Krohn: Gewalttätige Ausschreitungen sind im italienischen Fußball ein Dauerproblem. Anfang des Jahres wurde bei Krawallen Sizilien ein Polizist erschlagen. Die Meisterschaftsspiele der italienischen Liga wurden daraufhin zunächst ausgesetzt. Später fanden viele Spiele ohne Zuschauer statt. Das Problem aber besteht weiter, wie die Ereignisse dieses Wochenendes zeigten. Am Sonntag erschoss ein Polizist einen Fan von Lazio Rom. Darauf reagierten Hooligans in verschiedenen Städten mit gewalttätigen Krawallen.
Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Gunter Pilz, Sozialwissenschaftler und Fanforscher der Universität Hannover. Guten Tag Herr Pilz!
Pilz: Guten Tag!
Krohn: Herr Pilz, warum erlebt gerade Italien immer wieder so schwere Ausschreitungen?
Pilz: Das ist vielleicht die Ernte von vielen Jahren von Versäumnissen, dass man eben die Probleme, die sich um diese Fankulturen dort entwickelt haben, nicht ernst genommen hat: sowohl seitens der Politik. Man hat zwar schon seit vielen Jahren auch entsprechende Maßnahmen zumindest geplant, Gesetze gemacht, aber keiner warum darum bemüht, nachher auch dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden. Genauso haben die Vereine sich sehr viel mehr darüber Gedanken gemacht, wie man teuere Spieler kaufen kann, als dass man Geld auch in Sicherheitsstandards und vielleicht sozialpädagogische Projekte gibt.
Krohn: In dem Beitrag wurde ja als eine Erklärung auch Frust über die Politik genannt. Greift das weit genug?
Pilz: Das glaube ich nicht. Das mag durchaus sicherlich ein kleiner Mosaikstein sein, aber es gibt natürlich viele Facetten, die das begründen. Was wir zum Teil auch beobachten ist, dass gerade die Fanszene sich zunehmend auch dadurch auszeichnet, dass sie ein ausgeprägtes Feindbild Polizei haben. Wenn Polizei in irgendeiner Weise reagiert, dann solidarisieren sich selbst besonnene Fans, die nichts mit Gewalt zu tun haben und eigentlich auch von Hause aus friedfertig sind, mit den gewaltbereiten gegen die Polizei. Das ist eine grundsätzliche gefährliche Stimmung, die nicht nur in Italien, sondern auch bei uns zu beobachten ist.
Krohn: Wie politisch ist denn diese Gewalt motiviert?
Pilz: In Italien weiß man ja, dass gerade die Ultragruppierungen sich durch zwei politische extreme Stränge gruppieren. Es gibt auf der einen Seite ganz extrem rechts orientierte rechtsradikale Ultragruppierungen - die bekannteste Lazio Rom - und es gibt umgekehrt genauso, weil ja eigentlich die Tradition der Ultras sogar eher links orientiert war, linksextremistische. Und da Ultras, wenn sie verfeindet sind, vor allen Dingen so was wie Revierverteidigung und auch Reviereroberung bei diesen Spielen betreiben, sind natürlich dann, wenn da noch politisch gegensätzliche Fangruppierungen aufeinanderprallen, die Probleme noch größer.
Krohn: Nun ist Süditalien wirtschaftlich besonders abgeschlagen und in diesem Jahr gab es in Sizilien den toten Polizisten. Jetzt war Rom Schwerpunkt der Auseinandersetzung. Beeinflusst das Nord-Süd-Gefälle auch das Fanproblem?
Pilz: Es mag vielleicht etwas geben, aber wenn Sie schauen, ob das nun unten in Süditalien ist oder Mailand ist ja nun bekanntlich im Norden, dann haben sie die Problemgruppen in allen Landesbereichen. Sie haben sie im Süden, sie haben sie in Rom und sie haben sie in Mailand. Auch die politischen Gruppierungen sind durchaus quer durch das Land zugegen, so dass dieses Nord-Süd-Gefälle denke ich weniger eine Rolle spielt.
Krohn: Nach dem Tod des Polizisten in Sizilien Anfang des Jahres hat die Politik reagiert. Polizeichefs dürfen seither Spiele aus Sicherheitsgründen absagen. Hat die italienische Politik genug getan?
Pilz: Die haben ja selber schon viel früher Gesetze erlassen, die mehr Sicherheitsstandards in den Stadien und um die Spiele herum fordern. Sie haben es aber immer versäumt, dort auch mit Nachdruck dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Jetzt versucht man mit brachialer Gewalt und mit populistischen, aktionistischen Maßnahmen etwas in den Griff zu kriegen, was eigentlich auch wieder nur kontraproduktiv sein wird, weil es nämlich die Fans und die Gruppierungen solidarisch noch mehr zusammenschweißt und erst recht Feindbilder noch mal produziert. Hier wünschte man sich wirklich das eine, dass man behutsam dafür sorgt, dass die Gesetze, die man gemacht hat, eingehalten werden und zum zweiten, dass man besonnen ein Konzept entwickelt, das langfristig dieses Problem in den Griff kriegt. Aber mit Aktionismus verschärft man eher die Probleme.
Krohn: Auf welche der Gesetze setzen Sie da besonders?
Pilz: Ich denke es geht einmal darum: In Deutschland haben wir ein wunderbares nationales Konzept Sport und Sicherheit, eine ausgewogene Balance auf der einen Seite zwischen Repression und auf der anderen Seite Prävention. Repression, wo szenekundige Beamte eingesetzt werden, wo es klare Verordnungen gibt, Stadionordnungen, wo es genaue Regularien gibt, wo es bis hin auch zu den von manchen verhassten Stadionverboten geht. Also durchaus eine breite Palette von Maßnahmen, die man angeht.
Auf der anderen Seite die Forderung von sozialpädagogischen begleitenden Projekten. Jeder Verein muss einen Fanbeauftragten haben, der die Interessen der Fans auch wahrnehmen muss und somit ein Stück Nähe herstellt. Da gibt es eine breite Palette von Maßnahmen, die ergriffen werden können.
In Italien hat man zumindest, was die Stadien anbelangt, ebenfalls entsprechend bauliche Sicherheitsstandards gefordert, wie sie bei uns in der ersten Liga Standard sind, die eben dann zum Teil noch nicht umgesetzt wurden. Das hat ja dazu geführt, dass man dann manche Spiele untersagt hat, unter anderem auch in Mailand, weil das Stadion nicht den geforderten Sicherheitsstandards entsprach. Mittlerweile hat man das nachgeholt. Also man sieht: wenn man den entsprechenden Druck macht oder das ernst nimmt, was man erlassen hat, kann man auch Probleme lösen.
Krohn: Ist Italien weniger weit als andere europäische Staaten in der Bekämpfung von Fan-Auseinandersetzungen?
Pilz: In jedem Fall! Ich sage ja: die haben viel zu lange geschlafen und die haben das Problem nicht ernst genommen. Vielleicht ist es ja auch ein Stück das Problem der Mentalität der Verbandsführer. Wenn Sie wissen, dass der Präsident der italienischen Fußball-Liga auf die Ereignisse damals in Sizilien nur reagiert hat auf den Toten, dass Tote zum System gehören, dann sehen Sie, in welchen Denkkategorien die arbeiten. Von solchen Verbandsfunktionären können sie natürlich wenig erwarten, dass sie diese Probleme ernsthaft und seriös angehen. Insofern gibt es dort natürlich noch einen Riesen Nachholbedarf.
Krohn: Im Deutschlandfunk war das der Sozialwissenschaftler Gunter Pilz. Vielen Dank für das Gespräch!
Pilz: Ich danke auch.
Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Gunter Pilz, Sozialwissenschaftler und Fanforscher der Universität Hannover. Guten Tag Herr Pilz!
Pilz: Guten Tag!
Krohn: Herr Pilz, warum erlebt gerade Italien immer wieder so schwere Ausschreitungen?
Pilz: Das ist vielleicht die Ernte von vielen Jahren von Versäumnissen, dass man eben die Probleme, die sich um diese Fankulturen dort entwickelt haben, nicht ernst genommen hat: sowohl seitens der Politik. Man hat zwar schon seit vielen Jahren auch entsprechende Maßnahmen zumindest geplant, Gesetze gemacht, aber keiner warum darum bemüht, nachher auch dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden. Genauso haben die Vereine sich sehr viel mehr darüber Gedanken gemacht, wie man teuere Spieler kaufen kann, als dass man Geld auch in Sicherheitsstandards und vielleicht sozialpädagogische Projekte gibt.
Krohn: In dem Beitrag wurde ja als eine Erklärung auch Frust über die Politik genannt. Greift das weit genug?
Pilz: Das glaube ich nicht. Das mag durchaus sicherlich ein kleiner Mosaikstein sein, aber es gibt natürlich viele Facetten, die das begründen. Was wir zum Teil auch beobachten ist, dass gerade die Fanszene sich zunehmend auch dadurch auszeichnet, dass sie ein ausgeprägtes Feindbild Polizei haben. Wenn Polizei in irgendeiner Weise reagiert, dann solidarisieren sich selbst besonnene Fans, die nichts mit Gewalt zu tun haben und eigentlich auch von Hause aus friedfertig sind, mit den gewaltbereiten gegen die Polizei. Das ist eine grundsätzliche gefährliche Stimmung, die nicht nur in Italien, sondern auch bei uns zu beobachten ist.
Krohn: Wie politisch ist denn diese Gewalt motiviert?
Pilz: In Italien weiß man ja, dass gerade die Ultragruppierungen sich durch zwei politische extreme Stränge gruppieren. Es gibt auf der einen Seite ganz extrem rechts orientierte rechtsradikale Ultragruppierungen - die bekannteste Lazio Rom - und es gibt umgekehrt genauso, weil ja eigentlich die Tradition der Ultras sogar eher links orientiert war, linksextremistische. Und da Ultras, wenn sie verfeindet sind, vor allen Dingen so was wie Revierverteidigung und auch Reviereroberung bei diesen Spielen betreiben, sind natürlich dann, wenn da noch politisch gegensätzliche Fangruppierungen aufeinanderprallen, die Probleme noch größer.
Krohn: Nun ist Süditalien wirtschaftlich besonders abgeschlagen und in diesem Jahr gab es in Sizilien den toten Polizisten. Jetzt war Rom Schwerpunkt der Auseinandersetzung. Beeinflusst das Nord-Süd-Gefälle auch das Fanproblem?
Pilz: Es mag vielleicht etwas geben, aber wenn Sie schauen, ob das nun unten in Süditalien ist oder Mailand ist ja nun bekanntlich im Norden, dann haben sie die Problemgruppen in allen Landesbereichen. Sie haben sie im Süden, sie haben sie in Rom und sie haben sie in Mailand. Auch die politischen Gruppierungen sind durchaus quer durch das Land zugegen, so dass dieses Nord-Süd-Gefälle denke ich weniger eine Rolle spielt.
Krohn: Nach dem Tod des Polizisten in Sizilien Anfang des Jahres hat die Politik reagiert. Polizeichefs dürfen seither Spiele aus Sicherheitsgründen absagen. Hat die italienische Politik genug getan?
Pilz: Die haben ja selber schon viel früher Gesetze erlassen, die mehr Sicherheitsstandards in den Stadien und um die Spiele herum fordern. Sie haben es aber immer versäumt, dort auch mit Nachdruck dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Jetzt versucht man mit brachialer Gewalt und mit populistischen, aktionistischen Maßnahmen etwas in den Griff zu kriegen, was eigentlich auch wieder nur kontraproduktiv sein wird, weil es nämlich die Fans und die Gruppierungen solidarisch noch mehr zusammenschweißt und erst recht Feindbilder noch mal produziert. Hier wünschte man sich wirklich das eine, dass man behutsam dafür sorgt, dass die Gesetze, die man gemacht hat, eingehalten werden und zum zweiten, dass man besonnen ein Konzept entwickelt, das langfristig dieses Problem in den Griff kriegt. Aber mit Aktionismus verschärft man eher die Probleme.
Krohn: Auf welche der Gesetze setzen Sie da besonders?
Pilz: Ich denke es geht einmal darum: In Deutschland haben wir ein wunderbares nationales Konzept Sport und Sicherheit, eine ausgewogene Balance auf der einen Seite zwischen Repression und auf der anderen Seite Prävention. Repression, wo szenekundige Beamte eingesetzt werden, wo es klare Verordnungen gibt, Stadionordnungen, wo es genaue Regularien gibt, wo es bis hin auch zu den von manchen verhassten Stadionverboten geht. Also durchaus eine breite Palette von Maßnahmen, die man angeht.
Auf der anderen Seite die Forderung von sozialpädagogischen begleitenden Projekten. Jeder Verein muss einen Fanbeauftragten haben, der die Interessen der Fans auch wahrnehmen muss und somit ein Stück Nähe herstellt. Da gibt es eine breite Palette von Maßnahmen, die ergriffen werden können.
In Italien hat man zumindest, was die Stadien anbelangt, ebenfalls entsprechend bauliche Sicherheitsstandards gefordert, wie sie bei uns in der ersten Liga Standard sind, die eben dann zum Teil noch nicht umgesetzt wurden. Das hat ja dazu geführt, dass man dann manche Spiele untersagt hat, unter anderem auch in Mailand, weil das Stadion nicht den geforderten Sicherheitsstandards entsprach. Mittlerweile hat man das nachgeholt. Also man sieht: wenn man den entsprechenden Druck macht oder das ernst nimmt, was man erlassen hat, kann man auch Probleme lösen.
Krohn: Ist Italien weniger weit als andere europäische Staaten in der Bekämpfung von Fan-Auseinandersetzungen?
Pilz: In jedem Fall! Ich sage ja: die haben viel zu lange geschlafen und die haben das Problem nicht ernst genommen. Vielleicht ist es ja auch ein Stück das Problem der Mentalität der Verbandsführer. Wenn Sie wissen, dass der Präsident der italienischen Fußball-Liga auf die Ereignisse damals in Sizilien nur reagiert hat auf den Toten, dass Tote zum System gehören, dann sehen Sie, in welchen Denkkategorien die arbeiten. Von solchen Verbandsfunktionären können sie natürlich wenig erwarten, dass sie diese Probleme ernsthaft und seriös angehen. Insofern gibt es dort natürlich noch einen Riesen Nachholbedarf.
Krohn: Im Deutschlandfunk war das der Sozialwissenschaftler Gunter Pilz. Vielen Dank für das Gespräch!
Pilz: Ich danke auch.