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Die Gesundheitsreform: Verabschiedung im Bundestag

Liminski: Am Telefon begrüße ich nun den Fachmann in der SPD zum Thema Gesundheit, Rudolf Dreßler. Guten Morgen Herr Dreßler.

    Dreßler: Guten Morgen.

    Liminski: Herr Dreßler, eine breite Phalanx von Gegnern hat sich da versammelt, weit über Bundestag und Bundesrat hinaus. Für wie sicher halten Sie es, dass das Reformpaket heute durch den Bundestag kommt?

    Dreßler: Wenn Sie die gesundheitspolitischen Gesetze der letzten 25 Jahre revuepassieren lassen, war es nie anders: Immer, wenn Politik versucht hat - übrigens egal wer regiert -, Strukturen im Gesundheitswesen aufzubrechen, dann war die Gegnerschaft groß, weil man am Althergebrachten doch lieber festhalten wollte. Ich glaube, dass der Bundestag heute mit der Mehrheit der Koalitionsstimmen dieses Gesetz verabschieden wird. Da es zustimmungspflichtig ist, geht es dann in den Bundesrat, möglicherweise in den Vermittlungsausschuss. Und da werden wir sehen, wie kompromissfähig die Opposition ist.

    Liminski: Im Bundesrat wird es aber doch sicher ‚zerpflückt' werden. Sie haben ja auch schon angedeutet: Es geht in den Vermittlungsausschuss. Sollte es nicht vorher aufgeschnürt werden, das Paket?

    Dreßler: Es geht nicht um das Aufschnüren. Es geht zunächst einmal darum, dass die CDU/CSU und auch die FDP uns sagen müssen, was sie eigentlich wollen. Wir haben ja eine Situation, die parlamentarisch - um es höflich zu sagen - ungewöhnlich ist. Die CDU/CSU und auch die FDP haben bei diesem doch sehr wichtigen Gesetz - hier werden insgesamt in der Gesundheitspolitik jährlich ca. 500 Milliarden Mark bewegt - bis zu dieser Minute nicht einen einzigen Halbsatz als ihre Vorstellungen dem Bundestag vorgelegt. Das hat es noch nie gegeben, dass eine Opposition sozusagen sprachlos ist - mit keinem Halbsatz, keiner Entschließung, keinem Abänderungsantrag operiert, sondern einfach nur ‚nein' sagt. Und dieses wird logischerweise, wenn es heute den Bundestag dann übersteht dieses platte ‚Nein', im Bundesrat und im Vermittlungsausschuss so nicht weitergehen können. Dann muss die Union sagen, was sie will. Und das werden wir dann zu beraten und zu bewerten haben.

    Liminski: Beim Sparpaket, Herr Dreßler, wird die Lockerungsübung mit dem Aufschnüren vorgenommen. Warum weigert sich denn die Gesundheitsministerin Fischer, dies auch bei ihrem Paket zuzulassen? Ein kleines Paket wäre doch immerhin besser als gar keines.

    Dreßler: Es ist jedenfalls viel komplizierter, als in der Haushalts- oder Finanzpolitik. Es geht darum, dass viele Dinge im Gesundheitswesen mit dem Föderalismus eng verknüpft sind. Das ist nicht nur der Krankenhausbereich, sondern es ist auch die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung; es ist das ‚Händeln' dieser Ausgabenbegrenzung auf der Höhe der Einnahmen der gesetzlichen Krankenver-sicherung, was wir ‚Globalbudget' genannt haben. Dort sind überall zustimmungs-pflichtige Teile. Und wenn man die jetzt auflöst, würde man dieses Gesetz jedenfalls torsohaft zerstückeln. Dieses sollten wir - jedenfalls nach unserer aller Überzeugung - in dem Prozess, in dem wir jetzt sind, nicht ohne Not tun. Wir wollen erst einmal hören, was die CDU/CSU und FDP im Vermittlungsausschuss im Bundesrat zu sagen haben. Und dann könnte man einen solchen Weg immer noch gehen, wenn es zu gar keinem Kompromiss kommen kann. Wir müssen nur registrieren, dass in den vergangenen Jahrzehnten, wenn der Vermittlungsausschuss getagt hat, über 95 Prozent - nahe 96 Prozent - aller Gesetze immer per Kompromiss den Vermittlungs-ausschuss verlassen haben. Und ich frage: Warum soll das eigentlich diesmal anders sein, zumal die Opposition pausenlos erklärt, sie wolle keine Blockadepolitik machen.

    Liminski: Was halten Sie denn für verhandlungsfähig oder für Verhandlungsmasse, vielleicht Teile, die man jetzt schon - oder später dann - bei dem Paket herausnehmen könnte?

    Dreßler: Ich glaube, dass das die CDU/CSU genau so weiß: Wenn wir eine Ausgabenbeschränkung nicht mehr im Gesetz haben, dann muss die Frage dahingehend beantwortet werden, ob man Beitragserhöhungen will anstatt dieser Ausgabenbegrenzung, oder ob man die Zuzahlungen für Patienten erhöhen möchte. Beides hat die CDU/CSU bis heute versäumt, offen zu sagen. Das muss sie aber dann tun. Wenn man den Arzneimittelmarkt nicht neu organisieren will, also keine Qualitätsverbesserung in der Arzneimittelversorgung erreichen will in Richtung Positivliste, wie es in nahezu allen europäischen Ländern der Fall ist, dann muss man sagen, dass man diese Verschleuderung von Beitragsgeldern für therapeutische Zweifelhaftigkeiten, ja teilweise sogar für therapeutischen Schrott, weiter bezahlen lassen will von den Krankenversicherungsbeiträgen. Wenn man die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung, die Hausärztestärkung, nicht will, dann muss man sagen, was man denn eigentlich an diese Stelle zu setzen gedenkt. All das fehlt ja. Und da wird man reden müssen, und dann werden sich im Dialog - auch im Disput - in solchen Vermittlungsausschusssitzungen sehr wohl Kompromissmöglichkeiten herausstellen.

    Liminski: Vor zehn Tagen etwa hat die Union - übrigens hier im Deutschlandfunk - angekündigt, dass die Gesundheitspolitik das ‚Thema Nr. 1' der nächsten Wochen sein würde. Sie hält einen Kompromiss im Vermittlungsausschuss für unwahrscheinlich. Schäuble sagte gestern: ‚Wir brauchen ein neues Gesetz'. Auch Ärzteverbände verlangen einen Neuanfang. Sehen Sie denn - unabhängig vom parteipolitischen Kalkül bei Union und FDP - einen Bedarf für die Reform der Reform?

    Dreßler: Also, wir müssen einfach registrieren, dass bisher - jedenfalls, was die letzten 25 Jahre betrifft - jede politische Initiative - egal, wer die Mehrheit im Deutschen Bundestag hatte -, Strukturen zu verändern, gescheitert sind. Und mit dem Scheitern von Strukturveränderungen scheitert auch logischerweise das Bemühen, Ressourcen, die im Gesundheitswesen liegen, freizulegen, um dieses Geld für sinnvollere Dinge zu gebrauchen. Und damit haben wir weder die Über-kapazitäten im System gelöst, noch haben wir da, wo Unterkapazitäten sind, Verbesserungen ins Gesetz schreiben können. Wenn Politik sich immer dazu herab läßt, lediglich den bequemsten Weg zu gehen - Patienten und Versicherte mit zusätzlichen Zuzahlungen zu belasten -, dann ist das natürlich auch eine Lösung. Aber sie ist aus meiner Sicht nicht sachgerecht. Insoweit ist es dringend notwendig, Strukturen zu verändern. Wenn ich eine Zahl mal nennen darf: In den Vereinigten Staaten von Amerika, deren Gesundheitssystem vorwiegend privat organisiert ist, werden ca. 14 bis 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich für Gesundheit ausgegeben. Und in Deutschland mit unserem Krankenversicherungssystem sind es seit 20 Jahren konstant um die 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, obwohl die Qualität bei uns mindestens derjenigen der Vereinigten Staaten qualitativ entspricht. Daraus wird deutlich, dass wir das Gleiche mindestens leisten, aber es weniger kostet. Und wenn wir sagen: ‚Wir wollen die Beiträge nicht erhöhen', dann müssen wir alle Rationalisierungsreserven im System freilegen. Und dass das bei manchen Leistungserbringern schmerzhaft ist, ist mir klar. Aber das läßt sich nicht ändern. Wenn Politik bisher gescheitert ist an dieser Frage, dann wollen wir jedenfalls versuchen, es diesmal zu realisieren. Wir werden sehen, wo es endet. Wenn es nicht gelingt, dann wird die Antwort - wie in anderen Ländern auch - sein: Rationalisierung, Rationierung der Leistungen - wenn ich die Beitragserhöhung mal außen vorlasse.

    Liminski: Wird es eine Art Große Koalition bei der Gesundheitsreform geben, geben müssen?

    Dreßler: Also in dem Moment, wo der Vermittlungsausschuss ins Spiel gebracht wird und der Bundesrat, ist das immer so etwas ähnliches - jedenfalls eine allparteien- oder mehrparteienumfassende Konsenslösung. Das hat es bei vielen Gesetzen der Kohlregierung gegeben - bei der Rente, beim Staatsvertrag, beim Rentenüberleitungsgesetz, bei der Pflege und auch bei der Gesundheitsgesetz-gebung 1993. Es wäre also absolut unsensationell, sondern es wäre normal im parlamentarischen Verfahren, wie unsere Verfassung es vorschreibt.

    Liminski: Herr Dreßler, auf den Kreis der älteren Personen, der ja immer größer wird in Deutschland, entfällt der Hauptteil der Ausgaben. Das ist ganz natürlich, sozusagen eine Sache des Alters. Wenn man nun die demographische Entwicklung der nächsten 10 - 20 Jahre in Betracht zieht, werden die Kosten ungleich viel größer. Reicht da das Motto der Ausgabenbegrenzung?

    Dreßler: Es ist nicht unbedingt nötig, dass diese Ausgaben größer werden. Und wenn wir über Ausgabenbegrenzung reden, dann reden wir nicht darüber, dass es keine Steigerung gäbe. Wenn Sie sich vergegenwärtigen, dass die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ca. 260 Milliarden DM pro Jahr einnimmt und auch ausgibt, ist eine Steigerung um die Grundlohnsumme jährlich, die ja vorgesehen ist - die wir mal mit 2 Prozent unterstellen -, eine jährliche Ausgabenvermehrung von über fünf Milliarden DM. Das heißt: Wir wollen jährlich ungefähr fünf Milliarden, oder sogar mehr, mehr ausgeben als heute. Und da reden Leistungserbringer von Kürzungen? Dass das nicht logisch ist und dem kleinen Einmaleins offensichtlich widerspricht, ist klar. Es ist also auch viel Ideologie im Spiel und nicht nur Orientierung an der Sache.

    Liminski: Das war der gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Rudolf Dreßler. Besten Dank für das Gespräch und noch einen schönen guten Morgen, Herr Dreßler.

    Dreßler: Guten Morgen.

    Link: (Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (18.8.99): "Der Kompromiss gibt einen Vorgeschmack auf die große Gesundheitsreform"==>/cgi-bin/es/neu-interview/369.html)