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"Die Griechen werden nicht allein gelassen"

Griechenland ist hoch verschuldet. Die genaue Summe beläuft sich auf etwa 300 Milliarden Euro. Um immerhin fünf Milliarden soll der Staatsgürtel enger geschnallt werden. Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Eurogruppe, rechnet nicht damit, dass deutsche oder französische Steuerzahler für Griechenland zahlen müssen.

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Christoph Heinemann | 05.03.2010
    Christoph Heinemann: Weiße Rosen wird der Gast aus Athen heute vermutlich nicht mitbringen. Viel zu teuer, Griechenland muss sparen und hat dies nun auch angekündigt. Um rund 5 Milliarden Euro soll der Staatsgürtel enger geschnallt werden. Heute berät das Parlament in Athen darüber. Die Sängerin Nana Muskuri, die wir übrigens gerade gehört haben, hat dem griechischen Finanzministerium mitgeteilt, sie wolle auf ihre Rente für ihre Zeit als Europaparlamentarierin in den 90er-Jahren verzichten. Machte dieses Beispiel Schule, wäre Griechenland einen großen Schritt weiter. Das ist allerdings nicht zu erwarten, denn das muss man sich erst mal leisten können, und wer kann das schon. Was die Griechen von Europa und Deutschland erwarten, sagte gestern hier im Deutschlandfunk der stellvertretende griechische Außenminister Dimitris Droutsas.

    O-Ton Dimitris Droutsas: Griechenland hat zu keiner Zeit von seinen EU-Partnern direkte finanzielle Unterstützung verlangt. Diese braucht Griechenland nicht. Was wir allerdings brauchen von unseren EU-Partnern, ist eine ausdrückliche, klare Solidaritätskundgebung, dass hier Griechenland und der griechischen Regierung volles Vertrauen ausgesprochen wird.

    Heinemann: Unterdessen hat die Regierung eine mit Spannung erwartete Staatsanleihe im Volumen von fünf Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt platziert, die bei den Anlegern auf reges Interesse stieß. Das war dem Papier nicht vorhergesagt worden und das verschafft nun auch dem unter Druck geratenen Euro eine Verschnaufpause. Am Telefon ist der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker. Er ist gleichzeitig Chef der Euro-Gruppe. Guten Morgen!

    Jean-Claude Juncker: Guten Morgen!

    Heinemann: Ja, Herr Juncker, von wegen unverkäuflich. Die griechische Staatsanleihe wird gekauft, überwiegend von institutionellen Anlegern, das heißt Banken und Versicherungen. War die Sorge übertrieben, oder erleben wir gerade ein Wunder?

    Juncker: Nein, die Sorge war nicht übertrieben und wir erleben auch zurzeit kein Wunder. Die griechische Regierung hat ein zusätzliches Sparprogramm vorgestellt, das hatten wir von der griechischen Regierung verlangt. Das was jetzt vorliegt und was heute im Parlament zum Gesetz wird in Athen, ist ein glaubwürdiger Konsolidierungsbeitrag. Ich bin mit dem, was Griechenland vorschlägt, sehr zufrieden.

    Heinemann: Würden Sie griechische Staatsanleihen kaufen?

    Juncker: Ich kaufe nie Anleihen, ich habe keine Aktien, beschäftige mich mit ihnen in der Verwaltung meines Privatvermögens, das viel zu klein ist, nicht mit derartigen Dingen. Das überlasse ich den Fachleuten und bei denen sehe ich, dass die offensichtlich wissen was sie tun.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass luxemburgische, deutsche oder französische Steuerzahler am Ende für Griechenland doch noch werden zahlen müssen?

    Juncker: Es gibt keinen Grund, jetzt davon ausgehen zu müssen. Griechenland hat ein ehrgeiziges Konsolidierungsprogramm vorgelegt, das wird seine Wirkung entfalten. Finanzmärkte können nicht so tun, als ob Griechenland nicht auf die eingetretene Lage reagiert hätte. Die Finanzmärkte und die Regierungen können nicht so tun, als ob Griechenland sich nicht intensiv mit der selbst verschuldeten Problemlage auseinandersetzen würde. Ich gehe nicht davon aus, dass hier Hilfe finanzieller Natur von außen notwendig werden wird.

    Heinemann: Aber restlos ausschließen können Sie es auch nicht?

    Juncker: Das kann man nie ausschließen und wir haben ja deutlich gemacht als Staats- und Regierungschefs am 11. Februar, dass, falls Griechenland diese zusätzlichen Maßnahmen nehmen würde, wir bereit sind, entschlossen falls notwendig zu handeln, damit die Finanzstabilität im Euro-Raum garantiert wird.7

    Heinemann: Herr Juncker, Ministerpräsident Papandreou sagt heute in einem Interview in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", wir bitten nicht um Geld, was wir brauchen ist Unterstützung der EU und unserer europäischen Partner, damit wir an den Märkten Kredite zu besseren Bedingungen bekommen. Günstige Kredite kosten die Kreditgeber doch auch Geld?

    Juncker: Griechenland wird noch eine längere Zeit sich zu höheren Zinssätzen verschulden und refinanzieren müssen als andere, aber diese sogenannten Spreads, die sind ja dabei, sich zurückzubilden. Der griechische Premierminister hat absolut Recht: erst wenn die Finanzmärkte in vollem Umfang verstanden haben, dass es eine europäische Solidarität zumindest im Euro-Raum mit Griechenland gibt, Solidarität, die aktiviert werden kann, falls die Finanzmärkte nicht zur Kenntnis nehmen würden, dass die griechische Regierung hier konsequent handelt. Insofern man muss laut sagen: die Griechen werden nicht allein gelassen, weil die Griechen es auch verdienen, nicht allein gelassen zu werden, nachdem sie diese gewaltigen Anstrengungen die letzten Wochen über unternommen haben.

    Heinemann: Solidarität heißt aber schon, Euro-Land winkt mit Geld?

    Juncker: Nein, das tun wir nicht. Wir sagen den Finanzmärkten nur, passt auf, wir lassen die Griechen nicht allein, und wir geben den Griechen nicht den Eindruck, dadurch, dass wir einfach so Geld über den Tisch schieben würden, dass sie selbst nichts tun müssen. Es bleibt dabei: Griechenland muss sich aus dieser selbst verschuldeten Lage selbst hinausbewegen, Griechenland muss echt was tun. Das tut Griechenland zurzeit und erst wenn all dies nicht reichen sollte, wird die Euro-Zone bereitstehen, die Finanzstabilität im Euro-Raum zu garantieren. Aber ich gehe nicht davon aus, dass dies notwendig sein wird, weil ich möchte auch davon ausgehen wollen, dass die Finanzmärkte sehr wohl zur Kenntnis nehmen, dass die griechische Regierung hier zielorientiert und laga adecuada geht.

    Heinemann: Herr Juncker, sollte der Internationale Währungsfonds eingreifen?

    Juncker: Ich habe nicht den Eindruck, dass der Internationale Währungsfonds eingreifen wird, und er wird auch nicht eingreifen müssen, weil wie gesagt die griechische Regierung den Eindruck gibt, als hätte sie die Lage jetzt im Griff. Im Übrigen bin ich nicht der Meinung, dass in der Euro-Zone der Internationale Währungsfonds finanzpolitisch stützend wirksam werden sollte. Wir sind eine Euro-Zone, wir müssen unsere Probleme selbst lösen.

    Heinemann: Stichwort Finanzmarkt. Gegenwärtig sind mehrere Währungen unter Druck von Spekulanten, der Euro, auch das britische Pfund. Sie, Herr Juncker, haben Spekulanten mit Folterwerkzeugen gedroht. Über welche Instrumente verfügt die Politik?

    Juncker: Wenn ich Ihnen jetzt im Detail schildern würde, woran ich gedacht habe, dann würden diese "Folterinstrumente", was ich gerne natürlich in Gänsefüßchen gesetzt sehen würde, keine Wirkung entfalten.

    Heinemann: Aber virtuelle Daumenschrauben schrecken doch nicht ab?

    Juncker: Bitte?

    Heinemann: Virtuelle Daumenschrauben schrecken doch nicht ab?

    Juncker: Die Vorstellung, dass man den Daumen in eine derartige Schraube kriegt, die tut nicht nur virtuell weh.

    Heinemann: Okay. Ewald Nowotny ist der Präsident der Österreichischen Nationalbank und Ratsmitglied der Europäischen Zentralbank. Er hat gesagt, eine Notenbank könne die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes besser beurteilen als eine der herkömmlichen Rating-Agenturen. Also: sollte die Europäische Zentralbank das Rating-Geschäft, also diesen Wirtschafts- und Finanz-TÜV für Länder, selbst in die Hand nehmen?

    Juncker: Ich bin der Meinung, dass wir den Rating-Agenturen zu viel Aufmerksamkeit schenken. Vor Jahresfrist war jedem klar, dass die Rating-Agenturen durch falsche Einschätzungen der Lage bestimmter Finanzhäuser mit dazu beigetragen haben, dass wir in die Finanzkrise abgerutscht sind. Jetzt bewerten diese selben Rating-Agenturen die Bonität von Mitgliedsstaaten der Euro-Zone, und jetzt wird sich herdenviehmäßig in die Richtung bewegt, in die die Rating-Agenturen tippen. Insofern macht es Sinn, dass wir in Europa selbst eine eigene europäische Rating-Agentur auf die Beine stellen, damit wir beim Bewerten sichere und belastbare Daten aus Europa selbst haben. Ob die Europäische Zentralbank dies wird leisten können, ist eine andere Frage. Herr Nowotny hat dies angeregt, die Europäische Zentralbank wird sich in ihren Gremien darüber unterhalten müssen. Ich jedenfalls wäre froh, wenn wir ein europäisches Rating-Haus hätten, und falls dieses Rating-Haus sich in der Nähe der Europäischen Zentralbank ansiedeln würde, wäre mir das auch recht.

    Heinemann: Jean-Claude Juncker im Deutschlandfunk, der luxemburgische Ministerpräsident und Chef der Euro-Gruppe. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Juncker: Auf Wiederhören.