Walter Jens sagte in einem Interview, er habe "radikal vergessen", dass er damals in die Partei aufgenommen wurde. Persönlich habe er sich darum nicht beworben. Auch Sie sagen, Sie seien sich einer NSDAP-Mitgliedschaft nicht bewusst. Woran mag das liegen?
Wapnewski: Es liegt natürlich daran, dass Verdrängungsmechanismen in jedem von uns lebendig sind. Bei Walter Jens, meinem Freund, seit vielen, vielen Jahren und bei mir sicherlich auch. Aber ich glaube, die Verdrängung braucht in diesem Fall gar nicht zitiert zu werden, sondern mein Fall war der: mein HJ-Führer, ein Scharführer, sagte zu mir, dem HJ-Mann Wapnewski, als mein 18. Geburtstag herankam: "Wapnewski, ich werde Dich einreichen zum Eintritt in die Partei." Das hörte ich mir gleichmütig an und darin kann man einen Fehler sehen. Ich hörte mir das gleichmütig an, es war mir egal, denn ich sagte mir - das war nicht ganz dumm - in wenigen Wochen oder Monaten machst du Abitur, dann wirst du Soldat und ziehst in den Krieg und wenn der Krieg erst mal vorbei ist, gibt es eine Partei sowieso nicht mehr. Damit hatte ich schon recht. Aber ich habe nicht heulend protestiert, als er sagte, ich werde Dich einreichen. Mehr weiß ich nicht. Das heißt also, und das muss man mit großer Präzision betonen, niemals hat in den Monaten zwischen 1. September, eine Woche später wurde ich 18, und meiner Einberufung in die Wehrmacht oder den Arbeitsdienst ein Funktionär der Partei mir Mitteilung gemacht, dass ich Parteimitglied sei oder mir gar einen Mitgliedsausweis oder gar ein Mitgliedsbuch übergeben. Ich wusste nichts davon und glaubte und glaube es bis heute, ich bin gar nicht auf diesen Antrag meines Scharführers hin Parteimitglied geworden.
Schossig: In der fraglichen Zeit dachten Sie ja noch nicht einmal daran, Sie waren noch keine zwanzig, zu studieren. Es kann ja also gar nicht Opportunismus oder Karrierismus gewesen sein. Was war es, was Sie dann dazu motiviert hat, sozusagen dazu zu schweigen, zumindest.
Wapnewski: Also es war ein deutlicher Überdruss gegen das Regime, das muss ich leider sagen. Ich wäre ja ganz froh ich könnte behaupten, ich sei ein begeisterter Hitlerjunge gewesen und sei mit flammendem Herzen in die Partei eingetreten. Keine Rede davon. Ich fand den ganzen Verein widerlich, ohne seine Verbrechen zu durchschauen und seine Brutalitäten und seine Unmenschlichkeiten. Ich fand den ganzen Verein widerlich und nahm es hin aus einer Mischung von Gleichgültigkeit und Lethargie. Und das mache ich mir heute schon ein bisschen zum Vorwurf, ich hätte auch mit achtzehn Jahren oder siebzehn Jahren vielleicht sagen können "nein, das ist nicht mein Fall. Ich widerstrebe dem." Aber da hatte ich weder den Mut, noch die Wachheit.
Schossig: Dennoch wurden Sie kurz wegen Wehrkraftzersetzung verfolgt.
Wapnewski: Das war schlimm. Als ich Soldat war, im Jahre 1943, lag ich im Lazarett, hier in Berlin im Reservelazarett 101 mit einer Augenverwundung. Ich habe dann das linke Auge verloren und da habe ich nach vielem Alkoholgenuss einigen jungen Offizieren fürchterliche Wahrheiten über den Nationalsozialismus und seine Weltanschauung und seine Erziehungs- und Wirkungsmethoden gesagt und leider haben diese jungen Offizier, was ich ihnen gar nicht übel nehmen kann, aber vielleicht hätten sie mich zumindest informieren sollen, sie haben mich also nun denunziert und ich wurde ein paar Wochen später verhaftet und ich bekam eine Anklage vom Kriegsgericht wegen Zersetzung der Wehrkraft und Untergrabung der Manneszucht. Im Falle der Verurteilung hätte darauf das Todesurteil gestanden, das ist gar keine Frage.
Schossig: Noch eine Rückblende nach 1968, Herr Wapnewski. Damals hat die junge Generation ja einen radikalen aber auch, wie ich finde, relativ selbstgefälligen Standpunkt eingenommen, das Establishment sei durch und durch braun, die Professoren durchweg alte Nazis auf den Lehrstühlen. Wie man sich selbst in einer vergleichbaren Position oder Situation verhalten hätte, das fragte damals niemand. Sehen Sie sich heute auch potentiell einer solchen naiven Selbstgefälligkeit von den Kritikern konfrontiert.
Wapnewski: Eigentlich nicht. Es ist sehr merkwürdig, ich bin noch nie so prominent gewesen wie in diesen Tagen, seit gestern, seit dem Spiegel-Artikel und das Gespräch mit Ihnen, für das ich dankbar bin, denn ich kann nun noch mal sagen, wie ich die Sache sehe, ist ja auch der Ausdruck einer, ich denke doch, Disproportion zwischen dem Anlass, dass ein paar Achtzehnjährige wie Jens, wie Höllerer, wie Henkel, wie Stackmann und Wapnewski in die Partei geschubst werden, geführt werden, gezwungen werden, überredet werden oder auch freiwillig eintreten... das ist, finde ich, eine unter dem Gesichtspunkt dessen, was inzwischen Weltgeschichte war, und was heute politisch-soziale Wirklichkeit ist, ein Lappalie.
Wapnewski: Es liegt natürlich daran, dass Verdrängungsmechanismen in jedem von uns lebendig sind. Bei Walter Jens, meinem Freund, seit vielen, vielen Jahren und bei mir sicherlich auch. Aber ich glaube, die Verdrängung braucht in diesem Fall gar nicht zitiert zu werden, sondern mein Fall war der: mein HJ-Führer, ein Scharführer, sagte zu mir, dem HJ-Mann Wapnewski, als mein 18. Geburtstag herankam: "Wapnewski, ich werde Dich einreichen zum Eintritt in die Partei." Das hörte ich mir gleichmütig an und darin kann man einen Fehler sehen. Ich hörte mir das gleichmütig an, es war mir egal, denn ich sagte mir - das war nicht ganz dumm - in wenigen Wochen oder Monaten machst du Abitur, dann wirst du Soldat und ziehst in den Krieg und wenn der Krieg erst mal vorbei ist, gibt es eine Partei sowieso nicht mehr. Damit hatte ich schon recht. Aber ich habe nicht heulend protestiert, als er sagte, ich werde Dich einreichen. Mehr weiß ich nicht. Das heißt also, und das muss man mit großer Präzision betonen, niemals hat in den Monaten zwischen 1. September, eine Woche später wurde ich 18, und meiner Einberufung in die Wehrmacht oder den Arbeitsdienst ein Funktionär der Partei mir Mitteilung gemacht, dass ich Parteimitglied sei oder mir gar einen Mitgliedsausweis oder gar ein Mitgliedsbuch übergeben. Ich wusste nichts davon und glaubte und glaube es bis heute, ich bin gar nicht auf diesen Antrag meines Scharführers hin Parteimitglied geworden.
Schossig: In der fraglichen Zeit dachten Sie ja noch nicht einmal daran, Sie waren noch keine zwanzig, zu studieren. Es kann ja also gar nicht Opportunismus oder Karrierismus gewesen sein. Was war es, was Sie dann dazu motiviert hat, sozusagen dazu zu schweigen, zumindest.
Wapnewski: Also es war ein deutlicher Überdruss gegen das Regime, das muss ich leider sagen. Ich wäre ja ganz froh ich könnte behaupten, ich sei ein begeisterter Hitlerjunge gewesen und sei mit flammendem Herzen in die Partei eingetreten. Keine Rede davon. Ich fand den ganzen Verein widerlich, ohne seine Verbrechen zu durchschauen und seine Brutalitäten und seine Unmenschlichkeiten. Ich fand den ganzen Verein widerlich und nahm es hin aus einer Mischung von Gleichgültigkeit und Lethargie. Und das mache ich mir heute schon ein bisschen zum Vorwurf, ich hätte auch mit achtzehn Jahren oder siebzehn Jahren vielleicht sagen können "nein, das ist nicht mein Fall. Ich widerstrebe dem." Aber da hatte ich weder den Mut, noch die Wachheit.
Schossig: Dennoch wurden Sie kurz wegen Wehrkraftzersetzung verfolgt.
Wapnewski: Das war schlimm. Als ich Soldat war, im Jahre 1943, lag ich im Lazarett, hier in Berlin im Reservelazarett 101 mit einer Augenverwundung. Ich habe dann das linke Auge verloren und da habe ich nach vielem Alkoholgenuss einigen jungen Offizieren fürchterliche Wahrheiten über den Nationalsozialismus und seine Weltanschauung und seine Erziehungs- und Wirkungsmethoden gesagt und leider haben diese jungen Offizier, was ich ihnen gar nicht übel nehmen kann, aber vielleicht hätten sie mich zumindest informieren sollen, sie haben mich also nun denunziert und ich wurde ein paar Wochen später verhaftet und ich bekam eine Anklage vom Kriegsgericht wegen Zersetzung der Wehrkraft und Untergrabung der Manneszucht. Im Falle der Verurteilung hätte darauf das Todesurteil gestanden, das ist gar keine Frage.
Schossig: Noch eine Rückblende nach 1968, Herr Wapnewski. Damals hat die junge Generation ja einen radikalen aber auch, wie ich finde, relativ selbstgefälligen Standpunkt eingenommen, das Establishment sei durch und durch braun, die Professoren durchweg alte Nazis auf den Lehrstühlen. Wie man sich selbst in einer vergleichbaren Position oder Situation verhalten hätte, das fragte damals niemand. Sehen Sie sich heute auch potentiell einer solchen naiven Selbstgefälligkeit von den Kritikern konfrontiert.
Wapnewski: Eigentlich nicht. Es ist sehr merkwürdig, ich bin noch nie so prominent gewesen wie in diesen Tagen, seit gestern, seit dem Spiegel-Artikel und das Gespräch mit Ihnen, für das ich dankbar bin, denn ich kann nun noch mal sagen, wie ich die Sache sehe, ist ja auch der Ausdruck einer, ich denke doch, Disproportion zwischen dem Anlass, dass ein paar Achtzehnjährige wie Jens, wie Höllerer, wie Henkel, wie Stackmann und Wapnewski in die Partei geschubst werden, geführt werden, gezwungen werden, überredet werden oder auch freiwillig eintreten... das ist, finde ich, eine unter dem Gesichtspunkt dessen, was inzwischen Weltgeschichte war, und was heute politisch-soziale Wirklichkeit ist, ein Lappalie.