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"Die Frage des Zölibats ist völlig unabhängig von der Frage des Missbrauchs"

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Glück, hat wegen der Fälle von sexuellem Missbrauch weitreichende Konsequenzen gefordert. Wer sich an Kindern vergangen habe, dürfe generell nicht mehr als Priester tätig sein, sagte Glück. Er plädierte zudem dafür, dass die katholischen Kirche die Inhalte der Ausbildungsgänge überarbeite.

Alois Glück im Gespräch mit Bettina Klein | 13.03.2010
    Bettina Klein: Muss das Zölibat überdacht werden in der katholischen Kirche als eine Reaktion auf die in vielen Institutionen in der Vergangenheit zu beklagenden Missbrauchsfälle? Papst Benedikt XVI. hat gestern bei einer Unterredung mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz noch einmal betont: Nein, die katholische Kirche sollte und werde daran festhalten. Anders äußert sich Alois Glück, der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, der heute Morgen bereits zitiert wird mit dem Vorschlag, eine Lockerung zu überdenken. Und was er sich da genau vorstellt, darüber möchte ich jetzt mit ihm sprechen, ich begrüße ihn am Telefon. Guten Morgen, Herr Glück!

    Alois Glück: Guten Morgen!

    Klein: Sie sprechen davon, das Zölibat sollte doch überdacht werden in der katholischen Kirche. Was meinen Sie damit?

    Glück: Zunächst ist für mich die Frage des Pflichtzölibats völlig unabhängig von dem Thema Missbrauch. Es wäre falsch, da einen unmittelbaren Zusammenhang herzustellen und das habe ich nie getan. Grundsätzlich ist das Thema sicher auf der Tagesordnung, wie auch die Stellungnahme der Schweizer Bischofskonferenz zeigt und viele andere Stellungnahmen. Ich hatte vor einigen Monaten zu überlegen gegeben, ob man als einen Schritt bewährten, verheirateten Diakonen den Weg öffnet zum Priesteramt. Aber wie gesagt, im Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch ist das für mich kein vorrangiges Thema.

    Klein: Dennoch haben Sie das sozusagen der "Süddeutschen Zeitung" heute Morgen wohl gesagt und es scheint ja so, dass Sie das auf alle Fälle mit in die öffentliche Debatte eingeben wollen, die Überlegung.

    Glück: Es war entsprechend die Frage vonseiten des Interviewers und da bezog ich mich auf meine frühere Äußerung, aber in dem Interview habe ich ja ausdrücklich festgestellt, dass es im Zusammenhang mit dem Thema Missbrauch nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist. Die Thematik ist viel komplexer.

    Klein: Nun sprechen sich ja auch Sexualmediziner dafür aus, dass die katholische Kirche - und das sagt inzwischen auch der Missbrauchsbeauftrage der katholischen Kirche -, dass die Geistlichen, die Priester auch in der Ausbildung sich stärker mit dem Thema auseinandersetzen sollten, dass das in jedem Falle auf der Tagesordnung stehen müsse. Stimmen Sie da zu?

    Glück: Ja, insgesamt muss man sicher vieles überdenken, auch natürlich die Inhalte der Ausbildung, die Wege der Ausbildung. Das ist insgesamt etwas, was als nächster Schritt dann beraten werden muss. Zunächst geht es darum, und es braucht jetzt eine zeitliche Reihenfolge, gründlich aufzuklären, gegebenenfalls auch die Leitlinien zu überarbeiten, dort, wo es eventuell noch Unklarheiten gibt, auch etwas, was die Regeln der Zusammenarbeit mit dem Staat betrifft, den Opfern zu helfen, das Allerwichtigste ist, und ich glaube, das ist die große Veränderung im jetzigen Prozess, dass die Opfer im Mittelpunkt stehen. Manches ist wahrscheinlich verdrängt worden oder wollte man nicht wahrhaben, weil der Schutz der Kirche bei einzelnen oder bei vielen im Vordergrund stand. Das sind die Dinge, die jetzt vorrangig sind. Und dann muss man sich sicher intensiver auseinandersetzen mit den tieferen Ursachen solcher Entwicklungen. Das ist einmal natürlich ein Teil einer gesamtgesellschaftlichen Problematik, aber darüber hinaus muss man sich auch damit auseinandersetzen, ob es spezifische Ursachen und Gründe gibt innerhalb der katholischen Kirche, und das bitte auf einer sorgfältigen Beratung, und dazu gehören dann all die Fragen auch der Ausbildungsgänge und deren Inhalte.

    Klein: Wenn Sie davon sprechen, eine sorgfältige Aufklärung sei im Augenblick vorrangig - wird alles getan, um das zu gewährleisten?

    Glück: Ja, ich habe schon nicht nur den Eindruck, sondern ich denke, bei objektiver Betrachtungsweise muss man doch unterscheiden zwischen dem, was an Fehlern in der Vergangenheit war in der Reaktion, und dem, was jetzt für Konsequenzen gezogen werden. Und die sind, denke ich, wirklich sehr konsequent bis radikal, und deswegen habe ich auch Vertrauen, dass dies eine gute Entwicklung nimmt.

    Klein: Von welchen Konsequenzen, die radikal sind, sprechen Sie?

    Glück: Ja, beispielsweise, dass jetzt, wer sich so vergangen hat, generell nicht mehr als Priester sein darf. Früher wurde er nur in Aufgabenbereiche versetzt, wo er nicht mehr mit Jugendlichen zu tun hatte, wenn es gut gehandhabt wurde, also, dann nicht mehr in der Pfarrseelsorge war. Und das sind natürlich jetzt schon weitreichende Konsequenzen. Man muss natürlich im Zusammenhang auch sehen, dass es bis vor einigen Jahren auch nicht nur im kirchlichen Bereich eine Therapiegläubigkeit gab, und man erst in den letzten Jahren zu der Erkenntnis gekommen ist: Wer hier einmal straffällig geworden ist, wer, oder andersherum, wer diese Veranlagung hat, der ist auch über Therapie davon nicht wegzubringen. Das ist wieder eine ganz wichtige Erkenntnis für künftige Verfahrensweisen.

    Klein: Lassen Sie mich da noch mal kurz nachfragen, auch bezüglich eines Berichtes über einen weiteren Fall, der bekannt geworden ist in den 80er-Jahren und der sich abgespielt hat im Bistum München, als der heutige Papst Benedikt dort noch Bischof war, und es ging darum, dass er wohl mitgetragen habe die Versetzung eines schon mal auffällig gewordenen Geistlichen in sein Bistum. Er hat wohl nicht das mitgetragen, dass er in die Gemeindearbeit wieder geht, aber insgesamt der Versetzung zugestimmt, dass er weiter arbeiten darf. Ist dazu aus Ihrer Sicht jetzt alles gesagt, nachdem Rom Stellung genommen hat und gesagt hat, Papst Benedikt träfen in diesem Zusammenhang keinerlei Vorwürfe?

    Glück: In der "Süddeutschen Zeitung" lese ich heute, dass in der Sitzung des Ordinariatsrat beschlossen wurde, diesen Priester aus Essen die Therapie in München zu ermöglichen. Und es ist ebenso zu lesen und auch der frühere Generalsekretär sagt das selbst, dass er dann entschieden hat, dass er auch in der Seelsorge eingesetzt wird. Das ist nachvollziehbar, das ist plausibel und deshalb habe ich keinen Anlass, anzunehmen, dass der damalige Erzbischof in irgendeiner Weise damit noch zu tun hätte.

    Klein: Und da besteht auch für Sie kein weiterer Aufklärungsbedarf?

    Glück: Ich persönlich sehe da keinen weiteren Aufklärungsbedarf.

    Klein: Eine Kultur des aufmerksamen Hinschauens pflegen, das versprach Erzbischof Zollitsch gestern bei seiner Pressekonferenz nach dem Besuch im Vatikan. Wie müssen wir uns das genau vorstellen in der katholischen Kirche? Was wird sich ändern im Vergleich zu früher?

    Glück: Ja, dass jetzt eben auch mit einer anderen Wachsamkeit entsprechenden Anzeichen nachgegangen wird, wo früher vielleicht eher ein Nicht-Wahrhaben die Einstellung gewesen ist oder vielleicht auch die Solidarität untereinander - da ist jetzt sicher ganz eine neue Wachsamkeit da nach dieser Schockerfahrung, die wir ja alle miteinander in unserer Kirche damit haben -, und dass dann natürlich geordnete Wege beschrieben sind, dass klar ist, was dann zu tun ist, wer die Anlaufstelle ist, mit wem die Dinge auch zu klären sind, die Beteiligung des Staates, wenn das nicht nur irgendein vages Gerücht ist und so weiter, dass es dafür dann auch jetzt präzisere Regeln gibt und sicher ein geschärftes Bewusstsein.

    Klein: Sie sprachen es ja an, Herr Glück, dass die Regelungen in Zusammenarbeit mit dem Staat sich auch verändern sollten und würden. Bischof Zollitsch hat noch mal darauf hingewiesen, das kirchliche, innerkirchliche, Recht, das innerkirchliche Verfahren habe keinen Vorrang vor den staatlichen Ermittlungen, aber, frage ich jetzt noch mal, es bleibt zunächst dabei: Zunächst klären wir das intern, und diese Fälle unterliegen zunächst auch noch der Geheimhaltung, so wir Verdachtsmomente haben. Oder ist das jetzt abgeschafft?

    Glück: Nein. In dem Moment, wo es einen begründeten Verdacht gibt, ist natürlich der Staatsanwalt einzuschalten, sind die staatsanwaltschaftlichen Stellen einzuschalten. Ich denke, wir sollten hier miteinander, mit dem Staat präzise klären, was die Modalitäten sind, jetzt lebenspraktisch gesehen. Wenn meinetwegen in einer Firma oder wo auch immer entsprechende Gerüchte auftauchen, wird zunächst einmal der Personalverantwortliche, an den das herangetragen wird oder der davon hört, dann wird der ja vermutlich nicht als erstes die Polizei anrufen, sondern zunächst einmal von sich aus der Sache nachgehen, sei es in einer Gegenüberstellung oder wie auch immer. Wenn es aber begründete Verdachtsmomente gibt und die bleiben, dann ist der Staat und sind die staatlichen Stellen einzuschalten. Da gibt es und hat es möglicherweise Unklarheiten gegeben und das ist auch ein Punkt, wo viele sagen, da müssen die Leitlinien der Bischofskonferenz noch präziser gefasst werden. Das sind eben Dinge, die
    man jetzt sauber klären muss und aus meiner Sicht, bei aller jeweiligen Verantwortlichkeit, autonomen Verantwortlichkeit des Diözesanbischofs, sich die Bischofskonferenz und die katholische Kirche in Deutschland auf ein, wie gesagt, einheitliches Verfahren verständigen muss, das alle gleich handhaben, weil es sonst erneut Belastungen geben würde.

    Klein: Alois Glück, der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Glück!

    Glück: Bitte sehr! Wiederhören.