Liminski: Die Mehrwertsteuer wird in Europa zu einem der Symbole des Handelns in Zeiten der Krise. London senkt sie, Brüssel empfiehlt die Senkung, Berlin will sie nicht antasten. Bundeskanzlerin Merkel stellte am Montag nach dem deutsch-französischen Gipfel lapidar fest:
O-Ton Merkel: Bei diesen Gemeinsamkeiten waren wir zum Beispiel der Meinung - ich glaube, ich kann das sagen -, dass eine generelle Senkung der Mehrwertsteuer vielleicht für manche Länder die Antwort ist, aber für Deutschland und Frankreich eigentlich nicht. Hier gab es ein hohes Maß an Übereinstimmung. Wir werden natürlich dann noch weitere Diskussionen haben: wie können wir punktgenau helfen.
Liminski: Bundeskanzlerin Merkel zum Thema Mehrwertsteuer. - Am Telefon begrüße ich ihren Parteifreund Friedrich Merz, der mitgehört hat. Guten Morgen, Herr Merz.
Merz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Merz, am Brötchen, das Sie vielleicht vor ein paar Minuten vertilgt haben, hat der Staat wieder mitverdient. Muss man die Mehrwertsteuer senken, so wie die Briten und wie es die EU-Kommission empfiehlt, und sei es nur befristet?
Merz: Wir müssen jedenfalls mal zunächst die Krise richtig analysieren, was da auf uns zukommt, wie tief die Rezession wird, Herr Liminski, und dann bin ich mit dem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos einer Meinung, dass wir hier auch über die Steuerpolitik reden müssen. In einer solchen Krise, die auf uns zukommt, muss man meines Erachtens ja auch über Steuersenkungen reden. Das kann man mit der Mehrwertsteuer tun, das kann man auch mit der Einkommenssteuer tun. Ich persönlich würde die Einkommenssteuer präferieren. Aber wir werden über das Thema reden müssen, ja.
Liminski: Man kann auch ohne Geld glücklich sein, räumte der Vorgänger von Steinbrück Hans Eichel einmal ein, setzte aber hinzu, dass ist nicht unbedingt die Botschaft eines Finanzministers. Braucht der Staat nicht auch Geld, um seinen Aufgaben und Pflichten nachzukommen?
Merz: Selbstverständlich und Sie haben ja eben die Steuerreform von 1890 zitiert. Das sind keine Steuersätze mehr, die in die heutige Zeit passen. Aber um es offen zu sagen: Es rächt sich natürlich jetzt, dass die Große Koalition drei Jahre die Steuern erhöht hat, gleichzeitig es nicht geschafft hat, die Schulden auf null zu bringen, und fröhlich auch die Ausgaben erhöht hat. Man hätte für die jetzige Konjunkturkrise und für die Rezession, in der wir ja bereits sind, Reserven haben müssen und wenn die nicht zur Verfügung stehen, sind die Spielräume knapp, zu knapp, um jetzt wirklich mit einer beherzten antizyklischen Wirtschafts- und Finanzpolitik wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten zu können, dass die Rezession nicht zu tief wird und zu lange dauert.
Liminski: Stichwort Progression, damals vier Prozent. Ich weiß nicht, ob es damals schon Bierdeckel gab, aber sie wären jedenfalls für die Steuererklärung nützlich gewesen. Wo sollte, wo muss denn Ihrer Meinung nach die Progression enden?
Merz: Das kann man mit einem einfachen Satz oder einer einfachen Antwort gar nicht beantworten. Die Frage ist ja, in welchem Kontext eine Einkommenssteuer steht im Verhältnis auch zu anderen direkten Steuern, also zum Beispiel im Verhältnis zu einer Vermögenssteuer, wenn es sie denn gibt, zur Erbschaftssteuer, wie es sie immer noch gibt, und auch im Verhältnis zu den indirekten Steuern, also zur Mehrwertsteuer und zu den spezifischen Verbrauchssteuern. Die Gesamtschau ist wichtig und da muss man nun einfach leider feststellen, dass in Deutschland die Steuerbelastung und die Abgabenbelastung insbesondere für die Mittelschichten kontinuierlich weiter angestiegen ist. Ich gebe Ihnen mal eine Zahl. Wir haben von Ende 2003 bis Ende 2006 in Deutschland Lohn- und Gehaltssteigerungen in der Größenordnung von etwa 41 Milliarden Euro Brutto gehabt. Davon sind aber 24 Milliarden Euro direkt in die staatlichen Kassen geflossen, also als Steuern und als Sozialversicherungsbeiträge abgeschöpft worden. Nur 17 Milliarden Euro sind bei den Bürgern verblieben. Wenn man in einer solchen exzessiven Weise die Einkommen belastet, dann muss man über Steuersenkungen und über Abgabensenkungen nachdenken, insbesondere dann, wenn uns eine solche Rezession ins Haus steht, wie sie jetzt auch von der OECD vorausgesagt wird mit Arbeitsplatzverlusten in der Größenordnung von 700.000. Das ist schon ein großes Problem und auf dieses große Problem darf man keine kleinteiligen Antworten geben.
Liminski: Also ganz konkret den Bürger entlasten. Das ist das Gebot der Stunde, sagen Sie?
Merz: Ich sage ja, den Bürger entlasten. Die Spielräume sind eng, aber ich würde jetzt wenigstens auf den zusätzlichen Teil der Steuern verzichten, der durch die Kalte Progression entsteht. Die Tarifvertragsparteien haben sehr moderate Lohnabschlüsse gemacht. Ich fände es wäre eine angemessene Antwort des Staates, wenn er dazu sagt "Einverstanden, wir verzichten jetzt wenigstens auf die Steuermehreinnahmen", die dadurch entstehen, dass jetzt wieder eine größere Zahl von Beschäftigten in die Kalte Progression hineinrutschen und wieder auch überproportional höhere Steuern bezahlen. Das wäre auch ein wichtiges psychologisches Signal. Aber dazu müsste man wenigstens bereit sein, die Einkommensgrenzen innerhalb des Einkommenssteuertarifs zu reduzieren, also etwa um fünf Prozent. Das dürfte ungefähr die Steigerung der Lohn- und Gehaltssumme sein.
Liminski: Zu viel Steuern oder zu viel Staat, sagen Sie. Haben wir noch zu viel Wilhelmismus im Kopf, oder ist das keine Frage der Mentalität, sondern der Ideologien?
Merz: Na ja, natürlich. Sie können an der ganzen Debatte über die Erbschaftssteuer, Herr Liminski, sehen, welche Neidkomplexe da die steuerpolitische Debatte prägen. Wenn Sie das sehen, was der Bundesfinanzminister jetzt an seine eigene Fraktion geschrieben hat, wo das Wort vorkommt, man müsse sich jetzt durch Wohlverhalten bestimmte Steuervorteile in der Erbschaftssteuer wörtlich "erdienen", dann sehen Sie, welches Denken in unserem Steuerstaat immer noch prägend ist. Das ist ein obrigkeitsstaatliches Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das da artikuliert wird, und das finde ich, das ist einem modernen Staat nicht mehr angemessen und wir sollten nicht nur den Jargon ändern, sondern wir sollten auch ganz nüchtern die Frage stellen, wie viel Geld der Staat tatsächlich braucht und welche Aufgaben er tatsächlich wahrnimmt. Gerade die Aufgabenkritik des Staates, die kommt mir in diesen Tagen viel zu kurz.
Liminski: Zur Erbschaftssteuer kommen wir gleich, aber vielleicht vorgeschaltet noch mal diese Frage: Hat denn die Union ein Konzept, ein kohärentes Wirtschafts- und Steuerprogramm? Sie greifen ja den Finanzminister an.
Merz: Das machen Sie mir jetzt sehr schwer mit der Antwort, Herr Liminski, denn ich weiß noch gar nicht, was da am kommenden Wochenende in Stuttgart beschlossen wird. Wir hatten jedenfalls mal ein steuerpolitisches Konzept, das mit großer Mehrheit auf einem Bundesparteitag verabschiedet worden ist, und das war in Leipzig. Wenn ich es richtig weiß, ist das bis heute nicht aufgehoben worden.
Liminski: Aber dem Slogan der CSU "mehr Netto vom Brutto" würden Sie doch zustimmen?
Merz: Der ist absolut richtig. Das muss man dann allerdings auch konkret in die Tat umsetzen. Ich habe es ja bereits gesagt: Diese Koalition hat zu meinem Bedauern den gegenteiligen Weg beschritten. Wir haben eine Wahlperiode der permanenten Steuererhöhung bis jetzt erlebt und wir haben auch eine Wahlperiode der permanenten weiteren drastischen Verkomplizierung unseres Steuersystems erlebt. Ich wundere mich nicht darüber, dass ein großer Teil der Bevölkerung, auch viele Mittelständler mit dieser Steuerpolitik und dieser Abgabenpolitik unzufrieden ist. Daran muss man etwas ändern und ich würde meiner Partei raten, das nicht erst zu ändern, wenn die nächste Wahl bevorsteht. Ich halte es für einigermaßen naiv zu glauben, dass man vier Jahre lang die Steuerpolitik so machen kann und dann anschließend in eine Wahl geht und sagt, in der nächsten Wahlperiode wird alles besser. Warum sollen die Bürger in Deutschland das glauben?
Liminski: Also Steuersenkung jetzt. - Stichwort Erbschaftssteuer, Herr Merz. Es gibt zwar immer mehr Hartz-IV-Familien, aber immer noch auch solche, in denen etwas vererbt werden kann. Die Freibeträge für enge Familienangehörige wurden erweitert und morgen soll über das neue Gesetz abgestimmt werden. Die CSU sagt, sie habe alles durchgesetzt, was durchzusetzen war. Würden Sie das Gesetz jetzt auch verabschieden, oder sehen Sie noch Pferdefüße?
Merz: Ich sehe, dass es eine größere Zahl von Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt (und zwar unter Einschluss eines hohen Anteils von CSU-Kollegen), die nicht bereit sind, dieses Gesetz in dieser Fassung zu verabschieden, und offensichtlich ist die bayerische Staatsregierung dabei, den Vermittlungsausschuss anzurufen. So eindeutig scheint das Ergebnis nicht zu sein. Ich will für meine Person sagen, ich kann und werde diesem Gesetz nicht zustimmen, denn da sind solche Probleme enthalten, insbesondere was die Vererbung von Betriebsvermögen betrifft, mit Wohlverhaltensklauseln mittlerweile über einen Zeitraum von sieben beziehungsweise zehn Jahren. Ich halte das für auch in der Praxis vollkommen untauglich, dass jetzt Betriebsvermögen nachverfolgt werden muss, Lohnsummen nachverfolgt werden müssen über sieben beziehungsweise zehn Jahre. Da liegt der Keim für lang anhaltende Auseinandersetzungen mit den Finanzämtern und mit den Finanzgerichten. Im Übrigen teile ich die Kritik von Paul Kirchhof und Joachim Lang - einer von beiden, Paul Kirchhof, sollte ja immerhin mal Finanzminister werden in einer unionsgeführten Bundesregierung -, die beide gesagt haben, dass dieses Gesetz offensichtlich verfassungswidrig ist. Man sollte mit diesem Verdikt zurückhaltend umgehen, aber in diesem Falle teile ich es und wir werden vermutlich mit einer größeren Zahl morgen diesem Gesetz nicht zustimmen.
Liminski: Wenn das Gesetz nicht durchkommt, gibt es überhaupt keins.
Merz: Wir haben doch lange genug Zeit gehabt, über eine neue Erbschaftssteuergesetzgebung zu reden. Dass dies auf die allerletzte Minute passiert und unter solchem Zeitdruck und dann noch mit einem solchen handwerklich schlecht gemachten Gesetz, dafür tragen die Parlamentarier keine Verantwortung.
Liminski: Steuern runter, Erbschaftssteuergesetz wackelig. Das sagt Friedrich Merz, Finanzexperte der CDU, hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Merz.
Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen.
O-Ton Merkel: Bei diesen Gemeinsamkeiten waren wir zum Beispiel der Meinung - ich glaube, ich kann das sagen -, dass eine generelle Senkung der Mehrwertsteuer vielleicht für manche Länder die Antwort ist, aber für Deutschland und Frankreich eigentlich nicht. Hier gab es ein hohes Maß an Übereinstimmung. Wir werden natürlich dann noch weitere Diskussionen haben: wie können wir punktgenau helfen.
Liminski: Bundeskanzlerin Merkel zum Thema Mehrwertsteuer. - Am Telefon begrüße ich ihren Parteifreund Friedrich Merz, der mitgehört hat. Guten Morgen, Herr Merz.
Merz: Guten Morgen, Herr Liminski.
Liminski: Herr Merz, am Brötchen, das Sie vielleicht vor ein paar Minuten vertilgt haben, hat der Staat wieder mitverdient. Muss man die Mehrwertsteuer senken, so wie die Briten und wie es die EU-Kommission empfiehlt, und sei es nur befristet?
Merz: Wir müssen jedenfalls mal zunächst die Krise richtig analysieren, was da auf uns zukommt, wie tief die Rezession wird, Herr Liminski, und dann bin ich mit dem Bundeswirtschaftsminister Michael Glos einer Meinung, dass wir hier auch über die Steuerpolitik reden müssen. In einer solchen Krise, die auf uns zukommt, muss man meines Erachtens ja auch über Steuersenkungen reden. Das kann man mit der Mehrwertsteuer tun, das kann man auch mit der Einkommenssteuer tun. Ich persönlich würde die Einkommenssteuer präferieren. Aber wir werden über das Thema reden müssen, ja.
Liminski: Man kann auch ohne Geld glücklich sein, räumte der Vorgänger von Steinbrück Hans Eichel einmal ein, setzte aber hinzu, dass ist nicht unbedingt die Botschaft eines Finanzministers. Braucht der Staat nicht auch Geld, um seinen Aufgaben und Pflichten nachzukommen?
Merz: Selbstverständlich und Sie haben ja eben die Steuerreform von 1890 zitiert. Das sind keine Steuersätze mehr, die in die heutige Zeit passen. Aber um es offen zu sagen: Es rächt sich natürlich jetzt, dass die Große Koalition drei Jahre die Steuern erhöht hat, gleichzeitig es nicht geschafft hat, die Schulden auf null zu bringen, und fröhlich auch die Ausgaben erhöht hat. Man hätte für die jetzige Konjunkturkrise und für die Rezession, in der wir ja bereits sind, Reserven haben müssen und wenn die nicht zur Verfügung stehen, sind die Spielräume knapp, zu knapp, um jetzt wirklich mit einer beherzten antizyklischen Wirtschafts- und Finanzpolitik wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten zu können, dass die Rezession nicht zu tief wird und zu lange dauert.
Liminski: Stichwort Progression, damals vier Prozent. Ich weiß nicht, ob es damals schon Bierdeckel gab, aber sie wären jedenfalls für die Steuererklärung nützlich gewesen. Wo sollte, wo muss denn Ihrer Meinung nach die Progression enden?
Merz: Das kann man mit einem einfachen Satz oder einer einfachen Antwort gar nicht beantworten. Die Frage ist ja, in welchem Kontext eine Einkommenssteuer steht im Verhältnis auch zu anderen direkten Steuern, also zum Beispiel im Verhältnis zu einer Vermögenssteuer, wenn es sie denn gibt, zur Erbschaftssteuer, wie es sie immer noch gibt, und auch im Verhältnis zu den indirekten Steuern, also zur Mehrwertsteuer und zu den spezifischen Verbrauchssteuern. Die Gesamtschau ist wichtig und da muss man nun einfach leider feststellen, dass in Deutschland die Steuerbelastung und die Abgabenbelastung insbesondere für die Mittelschichten kontinuierlich weiter angestiegen ist. Ich gebe Ihnen mal eine Zahl. Wir haben von Ende 2003 bis Ende 2006 in Deutschland Lohn- und Gehaltssteigerungen in der Größenordnung von etwa 41 Milliarden Euro Brutto gehabt. Davon sind aber 24 Milliarden Euro direkt in die staatlichen Kassen geflossen, also als Steuern und als Sozialversicherungsbeiträge abgeschöpft worden. Nur 17 Milliarden Euro sind bei den Bürgern verblieben. Wenn man in einer solchen exzessiven Weise die Einkommen belastet, dann muss man über Steuersenkungen und über Abgabensenkungen nachdenken, insbesondere dann, wenn uns eine solche Rezession ins Haus steht, wie sie jetzt auch von der OECD vorausgesagt wird mit Arbeitsplatzverlusten in der Größenordnung von 700.000. Das ist schon ein großes Problem und auf dieses große Problem darf man keine kleinteiligen Antworten geben.
Liminski: Also ganz konkret den Bürger entlasten. Das ist das Gebot der Stunde, sagen Sie?
Merz: Ich sage ja, den Bürger entlasten. Die Spielräume sind eng, aber ich würde jetzt wenigstens auf den zusätzlichen Teil der Steuern verzichten, der durch die Kalte Progression entsteht. Die Tarifvertragsparteien haben sehr moderate Lohnabschlüsse gemacht. Ich fände es wäre eine angemessene Antwort des Staates, wenn er dazu sagt "Einverstanden, wir verzichten jetzt wenigstens auf die Steuermehreinnahmen", die dadurch entstehen, dass jetzt wieder eine größere Zahl von Beschäftigten in die Kalte Progression hineinrutschen und wieder auch überproportional höhere Steuern bezahlen. Das wäre auch ein wichtiges psychologisches Signal. Aber dazu müsste man wenigstens bereit sein, die Einkommensgrenzen innerhalb des Einkommenssteuertarifs zu reduzieren, also etwa um fünf Prozent. Das dürfte ungefähr die Steigerung der Lohn- und Gehaltssumme sein.
Liminski: Zu viel Steuern oder zu viel Staat, sagen Sie. Haben wir noch zu viel Wilhelmismus im Kopf, oder ist das keine Frage der Mentalität, sondern der Ideologien?
Merz: Na ja, natürlich. Sie können an der ganzen Debatte über die Erbschaftssteuer, Herr Liminski, sehen, welche Neidkomplexe da die steuerpolitische Debatte prägen. Wenn Sie das sehen, was der Bundesfinanzminister jetzt an seine eigene Fraktion geschrieben hat, wo das Wort vorkommt, man müsse sich jetzt durch Wohlverhalten bestimmte Steuervorteile in der Erbschaftssteuer wörtlich "erdienen", dann sehen Sie, welches Denken in unserem Steuerstaat immer noch prägend ist. Das ist ein obrigkeitsstaatliches Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das da artikuliert wird, und das finde ich, das ist einem modernen Staat nicht mehr angemessen und wir sollten nicht nur den Jargon ändern, sondern wir sollten auch ganz nüchtern die Frage stellen, wie viel Geld der Staat tatsächlich braucht und welche Aufgaben er tatsächlich wahrnimmt. Gerade die Aufgabenkritik des Staates, die kommt mir in diesen Tagen viel zu kurz.
Liminski: Zur Erbschaftssteuer kommen wir gleich, aber vielleicht vorgeschaltet noch mal diese Frage: Hat denn die Union ein Konzept, ein kohärentes Wirtschafts- und Steuerprogramm? Sie greifen ja den Finanzminister an.
Merz: Das machen Sie mir jetzt sehr schwer mit der Antwort, Herr Liminski, denn ich weiß noch gar nicht, was da am kommenden Wochenende in Stuttgart beschlossen wird. Wir hatten jedenfalls mal ein steuerpolitisches Konzept, das mit großer Mehrheit auf einem Bundesparteitag verabschiedet worden ist, und das war in Leipzig. Wenn ich es richtig weiß, ist das bis heute nicht aufgehoben worden.
Liminski: Aber dem Slogan der CSU "mehr Netto vom Brutto" würden Sie doch zustimmen?
Merz: Der ist absolut richtig. Das muss man dann allerdings auch konkret in die Tat umsetzen. Ich habe es ja bereits gesagt: Diese Koalition hat zu meinem Bedauern den gegenteiligen Weg beschritten. Wir haben eine Wahlperiode der permanenten Steuererhöhung bis jetzt erlebt und wir haben auch eine Wahlperiode der permanenten weiteren drastischen Verkomplizierung unseres Steuersystems erlebt. Ich wundere mich nicht darüber, dass ein großer Teil der Bevölkerung, auch viele Mittelständler mit dieser Steuerpolitik und dieser Abgabenpolitik unzufrieden ist. Daran muss man etwas ändern und ich würde meiner Partei raten, das nicht erst zu ändern, wenn die nächste Wahl bevorsteht. Ich halte es für einigermaßen naiv zu glauben, dass man vier Jahre lang die Steuerpolitik so machen kann und dann anschließend in eine Wahl geht und sagt, in der nächsten Wahlperiode wird alles besser. Warum sollen die Bürger in Deutschland das glauben?
Liminski: Also Steuersenkung jetzt. - Stichwort Erbschaftssteuer, Herr Merz. Es gibt zwar immer mehr Hartz-IV-Familien, aber immer noch auch solche, in denen etwas vererbt werden kann. Die Freibeträge für enge Familienangehörige wurden erweitert und morgen soll über das neue Gesetz abgestimmt werden. Die CSU sagt, sie habe alles durchgesetzt, was durchzusetzen war. Würden Sie das Gesetz jetzt auch verabschieden, oder sehen Sie noch Pferdefüße?
Merz: Ich sehe, dass es eine größere Zahl von Kolleginnen und Kollegen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt (und zwar unter Einschluss eines hohen Anteils von CSU-Kollegen), die nicht bereit sind, dieses Gesetz in dieser Fassung zu verabschieden, und offensichtlich ist die bayerische Staatsregierung dabei, den Vermittlungsausschuss anzurufen. So eindeutig scheint das Ergebnis nicht zu sein. Ich will für meine Person sagen, ich kann und werde diesem Gesetz nicht zustimmen, denn da sind solche Probleme enthalten, insbesondere was die Vererbung von Betriebsvermögen betrifft, mit Wohlverhaltensklauseln mittlerweile über einen Zeitraum von sieben beziehungsweise zehn Jahren. Ich halte das für auch in der Praxis vollkommen untauglich, dass jetzt Betriebsvermögen nachverfolgt werden muss, Lohnsummen nachverfolgt werden müssen über sieben beziehungsweise zehn Jahre. Da liegt der Keim für lang anhaltende Auseinandersetzungen mit den Finanzämtern und mit den Finanzgerichten. Im Übrigen teile ich die Kritik von Paul Kirchhof und Joachim Lang - einer von beiden, Paul Kirchhof, sollte ja immerhin mal Finanzminister werden in einer unionsgeführten Bundesregierung -, die beide gesagt haben, dass dieses Gesetz offensichtlich verfassungswidrig ist. Man sollte mit diesem Verdikt zurückhaltend umgehen, aber in diesem Falle teile ich es und wir werden vermutlich mit einer größeren Zahl morgen diesem Gesetz nicht zustimmen.
Liminski: Wenn das Gesetz nicht durchkommt, gibt es überhaupt keins.
Merz: Wir haben doch lange genug Zeit gehabt, über eine neue Erbschaftssteuergesetzgebung zu reden. Dass dies auf die allerletzte Minute passiert und unter solchem Zeitdruck und dann noch mit einem solchen handwerklich schlecht gemachten Gesetz, dafür tragen die Parlamentarier keine Verantwortung.
Liminski: Steuern runter, Erbschaftssteuergesetz wackelig. Das sagt Friedrich Merz, Finanzexperte der CDU, hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Merz.
Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen.