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Die Europäische Zentralbank ist "nicht so unabhängig" wie gedacht

FDP-Europaparlamentarier Jürgen Klinz erkennt in dem Rücktritt des Chefvolkswirtes der Europäischen Zentralbank, dass die Reihen der Institution nicht geschlossen seien und dass sie sich gewissen politischen Zwängen beuge. Die deutsche Haltung innerhalb der Zentralbank sei in die Minderheit geraten.

Wolf Klinz im Gespräch mit Martin Zagatta | 10.09.2011
    Martin Zagatta: Während auf europäischer Ebene und im Bundestag darum gerungen wird, die Euro- beziehungsweise die Verschuldungskrise zu meistern, nun dieser Paukenschlag: Jürgen Stark, der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank wirft das Handtuch, offenbar aus Protest gegen den umstrittenen Aufkauf von Staatsanleihen hoch verschuldeter Staaten. Der FDP-Politiker Wolf Klinz ist der Vorsitzende des Sonderausschusses zur Wirtschafts- und Finanzkrise im Europaparlament, guten Morgen, Herr Klinz!

    Wolf Klinz: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Klinz, ist das jetzt das Eingeständnis, dass die Europäische Zentralbank keine solide Geldpolitik mehr betreibt?

    Klinz: So weit würde ich nicht gehen, aber es ist zunächst einmal das Eingeständnis, dass die Reihen innerhalb der Europäischen Zentralbank nicht so geschlossen sind, wie Präsident Trichet es immer nach außen vorgegeben hat. Und zweitens ist es auch das Eingeständnis, dass die Zentralbank nicht so unabhängig ist, wie wir immer gedacht haben, sondern dass sie sich letztlich eben doch gewissen politischen Zwängen beugt. Auf der anderen Seite muss man aber auch deutlich sagen, die Märkte haben sich in den letzten Monaten verweigert, und hätte die EZB nicht eingegriffen und Italien und Spanien unterstützt durch Aufkauf deren Anleihen, dann hätten wir gewaltige Spannungen in den Märkten gehabt. Also es war hier die Wahl zwischen Pest und Cholera, und man kann nicht sagen, dass Trichet völlig falsch gehandelt hat. Noch kann man sagen, dass Jürgen Stark und vorher ja schon Axel Weber nicht recht haben mit ihrer Forderung, dass die EZB solche Aufkäufe eigentlich nicht machen sollte.

    Zagatta: Aber – das entnehme ich Ihren Worten – Bundespräsident Wulff zum Beispiel liegt falsch, wenn er fürchtet, dass die Europäische Zentralbank längst gegen europäisches Recht verstößt – Sie rechtfertigen das, das kann man machen, solche Staatsanleihen aufkaufen?

    Klinz: Ich bin kein Jurist und kann also jetzt hier nicht die letzte juristische, sagen wir mal Interpretation vornehmen, aber ich glaube, dass es machbar war unter den Umständen. Allerdings ist das Ganze nur akzeptabel als, ich sage mal kurzfristige temporäre Maßnahme, und wir müssen hoffen, dass es schnell gelingt, den EFSF so zu ertüchtigen und in Gang zu bringen, also die Stabilisierungsfazilität, über die jetzt ja abgestimmt werden soll Ende des Monats im Bundestag, dass die EZB mit ihren Ankäufen stoppen kann und die EFSF das übernimmt. Nur, über eins müssen wir uns im Klaren sein: Die Märkte werden weiterhin testen, wie weit ist die Politik bereit, Spielräume zu eröffnen, und wenn der EFSF plötzlich ausgeschöpft ist – und keiner kann heute sagen, ob dieses vergrößerte Volumen von 740 Milliarden tatsächlich ausreicht –, wenn das ausgeschöpft ist und Not am Mann ist, dann kann man nicht ausschließen, dass die Europäische Zentralbank wieder als Kreditgeber der letzten Instanz, also als Lender of Last Resort, wie es so schön auf Englisch heißt, wiederum ins Spiel kommt.

    Zagatta: Raten Sie denn Ihren Parteifreunden in der FDP, die jetzt im Bundestag da große Bedenken haben – das gibt es ja viele – und die diesem zweiten Rettungsschirm gar nicht zustimmen wollen, raten Sie denen jetzt zuzustimmen?

    Klinz: Ich habe Respekt vor deren Ansicht, und ich akzeptiere, dass in dieser Entscheidung jeder Abgeordnete seinem Gewissen und seiner persönlichen Einstellung folgt …

    Zagatta: Und dass die Bedenken vielleicht jetzt noch größer werden durch den Rücktritt von Herrn Stark.

    Klinz: Die sind mit Sicherheit verstärkt und bei manchem, der da wacklig ist, vielleicht auch größer, aber ich gebe deshalb denen keine Empfehlungen. Es ist ja schon durch den seinerzeitigen Rücktritt von Bundesbankpräsident Axel Weber ganz deutlich geworden, dass es hier unterschiedliche Meinungen gibt. Und die deutsche Haltung, die ja auch durch Jürgen Stark exemplarisch eigentlich repräsentiert worden ist, der ein sehr gradliniger Bundesbanker war und eben jetzt auch europäischer Zentralbanker war, macht deutlich, dass die deutsche Haltung innerhalb der Reihen der EZB – leider, muss ich sagen – in die Minderheit geraten ist.

    Zagatta: Ließe sich daran irgendetwas ändern, denn offiziell ist sie ja unabhängig und die Regierung hat ja offiziell keinen Einfluss?

    Klinz: Nein, ich glaube, daran lässt sich im Moment nichts ändern. Das Kräfteverhältnis ist so, dass Deutschland einer von mehreren Spielern ist, und es ist jetzt ganz klar und deutlich geworden, dass eine große Mehrheit innerhalb des Rates der Europäischen Zentralbank dem Kurs folgt, den die Bank jetzt verfolgt. Ich glaube auch, dass es im Moment praktisch keine Alternative gibt. Man hat sich einmal auf den Weg begeben, und jetzt muss man ihn zu Ende gehen, so bitter das ist oder so bitter das klingen mag. Im Grunde sind die Weichen schon im Frühjahr letzten Jahres, als Griechenland zunächst als erstes Mitgliedsland in die Bredouille geriet, falsch gestellt worden. Und das ist erklärlich, denn wir haben … Damals war es so, dass im Grunde mit der Rettung, mit der ersten Rettung Griechenlands ja de facto sehr stark oder in großem Maße auch französische und deutsche und natürlich auch griechische Banken gerettet worden sind. Denn hätte man Griechenland damals in die Insolvenz gehen lassen, wären sofort eine Vielzahl von Banken in diesen drei Ländern in Schwierigkeiten geraten und hätten ihrerseits wiederum gerettet werden müssen. Und da wir kein sauberes Insolvenzregime haben, weder für Banken in Europa einheitlich noch für Mitgliedsstaaten der Eurozone, konnte dieser Weg nicht beschritten werden, ohne dass man Gefahr gelaufen wäre, dass unabsehbare Dominoeffekte ausgelöst worden sind. Deshalb brauchen wir dringend ein Resolutions- und Insolvenzregime für Banken, sodass auch Banken ordnungsgemäß abgewickelt werden können, ohne dass es diesen verheerenden Flächenbrand gibt wie nach der Lehman-Pleite. Wir brauchen es im Grunde genauso auch für Mitgliedsstaaten, denn wir können nicht immer so weitermachen wie bisher. Dann wird sich herausstellen, dass alle Maßnahmen, die wir ergreifen, letzten Endes nicht ausreichen. Die Märkte werden nicht ruhen und werden immer wieder versuchen zu testen, wie weit können sie die Politik noch vor sich hertreiben.

    Zagatta: Herr Klinz, Wolf Klinz war das, der Vorsitzende des Sonderausschusses zur Wirtschafts- und Finanzkrise im Europaparlament, herzlichen Dank für das Gespräch!


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