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"Die FDP ist kein Freund des Betreuungsgelds"

Die FDP verlangt eine Gegenleistung, damit sie dem Betreuungsgeld zustimmt. Offensichtlich gebe es für Projekte der CDU/CSU immer wieder Spielräume für zusätzliches Geld, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger Zastrow. Das müsse auch für Themen wie die Abschaffung der Praxisgebühr und der Stromsteuer gelten, die der FDP wichtig seien.

Holger Zastrow im Gespräch mit Friedbert Meurer | 25.09.2012
    Friedbert Meurer: Eigentlich steht der Fahrplan fest: am 19. Oktober will Schwarz-Gelb mit seiner Mehrheit endlich das Betreuungsgeld im Bundestag verabschieden – also 100 beziehungsweise 150 Euro monatlich für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine staatliche Kita schicken. Unmittelbar danach beginnt der Parteitag der CSU und Horst Seehofer könnte sich als strahlender Sieger präsentieren. Dieser Plan könnte jetzt von der FDP durchkreuzt werden: Überraschend hat das Präsidium gestern beschlossen, dem zwischen CDU und CSU ausgehandelten Kompromiss beim Betreuungsgeld nicht zuzustimmen, und damit wird es eng für den Zeitplan und vielleicht auch für die Sache selbst.
    In Dresden begrüße ich Holger Zastrow, er ist der Landes- und Fraktionschef der FDP dort und er ist auch stellvertretender FDP-Bundesvorsitzender. Guten Morgen, Herr Zastrow.

    Holger Zastrow: Guten Morgen, Herr Meurer!

    Meurer: Wollen Sie das Betreuungsgeld platzen lassen?

    Zastrow: Na ja, das Betreuungsgeld – das weiß ja jeder – ist für die FDP schon eine schwierige Angelegenheit. Wir halten das für die falsche Maßnahme. Wir wollen ja eigentlich, dass in Deutschland die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert wird. Wir haben ab 1. August 2013 den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und überall in Deutschland ist momentan ein zähes Ringen darum. Wir müssen 160.000 neue Betreuungsplätze schaffen und das ist eigentlich die Priorität, um die es sich zu kümmern gilt, und deswegen ist das für uns schon eine hohe Hürde. Aber wir haben ja immer gesagt, das steht im Koalitionsvertrag, wir sind vertragstreu als FDP, aber das darf eben keine Einbahnstraße sein, sondern Vertragstreuheit gilt für die FDP genauso wie für CDU und CSU und deswegen gehören jetzt eben mehrere Dinge auf den Tisch, über die man sprechen muss.

    Meurer: Wieso, inwiefern soll die Union vertragsuntreu sein?

    Zastrow: Es gibt ja innerhalb dieser Koalition immer wieder neue Diskussionen und wir sehen jetzt, dass die Union sich zwischen CDU und CSU geeinigt hat auf ein Modell beim Betreuungsgeld, ein Modell, was den Bundeshaushalt mehr belastet, als es vorher vereinbart gewesen ist. Jetzt höre ich aber immer wieder, gerade von der Union, dass die Spielräume beispielsweise für eine steuerliche Entlastung der berufstätigen Mitte in Deutschland ganz gering sind und da gibt es keine Möglichkeiten. Deswegen verhaken wir uns immer wieder, wenn es um dieses sehr wesentliche Ziel der FDP geht. Aber offensichtlich gibt es, wenn es um die Projekte der CDU/CSU geht, dann doch immer wieder Spielräume. Da, denke ich, gehört es schon ganz klar dazu, dass wir uns gerade mit diesem Thema beschäftigen, wie wir unsere Berufstätigen doch ein Stückchen mehr entlasten können. Da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten.

    Meurer: Also es wird keine Einigung geben, wenn das Betreuungsgeld mehr kostet als geplant?

    Zastrow: Entscheidend ist, dass wir ein vernünftiges Modell finden. Wie gesagt: Die FDP ist kein Freund des Betreuungsgeldes. Es setzt aus unserer Sicht falsche Anreize. Wir wollen ja gerade für Frauen, gerade den Frauen die Erwerbstätigkeit erleichtern. Das Betreuungsgeld sorgt ja genau für das Gegenteil: Man schafft ja Anreize dafür, dass Frauen am Ende eben nicht mehr berufstätig sind. Ich glaube, das ist das falsche Zeichen. Aber trotzdem, es ist so: Wenn man in einer Beziehung ist, wenn man in einer Koalition ist, dann vereinbart man sich ganz am Anfang eben gegenseitig auf Projekte, und deswegen ist auch wichtig, dass wir vertragstreu sind. Aber das gilt für beide und es ist ganz klar: Wir sprechen jetzt über verschiedene Dinge, die auf dem Tisch liegen.

    Meurer: Da ja jetzt schon von Kompensationsgeschäften die Rede ist – das heißt, wenn das Ganze ein bisschen teurer wird durch diesen Aspekt mit der Riester-Rente, könnte das so von Ihnen gebilligt werden, wenn dafür etwas anderes kommt?

    Zastrow: Ja. Es gibt ein Modell, was auf dem Tisch liegt. Wie gesagt, für uns ist das ja neu. Wir saßen ja bei den Verhandlungen, die CDU und CSU untereinander geführt haben, nicht mit am Tisch. Zunächst einmal nehmen wir freudig zur Kenntnis, dass die Union den quasi innerfraktionären Streit nach einer ganz, ganz langen Zeit jetzt gelöst hat.

    Meurer: Freudig zur Kenntnis nehmen sieht anders aus, Herr Zastrow. Sie verderben denen die Freude im Moment.

    Zastrow: Na das ist gar keine Frage. Zunächst einmal ist ja wichtig, dass die Union mit sich selbst im Reinen ist. Das hatten wir ja bisher nicht, deswegen saßen wir dabei und haben da mal beobachtet, was man macht. Der Streit scheint jetzt beigelegt, ganz klar, aber die beiden müssen ja auch wissen, dass diese Koalition in Berlin aus drei Parteien besteht, die FDP gehört dazu und da gibt es offene Punkte, über die müssen wir jetzt sprechen, das ist ganz wichtig. Die Koalition hat nicht mehr viel Zeit, wir müssen die Weichen stellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das große Entlastungsprojekt, was diese Koalition auf den Weg gebracht hat, nämlich die Abmilderung der kalten Progression, von SPD, Linken und Grünen im Bundesrat blockiert wird. Was machen wir denn, wenn es am Ende eben nicht durchgesetzt wird? Dann brauchen wir ein anderes Entlastungszeichen und das kann beispielsweise eine Abschaffung der Praxisgebühr sein, das kann aber auch noch mal eine Diskussion über eine Absenkung des Solidaritätszuschlages sein, oder, was für uns ganz wichtig ist, eben eine Abschaffung der Stromsteuer.

    Meurer: Ist das nicht sachfremd, was Sie da vorschlagen und fordern?

    Zastrow: Ein Koalitionsvertrag ist nie sachfremd. Wir haben verschiedene Projekte, verschiedene Vereinbarungen getroffen, und es kann doch nicht sein, dass ein Koalitionspartner, nämlich die FDP, sich immer an die Abmachungen hält und ein anderer eben nicht. Deswegen ist es ganz wichtig, dass man das auch im Zusammenhang sieht, und das werden wir auch tun.

    Meurer: Gestern bei der Präsidiumssitzung bei der FDP, als Sie da reingegangen sind, war Ihnen da klar, was kommt?

    Zastrow: Was heißt klar? Unsere grundsätzlichen Bedenken zum Betreuungsgeld sind ja bekannt. Das ist ja eine Geschichte, die bei uns in der Partei durchaus umstritten ist. Wenn ich so in die Mitgliedschaft der FDP reinhöre, da gibt es ganz, ganz viel Widerstand, man hält das für ein falsches Signal. Wie gesagt, wir wollen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben, wir brauchen mehr Betreuungsplätze, und wer mal in die Kommunen schaut, was da für Kopfstände im Moment gemacht werden, überall, gerade übrigens in Westdeutschland, wo ja die Betreuungsquote noch viel geringer ist als im Osten hier, da versteht dann keiner, warum man dort eine neue soziale Wohltat beschließt, obwohl die Hausaufgaben, nämlich die Absicherung des Rechtsanspruchs bei der Kinderbetreuung, noch gar nicht gemacht sind. Deswegen tun wir uns damit schwer, aber wie gesagt, wir haben zum Beginn der Koalition das beschlossen, auch der FDP-Parteitag hat sich für das Betreuungsgeld ausgesprochen. Allerdings damals stand das Modell noch nicht fest, es kostet jetzt mehr, und wenn es Spielräume laut CDU/CSU im Haushalt gibt, womit man dieses mehr finanzieren kann, dann frage ich mich, wieso gibt es das dann nicht auch für andere Projekte, für Projekte wie zum Beispiel die Abschaffung der Praxisgebühr, steuerliche Entlastungen, die der FDP wichtig sind.

    Meurer: Wird, Herr Zastrow, der 19. Oktober als Tag der Verabschiedung des Betreuungsgeldes im Bundestag noch zu halten sein?

    Zastrow: Die Fraktionsführungen treffen sich ja heute wieder zu Gesprächen und ich habe viel Vertrauen in das Verhandlungsgeschick meiner Berliner Kollegen.

    Meurer: Sind Sie eigentlich auch sauer darüber, dass letzte Woche im Bundesrat so großkoalitionär geblinkt wurde von den CDU-Ministerpräsidenten, zum Beispiel aus Thüringen und aus dem Saarland?

    Zastrow: Also das ist mir an der Stelle wirklich egal. Die Bürgerinnen und Bürger konnten dort eben sehen, dass die CDU eine sehr große Volkspartei ist, wo es viele Strömungen gibt. Wer eben möchte, dass es in Deutschland die Einführung der Frauenquote nicht gibt, der muss sich für die FDP entscheiden, und das ist dort noch mal verdeutlicht worden. Es ist ein Argument mehr für uns als Liberale.

    Meurer: Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Holger Zastrow aus Sachsen heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk zum neuen Wirbel ums Betreuungsgeld. Herr Zastrow, danke und auf Wiederhören nach Dresden.

    Zastrow: Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.