, die Kritik, der ich mich viel häufiger erwehren muss, ist eine ganz andere, nicht die, dass es zu langsam geht, sondern ich muss mich viel mehr mit der Kritik auseinandersetzen, dass es viel zu schnell geht, und Sie werden erleben, dass bei der Auseinandersetzung, die im nächsten Jahr die innenpolitische Auseinandersetzung in allen Mitgliedsländern werden wird, nicht gesagt werden wird, oh, das ging aber sehr langsam, sondern dass gesagt werden wird, oh, das ging wahrscheinlich viel zu schnell.
Gerner: Mit der Türkei werden vorerst keine Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Die Position der EU ist zumindest ambivalent. Die Tür wird nicht ganz zugeschlagen, aber richtig aufgemacht wird sie auch nicht. Ist dieser Staat am geografischen Rande des Islam eine zu große Gefahr?
Verheugen: Also die Tür ist offen...
Gerner: Halboffen.
Verheugen: ...die Entscheidung ist in Helsinki getroffen worden, und sie hat sich ja als richtig herausgestellt, denn die Veränderungen, die wir in der Türkei in den letzten achtzehn Monaten erlebt haben in Richtung mehr Demokratie, mehr Rechtsstaatlichkeit und mehr Achtung der Menschenrechte, sind stärker als die, die wir vorher in Jahrzehnten gesehen haben, das heißt die Erweiterungsperspektive, die Mitgliedschaftsperspektive hat die Türkei genau auf den Weg gebracht, auf dem wir sie sehen wollten. Jetzt kommt es darauf an, dass dieser Weg auch entschlossen und konsequent weitergegangen wird, und darum braucht die Türkei ein ermutigendes Signal, und das wird sie heute auch kriegen.
Gerner: Die Hausaufgaben sind ja nicht nur bei den Osteuropäern, sondern auch bei uns in der aktuellen EU. Die Iren entscheiden ja in zehn Tagen in einer Volksabstimmung zum zweiten Mal über den Vertrag von Nizza. Was ist, wenn dort wieder ‚Nein’ entschieden wird?
Verheugen: Dann haben wir ein Riesenproblem, und dann stimmt wahrscheinlich alles nicht mehr, was ich Ihnen eben erzählt habe. Dann wird sich der Zeitplan nicht einhalten lassen. Ich weiß noch nicht mal, ob das ganze Projekt überhaupt zustande kommt.
Gerner: Heißt das, die ganze Osterweiterung könnte noch an den Iren scheitern?
Verheugen: Ja.
Gerner: Sagen Sie uns warum.
Verheugen: Ja, weil wir dann die institutionellen Voraussetzungen für den Abschluss der Verträge nicht haben.
Gerner: Das heißt wenn einer Nizza nicht akzeptiert, gibt es Nizza nicht?
Verheugen: Ja! Der Vertrag ist eine Änderung des Primärrechts der Europäischen Union. Das muss in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert werden, wie übrigens auch die Beitrittsverträge in allen Mitgliedsländern ratifiziert werden müssen. Wenn es in irgendeinem Parlament nicht ratifiziert wird, ist das gesamte Projekt gescheitert. Da sind also noch große Hürden zu überwinden.
Gerner: Sie klingen jetzt sehr alarmiert. Das klingt fast so, als ob die bisherige EU zerfallen würde.
Verheugen: Nein, das ist seit langem bekannt. Es ist seit Jahren bekannt, dass es für einige Mitgliedsländer eine Bedingung für diese Erweiterung war, dass sie vorher einen Vertrag haben, der sozusagen die Balance zwischen Erweiterung und Vertiefung herstellt. Das ist der Vertrag von Nizza. Sonst hätten wir einfach sagen können, wir schreiben die institutionellen Regeln in die Beitrittsverträge rein und fertig.
Gerner: Ist es unter dem Vorzeichen nicht ein Risiko, dass viele der osteuropäischen Länder auch per Referendum das absegnen lassen wollen?
Verheugen: Ich glaube nicht, dass das in den osteuropäischen Ländern anders möglich ist. Es ist eine so grundlegende Veränderung aller staatlichen und gesellschaftlichen Grundlagen, dass die höchste politische Legitimation dafür gewählt werden muss.
Gerner: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio