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Erik Fosnes Hansen: „Zum rosa Hahn“
Die große Mäuseverschwörung

Fantasie, flieg: Der neue Roman des norwegischen Schriftstellers Erik Fosnes Hansen schickt zwei Goldmacher in die Stadt Jüterbog. „Zum rosa Hahn“ ist ein kulinarisch beschriebener Albtraum voller Sprachwitz und skurriler Details – und doch nicht ganz geglückt.

Von Wolfgang Schneider | 04.08.2022
Erik Fosnes Hansen: "Zum rosa Hahn"
Erik Fosnes Hansen: "Zum rosa Hahn" spielt im brandenburgischen Jüterbog - allerdings einem anderen Jüterbog als dem, das wir kennen (Buchcover: Kiepenheuer und Witsch Verlag, Hintergrund: Gerda Bergs)
Das berühmteste Buch von Erik Fosnes Hansen ist sein Titanic-Roman „Choral am Ende der Reise“ – ein mit viel Recherche unterfüttertes historisches Panorama Europas am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Sein neuer Roman „Zum rosa Hahn“ folgt einem konträren Konzept: Es ist ein Fabulierkunstwerk, das von den Beschränkungen der historischen Realität nichts wissen will und bei Bedarf auch die physikalischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzt.
Zu Beginn begegnen wir zwei Goldmachern, die auf einer sandigen Landstraße Richtung Jüterbog unterwegs sind. Dort wollen sie mit ihrer alchemistischen Kunst auftreten. Erst viel später wird erklärt, welche besondere Bewandnis es mit dem Gold in dieser Welt hat, die zunächst recht mittelalterlich anmutet. Das ändert sich bereits an der Stadtgrenze, wo die beiden Goldmacher in die Fänge einer kafkaesken Grenzbürokratie geraten. Da gibt es zum Beispiel Telefone, die bei längerem Klingeln ihre Farbe ändern – von Genervt-Rosa bis Verärgerungsrot.

Dinge voller Widerspenstigkeit und Eigensinn

Skurril mischt sich in der Lebenswelt von Jüterbog das Archaische mit dem Modernen. Man staunt über einschaltbare Zusatzsonnen, einen lauthals jammernden Brotteig, über Blumen, die auf ein Händeklatschen hin blühen, über fliegende Zeitungen, eine quasselnde Nasenwarze oder über Schergen, die ein „Lied in Moll“ anstimmen, wenn ihnen ein Opfer knapp entwischt. Die Dinge sind voller Eigensinn und Widerspenstigkeit, weshalb auch der Kellner im Wirtshaus „Zum rosa Hahn“ zur Vorsicht rät:
„Normalerweise würde ich in dieser Jahreszeit Spargel empfehlen […] Doch der diesjährige Spargel, vor allem der blaue, hat sich als etwas übellaunig erwiesen und beißt mit seinen gezahnten Blättern um sich, wenn man versucht, ihn zu ernten […] Niemand weiß so recht, was dieses Jahr in ihn gefahren ist. Nun ja, geerntet wird er dennoch, aber die Wut verleiht ihm einen bitteren Beigeschmack.“ 
Eine der Hauptfiguren ist eine alleinerziehende Mutter, geplagt von sozialen Ausgrenzungsmaßnahmen und behördlichen Schikanen wie einem Kältegenerator, der einen eisigen Luftzug durch die Wohnung der säumigen Steuerzahlerin wehen lässt. Ihre Tochter wurde beim Schwimmunterricht von einer wütenden Badeente gebissen und ist seitdem schwer krank. Ihr Sohn verfügt über ein rebellisches Temperament, so dass sein verärgerter Klassenlehrer zum Verkauf des Kindes rät, während der zuständige Pfarrer der Mutter gar ein bestürzendes Sonderangebot unterbreitet: 
„‚Gute Frau‘, sagte der Oberpriester. ‚Diese Woche, aber nur diese Woche […] haben wir ein Sonderangebot für Kinderbestattungen.‘ Entsetzt blickte sie ihn an. ‚Ganz prachtvolle, rührende Kinderbestattungen‘ , fuhr der Priester fort. ‚Sie schlagen also tatsächlich vor...‘, setzte die Mutter des Jungen erschrocken an. ‚…eine Einschläferung, ja. Es ist wohlgemerkt nicht mein Vorschlag, gute Frau‘, rügte er streng, ‚sondern der Vorschlag Gottes. Wohl das Einzige, was hier noch hilft.‘“

Die phantastische Welt von Jüterbog

Auf den ersten zweihundert Seiten ist man hingerissen vom Einfallsreichtum und makabren Witz des Autors und vergnügt sich mit ihm in der surrealen Welt von Jüterbog. Pfiffig lesen sich auch die Passagen, in denen die beiden Goldmacher das über ihnen schwebende Unheil abwenden und bei der Bemühung um Auftrittsmöglichkeiten die Obrigkeit überlisten.
„Im Rathaus war es dem älteren der beiden umherreisenden Goldmacher mit geschickten Kniffen gelungen, die Sachbearbeitungszeit von vierzehn Tagen auf vierzehn Minuten zu verkürzen.“
Was für ein seltsamer, toller Roman! Leider schwindet die Begeisterung in der zweiten Hälfte, wenn es gilt, den Plot Richtung Finale zu führen. Da ist dem sonst so findigen Erik Fosnes Hansen leider nur eine bei aller Phantastik doch eher konventionell anmutende Verschwörungs- und Kriminalhandlung eingefallen.
Es wimmelt in Jüterbog plötzlich von Agenten, die sich gegenseitig Botschaften abluchsen. Es wimmelt vor allem von weißen Mäusen im Untergrund, die es auf Revolution abgesehen haben. Die große Show der Goldmacher wird zum Desaster. Ein Attentat auf Regentin Clotilde läuft schief und führt zu deren endgültiger Vergoldung, was recht umständlich durch alchemistische Prozesse erklärt wird.
Anders als die vielen surrealen Details zuvor wirkt dieser Plot in einem weniger guten Sinn ausgedacht. Die große Mäuseverschwörung lässt einen kalt. Plötzlich vermisst man Logik und Sinn, worauf man zuvor doch gemeinsam mit dem gut gelaunten Autor gepfiffen hat. Schade um ein Buch, das mit so viel Ideen und Sprachwitz aufwartet.
Erik Fosnes Hansen: "Zum rosa Hahn", Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger, Verlag Kiepenheuer & Witsch, 496 Seiten, 24 Euro.