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"Die Führungsverantwortung kann Deutschland nicht ablegen"

Wichard Woyke, Politikwissenschaftler von der Universität Münster, rät Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiter den "europäischen Weg" zu gehen. Das beinhaltet für Woyke auch mehr deutsche Mittel zur Rettung des Euros - auch wenn das innenpolitisch schwer vermittelbar ist.

Das Gespräch führte Silvia Engels |
    Silvia Engels: Bundeskanzlerin Merkel bekommt zur Stunde Besuch - Besuch vom neuen spanischen Ministerpräsidenten Rajoy. Das Thema dürfte klar sein: Wege zur Bewältigung der Euro-Schuldenkrise. Möglicherweise wird der Besucher von der Bundeskanzlerin einmal mehr das fordern, was zuvor schon Mario Monti aus Italien, IWF-Chefin Lagarde und Weltbank-Präsident Zoellick verlangt haben: mehr Engagement und mehr deutsche Mittel für die Euro-Rettung. Bundeskanzlerin Merkel hat das ja – wir haben es gehört – gestern noch einmal zurückgewiesen. Im Bundestag heute ging es um einen ganz anderen Aspekt der Finanzkrise, aber trennen lässt sich das nicht. Der deutsche Bankenrettungsfonds wird wiederbelebt, also die spezielle Bundeshilfe für angeschlagene Kreditinstitute, und darauf wollen wir erst einmal schauen.
    Und wir bleiben direkt beim Thema: Was kann die Bundesregierung in Sachen Schuldenkrise noch tun, was sollte sie tun und wie stark ist der europäische Druck? – Zugeschaltet ist uns Professor Wichard Woyke, lange Jahre lehrte er Politikwissenschaften an der Universität Münster. Ein Fachgebiet ist und war Europa, er hat die Integration des Kontinents beobachtet wie kaum ein anderer. Guten Tag, Herr Woyke.

    Wichard Woyke: Guten Tag, Frau Engels.

    Engels: IWF, Weltbank, USA, Italien – von allen Seiten wird mehr Engagement und mehr Geld von Deutschland im Kampf gegen die Schuldenkrise verlangt. Kann die Bundesregierung auf Dauer gegen diesen Druck ankommen?

    Woyke: Ich denke, nicht. Auf Dauer wird man sich diesem Druck beugen müssen. Die Frage ist eben nur, in welcher Art und Weise das geschieht, und von daher ist der Bundeskanzlerin gut geraten, wenn sie eben den europäischen Weg geht, und das heißt also, dass mit der Rückendeckung der anderen 26 europäischen Staaten dieser Druck natürlich wesentlich besser auszuhalten ist und dass ihm wesentlich besser begegnet werden kann. Frau Merkel hat ja auf dem Wirtschaftsforum in Davos in diesen Tagen, gestern auch, sehr deutlich gemacht, dass sie eine Europapolitik hat, die man so als einen Dreiklang setzen kann, Verbindlichkeit, Solidarität und Strukturreformen, und sie setzt immer stärker auf die Strukturreformen, die auch gerade eben in Ländern wie Spanien und Italien vorgenommen werden müssen, und das wird sie Herrn Rajoy heute auch sicherlich noch einmal mitteilen.

    Engels: Aber innenpolitisch betrachtet – wir haben es gerade noch mal aus Berlin gehört – kann sie einfach nicht noch mehr Mittel für die Euro-Rettung lockermachen. Da besteht sonst die Gefahr, dass die Regierung aus Union und FDP da nicht mehr mitzieht.

    Woyke: Das ist genau das Problem, dass Deutschland außenpolitisch handeln muss, dass auf Dauer auch wir gar nicht daran vorbeikommen werden, mehr Mittel für die Rettung des Euros und der Situation in den Euro-Staaten zur Verfügung zu stellen, dass dieses aber innenpolitisch vermittelt werden muss, und wir haben ja innerhalb der FDP eben diese Abstimmung gehabt, die zwar die Parteiführung noch mal mit einem blauen Auge davon kommen ließ, aber doch deutlich zeigt, wie schwierig es ist, auch innerhalb der Regierungsfraktionen diese Notwendigkeit weiterer Unterstützung zu vermitteln. Aber die Führungsverantwortung kann Deutschland nicht ablegen. Deutschland ist nun einmal die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, Deutschland ist zweitgrößter Exporteur in der Welt und Deutschland ist die bestimmende ökonomische Größe in Europa und Deutschland hat überdies vom Euro profitiert und profitiert noch, und da wird man nicht umhin kommen, sich dafür einzusetzen, dass eben bei diesen Rettungsmaßnahmen erfolgreich mit mehr Unterstützung operiert wird.

    Engels: Können Sie sich in den letzten Jahrzehnten im europäischen Integrationsprozess an eine Situation erinnern, wo Deutschland ähnlich stark als Führungsland einerseits gefordert, andererseits zum Teil aber auch gefürchtet zu sein schien?

    Woyke: Deutschland war im europäischen Integrationsprozess eigentlich seit den 60er-Jahren immer wieder gefordert und auch gefürchtet. Das fing an 1968 schon mit einer Währungskonferenz, wo es um die Aufwertung des französischen Franc ging gegenüber Deutschland und wo durch eine Indiskretion eben das dann nicht zustande kam, was eigentlich schon beschlossen war. Da war Deutschland zum ersten Mal währungspolitisch sehr stark gewesen und man glaubte in Frankreich, dass das politisch umgesetzt werden sollte. Dann nach und während der Wiedervereinigung war es auch sehr, sehr problematisch, wo auch gerade gefürchtet worden ist: einerseits, dass Deutschland ökonomisch zu stark würde, andererseits, dass Deutschland durch die Lasten, die mit der Wiedervereinigung auf es zukamen, eben ökonomisch zu belastet werden würde. Also diese Situation hatten wir schon mehrfach. Allerdings die Krisen, die wir hatten, unterschieden sich doch sehr stark von der Krise, der wir heute begegnen müssen.

    Engels: Allein von der Größenordnung sollte man meinen, denn Bundeskanzlerin Merkel warnte ja gestern in Davos auch davor, irgendwann sei auch Deutschland überfordert, wenn man zu viel verlange, und dann habe ganz Europa eine offene Flanke. Besteht folglich die Gefahr, dass die ganze Euro-Idee am Ende doch scheitert?

    Woyke: Also die Gefahr ist zumindest nicht auszuschließen, aber es wird ja immer noch in den Medien die berühmte Bazooka gefordert, und die Bazooka kann ja nur im Einklang von europäischen Ministern, Regierungschefs und Europäischer Zentralbank gefeuert werden. Aber ich denke, so weit sind wir noch nicht, und ich denke, dass in einer Kombination, wie sie eben jetzt gemacht worden ist, dass mit dem Rettungsschirm, der ja einmal 500 Milliarden zur Verfügung stellt, und dass die Europäische Zentralbank, die auch einmal weitere 500 Milliarden zur Verfügung gestellt hat, eine ganze Menge getan worden ist und dass es doch im Wesentlichen jetzt darauf ankommt, eben das, was Frau Merkel auch gestern angesprochen hatte, dass ja die im europäischen regionalen Strukturfonds nicht abgerufenen Mittel, die sich ja auch noch bewegen in über 350 Milliarden Euro, dass man diese eben einsetzt, auch gerade für Strukturreformen in den südlichen Ländern.

    Engels: Das heißt, im Machtkampf zwischen Christine Lagarde vom IWF und von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewinnt am Ende der IWF?

    Woyke: Ich würde nicht unbedingt von dem Machtkampf sprechen, denn auch der IWF ist daran interessiert, dass die Strukturreformen in der Eurozone gelingen und dass der Euro als Währung eben bestehen bleibt. Dass es da natürlich unterschiedliche Auffassungen gibt, wie das durchgesetzt werden soll, dass das immer bedingt ist mit der Position, die man gerade besetzt, ist selbstverständlich. Wäre Frau Lagarde anstelle von Frau Merkel als Kanzlerin und umgekehrt Frau Merkel an der Stelle von Frau Lagarde, dann wären die Positionen sicherlich auch etwas anders.

    Engels: Wichard Woyke, Politikwissenschaftler und langjähriger Professor an der Universität Münster. Vielen Dank für das Gespräch.

    Woyke: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.