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Die Fronten der Tarifpartner im Bündnis für Arbeit

Müller: Von ‚entscheidenden Runden' ist oftmals die Rede, doch heute abend soll es auf jeden Fall so sein - ist zu hören. Das ‚Bündnis für Arbeit' steht auf der Tagesordnung, zum dritten Mal nach Dezember und Februar. Der Kanzler will den Erfolg, will den Durchbruch bei Maßnahmen im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Das wollen auch Gewerkschaften und Arbeitgeber, doch die Fronten in der Wirtschafts-, Steuer-, Renten- und Tarifpolitik haben sich in den letzten Wochen nicht gerade geglättet. Das neue Sparpaket der Bundesregierung ist ebenfalls heftig umstritten. Am Telefon begrüße ich nun Roland Issen, Vorsitzender der DAG. Guten Morgen.

    Issen: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Issen, alle Beteiligten wollen den Durchbruch. Sind Sie zuversichtlich?

    Issen: Ich sehe eine Chance, heute abend einen Schritt voranzukommen, es ist wahrscheinlich aber auch die letzte Möglichkeit, wenn das Bündnis sich nicht selbst in Frage stellen will.

    Müller: Was ist für Sie unabdingbar?

    Issen: Wir sind ja angetreten, die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt herbeizuführen durch eine gemeinsame abgestimmte Strategie zwischen Regierung, Wirtschaft und Gewerkschaften. Wir haben eine große Zahl von Arbeitsgruppen eingesetzt, die einzelne Schritte in Richtung dieses Zieles vorbereiten sollten. Ich sehe eine Chance, daß wir heute abend zu Verbesserungen kommen können bei der Altersteilzeitregelung, daß die Unternehmen noch einmal eine deutliche Zusage machen, daß sie ein hinreichendes Angebot an Ausbildungsplätzen für den Ausbildungsjahrgang 1999 zur Verfügung stellen werden, und wir werden sehen, ob wir den Dialog über eine Tarifrente führen, also eine Möglichkeit, vor dem normalen Erreichen der Altersgrenze aus dem Arbeitsleben auszuscheiden, um dadurch Arbeitsplätze freizumachen für jüngere Arbeitslose.

    Müller: Sie haben, Herr Issen, aufgezählt, was für Sie als Gewerkschafter wichtig ist. Welche Kompromisse machen Sie gegenüber den Unternehmern aber?

    Issen: Ich denke, wir werden unsere Angebote erneuern, auch die Tarifpolitik in den Dienst der beschäftigungspolitischen Erfordernisse zu stellen, das heißt, moderate Tarifabschlüsse zu vereinbaren, wenn wir ein Stück Sicherheit bekommen, daß die damit verbundene Verbesserung der Ertragssituation der Unternehmen auch tatsächlich für Investitionen im Inland verwand werden. Was keinen Sinn machen würde, was wir auch nicht durchhalten könnten, wäre, die Ertragsbedingungen für die Wirtschaft zu verbessern, um dann anschließend zu erleben, daß das Geld überwiegend oder ausschließlich im Ausland investiert wird.

    Müller: Sie sagen jetzt, Herr Issen, ‚moderate Lohnerhöhungen, das ist mit uns zu machen'. Heißt das, die letzte Lohnrunde war nicht moderat?

    Issen: Wir müssen das sicherlich differenzieren. Wir haben in einer ganzen Reihe von Tarifbereichen Abschlüsse, die sich so zwischen 2 ½ und 3 Prozent bewegen. Das ist angesichts eines Wirtschaftswachstums, was um die 2 bis 2 ½ Prozent erwartet werden kann, sicherlich vertretbar, denn wir dürfen das ja nicht nur mit Blick auf dieses Jahr sehen. Wir haben in den zurückliegenden drei vergangenen Jahren eine Einkommensentwicklung gehabt, die eindeutig zugunsten derjenigen verlaufen ist, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen.

    Müller: Aber dennoch haben die Arbeitgeber sich beklagt und haben gesagt beispielsweise: Viele Abschlüsse, die über drei Prozent gelaufen sind, das trägt nicht gerade zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bei, weil die Lohnkosten steigen.

    Issen: Also, wenn wir uns die Laufzeiten der Tarifverträge ansehen, dann sind nominale Abschlüsse von etwas über drei Prozent unter Berücksichtigung der Laufzeiten häufig reale Abschlüsse gewesen, die unter drei Prozent gelegen haben.

    Müller: Altersteilzeit war ein Stichwort, was Sie auch genannt haben. Da wird in diesem Zusammenhang immer gesprochen von der Rente mit 60. Da sagen die Arbeitgeber klipp und klar "nein".

    Issen: Wir stehen ja vor der Frage, ob wir auf Dauer Arbeitslosigkeit finanzieren wollen, oder ob wir die Chancen einer Verbesserung der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nutzen auch dadurch, daß wir Arbeitslose in den Arbeitsprozeß integrieren und Menschen, die kurz vor der Erreichung ihrer Altersgrenze stehen, etwas früher in den Ruhestand entlassen . . .

    Müller: . . . das kostet Geld, Herr Issen . . .

    Issen: . . . das kostet Geld, und ich denke, das muß am Ende auch finanziert werden - gemeinsam, wie wir fordern, von Unternehmen und Arbeitnehmern. Wir sind uns durchaus darüber im klaren, daß das den Lohnerhöhungs- und Gehaltserhöhungsspielraum einengen würde.

    Müller: Aber dennoch sagen Sie, der Vorschlag von Arbeitsminister Riester, dies unter anderem durch eine kapitalgedeckte Rentenversicherung zum Teil aufzustocken durch einen Tariffonds: Da machen Sie mit.

    Issen: Der Vorschlag von Riester ist ja insofern etwas problematisch für uns, als er in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sparpaket der Bundesregierung eingebracht worden war, nämlich faktisch als ein Ausgleich der Absenkung des Rentenniveaus durch die teilweise Aussetzung der Rentendynamisierung in den Jahren 2000 und 2001. Dafür wollen wir ihn nicht, denn das ist faktisch eine Verabschiedung der gemeinsamen Finanzierung der gesetzlichen Alterssicherung, die dann kompensiert werden soll durch die Absenkung des Rentenniveaus über einen Zwangsbeitrag, der einzig und allein von den Arbeitnehmern finanziert werden soll. Wir haben einen anderen Ansatz: Wir wollen die Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern, wir wollen die Rentenversicherung nach Möglichkeit nicht zusätzlich belasten, aber wir wollen die dafür entstehenden Kosten gemeinsam von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanzieren lassen.

    Müller: Sind Sie denn bereit, über die Forderungen der Arbeitgeber zu reden, Lohnleitlinien auf den Weg zu bringen?

    Issen: Wir haben uns in der letzten ‚Bündnis-für-Arbeit' - Runde im Februar dieses Jahres ja darauf verständigt, auf der Grundlage eines sogenannten volkswirtschaftlichen Datenkranzes über Einkommensentwicklung zu reden, wobei wir Einkommensentwicklungen nicht nur konzentrieren auf die Löhne und Gehälter, sondern dazu gehört auch die Einbeziehung der Steuer- und Abgabenbelastung, dazu gehört auch die Verwendung von Gewinn - sprich Investitionen - und dazu gehört auch die Preisbildungspolitik der Unternehmen. Wenn wir eine solche Gesamtbetrachtung vornehmen und daraus dann Schlußfolgerungen ziehen, dann wird man die Löhne und Gehälter da nicht aussparen können. Was allerdings nicht geschehen kann und darf, ist, daß die Kanzlerrunde sich praktisch anmaßen würde, an Stelle der Tarifvertragsparteien nun Tarifverträge vorzubestimmen.

    Müller: Roland Issen war das, Vorsitzender der Deutschen Angestellten Gewerkschaft. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören. Mitgehört auf der anderen Leitung hat Rüdiger von Voss, Bundesgeschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrates. Guten Morgen.

    von Voss: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Voss, Herr Issen hat eine moderatere Lohnpolitik in Aussicht gestellt. Das ist doch ein sinnvoller Weg?

    von Voss: Nun, Herr Issen ist für seine vernünftige Einstellung bekannt. Ich kann nur feststellen, daß die IG Metall bisher nicht bereit ist, dieses Thema in das Bündnis für Arbeit aufzunehmen. Insoweit bewegen wir uns nach wie vor in die falsche Richtung.

    Müller: Also falls der DGB und die IG Metall bereit wäre, dazu würde dann im Gegensatz auch eine Verpflichtung der Unternehmen bestehen, Arbeitsplatzzu-sagen, -garantien auszusprechen?

    von Voss: Ganz sicherlich wird es nicht gelingen, Arbeitsplatzzusagen - fixe Arbeitsplatzzusagen - zu geben. Das kann kein Verband leisten. Insoweit kommt es nach wie vor darauf an, daß die Unternehmen ermuntert werden, Arbeitsplätze einzurichten. Und dies hängt maßgeblich von dem Ziel einer durchgreifenden Unternehmenssteuerreform ab. Und wir werden um die Einrichtung eines Niedriglohnsektors nicht herum kommen. Das zeigt auch die internationale Entwicklung, das zeigen Holland, das zeigt Amerika. Amerika hat allein im letzen Monat um 250.000 Arbeitsplätze zugelegt. Wie lange wollen wir eigentlich noch warten, den Beschäftigten zu helfen, die keine Arbeit haben?

    Müller: Wie groß ist denn der Spielraum im Arbeitgeberlager aus Ihrer Sicht?

    von Voss: Das Arbeitgeberlager hat ja ganz klar gesagt, was es erwartet. Das Arbeitgeberlager sagt nach wie vor: Wir wollen erreichen, daß die ursprüngliche Kanzlerzusage eingehalten wird, den ersten Schritt der Unternehmenssteuerrefom zum 1.1.2000 zu realisieren. Und dann wird es darauf ankommen, auch Fehler zu beseitigen, die geschehen sind. Das sind die 630-Mark-Verhältnisse - eine reine Katastrophe, die Scheinselbständigkeit - eine reine Katastrophe. Und es war eben ein Fehler, die Reformen der letzten Regierung wieder zurückzunehmen. Das rächt sich jetzt.

    Müller: Machen Sie sich, Herr von Voss, bei der Forderung der Unternehmens-steuerreform zum Januar 2000 auch Gedanken über die Finanzierung?

    von Voss: Wo ein Wille, ist auch ein Weg. Die Gegenfinanzierung aus Wachstum ist überall sichtbar. Wir Deutschen sind viel zu kleinmütig und wankelmütig. Anstatt ein Signal zu setzen, daß Deutschland ein interessanter Investitionsplatz ist - und so lange wir dieses Signal an die internationale Kapitalwelt nicht geben, werden keine neuen Arbeitsplätze in Deutschland in Gang kommen, zumal unsere Wachstumsraten hinterherhinken.

    Müller: Nun hat es bei der Einkommenssteuer ja schon Entlastungen gegeben. Reicht das nicht aus?

    von Voss: Alleine die Pläne von Oskar Lafontaine belasten die Wirtschaft zwischen 5 und 10 Milliarden Mark, und es betrifft insbesondere den Mittelstand. Von einer Entlastung bisher kann überhaupt keine Rede sein. Wir bewegen uns - ich wiederhole es - nach wie vor in die falsche Richtung. Es wird von Umverteilung gesprochen und weiteren Kostensteigerungen, insbesondere zu Lasten der Unternehmenserträge. Und das halte ich für einen falschen Weg. Deswegen bin ich keineswegs optimistisch, was den heutigen Tag anbelangt.

    Müller: Also nur auf Wachstum zu setzen - aus Ihrer Sicht -, besteht da nicht für die Finanzierung die Gefahr, einfach ins blaue hinein Politik zu machen?

    von Voss: Aber nein. Es ist doch ganz klar gewesen schon in den achtziger Jahren. Als erste durchgreifende Unternehmenssteuerreform von Stoltenberg und dem Kanzler Kohl auf den Weg gebracht wurde, haben wir Wachstumsraten gehabt, die uns in den Stand setzten, die schweren Lasten der Wiedervereinigung aufzusatteln. Insoweit haben wir ein Modell. Und im übrigen: Nicht ohne Grund bewegt sich Herr Eichel in den Ländern um uns herum, um zu sehen, wie die es gemacht haben. Und genau dort ist dies geschehen, was ich sage.

    Müller: Also die höheren Einnahmen haben aber nicht dazu geführt, daß Steuern gesenkt und Lohnnebenkosten reduziert werden konnten.

    von Voss: Hören Sie zu: Die Entlastung der Unternehmenserträge, moderate Lohnsteigerungen, eine Zurückhaltung bei den Sozialausgaben - also Strukturrefor-men sind er Modellweg, der in England beschritten wird, in Holland beschritten wird, in den Nordstaaten beschritten wird, und - so schwer das auch übertragbar ist in einzelnen Fällen in Deutschland - ist die Richtung jedenfalls völlig klar, in die wir gehen müssen. Und darüber gibt es auch gar kein Mißverständnis, weder bei der ONCD, noch bei den internationalen Sachverständigen, noch bei den deutschen Sachverständigen, noch bei der Deutschen Bundesbank - überall das gleiche Urteil zu der gegenwärtigen Politik.

    Müller: Auf Kosten des Lohnniveaus und des Niveaus der sozialen Sicherung?

    von Voss: Wenn wir tatsächlich Beschäftigung finanzieren wollen und nicht Arbeitslosigkeit, dann werden wir um eine Flexibilisierung im Lohnbereich nicht herumkommen. Und dann werden die Menschen wieder Aussicht haben, Arbeitsplätze zu finden. Deswegen setze ich nach wie vor auf das große Thema Lohnspreizung und mehr Flexibilität bei den Tarifverträgen. Das ist das eigentliche wesentliche Stück, das uns in den Stand setzt, auch andere Strukturreformen in den Gang zu setzen. Es kommt nachher auf die Psychologie eines Landes an, ob es sich auf Wachstum ausrichtet oder auf Umverteilung von Arbeit. Und genau das ist der Grundkonflikt, der auch die Bündnisgespräche belastet.

    Müller: Sie plädieren, Herr von Voss, für neue Wege, für mehr Flexibilität. Heißt das auch, über den Abbau von Überstunden konstruktiv reden zu können?

    von Voss: Man kann sicherlich über den Abbau von Überstunden reden, wenn man Aussicht hat, neue Beschäftigung einzurichten.

    Müller: Und das fordern die Gewerkschaften. Das heißt, da könnten Sie zustimmen?

    von Voss: Es kommt darauf an, daß die Gewerkschaften einschwenken auf die großen Themen. Und da kann ich mich nur wiederholen: So lange die Gewerkschaften nicht bereit sind, kraftvoll an der Unternehmenssteuerreform mitzuwirken, kraftvoll an der Einbeziehung der Lohn- und Tarifpolitik in die Bündnisgespräche mitzuwirken, so lange kann es keine vorab gegebenen Konzessionen geben. Das heißt, der Grundkonsens muß definiert werden, und dann wird man sich bewegen können. Insoweit sind ja alle Verantwortlichen im Lande daran interessiert, einen Weg einzuschlagen, der die Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft. Und deswegen müssen wir an dieser Stelle alle bereit sein, einen neuen Weg zu gehen. Und ich hoffe sehr, daß die heutige abendliche Runde nicht verspielt wird. Sonst stellt sich die Frage der politischen Mitverantwortung für falsch laufende Gespräche insbesondere auf Seiten des Unternehmerlagers.

    Müller: Vielen Dank, Rüdiger von Voss, Bundesgeschäftsführer des CDU-Wirtschaftsrates. Auf Wiederhören nach Bonn.

    von Voss: Vielen Dank, Herr Müller.