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Die Ewigkeit des Bodens

In Deutschland werden Gräber in der Regel nach 25 Jahren neu belegt. An manchen Orten stoßen Totengräber auch nach dieser Zeit noch auf unangenehme Überraschungen im Boden. Eine neue Software soll nun berechnen, wie viele Jahre Totenruhe sinnvoll sind.

Von Folkert Lenz |
    Eine Klimakammer, ungefähr 15 Grad warm ist es. Nur ein Lüfter brummt in dem gefliesten Laborraum, ansonsten herrscht Friedhofsruhe. Ideale Bedingungen also, um auszuprobieren, was sich in den Tiefen deutscher Gräberfelder tut. Der Bodenphysiker Rüdiger Anlauf hat hier fünf graue, übermannshohe Plastikrohre aufgestellt – jedes 30 Zentimeter dick.

    "Was Sie sehen, sind diese Säulen, gefüllt mit Bodenmaterial. Und dann sieht man hier überall Anschlüsse. In diese Anschlüsse sind Sauerstoffsensoren eingebaut. Das heißt, wir messen in fünf verschiedenen Tiefen, in 30 Zentimeter Abstand in der Tiefe, die Sauerstoffkonzentration. Dann haben wir Sonden eingebaut, die Wassergehalte messen."

    Denn wie gut verschiedene Böden Sauerstoff und Wasser durchlassen, wollen die Bodenkundler der Hochschule Osnabrück wissen, um abschätzen zu können, wie schnell sich Leichen auf dem Friedhof zersetzen. In den vergangenen drei Jahren haben sie mit Sand, mit Ton, mit Schluff oder Lehm experimentiert. Ein totes Ferkel oder ein Meerschweinchen hätten sie darin vergraben können. Doch dann wären die Verwesungsversuche zu unterschiedlich verlaufen. Um gleiche Testbedingungen zu bekommen, benutzten die Forscher deshalb eine Nährlösung. In einer Art Schnellkochtopf, der über einen Schlauch mit den Bodensäulen verbunden ist, schwappt eine übel riechende Flüssigkeit

    "Eine Sojabouillon, die auch ein bisschen was an anderen Nährstoffen enthält und angeimpft mit ein wenig Schweinegülle. Man muss ja Mikroorganismen da rein bekommen. Und die setzen diese ganze Nährlösung um. Die verbrauchen da Sauerstoff, genau wie bei der Umsetzung von menschlichen Weichteilen. Und das war sozusagen die untere Randbedingung für diese Bodensäule."

    So kann man die Verwesung einer Leiche in verschiedenen Tiefen simulieren. Um die Hochrechnungen zur Verwesungsdauer zu verfeinern, haben Rüdiger Anlauf und seine Kollegen auch einige Totengräber befragt. Manche von ihnen waren noch Jahrzehnte nach einer Bestattung auf Reste menschlicher Körper gestoßen. Kein schöner Gedanke – weder für die Angehörigen noch für die Friedhofsmitarbeiter. Denn während sich in sandigen, lockeren und trockenen Böden Leichen schon in wenigen Jahren auflösen, kann das in nassen, schweren Böden mit viel Ton darin 40 oder 50 Jahre dauern. Ganz entscheidend für die Verwesungsdauer ist außerdem, wie gut Sauerstoff an den Körper kommt. Die Bestattungskultur vergangener Generationen bereitet da manches Problem, sagt Anlauf.

    "Vor 30,35 Jahren hat man noch viel Kunstmaterial genommen: Polyester oder Sargbekleidung aus Polyester. Was natürlich ganz schlecht ist für die Verwesung. Weil das Material nicht verwest und weil es relativ sauerstoffdicht ist. Wenn nicht genug Sauerstoff rankommt, dann ist auch nach 30 Jahren die Leiche zum Teil noch da."

    Dieser Effekt kann auch entstehen, wenn das Sargmaterial falsch gewählt wird. Die beliebte deutsche Eiche steht einer schnellen Wiederbelegung des Grabes im Wege.

    "Das ist eigentlich Material, das man nicht wählen sollte. Weil es halt – wenn es denn auch vollgesogen ist mit Wasser, mit Feuchtigkeit – sich relativ langsam umsetzt. Optimal sind tatsächlich Weichholzsärge, also Fichte oder Kiefer, weil die einfach am schnellsten umgebaut werden."

    Noch besser wäre die Bestattung in einem schlichten Leichentuch aus Leinen – doch dieses muslimische Ritual ist in Deutschland nur auf wenigen Friedhöfen erlaubt.

    Die Forschung, die vielleicht ein wenig skurril anmutet, hat einen ernsten Hintergrund. Manche Friedhöfe platzen schlicht aus allen Nähten – vor allem im ländlichen Bereich. In den Städten dagegen besteht häufig der Wunsch, nicht mehr benötigte Totenfelder einer neuen Nutzung zuzuführen. Die Erkenntnisse der Hochschule Osnabrück haben die Wissenschaftler in eine neue Software eingespeist. Sie soll bei der Stadtplanung helfen, so Anlauf:

    "Gerade da würde eine solche Software sehr hilfreich sein: Dass man die Flächen aus der Friedhofsnutzung raus nimmt, die eher wenig geeignet sind für die Verwesung. Und die Flächen, die gut geeignet sind – sandige Standorte – dass die dann auch in der Nutzung drin bleiben."

    Das Software-Werkzeug zur Friedhofsnutzung sorgt so auch dafür, dass es für die Toten wieder heißt: Ruhe in Frieden.