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Die Fehler bei der Flugsicherung 'skyguide'

    Meurer: Die Antikollisionsgeräte sagen dem russischen Piloten: Steigen, steigen! Der Fluglotse sagt: Sinken! Eine verzweifelte Situation für den Piloten. Am Telefon begrüße ich Georg Fongern. Er ist der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. Herr Fongern, wie hätten Sie als Pilot entschieden?

    Fongern: Da gibt es nichts zu diskutieren. Wenn das Kommando "steigen" vom Warngerät kommt, muss ich sofort steigen und dem Kommando folgen.

    Meurer: Wer hat das festgelegt?

    Fongern: So ist das System ausgelegt. Nur so können die zwei Computer der Flugzeuge, die aufeinander zurasen, miteinander kommunizieren, und nur so funktioniert es. So wird es auch trainiert, und so ist die Anweisung im Flugbetriebshandbuch.

    Meurer: Haben Sie schon mal eine Situation als Flugkapitän erlebt, in der Sie von einem Gerät das eine empfohlen bekamen, vom Fluglotsen das andere, und sich dann für die technische Warnung entschieden haben?

    Fongern: Nein, es gibt da keinen Spielraum. Der Pilot muss sich immer für die Anweisung des Gerätes entscheiden. Da gibt es keine Diskussion. Ich selber habe schon eine sogenannte "resolution advisory" bekommen, dass das Gerät mir sagt: Jetzt sofort steigen. Das war über Griechenland, als zwei Kampfflugzeuge genau auf mich zuflogen. Und der Fluglotse ist natürlich nicht begeistert, wenn er plötzlich sieht, dass ein Flugzeug etwas anderes macht, als er erwartet. Aber es ist wie bei jeder Freigabe des Fluglotsen. Für den Piloten heißt es zuerst, überprüfen, ob ich denn diese Freigabe, diese Anweisung, die der Lotse mir gibt, überhaupt sicher ausführen kann, und dann führe ich sie einfach aus.

    Meurer: Wenn wir uns in die Situation des russischen Piloten versetzen, es war ja offenbar so - das sagen die Stimmenrekorder: Nur eine Sekunde nachdem das Gerät warnte und zum Steigen aufforderte hat sich der Fluglotse eingeschaltet. Ist das vielleicht der Grund gewesen, dass das sozusagen übereinander ging, dass der Pilot zum Sinkflug ansetzte?

    Fongern: Ich kann es mir sehr gut vorstellen, dass dann plötzlich große Verwirrung im Cockpit auftrat. Warum das der Fall war, muss geprüft werden. Ob da Defizite bei der Ausbildung, beim Training der Piloten vorlagen, ob sie vielleicht schon im Sinkflug waren, aber das scheint wohl nicht der Fall gewesen zu sein. Da muss man hinterfragen, wieso der Pilot sich eben regelwidrig verhalten hat.

    Meurer: Jetzt sagt die Schweizer Flugsicherung Skyguide, dass der Fluglotse in Zürich ja nicht hat mitbekommen können, dass die Antikollisionssysteme der beiden Flugzeuge sich gegenseitig informieren. Ist das ganz normal, dass man das als Fluglotse nicht mitbekommt?

    Fongern: Also nach einer Sekunde merkt er das natürlich nicht, denn das Radarbild des Lotsen wird ja, je nachdem was er für einen Typ Radaranlage hat, alle fünf bis zwölf Sekunden erneuert. Dann ist alles schon gelaufen, ehe er das neue Radarbild aufgebaut hat. Insofern ist das schon richtig. Das sieht der Lotse nicht. Er wird von den Anweisungen des Gerätes genauso überrascht wie die Piloten.

    Meurer: Gibt es irgendeine Möglichkeit, irgendein System, das es einem Fluglotsen ermöglicht, doch mitzubekommen, was oben die beiden Geräte miteinander kommunizieren?

    Fongern: Eigentlich nicht. Man muss ganz deutlich sagen: Ein Antikollisionsgerät darf eigentlich niemals ankommen im Leben eines Flugzeuges, weil sonst vorher schon Fehler gemacht worden sind. Aber der Pilot muss, wenn er diesem Gerät folgt, so schnell wie möglich dem Fluglotsen Bescheid sagen, dann weiß der Fluglotse sofort: Jetzt macht der Pilot etwas anderes als das, was ich ihm angewiesen habe. Ich bleibe aber ruhig, denn bei diesen Geräten geht es einfach um die Sicherheit. Da werden zwei Flugzeuge gerettet.

    Meurer: Es gibt ja noch eine andere Geschichte, die gestern bekannt geworden ist, dass nämlich die Flugsicherung in Karlsruhe sozusagen das Elend hat kommen sehen. Der Fluglotse dort hat versucht in Zürich anzurufen. Das ist ihm nicht gelungen. Was sagen Sie dazu?

    Fongern: Das ist aus meiner Sicht eine Riesenkatastrophe. Es kann nicht sein, dass eine Flugsicherungszentrale nur über eine Telefonleitung verfügt, die natürlich auch hin und wieder besetzt ist, und dann niemand mehr an sie herankommt. Dass sie sozusagen blind, stumm und taub sind.

    Meurer: Ihr vorläufiges Urteil über die Schweizer Flugsicherung?

    Fongern: Tja, also ich hätte so etwas von unseren bislang eigentlich immer sehr gut arbeitenden Schweizer Kollegen nicht erwartet. Jetzt muss man natürlich den Lotsen selber aus dem Schussfeld nehmen, der sicherlich auch eine Mitschuld trägt. Er hätte vielleicht sagen müssen: Moment mal, Leute, ich bin überlastet, hier muss etwas passieren, sonst kann ich nicht mehr für die Sicherheit garantieren. Aber von der organisatorischen Seite her, von der Personalführung, von der Führung dieses Unternehmens bin ich schwer enttäuscht, und da müssen sicherlich dringend Konsequenzen gezogen werden.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio