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"Die FDP hat eine neue Chance verdient"

Die FDP befinde sich in einer "schwierigen Zeit", sie habe Fehler gemacht und "die Bürger in gewissem Sinne enttäuscht", sagt Klaus Kinkel. Den Untergang des Liberalismus zu prophezeien, sei jedoch "Unsinn in der Potenz", so der FDP-Ehrenvorsitzende. Seine Partei müsse sich wieder auf ihre klassischen Themen wie Wirtschaft, Außenpolitik und Bürgerrechte konzentrieren.

Klaus Kinkel im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Sie hören den Deutschlandfunk jetzt mit einer ziemlich bekannten Melodie und ebenso bekannten Stimmen.

    O-Ton "Hoch auf dem gelben Wagen":

    O-Ton Hans-Dietrich Genscher: "Koalition, das hat nichts zu tun mit geistiger oder politischer Verbrüderung. Koalition, das heißt Partnerschaft auf Zeit, Zusammenarbeit selbstständiger und unabhängiger Parteien."

    O-Ton Klaus Kinkel: "Es ist sicher so, dass wir manchmal vielleicht in der Tat zu wenig Profil gezeigt haben, insofern, als vielleicht auch draußen nicht so sehr erkennbar war, warum man nun die FDP braucht und warum man sie wählen soll."

    Liminski: "Hoch auf dem gelben Wagen" saßen Hans-Dietrich Genscher - und seine Worte stammen aus einem Wahl-Werbespot der FDP von 1976 – und neben ihm saß Klaus Kinkel, seine Sätze sind aus dem "Interview der Woche" im Deutschlandfunk vom 7. August 1994 und jetzt, 18 Jahre später, ist er wieder hier im Deutschlandfunk. Guten Morgen, Herr Kinkel.

    Klaus Kinkel: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Kinkel, das waren noch Zeiten, gute Zeiten für die FDP. Ist der gelbe Wagen jetzt in den Jahren 2011 und 2012 im Morast der Postmoderne stecken geblieben?

    Kinkel: Nein, das ist mit Sicherheit nicht so. Die neuesten Umfragen zeigen ja, dass es mit uns wieder aufwärts geht, Gott sei Dank. Wir haben Fehler gemacht, da gibt es überhaupt keinen Zweifel, wir haben das Versprochene nicht ausreichend geliefert, wir haben die Bürger in gewissem Sinne enttäuscht, jedenfalls viele, Vertrauen und Respekt verloren, und es ist uns vor allem nicht gelungen, was wir in der Opposition gut vertreten haben in praktische Politik umzusetzen. Ja, wir haben eine schwierige Zeit, aber die FDP hat eine neue Chance verdient und das wird auch so sein.

    Liminski: Haben Sie schon mal eine so existenzielle Situation erlebt in den letzten 30 Jahren?

    Kinkel: Auch in meiner Zeit als Parteivorsitzender hatten wir schwierige Zeiten. Es gab immer Aufs und Abs in der FDP, das ist diese Partei gewöhnt, und oft ist das Sterbeglöcklein geläutet worden. Die Beerdigung hat Gott sei Dank nie stattgefunden und sie wird auch diesmal nicht stattfinden. Ich bin ganz sicher, dass in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen Kubicki und Lindner erfolgreich sein werden. Es wird mit uns wieder aufwärts gehen. Aber es ist alles nicht so ganz einfach, das muss man schon deutlich und klar sagen.

    Liminski: Wird denn die FDP noch gebraucht? Umfragen sind ja eine Sache, Wahlen eine andere. Sind wir nicht alle liberal?

    Kinkel: Nein, ich glaube, das kann man wirklich so nicht sagen. Denken Sie mal daran, dass jetzt andere Parteien erklären, sie seien sozusagen die Freiheitspartei, sie seien diejenigen, die den Liberalismus in Deutschland vertreten. Das sind die Grünen, das sind vor allem auch jetzt die Piraten. So ist es nun nicht, man kann nicht einfach erklären, dass man den Liberalismus verkörpert. Ich finde, Nonnenmacher hat das am vergangenen Samstag in der "FAZ" deutlich und klar gesagt. Er hat auf die neuen Umfragewerte hingewiesen und hat erklärt, das sei sicher ein Indiz dafür, dass die Bürger doch langsam spüren, was dem Land fehlen würde, gäbe es die FDP nicht mehr. So ist es!

    Liminski: Wo ist denn die Lücke, die die FDP füllt? Nennen Sie uns bitte ein paar Politikfelder.

    Kinkel: Vielleicht darf ich zunächst mal sagen, es muss bei uns auch ein klein wenig und auch in der Öffentlichkeit das Pater Peccavi aufhören. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung, wir müssen weg vom alleinigen Thema der Steuererleichterung, wir müssen hin zum Schuldenabbau, wir müssen hin vor allem zu den klassischen grundsätzlichen Themen der Partei in breiter Palette. Eines der wesentlichsten Themen überhaupt, die ja nun Deutschland, Europa, die Welt beschäftigen, ist die Finanzmarktsituation. Es ist eine geradezu klassische Aufgabe der FDP, mit zu sorgen, dass die Balance zwischen staatlichen Leitplanken und freiem Markt erhalten bleibt oder wieder hergestellt wird. Es muss aufhören, dass die Finanzmärkte die Politik vor sich hertreiben. – Denken Sie an die Themen Energiesituation: wie geht es weiter, Hinwendung wirklich wieder zum Mittelstand, seinen speziellen Bedürfnissen. Bildungspolitik, Bürgerrechte, Demografieprobleme, Europa – Sie haben es angesprochen. Ja, die FDP ist und bleibt die Europapartei bei ein paar Irrlichtern, die wir da in letzter Zeit produziert haben.

    Liminski: Da kommen wir gleich zu. Sie entwerfen ja das Programm einer Volkspartei en Miniatur. Wo muss denn die FDP nicht so stark sein?

    Kinkel: Na ja, die FDP ist immer eine Partei gewesen, die sozusagen nicht das gesamte Themenfeld für alle Bürger abdecken kann, wenn man das natürlich als Partei auch immer erklärt und gern tun würde. Wir müssen uns schon auf die Themen konzentrieren, also Wirtschaft, Außenpolitik, wir müssen uns konzentrieren auf die Finanzmarktsituation und auf die Bürgerrechte, unsere klassischen Themen. Das wird wieder notwendig sein. Aber wir müssen es vor allem so vermitteln, dass die Menschen uns das wieder abnehmen und uns wählen. Das ist ja nun mal das Entscheidende.

    Liminski: Sie nannten eben die "FAZ". Da stand in diesem Artikel allerdings auch, der FDP mangele es nicht an Programmen, sondern an Köpfen. Gehen die guten Köpfe weg, vielleicht zu den Piraten?

    Kinkel: Nein, das kann man nun wirklich nicht sagen. Ich meine, wenn man erlebt, was da passiert, die Piraten, die man um Gottes Willen nicht beschimpfen darf und soll, aber wo man doch ruhig und sachlich analysieren muss, sie haben kein wirkliches Programm, irgendwo sind sie irrlichternd und noch kompasssuchend durch die Landschaft geisternd, sie sind quasi in der Pubertätsphase noch, ohne inhaltliches Vakuum, und dass diese Partei so viel Zuspruch erfährt, ist jedenfalls für mich rational schwer nachvollziehbar. Denken Sie an die Position zum Urheberrecht. Denken sie Freiheit als Kostenfreiheit. So funktioniert ein Land nicht. Was ist da los in Deutschland, dass so eine Partei eine solche Anhängerschaft gewinnt? Nochmals: nicht beschimpfen, ernst nehmen, weil sie Themen aufgreifen, die wir offensichtlich vernachlässigt haben. Aber sie sind nun wirklich keine Freiheitspartei und ich hoffe doch sehr, dass die Bürger wirklich das erkennen und wahr machen, was Nonnenmacher ausgedrückt hat.

    Liminski: Betrachten wir die Lage mal aus globaler Sicht. Historisch betrachtet war der Liberalismus das Gegengewicht zum Totalitarismus im Kalten Krieg. Die Reste der gefallenen Mauer sind mittlerweile weggekehrt. Hat der Liberalismus seine Existenzberechtigung damit nicht doch verloren?

    Kinkel: Nein, das kann man nun wirklich nicht sagen. Im Gegenteil. Ich glaube, dass eigentlich eine klassische Zeit des Liberalismus erst angebrochen ist, und ich nehme auch an, wenn wir uns wieder gefangen haben – und das werden wir tun -, dann wird auch wieder deutlich und klar werden, warum man eine liberale Partei gerade auch in Deutschland braucht. Man muss auch ein klein wenig, glaube ich, berücksichtigen, was die FDP in der Nachkriegszeit für Deutschland geleistet hat, in der Wirtschaftspolitik, in der Außenpolitik. Wir haben über lange Jahre die Außenpolitik gestaltet und nicht schlecht, bei Gott. Ich glaube, das kann und darf nicht alles vergessen werden, und der Untergang des Liberalismus, den zu prophezeien, ich glaube, das ist Unsinn in der Potenz.

    Liminski: Die FDP war Anfangs deutschnational, Stichwort Erich Mende. In der Ära Kohl und schon davor wurde sie immer mehr eine Europapartei. Nun wächst überall in Europa die Skepsis. Man sieht das in Frankreich, in Griechenland, in Großbritannien, in Skandinavien. Verliert die FDP, weil Europa verliert?

    Kinkel: Nein, das kann man auch nicht sagen. Ich meine, Europa ist für uns nach wie vor, für Deutschland von zentralster Bedeutung. Europa ist nicht in bester Verfassung, es geht Europa ein klein wenig so wie der FDP. Aber man muss sich mal vorstellen, wir hätten dieses Europa nicht. Deutschland ist als größtes Land in der Europäischen Union, das muss man immer wieder sagen, nicht stark genug, um in dieser globalisierten Welt wirklich entscheidend mitzugestalten, und Europa muss es schaffen, wieder seine Synergieeffekte in der Wirtschaft, vor allem aber auch in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenzufügen. Das ist schwer, weil natürlich dieses Europa mit seinen 27 Ländern nach draußen und drinnen immer schwieriger händelbar geworden ist. Aber nochmals: wir brauchen nicht weniger, sondern wir brauchen mehr Europa.

    Liminski: Vor den Existenzwahlen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen – wo steht die FDP historisch? Das war eine Rückschau und Vorschau mit Klaus Kinkel, Ehrenvorsitzender der FDP. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kinkel.

    Kinkel: Ich danke auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.