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Die grüne Plage

Seit den 70er-Jahren wird die Bretagne von einer sommerliche Algenpest heimgesucht. Dass sie sich so explosionsartig vermehrt, liegt vor allem an der intensiven Landwirtschaft. Doch die Algen sind nicht nur unappetitlich, sie bilden auch ein erhebliches Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier.

Von Bettina Kaps | 13.08.2010
    Es ist Ebbe. Das Meer zieht sich zurück und hinterlässt eine dünne Schicht grüner Algen auf dem Sand. Die Traktoren sind schon am Werk. Unermüdlich schieben sie die Algen zusammen, laden sie auf LKW. Der Strand von Saint-Michel-en-Grève ist jetzt so sauber wie nie zuvor. Aber die Kosten für die Entsorgung der Algen sind immens: der Gemeindeverbund erwartet eine Rechnung über 1,4 Millionen Euro. Eine völlig absurde Geldverschwendung, sagt Gilles Huet von der Umweltvereinigung "Gewässer und Flüsse der Bretagne". Denn die Ursachen des Algenwachstums dauern an.

    "Die grünen Algen sind der Beweis dafür, dass das ökologische Gleichgewicht aus den Fugen geraten ist. Die Ursache liegt auf dem Land: Unsere Flüsse sind durch ein Übermaß an Nitraten verschmutzt. Das starke Algenwachstum hat vor 40 Jahren eingesetzt, zuerst in der Bucht von Lannion, dann in der Bucht von Saint Brieuc. Seit 15 Jahren entwickeln sich die grünen Algen nun überall an der Küste. Mehr als hundert Strände sind betroffen."

    Grund für die Wasserverschmutzung ist die Massentierhaltung ohne Weideland. Darin ist die Bretagne französischer Meister. Nirgends in Frankreich wird die Zucht so intensiv betrieben wie hier, sagt Huet. Und so viel Gülle produziert.

    "Die Bretagne verfügt über sechs Prozent des französischen Agrarlands. Hier werden fast 60 Prozent aller Schweine und 45 Prozent des Geflügels produziert. Das verkraftet die Natur nicht. Die Landwirtschaft muss umorientiert werden. Wir fordern finanzielle Anreize für die Verringerung des Tierbestands. Nur so kann die Wasserqualität verbessert werden."

    In den vergangenen 15 Jahren hat Frankreich bereits 700 Millionen Euro ausgegeben, um die Grünalgen zu beseitigen. Ohne Erfolg. Im Februar 2010 legte die Regierung einen Fünf-Jahres-Plan zum Kampf gegen die Grünalge vor. Er ist erneut mit 134 Millionen Euro ausgestattet und verlangt eine drastische Verringerung der Nitratwerte auf 10 Milligramm pro Liter Wasser. Die meisten Landwirte halten dieses Ziel für unerreichbar. Sie haben eine starke Lobby, die ihre Interessen vertritt und scharfe Umweltschutzmaßnahmen bekämpft. Dazu gehört Marc Le Fur, Parlamentsabgeordneter des bretonischen Departements Côtes d´Armor. Er findet die geltenden Regeln zum Bau neuer Zuchtanlagen für Schweine und Geflügel viel zu strikt.

    "Die französische und insbesondere die bretonische Landwirtschaft unterliegen starker Konkurrenz, vor allem aus Deutschland. Wir müssen unseren Platz als größte Agrarnation in Europa bewahren. Unsere Landwirte haben aber Knüppel zwischen den Beinen."

    Für jeden neuen Schweinestall mit mehr als 450 Plätzen muss der Landwirt eine Genehmigung einholen, die ihm die Umweltverträglichkeit bescheinigt. Marc Le Fur wollte diese Grenze jetzt auf 2.000 Schweine erhöhen. Sein Vorstoß brachte die Umweltschützer auf die Barrikaden und selbst der Landwirtschaftsminister sprach von einem negativen politischen Signal. Das Parlament lehnte den Vorschlag ab. Der Abgeordnete erzielte allerdings einen Kompromiss mit sehr dehnbaren Formulierungen. Danach können bestehende Zuchtanlagen in Zukunft ohne Genehmigung modernisiert werden, sofern sie dabei nicht, so wörtlich, "deutlich" vergrößert werden und keine "spürbaren" Auswirkungen auf die Umwelt zu erwarten sind. Marc Le Fur scheut sich nicht, wissenschaftliche Erkenntnisse anzuzweifeln, wenn er seine Politik begründet.

    "Ich mag es nicht, dass man die Tierzucht mit der Algenplage in Verbindung bringt. Die Ursache ist nicht so eindeutig wie immer behauptet wird. Oft finden wir den stärksten Algenwuchs in Wassereinzugsgebieten, wo es fast keine Tierhaltung gibt. Da darf man sich doch Fragen stellen."

    Der Umweltschützer Gilles Huet betont, dass die Intensivlandwirtschaft in der Bretagne qualitativ minderwertiges Fleisch erzeuge und wenig zur Wertschöpfung beitrage. Die Schäden, die sie anrichte, lasteten hingegen schwer auf dem Steuerzahler. Er fordert den Staat auf, sich endlich für eine klare Linie zu entscheiden.

    "Die Umweltstaatssekretärin Chantal Jouanno hat dem Staat eine Vogel-Strauß-Politik vorgeworfen. Sie hat gesagt: einerseits beklagt er sich über die Grünalgen, andererseits autorisiert er immer neue Zuchtstätten. Diese Politik hält an. Dadurch wird immer mehr Gülle und Stickstoff produziert, was die Lösung des Algenproblems noch schwieriger macht. Der Staat hat seine Widersprüche nicht beigelegt."

    Programmtipp:


    Gesichter Europas am 14. August 2010, 11:05 Uhr: Die grüne Plage - Algen vor der Bretagne