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"Die Grünen haben ein bisschen die Kurve bekommen"

Kai-Uwe Schnapp, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Hamburg, hält ein großes Wählerpotenzial in Hamburg derzeit für "grün frustriert". Für Baden-Württemberg prognostiziert er, dass die Partei das zwischenzeitliche Umfrageniveau nicht halten werde.

Prof. Kai-Uwe Schnapp im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Schon die erste Prognose in Hamburg um Punkt 18 Uhr sollte die Stimmung des gesamten Abends festlegen: Jubel in der SPD-Zentrale für die 48,3 Prozent, die ihr Kandidat Olaf Scholz geholt hat. Sehr betretene Gesichter bei der CDU für deren 21,9 Prozent, für das schlechteste Ergebnis in der Hansestadt seit Kriegsende. Erklärungsversuche gab es bereits kurz nach den ersten Prognosen, natürlich auch mit Blick auf die Bundespolitik. Signalwirkung jubelten die einen, Sonderfall die anderen.

    Über die möglichen Auswirkungen der Hamburg-Wahl auf den Bund wollen wir nun sprechen mit Kai-Uwe Schnapp. Er ist Professor für Politikwissenschaft an der Uni Hamburg. Guten Tag!

    Kai-Uwe Schnapp: Guten Tag.

    Raith: Herr Schnapp, was würden Sie sagen, Hamburg als Signal oder als Sonderfall?

    Schnapp: Letztlich beides. Ich glaube, dass die Gründe für das Wahlergebnis tatsächlich einen Hamburger Sonderfall beschreiben, der mit der ganzen politischen Entwicklung im letzten Jahr zu tun hat, Volksentscheid über das neue Schulmodell, Platzen der Koalition, Austritt der Grünen, Wechsel von Ole von Beust zu Ahlhaus. Auf der anderen Seite ein sehr starker SPD-Kandidat. Nichtsdestotrotz hat so ein Ergebnis natürlich, auch wenn es hausgemachte Gründe hat, eine Ausstrahlung in gewisser Weise auf das Bundesgebiet.

    Raith: Lässt sich denn das sehr schlechte Abschneiden der CDU allein auf das Auseinanderbrechen der Koalition, den Weggang von Beust etc. projizieren?

    Schnapp: Ich denke schon, dass sehr starke Gründe da liegen. Man schätzt ungefähr, dass Ole von Beust bis zu zehn Prozent zusätzliche Stimmen auf die CDU gezogen hat, die ja in Hamburg längst nicht so stark ist traditionell wie in anderen Bundesländern. Wenn also von Beust weggeht, haben wir da schon einen ersten Verlust. Ich kann mir vorstellen, dass gerade angestammte CDU-Wähler sich auch ein bisschen verlassen fühlten und ihm gesagt haben, wenn du uns verlässt, dann verlassen wir dich bei der Wahl. Die CDU hatte Schwierigkeiten, sich thematisch neu zu orientieren. Alles das ist zulasten der Hamburger CDU gegangen in dieser Wahl.

    Raith: Sind denn schwarz-grüne Bündnisse für Schwarz und Grün schädlich? Wenn wir uns das Wahlergebnis der Grünen anschauen, konnten die ja auch nicht gerade überzeugen gestern.

    Schnapp: Das sehe ich ein kleines bisschen differenzierter. Wenn man sich anschaut, wie negativ der Senat insgesamt bewertet wurde, dann ist es fast erstaunlich, dass die Grünen dennoch ein wenig, 1,6 Prozent, hinzugewonnen haben. Grundsätzlich würde ich der Aussage aber zustimmen. Die CDU musste sich sehr stark verbiegen an einigen Stellen, musste also Dinge tun, die ganz stark den Interessen ihrer eigentlichen Klientel widersprechen. Das gleiche gilt letztlich für die Grünen. Sie mussten die Elbvertiefung hinnehmen, sie mussten den Bau des Kohlekraftwerkes in Moorburg hinnehmen, sie konnten sich letztlich mit der Stadtbahn nicht durchsetzen. Und ich glaube, dass es tatsächlich für beide Parteien im wahltechnischen Sinne nicht sinnvoll ist, auf Landesebene oder gar auf höherer Ebene miteinander zu koalieren, zumindest nicht auf absehbarer Zeit.

    Raith: Aber die Grünen, sagen Sie, haben da gestern noch die Kurve bekommen.

    Schnapp: Die Grünen haben ein bisschen die Kurve bekommen, mit Glück. Aber das wird beim zweiten und dritten Mal wahrscheinlich nicht passieren, weil man dann anfängt, Muster zu erkennen, und dann sagt, okay, dann sind die Grünen vielleicht doch auch nicht die Partei, die ich eigentlich wählen würde. Wenn man sich anguckt: Die Piraten hatten bei der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg 0,3 Prozent der Stimmen, die hatten jetzt 2 Prozent der Stimmen, da steckt ein ganz erhebliches Potenzial, das möglicherweise auch grün wählen könnte, aber im Moment grün frustriert ist.

    Raith: Die Grünen hatten ja sehr gute Umfragewerte in den vergangenen Wochen und Monaten. Ist das jetzt der Anfang des Endes dieses Höhenflugs?

    Schnapp: Wahrscheinlich kommen die Grünen wieder so ein bisschen auf Normalmaß zurück. Es gab ein paar Anlässe in den letzten Monaten, dass sie tatsächlich sehr gute Umfragewerte hatten. Viele Gründe liegen da, glaube ich, wirklich in Baden-Württemberg. Die Grünen stehen ja immer noch vergleichsweise gut da in Relation zu den letzten Wahlergebnissen, aber sie waren, glaube ich, überbewertet, würde man im Aktienmarkt sagen, in den letzten Monaten.

    Raith: Sie haben Baden-Württemberg angesprochen. Müssen dort die Grünen jetzt bangen, doch sehr viel schlechter abzuschneiden als angenommen?

    Schnapp: Wenn man sich die letzten Trends anguckt in Baden-Württemberg, werden sie auf alle Fälle das Niveau, das sie zwischenzeitlich hatten, wo man ja fast überlegt hat, ob Baden-Württemberg demnächst einen grünen Ministerpräsidenten haben wird, das Niveau werden sie nicht halten können.

    Raith: Das heißt, es ist eine Chance für die CDU in Baden-Württemberg, trotz des schlechten Abschneidens in Hamburg?

    Schnapp: Das würde ich schon so sehen. Baden-Württemberg ist einfach das klassische CDU-Land, hat über viele Jahre hinweg eine Alleinregierung der CDU gehabt. Und die CDU in diesem Stammland zu schlagen, ist ohnehin eine große Herausforderung. Und ich kann mir vorstellen, dass die CDU dennoch als stärkste Partei aus der baden-württembergischen Landtagswahl hervorgehen wird.

    Raith: ..., sagt Kai-Uwe Schnapp, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Besten Dank für das Gespräch und die Einschätzungen.

    Schnapp: Herzlichen Dank fürs Zuhören.