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Die große Oper vom Sockel geholt

Sie gehört zu den Preziosen der Oper des 20. Jahrhunderts: Richard Strauss’ und Hugo von Hofmannsthals "Ariadne auf Naxos". Als das Werk vor 90 Jahren in Wien uraufgeführt wurde, fiel es bei Presse und Publikum durch.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Die erstaunlichste Erkenntnis, die der Komponist Richard Strauss aus seiner "Ariadne"-Oper zog: Er habe "ein großes Talent zur Operette", ja er fühle sich "geradezu berufen" zum "Offenbach des 20. Jahrhunderts".

    Eine seltsame Mischung war das schon: Schauspiel und Oper, eine Kombination von burlesker Commedia dell’arte und heroischem Götterdrama, repräsentiert in den beiden weiblichen Hauptfiguren. Hier Zerbinetta, die das Leben nimmt, wie es kommt, von einem Mann zum andern. Dort Ariadne, nur einem, Theseus, sich zugehörig fühlend, dann aber, von ihm verlassen, todtrunken, in den Armen des Circe-Flüchtlings Bacchus landet.

    Schon der Weg zu diesem Zwitter war holprig. Librettist Hugo von Hofmannsthal hatte dem Regisseur Max Reinhardt für sein Deutsches Theater in Berlin eine Bearbeitung von Molieres "Bürger als Edelmann" versprochen. Das Schauspiel handelt vom Bürger Jourdain, der eine Oper in Auftrag gibt – allerdings mit skurrilsten Auflagen.

    Ein bissiger Seitenhieb auf Neureiche sollte das sein, die sich mit schmalem Kunstverstand als große Mäzene aufspielen. Räumlich ließ sich die Kombination mit Strauss’ Oper "Ariadne auf Naxos" in Reinhardts Theater freilich nicht realisieren. In Stuttgarts Kleinem Haus fand der Komponist schließlich ein Theater, das die Sänger und Reinhardts Schauspieltruppe aufzunehmen bereit war - Hofmannsthals Bedingung.

    Strauss selbst dirigierte die erste von drei Musteraufführungen am 25. Oktober 1912. Die Presse reagierte vernichtend. Aber auch die nachspielenden Bühnen erwiesen sich, zumal was das komödiantische Talent der Schauspieler anlangte, den Erwartungen der Autoren kaum gewachsen. Dazu kam, dass Strauss eine Amerika-kompatible Version einrichten wollte.

    Und so sehr beide die Erstfassung mit Schauspiel und Oper als die gültige betrachteten, machten sich die Autoren doch an eine Umarbeitung. Der Schauspielteil wurde in eine Art rezitativisches Vorspiel mit Musikeinlagen verwandelt, in dem das vom Auftraggeber geforderte Ineinander-Schneiden der heroischen Oper mit der Commedia thematisiert wird.
    Uraufgeführt wurde diese "Ariadne II" - die Fassung, die wir heute kennen - am 4. Oktober 1916 in Wien. Franz Schalk dirigierte. Es war der so genannte Novitätentag der Hofoper, der Namenstag des greisen Kaisers Franz Joseph, sein letzter.

    Die Presse reagierte diesmal weniger bissig. Man lobte die "unübertreffliche Delikatesse" von Strauss' filigranem Orchester, wo man ihn zuvor als "Meyerbeer des 20. Jahrhunderts" schalt, fand das Ganze aber nach wie vor ein bloß "ergötzliches Puppenspiel".

    Für uns heute ist Strauss-Hofmannsthals "Ariadne auf Naxos" eines der Schlüsselwerke des 20. Jahrhunderts. Es holt die große Oper vom Sockel, öffnet sie durch ihre Collage-Technik der Moderne. Hofmannsthal erspürte aus der Zeit die Notwendigkeit des Sich-Verwandelns und dabei Sich-treu-Bleibens. Und beide Autoren fühlten in der Arbeit, wie sie sich selbst wandelten.
    Strauss war sich sicher, den Wagnerschen "Musikpanzer künftig ganz ablegen" und ins Gebiet der "Spiel-, Gemüts- und Menschenoper" schlüpfen zu können. Worauf ihm Hofmannsthal, inzwischen zur Truppe eingezogen, antwortete:

    "Es ist schön, wenn ein Mann wie Sie nicht starren und stocken, sondern sich verändern und weiter kommen will, und es ist schön, dass wir einer den anderen gelegentlich zu belehren imstande sind, in einer Welt, wo alles ohne Belehrung, ohne Zucht, dumm und störrisch und selbstgerecht vor sich hinrasen will."

    Das Libretto für eine "politisch-satirisch-parodistische Operette" indes blieb Hofmannsthal ihm schuldig - schon gar, wie Strauss es vorschwebte:

    "Aus den Prachttypen [dieses Kriegs], der Wucherer als Mäzen, der Spion, der Diplomat (…) ließe sich doch eine herrliche Komödie machen. "

    Das war Post für die nächste Generation: Brecht und Weill.