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Die Frau mit der Spinne

In der "Fondation Beyeler" zeigt der Kurator Ulf Küster Skulpturen aller Werkphasen der im letzten Jahr gestorbenen Künstlerin Louise Bourgeois. Der liebende Blick des Kurators hat ihn dabei zu einer Aufwertung verführt, die von der Ausstellung nicht beglaubigt wird.

Von Christian Gampert |
    Da steht sie nun, im lauschigen Garten der "Fondation Beyeler", "Maman", die zehn Meter hohe Riesenspinne. Aus der Entfernung sieht sie nicht sehr freundlich aus. Aber wenn man zwischen ihren dürren stählernen Beinchen wandelt und hoch blickt zu jenem Behältnis, in dem dieses wachsame Mütterchen die Eier verwahrt, dann ist sie ein ganz possierliches Tier, zwar mit großer zugreifender Geste, aber nicht wirklich bedrohlich ...

    In der öffentlichen Wahrnehmung ist Louise Bourgeois identisch mit ihren Spinnenskulpturen, und sie gehört zu jenen Künstlerinnen, die bei den einen ungeteilte Begeisterung, bei anderen nur Stirnrunzeln auslösen: wer so sehr sein psychisches Problem, seine Angst, seinen Schmerz, seine Rachefantasien zum Thema macht, wer so sehr zuerst Nebendarsteller des maskulinen Kunstbetriebs ist, um danach von Frauenbonus und Opferstatus umso stärker hochgespült zu werden, der begibt sich, frei- oder unfreiwillig, in große Gefahr.

    Einhundert Jahre wäre die im letzten Jahr Gestorbene nun geworden, und in der "Fondation Beyeler" versucht der Kurator Ulf Küster, nicht den "Fall" Louise Bourgeois zu zeigen, sondern die Künstlerin pur. Der böse, herrische Vater, der die Mutter (und die Tochter) im eigenen Haus mit dem Kindermädchen betrügt; die Mutter, die argwöhnisch wacht; das kleine Mädchen, das als Frau dann selber zum Muttertier wird – das alles ist hier Nebensache. Wichtig soll allein Bourgeois' Bezug zu den Kunstbewegungen ihrer Zeit sein – und das heißt: Skulpturen aller Werkphasen werden konfrontiert mit hochkarätigen Arbeiten aus der Sammlung Beyeler.

    "Sie hat eine klassische künstlerische Ausbildung erhalten, hat bei Léger studiert. Sie beschreibt sehr genau, wie Léger sie unterrichtet hat, wie Léger sie zur Skulptur geführt hat. Und ich wollte einfach mal zeigen, hier eine Skulptur von ihr, hier diese Personnages, diese Stelenfiguren von ihr, im Kontext von Léger. Und ich wollte sie mal zeigen – zum Beispiel - im Kontext eines abstrakten expressionistischen, sehr radikalen Werks von Barnett Newman."

    Um es gleich zu sagen: Die Plastikerin Louise Bourgeois hält diesen Vergleich auf der langen Ausstellungs-Strecke nicht aus. Weder können ihre schaschlik-artig gereihten roten Wirbelsäulen-Elemente (von 1953) mit Fernand Légers mechanisiertem Bewegungs-Kubismus mithalten, dem sie hier beigegeben werden, noch sind ihre rot und schwarz bemalten Holzlatten, die unter dem Titel "The Blind leading the Blind" wie Krokodilszähne arrangiert werden, eine Fortschreibung von Barnett Newman ins Dreidimensionale. Sie kannte halt Gott und die Welt. Aber, bitte: Wer sich mal mit Andy Warhol fotografieren lässt, dessen Werke muss man nicht nachträglich in die Pop-Ecke rücken – nur weil auch bei Bourgeois persönliche Alltagsgegenstände wie Kleiderstoffe und Mützen vorkommen.

    Der Kurator Ulf Küster hat die gewiss beeindruckende Greisin Louise Bourgeois noch gekannt, er hat die Orte ihrer Kindheit aufgesucht und sie in New York interviewt. Sein liebender Blick aber hat ihn zu einer Aufwertung des Werks verführt, die von der Ausstellung nicht beglaubigt wird. Wirklich beeindruckend sind vor allem die Hardcore-Arbeiten, also der zweigeschlechtliche Torso des "Janus fleuri", der sehr schön mit gewalttätigen Picasso-Portraits zusammengestellt wird; dann eine der berühmten "Cells", jener Zellen, die wirklich Platzangst machen; und vielleicht auch, in der Nachbarschaft von Francis Bacon zu sehen, die schenkelartige Menschenkeule aus "In Respite", von der Garnrollen wie Kabel zu Lampenschirmen führen.

    Die formalen Fähigkeiten der Louise Bourgeois scheinen jedoch begrenzt, vor allem zeichnerisch. Die "Insomnia Drawings" sind
    Selbstbeschäftigungs-Gekritzel einer Schlaflosen und eher medizinisch interessant.

    Im großen Format wirkt das dann gleich viel imposanter: der späte Radier-Zyklus "A l'infini" rekapituliert noch einmal die Lebens-Fäden der Louise Bourgeois, das ewig enttäuschende biologische Spiel von Trennung und Begehren, von Angst und Abhängigkeit und Beherrschen.
    Die Ausstellung setzt dann aber mit der käfigartigen Groß-Installation "Passage Dangereux" einen fulminanten Schlusspunkt: Hier ist die Kindheits-Situation der Künstlerin bedrückend präsent, der kopulierende Vater, die gehbehinderte Schwester, das hilflose Kind – alles wird mit Requisiten nur angedeutet. Und in der Ecke hockt wieder, ganz klein, die Mutter-Spinne.