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'Die Gefahr ist in Belgrad immer, dass man versucht, mit dem nationalistischen Feuer zu spielen.'

Müller: Nicht nur der Westen hat gestern geschockt auf die Todesnachricht aus Belgrad reagiert. Der Mord an Zoran Djindjic trifft Serbien in einer äußerst schwierigen, heiklen, politischen Phase. Wir sind nun mit Michael Steiner verbunden, UN-Sonderbeauftragter für den Kosovo. Guten Morgen!

    Steiner: Guten Morgen!

    Müller: Herr Steiner, Sie waren ja auch jahrelang diplomatisch politisch auf dem Balkan tätig. Ist das jetzt ein Machtvakuum, das nicht ausgefüllt werden kann?

    Steiner: Also, es ist in der Tat so, dass ich Zoran Djindjic seit ungefähr zehn Jahren kenne. Es war auch ein Freund, und wir sind uns in allen möglichen Konstellationen begegnet. Dabei ist mir stets aufgefallen, dass er ein außerordentlich kluger und durchaus auch machtbewusster Politiker war, der jetzt am Schluss in Belgrad durchaus die Szene beherrscht hat. Er war im Grunde genommen das Gravitationszentrum im demokratischen Lager. Ich stimme darin mit dem montenegrinischen Premierminister Djukanovic überein. Er stimmt mir zu, dass wir hier einen Verlust haben, der nicht leicht ersetzt werden kann.

    Müller: Welche politischen Nachfolger, auch mit diesem politischen Erbe von Djindjic, sind denn erkennbar?

    Steiner: Das ist noch sehr schwierig zu sagen. Es gibt eigentlich keinen natürlichen Nachfolger. Das wird sich sicherlich heraus kristallisieren. Sie wissen, dass es im nächsten Jahr in Serbien Wahlen geben wird, auf die man schon jetzt geschaut hat. Die Situation ist sehr fluide. Da können sich viele Dinge ergeben. Es gibt ja auch ein sehr heterogenes Wählerspektrum. Die Gefahr ist in Belgrad immer, dass man versucht, mit dem nationalistischen Feuer zu spielen. Die Situation ist für uns alle mit Sicherheit nicht einfacher geworden, auch gerade aus der Sicht des Kosovos. Deswegen ist es so wichtig, mit besonderer Vorsicht und Besonnenheit jetzt die kommenden Wochen zu behandeln.

    Müller: Gehen Sie davon aus, dass die nationalen Oppositionskräfte von diesem Attentat politisch profitieren könnten?

    Steiner: Sie werden es ohne Zweifel versuchen. Deswegen ist es ja so wichtig, dass die Demokraten hier zusammenstehen. Die ersten Bemühungen laufen ja darauf hinaus. Es gibt erste Stimmen was den erklären Staatsnotstand angeht. Man wird sehen, wie das jetzt gehandhabt wird. Herr Covic ist ja jemand, der durchaus mit allen politischen Wassern gewaschen ist. Man kann sich nur wünschen, dass diese Interimsregierung jetzt den demokratischen Kurs weiter verfolgt. Sie hat es jedenfalls erklärt. Darauf müssen wir auch setzten.

    Müller: Wir müssen ein wenig spekulieren. Aber Sie sind ja ein guter Kenner der Region. Ist der frühere jugoslawische Präsident Kostunica jetzt der Mann der Zukunft?

    Steiner: Es wird es sicherlich selbst so sehen, seine Unterstützer auch. Es ist ohne Zweifel richtig, dass man ihn nun nicht einfach abschreiben kann. Es wird sich auch an den taktischen Positionierungen in den nächsten Wochen erkennen lassen, wohin die Reise geht. Aber ich halte es in der Tat für zu früh, jetzt irgendwelche Voraussagen zu machen. Für uns ist wichtig, und zwar aus der Sicht Europas wie aus der Sicht derjenigen, die im Kosovo versuchen, die Lage zunehmend zu stabilisieren, dass die demokratischen Kräfte zusammenstehen und die Oberhand behalten. Dafür gibt es gute Voraussetzungen, denn die Menschen wollen ja genau das. Hier muss auch Europa zeigen, dass es weiterhin an den Entwicklungen in Serbien größten Anteil nimmt.

    Müller: Vielen Dank, Herr Steiner!

    Link: Interview als RealAudio