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Die Folgen des Feminismius

Ursprünglich hatte feministische Theorie den den Hochschulen den Anspruch, Gesellschaft selbst zu transformieren. Doch was ist nach dem Gang durch die Institutionen von dem Anspruch übrig geblieben? Die Politikwissenschaftlerin Sabine Hark hat es untersucht.

Von Hilal Sezgin | 12.06.2006
    Der Gang durch die Institutionen, den die Generation der 68er anstrebte, sollte Politik und Universitäten von innen heraus radikal verändern. Allerdings geht solch ein Gang auch an den Individuen nicht spurlos vorbei - wie an Politikern in Zeiten von Rot-Grün bereits zu beobachten war. Die Universitäten werden in dieser Hinsicht im Allgemeinen weniger kritisch betrachtet. Je mehr Frauen mit Doktortitel, desto besser, jede Professorin ein Schritt in Richtung frauenfreundlichere Gesellschaft.

    Die Kosten aber, die der Eintritt in die heiligen Hallen des Wissens für den Feminismus bedeuten, untersucht nun die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Hark in ihrem Buch "Dissidente Partizipation". Von Selbsterfahrungsgruppen angestoßen, hatte feministische Theorie ursprünglich den Anspruch, gesellschaftliches Wissen, und damit Gesellschaft selbst zu transformieren. Heute, 30 Jahre nach der ersten selbstorganisierten Berliner Sommeruniversität, scheint die Frauenforschung an jeder deutschen Hochschule fest etabliert. Und wer hat nun wen verändert?

    Zunächst einmal rückt Hark einige Zahlen zurecht. Während über die Hälfte der Studierenden weiblich sind, gilt dies für nur gut ein Zehntel der Professorenschaft. Nur 0,3 Prozent aller Lehrstühle wiederum sind der Frauen- und Geschlechterforschung gewidmet. Immerhin, man kann es als Erfolg sehen, dass überhaupt Frauenfragen Eingang gefunden haben in die regulären Lehrpläne. Dass Frauen nicht nur in der Praxis als Pädagoginnen, Therapeutinnen oder Sozialarbeiterinnen ihr Bestes für die Gleichstellung der Geschlechter geben dürfen, sondern dass sie Frauenfragen auch theoretisch bearbeiten.

    Andererseits: Den Rest der Unis wirft das nicht unbedingt aus dem gewohnten Trott. Oft, hat Hark herausgefunden, "bestellen männliche Wissenschaftler das Allgemeine der jeweiligen Disziplin, während Frauen- und Geschlechterforscherinnen den 'Sonderfall' Geschlecht bearbeiten". Das würde keine Anerkennung bedeuten, sondern Duldung: Man(n) hat sich mit dem Unvermeidlichen arrangiert. Wenn feministische Theorie nur in einer Nische zwischen den traditionellen Wissenschaften existiert, ist eine stumpfe Waffe daraus geworden. So war das mit der Transformation nicht gemeint.

    Um die Regeln des Spiels verändern zu können, muss man es immer auch mitspielen: Um eine These aufstellen zu dürfen, die am herkömmlichen Kanon kratzt, muss die Studentin diesen erst beherrschen. Innerhalb der klassischen Bereiche muss sie sich so weit behaupten, dass man ihr zutraut, gelegentlich auch abseits ausgetretener Wege zu forschen. Und wer als Wissenschaftlerin Anerkennung finden will, muss den akademischen Habitus lernen: die Sprache ihres Fachs, die für Außenstehende unverständlich ist; das Auftreten, das Andere durchaus einschüchtern kann. Das sind die unangenehmen Nebenwirkungen dieses Gangs durch die Institutionen. Denn ursprünglich sollte Feminismus nicht ausschließen, sollten seine Begriffe allen verständlich sein, sollte keiner und keine das Gefühl bekommen, wie Klein-Ida daneben zu stehen.

    Sabine Hark versucht gar nicht erst, ein komplexes Wechselspiel vereinfachend zu beurteilen: Daumen rauf, Daumen runter. Sie zeigt, wie sich die Geschichte des akademischen Feminismus als Erfolgsgeschichte lesen lässt. Dann dreht sie die Münze in ihrer Hand und betrachtet die umgekehrte, die weniger leuchtende Seite. Immer wieder hebt sie an, um die Art und Weise, wie sich eine Theorie gegen eine andere durchzusetzen versucht, aus verschiedenen Blickwinkeln zu begreifen. Welches Wissen sich schließlich durchsetzt, zeigt sie, ist ein Ergebnis sozialen Handelns. Das bessere Argument zu haben, ist innerhalb der Wissenschaften eine notwendige Bedingung. Allein ausreichend ist es für die Überzeugungsarbeit nicht.

    Natürlich ist auch Harks eigenes Werk von den geschilderten Problemen nicht ganz unberührt (und sie wäre wohl die letzte, das zu bestreiten): Gemütlich lesbar ist dieses Buch nicht unbedingt, auch wenn die Autorin sich immer wieder bemüht, die dargestellten Probleme zu erden. Aber sie hat es nun einmal mit wissenschaftlichem Material zu tun, das die Universität erfolgreich passiert hat. Und sie schreibt selbst: "Was in die Mühlen der akademischen Institutionen hineingeht, ist mit Sicherheit nicht das, was herauskommt."

    Der feministische Gang durch die Institutionen bringt außerdem ein gewisses Vergessen mit sich. Und zwar werden frühere Formen des Wissens vergessen. Was noch vor wenigen Jahren gedacht wurde, wird oft als veraltet betrachtet, man will sich davon distanzieren - dabei liegen Alte und Junge oft gar nicht so weit auseinander.

    Insbesondere der Wechsel von der Frauen- zur Genderforschung wurde genutzt, einer früheren Generation gedankliche Fehlschlüsse nachzuweisen. In den 90er setzte es sich durch, Gender, das soziale Geschlecht, als Untersuchungsgegenstand in den Mittelpunkt zu stellen. Alles Geschlechtliche sei sozial konstruiert. Dabei dürfe man nicht nur über Frauen, man müsse auch über Männer reden. Und die jungen Theoretikerinnen behaupteten, diese Beobachtung sei ihre Erfindung, ihre Vorgängerinnen hätten all das noch nicht gesehen - was nicht stimmt, Hark kann es an breitem Material beweisen. Das Ganze hat eher einen strategischen Hintergrund: Das Naserümpfen der Genderforscherinnen rührte auch daher, dass mit diesem Begriff ein etwas harmloseres Forschungsobjekt gefunden werden konnte. Genderforschung klingt allemal weniger offensiv als Feminismus. Irgendwie verträglicher, moderner.

    Hier verhält es sich wohl nicht anders als mit dem Feminismus in der restlichen, außeruniversitären Gesellschaft: "Feministin bin ich aber nicht!", ruft manche junge Frau, wenn man sie nach ihrer Weltanschauung befragt. Allerdings findet sie, dass Frauen und Männer sich die Hausarbeit und die Kindererziehung teilen sollten, sie ist Programmiererin und sitzt im Auto häufiger am Steuer als ihr Mann. Auch das lässt sich als Erfolgsgeschichte lesen. Und ein Tränchen fließt mancher gestandenen Frauenrechtlerin dabei doch.