Jasper Barenberg: Sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei – mit diesen Worten beschrieben sich die Grünen selber, als sie vor 30 Jahren in Karlsruhe ihre Bundespartei gründeten. Dass die natürlichen Ressourcen endlich sind und eine intakte Umwelt ein unersetzliches Gut, diesen Gedanken vor allem speisten die Grünen in die politische Debatte ein. Heute ist er auch bei der Konkurrenz längst Allgemeingut, das Alleinstellungsmerkmal damit dahin und die Grünen sind inzwischen damit beschäftigt, ihre Rolle im 5-Parteien-System neu zu definieren.
Was wünschen politische Konkurrenten den Grünen auf diesem Weg, oder enttäuschte frühere Weggefährten? – Wir haben Jutta Ditfurth gefragt, die frühere Sprecherin der Grünen, die 1991 aus der Partei ausgetreten ist, und den Zukunftsforscher Matthias Horx. Den Anfang aber macht der CSU-Politiker Peter Gauweiler, einst Umweltminister in Bayern.
O-Ton Peter Gauweiler: Ich wünsche denen wirklich alles, alles Gute, gute Besserung, und ich wünsche ihnen, dass sie ganz bestimmte Dinge, wegen derer sie ja gegründet worden sind, dass sie sich die nicht selber wegnehmen. Es ist eine Marotte zu denken, dass man der bessere Mensch sei. Alles Gute, gute Besserung, nehmt euch zusammen, von euerem alten schwarzen Peter.
O-Ton Jutta Ditfurth: Was ich den Grünen wünsche? - Eigentlich gar nichts, aber dann doch, dass sie mal ein bisschen zu Potte kommen damit, ihren Vereinigungsparteitag mit der FDP vorzubereiten.
O-Ton Matthias Horx: Ich wünsche den Grünen, dass sie aus ihrem antiautoritären Kinderladen herauskommen und sich zu glücklichen Erwachsenen entwickeln, dass sie verstehen, dass man Politik eben nicht nur mit Emotionen und Feindbildproduktionen machen kann, sondern auch mit einer hohen Form von Professionalität. Manchmal haben die Grünen das geschafft, aber sie fallen natürlich immer wieder auch zurück in kindliche Verhaltensmuster. Das ist zwar gut und schön, aber dann, finde ich, sollten sie sich eher der Piratenpartei anschließen.
Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung. Einen schönen guten Morgen, Ralf Fücks.
Ralf Fücks: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Fücks, lassen Sie uns mal ein paar dieser Anmerkungen durchgehen. Peter Gauweiler redet von der Marotte der Grünen, der bessere Mensch zu sein. Trifft das?
Fücks: Ich denke nicht, dass die Grünen das für sich reklamieren. Das war vielleicht in der Vergangenheit manchmal so. Es geht darum, die bessere Politik zu haben, und nicht, sich moralisch über andere zu erheben. Wir haben natürlich auch eine Entwicklung über die letzten 30 Jahre durchgemacht, in der wir respektieren, dass politische Gegner nicht Feinde sind und dass eine Partei nicht einen Anspruch auf die letzten Wahrheiten hat. Aber der Streit um die bessere Politik, das gehört zum Kern der Grünen.
Barenberg: Aber Sie räumen auch ein, Herr Fücks, dieser Gestus der moralischen Überlegenheit, das ist auch Bestandteil der ja nun inzwischen schon 30-jährigen Geschichte der Grünen?
Fücks: Ja, gut, die Grünen sind angetreten, um die Welt zu retten, und ich meine das mit vollem Ernst, weil die Themen, die sie aufgeworfen haben, die ökologische Krise, die Ressourcenkrise, berühren tatsächlich wenn nicht die Zukunft der Erde, doch zumindest die Zukunft des menschlichen Lebens auf dieser Erde, und daraus kam natürlich ein ganz starker moralischer Impuls. Das galt auch für die Forderung nach Abrüstung, angesichts eines drohenden atomaren Infernos; das galt für die Auseinandersetzung mit hohen Risikotechnologien wie Atomkraft. Das heißt, die Grünen haben sich mit Themen befasst, die auch ums Ganze gingen und gehen, und daraus kam natürlich auch eine große emotionale Kraft in dieser Auseinandersetzung und manchmal vielleicht auch ein Stück an moralischer Überheblichkeit, und das ist doch heute aber wirklich übersetzt worden in den Streit um alternative Konzepte.
Barenberg: Oder, wie Jutta Ditfurth in unserer kleinen Umfrage eingeworfen hat, dem dringenden Bedürfnis, sich mit der FDP zu vereinen, wie sie es etwas schelmisch, um nicht zu sagen ironisch angemerkt hat. Auch das ja ein Bild, das man dieser Tage gelegentlich lesen kann, die Grünen als eine Art grüne FDP. Trifft das auch?
Fücks: Das finde ich nun einen ganz schlechten Witz von Jutta Ditfurth, die ihre alten Feindschaften mit den Grünen pflegt. Die Grünen sind doch in vielem der Antipode zur FDP. In der ökologischen Frage ist das evident; da ist die FDP einfach analphabetisch. Das gilt aber auch für steuer- und sozialpolitische Fragen: Wir sind gegen die Verarmung des Staates, wir sind für starke öffentliche Güter wie Bildung oder öffentlicher Verkehr oder Kultur, die auch durch Steuern finanziert werden müssen, wir sind für Chancengleichheit und Teilhabe aller und nicht für eine Politik, die sich auf die Privilegierten konzentriert. Was allerdings stimmt ist, dass wir zunehmend einen Platz im gesellschaftlichen Zentrum besetzen, der uns nach unterschiedlichen Richtungen koalitionsfähig macht, eine Position, die in den 80er-, 90er-Jahren die FDP hatte.
Barenberg: Darauf würde ich gleich noch mal gerne zurückkommen, wollte aber einmal noch die Vergangenheit ein Stück weit wach werden lassen, also die Vergangenheit der sogenannten Bewegungspartei, wie man damals in der Wissenschaft sagte, oder der Anti-Parteien-Partei, wie einige der ersten Grünen selbst gesagt haben, eine Partei, die sich aus ganz vielen Wurzeln speiste, aus sehr vielen sozialen Bewegungen. Was unterscheidet die Partei heute von der damals?
Fücks: Die Grünen waren damals richtig ein wildes Sammelsurium von Kräften, die erst zu einer politischen Partei werden mussten. Das reichte ja von Wertkonservativen wie dem ehemaligen CDU-Abgeordneten Herbert Gruhl bis zu Linksradikalen; das ist auch meine politische Vergangenheit. Da waren Naturschützer neben Feministinnen, Bürgerinitiativ-Aktivisten gegenüber Leuten, die eine linke Partei aus den Grünen machen wollten. Das hat sich inzwischen gerüttelt und geschüttelt, das konnte auch in dieser Spannbreite nicht zusammen bleiben. Heute sind die Grünen eine parlamentarische Reformpartei, die aber nach wie vor auch ihre außerparlamentarischen Wurzeln hat, und sie haben, denke ich, gelernt, dass man Reformen und Kompromisse nicht verachten darf, solange sie in die richtige Richtung führen, dass Parlamentarismus nicht bedeutet, dass eine Partei zu 100 Prozent ihr Programm durchsetzen kann. Sicher haben die Grünen auch mehr Respekt vor dem Parlament gewonnen als ein Ort von Auseinandersetzung über das Gemeinwohl und über die Zukunft der Gesellschaft, während sie zu ihren Anfangszeiten eher dachten, man sollte das Parlament als eine bloße Plattform für außerparlamentarische Politik benutzen.
Barenberg: Damals war ja auch das ungeklärte Verhältnis zur Gewalt ein ständiger Stachel und Anstachel für die anderen, über die Grünen herzufallen und herzuziehen. Ist sozusagen die geordnete Lösung dieser ungeklärten Frage zur staatlichen Gewalt, ist das einer der wesentlichen Fortschritte in der Entwicklung der Grünen von innen betrachtet?
Fücks: Das sehe ich eher so, dass die Grünen ja von Anfang an mit diesem Grundsatz der Gewaltfreiheit darauf verzichtet haben, den politischen Kampf mit zivilen Methoden, mit zivilen Mitteln zu führen, und das war auch eine sehr bewusste Antwort auf den Terror der RAF und die gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen in den 70er-Jahren. Man denkt heute oft, Gewaltfreiheit wäre nur ein pazifistisches Prinzip für die Außenpolitik gewesen; es war vor allem ein gesellschaftspolitisches Prinzip, Gewaltfreiheit nach innen, um die Zivilität der Politik zu bewahren und nicht in einen Bürgerkrieg zu fallen. Das empfinde ich als einen großen Verdienst der Grünen, auch gegenüber ihren Vorläuferbewegungen. Das war ein Lernprozess, der wichtig war für den inneren Frieden in der Bundesrepublik.
Barenberg: Heute ist das grüne Lebensgefühl, wenn ich es mal so nennen darf, all überall erkennbar, ist Mainstream in gewisser Weise, die bewusste Ernährung, spritsparende Autos, kein Atommüll. Dennoch: bei der Bundestagswahl landen die Grünen deutlich hinter der FDP und der Linkspartei. Der Zeitgeist, so hat es den Eindruck, ist grün, aber die Grünen sind im Parlament Letzte. Warum?
Fücks: Nun gibt es ja eine bunte Vielfalt von grünen Wahlergebnissen, die auch deutlich über die Bundestagswahl hinausgehen. Es gibt große Städte, in denen wir inzwischen um die Nummer 2, oder sogar um die Nummer 1 kämpfen, vielleicht sogar in Berlin im kommenden Jahr. Ich glaube auch, dass unser Potenzial noch deutlich größer ist und dass die Krise der Volksparteien, bei der die SPD der CDU nur vorangeht, Raum für die Grünen schafft, um zu wachsen. Wir haben kein Monopol mehr auf Ökologie und andere grüne Themen, aber wir können und müssen zu einer Avantgarde werden, zu der vorwärts treibenden Kraft jetzt bei der Umsetzung grüner Ideen, zum Beispiel was die Verbindung von Ökologie und ökonomischer Modernisierung angeht. Da sehe ich noch viel Luft für die Grünen.
Barenberg: Die Wirtschaft nicht der CDU überlassen, das Soziale nicht der SPD, die Gerechtigkeit nicht der Linken und die Freiheit nicht der FDP. Das habe ich einmal gelesen von einem Grünen über die neue Marschrichtung. Ist das die neue Devise?
Fücks: Die Grünen haben tatsächlich ja in ihrem Programm und in ihrer Geschichte Elemente aus unterschiedlichen politischen Traditionen aufgenommen. Dazu gehört das Libertäre, das Bestehen auf Selbstbestimmung, genauso wie ein sehr vehementer Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und faire Chancen für alle. Insofern sind wir tatsächlich in der Lage, in unterschiedliche politische Himmelsrichtungen auszugreifen, und müssen uns nicht in ein linkes Lager einsperren.
Barenberg: Das heißt, davon gehen Sie schon aus, dass sich die Grünen dieser abermaligen Lagerbildung entziehen, die da im Moment lautet, linkes Lager SPD, Linke, Grüne, gegen sogenanntes bürgerliches Lager aus Union und FDP?
Fücks: Ja. Weder kann man akzeptieren, dass Union und FDP den Anspruch des Bürgerlichen für sich vereinnahmen, noch würde ich den Grünen raten, sich in ein Linksbündnis zurückzuziehen, das gesellschaftlich keine tragfähigen Mehrheiten mobilisieren kann, wenn es um die große Veränderung geht, die wir vor haben, nämlich die ökologische Transformation der Industriegesellschaft und eine Modernisierung des Sozialstaats unter den Bedingungen von Globalisierung und demografischem Wandel. Dafür braucht man breitere gesellschaftliche Allianzen.
Barenberg: Und wo werden sie die finden? Ich spiele natürlich an auf die Diskussionen um Schwarz-Grün.
Fücks: Ich bin weit davon entfernt, ein Koalitionsmodell durch ein anderes allein Seligmachendes ersetzen zu wollen. Ich finde, die Grünen haben dazu kluge Beschlüsse gefasst, dass sie ihre Eigenständigkeit als politische Partei stärken wollen und von dort aus in unterschiedliche Richtungen koalitionsfähig sein wollen, dann, wenn Politik und Programm so weit übereinstimmt, dass die Grünen sich darin auch wiederfinden.
Barenberg: Die Einschätzungen von Ralf Fücks, dem Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung.
Was wünschen politische Konkurrenten den Grünen auf diesem Weg, oder enttäuschte frühere Weggefährten? – Wir haben Jutta Ditfurth gefragt, die frühere Sprecherin der Grünen, die 1991 aus der Partei ausgetreten ist, und den Zukunftsforscher Matthias Horx. Den Anfang aber macht der CSU-Politiker Peter Gauweiler, einst Umweltminister in Bayern.
O-Ton Peter Gauweiler: Ich wünsche denen wirklich alles, alles Gute, gute Besserung, und ich wünsche ihnen, dass sie ganz bestimmte Dinge, wegen derer sie ja gegründet worden sind, dass sie sich die nicht selber wegnehmen. Es ist eine Marotte zu denken, dass man der bessere Mensch sei. Alles Gute, gute Besserung, nehmt euch zusammen, von euerem alten schwarzen Peter.
O-Ton Jutta Ditfurth: Was ich den Grünen wünsche? - Eigentlich gar nichts, aber dann doch, dass sie mal ein bisschen zu Potte kommen damit, ihren Vereinigungsparteitag mit der FDP vorzubereiten.
O-Ton Matthias Horx: Ich wünsche den Grünen, dass sie aus ihrem antiautoritären Kinderladen herauskommen und sich zu glücklichen Erwachsenen entwickeln, dass sie verstehen, dass man Politik eben nicht nur mit Emotionen und Feindbildproduktionen machen kann, sondern auch mit einer hohen Form von Professionalität. Manchmal haben die Grünen das geschafft, aber sie fallen natürlich immer wieder auch zurück in kindliche Verhaltensmuster. Das ist zwar gut und schön, aber dann, finde ich, sollten sie sich eher der Piratenpartei anschließen.
Barenberg: Am Telefon begrüße ich jetzt den Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung. Einen schönen guten Morgen, Ralf Fücks.
Ralf Fücks: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Fücks, lassen Sie uns mal ein paar dieser Anmerkungen durchgehen. Peter Gauweiler redet von der Marotte der Grünen, der bessere Mensch zu sein. Trifft das?
Fücks: Ich denke nicht, dass die Grünen das für sich reklamieren. Das war vielleicht in der Vergangenheit manchmal so. Es geht darum, die bessere Politik zu haben, und nicht, sich moralisch über andere zu erheben. Wir haben natürlich auch eine Entwicklung über die letzten 30 Jahre durchgemacht, in der wir respektieren, dass politische Gegner nicht Feinde sind und dass eine Partei nicht einen Anspruch auf die letzten Wahrheiten hat. Aber der Streit um die bessere Politik, das gehört zum Kern der Grünen.
Barenberg: Aber Sie räumen auch ein, Herr Fücks, dieser Gestus der moralischen Überlegenheit, das ist auch Bestandteil der ja nun inzwischen schon 30-jährigen Geschichte der Grünen?
Fücks: Ja, gut, die Grünen sind angetreten, um die Welt zu retten, und ich meine das mit vollem Ernst, weil die Themen, die sie aufgeworfen haben, die ökologische Krise, die Ressourcenkrise, berühren tatsächlich wenn nicht die Zukunft der Erde, doch zumindest die Zukunft des menschlichen Lebens auf dieser Erde, und daraus kam natürlich ein ganz starker moralischer Impuls. Das galt auch für die Forderung nach Abrüstung, angesichts eines drohenden atomaren Infernos; das galt für die Auseinandersetzung mit hohen Risikotechnologien wie Atomkraft. Das heißt, die Grünen haben sich mit Themen befasst, die auch ums Ganze gingen und gehen, und daraus kam natürlich auch eine große emotionale Kraft in dieser Auseinandersetzung und manchmal vielleicht auch ein Stück an moralischer Überheblichkeit, und das ist doch heute aber wirklich übersetzt worden in den Streit um alternative Konzepte.
Barenberg: Oder, wie Jutta Ditfurth in unserer kleinen Umfrage eingeworfen hat, dem dringenden Bedürfnis, sich mit der FDP zu vereinen, wie sie es etwas schelmisch, um nicht zu sagen ironisch angemerkt hat. Auch das ja ein Bild, das man dieser Tage gelegentlich lesen kann, die Grünen als eine Art grüne FDP. Trifft das auch?
Fücks: Das finde ich nun einen ganz schlechten Witz von Jutta Ditfurth, die ihre alten Feindschaften mit den Grünen pflegt. Die Grünen sind doch in vielem der Antipode zur FDP. In der ökologischen Frage ist das evident; da ist die FDP einfach analphabetisch. Das gilt aber auch für steuer- und sozialpolitische Fragen: Wir sind gegen die Verarmung des Staates, wir sind für starke öffentliche Güter wie Bildung oder öffentlicher Verkehr oder Kultur, die auch durch Steuern finanziert werden müssen, wir sind für Chancengleichheit und Teilhabe aller und nicht für eine Politik, die sich auf die Privilegierten konzentriert. Was allerdings stimmt ist, dass wir zunehmend einen Platz im gesellschaftlichen Zentrum besetzen, der uns nach unterschiedlichen Richtungen koalitionsfähig macht, eine Position, die in den 80er-, 90er-Jahren die FDP hatte.
Barenberg: Darauf würde ich gleich noch mal gerne zurückkommen, wollte aber einmal noch die Vergangenheit ein Stück weit wach werden lassen, also die Vergangenheit der sogenannten Bewegungspartei, wie man damals in der Wissenschaft sagte, oder der Anti-Parteien-Partei, wie einige der ersten Grünen selbst gesagt haben, eine Partei, die sich aus ganz vielen Wurzeln speiste, aus sehr vielen sozialen Bewegungen. Was unterscheidet die Partei heute von der damals?
Fücks: Die Grünen waren damals richtig ein wildes Sammelsurium von Kräften, die erst zu einer politischen Partei werden mussten. Das reichte ja von Wertkonservativen wie dem ehemaligen CDU-Abgeordneten Herbert Gruhl bis zu Linksradikalen; das ist auch meine politische Vergangenheit. Da waren Naturschützer neben Feministinnen, Bürgerinitiativ-Aktivisten gegenüber Leuten, die eine linke Partei aus den Grünen machen wollten. Das hat sich inzwischen gerüttelt und geschüttelt, das konnte auch in dieser Spannbreite nicht zusammen bleiben. Heute sind die Grünen eine parlamentarische Reformpartei, die aber nach wie vor auch ihre außerparlamentarischen Wurzeln hat, und sie haben, denke ich, gelernt, dass man Reformen und Kompromisse nicht verachten darf, solange sie in die richtige Richtung führen, dass Parlamentarismus nicht bedeutet, dass eine Partei zu 100 Prozent ihr Programm durchsetzen kann. Sicher haben die Grünen auch mehr Respekt vor dem Parlament gewonnen als ein Ort von Auseinandersetzung über das Gemeinwohl und über die Zukunft der Gesellschaft, während sie zu ihren Anfangszeiten eher dachten, man sollte das Parlament als eine bloße Plattform für außerparlamentarische Politik benutzen.
Barenberg: Damals war ja auch das ungeklärte Verhältnis zur Gewalt ein ständiger Stachel und Anstachel für die anderen, über die Grünen herzufallen und herzuziehen. Ist sozusagen die geordnete Lösung dieser ungeklärten Frage zur staatlichen Gewalt, ist das einer der wesentlichen Fortschritte in der Entwicklung der Grünen von innen betrachtet?
Fücks: Das sehe ich eher so, dass die Grünen ja von Anfang an mit diesem Grundsatz der Gewaltfreiheit darauf verzichtet haben, den politischen Kampf mit zivilen Methoden, mit zivilen Mitteln zu führen, und das war auch eine sehr bewusste Antwort auf den Terror der RAF und die gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen in den 70er-Jahren. Man denkt heute oft, Gewaltfreiheit wäre nur ein pazifistisches Prinzip für die Außenpolitik gewesen; es war vor allem ein gesellschaftspolitisches Prinzip, Gewaltfreiheit nach innen, um die Zivilität der Politik zu bewahren und nicht in einen Bürgerkrieg zu fallen. Das empfinde ich als einen großen Verdienst der Grünen, auch gegenüber ihren Vorläuferbewegungen. Das war ein Lernprozess, der wichtig war für den inneren Frieden in der Bundesrepublik.
Barenberg: Heute ist das grüne Lebensgefühl, wenn ich es mal so nennen darf, all überall erkennbar, ist Mainstream in gewisser Weise, die bewusste Ernährung, spritsparende Autos, kein Atommüll. Dennoch: bei der Bundestagswahl landen die Grünen deutlich hinter der FDP und der Linkspartei. Der Zeitgeist, so hat es den Eindruck, ist grün, aber die Grünen sind im Parlament Letzte. Warum?
Fücks: Nun gibt es ja eine bunte Vielfalt von grünen Wahlergebnissen, die auch deutlich über die Bundestagswahl hinausgehen. Es gibt große Städte, in denen wir inzwischen um die Nummer 2, oder sogar um die Nummer 1 kämpfen, vielleicht sogar in Berlin im kommenden Jahr. Ich glaube auch, dass unser Potenzial noch deutlich größer ist und dass die Krise der Volksparteien, bei der die SPD der CDU nur vorangeht, Raum für die Grünen schafft, um zu wachsen. Wir haben kein Monopol mehr auf Ökologie und andere grüne Themen, aber wir können und müssen zu einer Avantgarde werden, zu der vorwärts treibenden Kraft jetzt bei der Umsetzung grüner Ideen, zum Beispiel was die Verbindung von Ökologie und ökonomischer Modernisierung angeht. Da sehe ich noch viel Luft für die Grünen.
Barenberg: Die Wirtschaft nicht der CDU überlassen, das Soziale nicht der SPD, die Gerechtigkeit nicht der Linken und die Freiheit nicht der FDP. Das habe ich einmal gelesen von einem Grünen über die neue Marschrichtung. Ist das die neue Devise?
Fücks: Die Grünen haben tatsächlich ja in ihrem Programm und in ihrer Geschichte Elemente aus unterschiedlichen politischen Traditionen aufgenommen. Dazu gehört das Libertäre, das Bestehen auf Selbstbestimmung, genauso wie ein sehr vehementer Anspruch auf soziale Gerechtigkeit und faire Chancen für alle. Insofern sind wir tatsächlich in der Lage, in unterschiedliche politische Himmelsrichtungen auszugreifen, und müssen uns nicht in ein linkes Lager einsperren.
Barenberg: Das heißt, davon gehen Sie schon aus, dass sich die Grünen dieser abermaligen Lagerbildung entziehen, die da im Moment lautet, linkes Lager SPD, Linke, Grüne, gegen sogenanntes bürgerliches Lager aus Union und FDP?
Fücks: Ja. Weder kann man akzeptieren, dass Union und FDP den Anspruch des Bürgerlichen für sich vereinnahmen, noch würde ich den Grünen raten, sich in ein Linksbündnis zurückzuziehen, das gesellschaftlich keine tragfähigen Mehrheiten mobilisieren kann, wenn es um die große Veränderung geht, die wir vor haben, nämlich die ökologische Transformation der Industriegesellschaft und eine Modernisierung des Sozialstaats unter den Bedingungen von Globalisierung und demografischem Wandel. Dafür braucht man breitere gesellschaftliche Allianzen.
Barenberg: Und wo werden sie die finden? Ich spiele natürlich an auf die Diskussionen um Schwarz-Grün.
Fücks: Ich bin weit davon entfernt, ein Koalitionsmodell durch ein anderes allein Seligmachendes ersetzen zu wollen. Ich finde, die Grünen haben dazu kluge Beschlüsse gefasst, dass sie ihre Eigenständigkeit als politische Partei stärken wollen und von dort aus in unterschiedliche Richtungen koalitionsfähig sein wollen, dann, wenn Politik und Programm so weit übereinstimmt, dass die Grünen sich darin auch wiederfinden.
Barenberg: Die Einschätzungen von Ralf Fücks, dem Vorsitzenden der Heinrich-Böll-Stiftung.