Verheugen: Guten Morgen!
Spengler: Ist diese Resolution für Sie mehr als die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner?
Verheugen: Nein. Ich glaube schon, dass mit dieser Resolution die Grundlinien einer europäischen Außenpolitik wieder schärfere Gestalt annehmen. Es ist ein sehr tragfähiger Kompromiss. Natürlich zeigt sich, dass, wenn man europäische Positionen formuliert, alle Seiten sich ein Stück bewegen müssen. Das ist geschehen. Alle Mitgliedstaaten, glaube ich, können mit dieser Resolution sehr gut leben. Und das hilft uns wirklich weiter.
Spengler: Auch Deutschland hat sich bewegt. Möglich wurde die Einigung ja auch deswegen, weil Berlin nun Gewalt auch nicht mehr ausschließt. Hätte man das nicht schon früher haben können?
Verheugen: Das war ja schon der Fall. In der deutsch-französisch-russischen Erklärung war ja der Hinweis auf die Erzwingung von UN-Maßnahmen als äußerstes Mittel nicht ausgeschlossen worden. Das kann ja auch gar kein Land ausschließen, denn Kapitel 7 der Vereinten Nationen sieht das ja ausdrücklich vor. Es ging in der ganzen Diskussion vor Brüssel ja doch im Grunde um die Frage: Sind die diplomatischen und politischen Möglichkeiten ausgeschöpft? Sind die Beweise dafür, dass der Irak sich nicht an die UNO-Resolution hält und eine Bedrohung darstellt, ausreichend - oder nicht? Ich glaube, die Europäer haben jetzt klar gemacht, dass sie der Politik noch eine Chance geben wollen.
Spengler: Die meisten EU-Beitrittskandidaten, die heute ja über diese Gipfelergebnisse informiert werden, haben sich vorher an die Seite der USA gestellt. Jacques Chirac, der französische Staatspräsident, hat nun gestern die Beitrittskandidaten scharf kritisiert. Sie hätten sich nicht gut benommen, hat er gesagt. Sie hätten nicht die gleichen Rechte wie EU-Mitglieder und eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten. Sehen Sie das auch so?
Verheugen: Der französische Präsident hat seinen Gefühlen freien Lauf gelassen und mancher sieht das vielleicht so wie er.
Spengler: Haben Sie denn ähnliche Gefühle?
Verheugen: Meine Gefühle habe ich fein für mich behalten, aber in den letzten Wochen sehr intensiv mit unseren künftigen Mitgliedstaaten geredet. Ich glaube, so viel kann man sagen: Niemand hat die Absicht, einen Keil in die Europäische Union zu treiben. Niemand wollte Europa spalten in ein proeuropäisches oder ein amerikanisches Lager. Die meisten wollten nichts anderes tun, als die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Vielleicht war das gewählte Mittel nicht gerade optimal. Ich glaube, das wird nicht wieder vorkommen.
Spengler: Nun müssten Sie als für die Erweiterung zuständiger Kommissar doch auch etwas dazu sagen, dass ein wichtiger Staatsmann wie Jacques Chirac künftigen potenziellen Mitgliedsstaaten wie Rumänien und Bulgarien signalisiert, sie hätten kaum einen besseren Weg finden können, ihre Beitrittschancen zu verringern?
Verheugen: Ich glaube nicht, dass ich mit Regierungen souveräner Staaten so reden kann wie der gewählte Präsident von Frankreich. Meine Würdigkeiten sind da etwas begrenzter. Ich werde aber noch in dieser Woche in Bukarest sein und selbstverständlich mit der rumänischen Regierung auch darüber reden und darauf hinweisen, dass wir von unseren künftigen Mitgliedern erwarten, dass sie in grundlegenden außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen die Linie der Europäischen Union beachten und mittragen, und die werden dann sagen, ja selbstverständlich tun wir das, wenn es eine gibt.
Spengler: Das heißt, die haben ihre Chancen wirklich etwas verschlechtert?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht.
Spengler: Was bedeutet denn nun eine solch erneute Kritik von Chirac für eine gemeinsame Außenpolitik, in die man ja auch schon die Beitrittskandidaten einbeziehen will? Vertieft das nicht noch wieder die Spaltung?
Verheugen: Es gibt hier ein ganz normales Verfahren. Solange die neuen nicht volle Mitglieder sind, sind sie entweder beratend dabei. Das wird nach dem 16. April geschehen. Diejenigen, die den Vertrag noch nicht unterzeichnet haben, haben auch keine Möglichkeit, an der Formulierung der Außenpolitik schon mitzuwirken. Von denen wird erwartet, dass sie, wenn gemeinsame Standpunkte da sind, diese übernehmen und das ist bisher auch immer geschehen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass heute Mittag, wenn die Staats- und Regierungschefs der künftigen Mitgliedsländer hier in Brüssel sein werden, sie diese Position der 15 Mitglieder vollständig übernehmen werden.
Spengler: Polen wird, wenn ich richtig informiert bin, nicht dabei sein. Verstehen Sie die Polen, die sauer sind, dass sie gestern Abend nicht eingeladen waren?
Verheugen: Der polnische Ministerpräsident wird nicht da sein, aber Polen wird vertreten sein durch den Außenminister. Ja, ich verstehe den Wunsch der Kandidaten, dass sie bei diesem Anlass dabei sein wollten, aber die Regeln sind die Regeln. Es ist nun einmal so, dass erst nach der Unterzeichnung des Vertrages die künftigen neuen Mitglieder bei den Beratungen von Anfang an dabei sind.
Spengler: Dass es überhaupt zu dieser Erklärung der acht gekommen ist, und dann anschließend noch zur Erklärung der zehn - und die zehn sind dann vor allen Dingen die Beitrittskandidaten Ost- und Mitteleuropas -, ist das nicht auch ein Armutszeugnis für Brüssel, das heißt für den hohen Beauftragten Solana, für Patten und auch für Sie, dass das alles ohne Ihr Wissen geschehen ist?
Verheugen: Diese Frage müssen Sie wohl an diejenigen stellen, die diese Aktion eingeleitet haben. Das waren weder Javier Solana noch Chris Patten noch ich.
Spengler: Das waren eigentlich Deutschland und Frankreich, die auch ohne Absprache vorgeprescht sind?
Verheugen: Ich glaube, diese Methode wird uns nicht sehr weit führen: "Wer hat angefangen?" Da müsste man sehr weit zurückgehen und landet sehr schnell bei Aufrechnungen. Mir scheint, dass die Entwicklung der letzten Tage, der sehr starke Ausdruck des Wunsches der Menschen in Europa, einen Krieg zu vermeiden, und auch die Erkenntnis, dass Europa dabei war, sich wirklich ins Abseits zu manövrieren, jetzt dazu geführt hat, dass man die Gemeinsamkeit in buchstäblich letzter Minute wieder entdeckt hat.
Spengler: Wieso fällt das denn im Prinzip so schwer für Europa, mit einer Stimme zu sprechen? Was glauben Sie?
Verheugen: Zunächst einmal war ja die Außen- und Sicherheitspolitik jahrzehntelang überhaupt kein Gegenstand der Europäischen Gemeinschaft. Erst seit ein paar Jahren haben wir so etwas wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Sie entwickelt sich erst. Sie ist keine Gemeinschaftspolitik. Es ist eine Politik, bei der die Regierungen sich untereinander koordinieren müssen. Das liegt einfach daran, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nun mal der Kernbereich der staatlichen Souveränität ist. Ehe wir so weit sind, dass wenigstens Teile der Außen- und Sicherheitspolitik eine echte Gemeinschaftspolitik werden, wird noch etwas Zeit vergehen.
Spengler: Eine Illusion ist es nicht?
Verheugen: Nein, eine Illusion ist es nicht. Ich glaube, dass die Erfahrungen der letzten Woche insoweit hilfreich sein können, als sie allen Beteiligten gezeigt haben, dass sie sich besser durchsetzen können und ihren Einfluss besser geltend machen können, wenn es im Kontext europäischer Gemeinsamkeit geschieht.
Spengler: Ich bedanke mich. - Das war Günther Verheugen, der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar in Brüssel.
Link: Interview als RealAudio
Spengler: Ist diese Resolution für Sie mehr als die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner?
Verheugen: Nein. Ich glaube schon, dass mit dieser Resolution die Grundlinien einer europäischen Außenpolitik wieder schärfere Gestalt annehmen. Es ist ein sehr tragfähiger Kompromiss. Natürlich zeigt sich, dass, wenn man europäische Positionen formuliert, alle Seiten sich ein Stück bewegen müssen. Das ist geschehen. Alle Mitgliedstaaten, glaube ich, können mit dieser Resolution sehr gut leben. Und das hilft uns wirklich weiter.
Spengler: Auch Deutschland hat sich bewegt. Möglich wurde die Einigung ja auch deswegen, weil Berlin nun Gewalt auch nicht mehr ausschließt. Hätte man das nicht schon früher haben können?
Verheugen: Das war ja schon der Fall. In der deutsch-französisch-russischen Erklärung war ja der Hinweis auf die Erzwingung von UN-Maßnahmen als äußerstes Mittel nicht ausgeschlossen worden. Das kann ja auch gar kein Land ausschließen, denn Kapitel 7 der Vereinten Nationen sieht das ja ausdrücklich vor. Es ging in der ganzen Diskussion vor Brüssel ja doch im Grunde um die Frage: Sind die diplomatischen und politischen Möglichkeiten ausgeschöpft? Sind die Beweise dafür, dass der Irak sich nicht an die UNO-Resolution hält und eine Bedrohung darstellt, ausreichend - oder nicht? Ich glaube, die Europäer haben jetzt klar gemacht, dass sie der Politik noch eine Chance geben wollen.
Spengler: Die meisten EU-Beitrittskandidaten, die heute ja über diese Gipfelergebnisse informiert werden, haben sich vorher an die Seite der USA gestellt. Jacques Chirac, der französische Staatspräsident, hat nun gestern die Beitrittskandidaten scharf kritisiert. Sie hätten sich nicht gut benommen, hat er gesagt. Sie hätten nicht die gleichen Rechte wie EU-Mitglieder und eine großartige Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten. Sehen Sie das auch so?
Verheugen: Der französische Präsident hat seinen Gefühlen freien Lauf gelassen und mancher sieht das vielleicht so wie er.
Spengler: Haben Sie denn ähnliche Gefühle?
Verheugen: Meine Gefühle habe ich fein für mich behalten, aber in den letzten Wochen sehr intensiv mit unseren künftigen Mitgliedstaaten geredet. Ich glaube, so viel kann man sagen: Niemand hat die Absicht, einen Keil in die Europäische Union zu treiben. Niemand wollte Europa spalten in ein proeuropäisches oder ein amerikanisches Lager. Die meisten wollten nichts anderes tun, als die transatlantischen Beziehungen zu stärken. Vielleicht war das gewählte Mittel nicht gerade optimal. Ich glaube, das wird nicht wieder vorkommen.
Spengler: Nun müssten Sie als für die Erweiterung zuständiger Kommissar doch auch etwas dazu sagen, dass ein wichtiger Staatsmann wie Jacques Chirac künftigen potenziellen Mitgliedsstaaten wie Rumänien und Bulgarien signalisiert, sie hätten kaum einen besseren Weg finden können, ihre Beitrittschancen zu verringern?
Verheugen: Ich glaube nicht, dass ich mit Regierungen souveräner Staaten so reden kann wie der gewählte Präsident von Frankreich. Meine Würdigkeiten sind da etwas begrenzter. Ich werde aber noch in dieser Woche in Bukarest sein und selbstverständlich mit der rumänischen Regierung auch darüber reden und darauf hinweisen, dass wir von unseren künftigen Mitgliedern erwarten, dass sie in grundlegenden außenpolitischen und sicherheitspolitischen Fragen die Linie der Europäischen Union beachten und mittragen, und die werden dann sagen, ja selbstverständlich tun wir das, wenn es eine gibt.
Spengler: Das heißt, die haben ihre Chancen wirklich etwas verschlechtert?
Verheugen: Nein, das glaube ich nicht.
Spengler: Was bedeutet denn nun eine solch erneute Kritik von Chirac für eine gemeinsame Außenpolitik, in die man ja auch schon die Beitrittskandidaten einbeziehen will? Vertieft das nicht noch wieder die Spaltung?
Verheugen: Es gibt hier ein ganz normales Verfahren. Solange die neuen nicht volle Mitglieder sind, sind sie entweder beratend dabei. Das wird nach dem 16. April geschehen. Diejenigen, die den Vertrag noch nicht unterzeichnet haben, haben auch keine Möglichkeit, an der Formulierung der Außenpolitik schon mitzuwirken. Von denen wird erwartet, dass sie, wenn gemeinsame Standpunkte da sind, diese übernehmen und das ist bisher auch immer geschehen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass heute Mittag, wenn die Staats- und Regierungschefs der künftigen Mitgliedsländer hier in Brüssel sein werden, sie diese Position der 15 Mitglieder vollständig übernehmen werden.
Spengler: Polen wird, wenn ich richtig informiert bin, nicht dabei sein. Verstehen Sie die Polen, die sauer sind, dass sie gestern Abend nicht eingeladen waren?
Verheugen: Der polnische Ministerpräsident wird nicht da sein, aber Polen wird vertreten sein durch den Außenminister. Ja, ich verstehe den Wunsch der Kandidaten, dass sie bei diesem Anlass dabei sein wollten, aber die Regeln sind die Regeln. Es ist nun einmal so, dass erst nach der Unterzeichnung des Vertrages die künftigen neuen Mitglieder bei den Beratungen von Anfang an dabei sind.
Spengler: Dass es überhaupt zu dieser Erklärung der acht gekommen ist, und dann anschließend noch zur Erklärung der zehn - und die zehn sind dann vor allen Dingen die Beitrittskandidaten Ost- und Mitteleuropas -, ist das nicht auch ein Armutszeugnis für Brüssel, das heißt für den hohen Beauftragten Solana, für Patten und auch für Sie, dass das alles ohne Ihr Wissen geschehen ist?
Verheugen: Diese Frage müssen Sie wohl an diejenigen stellen, die diese Aktion eingeleitet haben. Das waren weder Javier Solana noch Chris Patten noch ich.
Spengler: Das waren eigentlich Deutschland und Frankreich, die auch ohne Absprache vorgeprescht sind?
Verheugen: Ich glaube, diese Methode wird uns nicht sehr weit führen: "Wer hat angefangen?" Da müsste man sehr weit zurückgehen und landet sehr schnell bei Aufrechnungen. Mir scheint, dass die Entwicklung der letzten Tage, der sehr starke Ausdruck des Wunsches der Menschen in Europa, einen Krieg zu vermeiden, und auch die Erkenntnis, dass Europa dabei war, sich wirklich ins Abseits zu manövrieren, jetzt dazu geführt hat, dass man die Gemeinsamkeit in buchstäblich letzter Minute wieder entdeckt hat.
Spengler: Wieso fällt das denn im Prinzip so schwer für Europa, mit einer Stimme zu sprechen? Was glauben Sie?
Verheugen: Zunächst einmal war ja die Außen- und Sicherheitspolitik jahrzehntelang überhaupt kein Gegenstand der Europäischen Gemeinschaft. Erst seit ein paar Jahren haben wir so etwas wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Sie entwickelt sich erst. Sie ist keine Gemeinschaftspolitik. Es ist eine Politik, bei der die Regierungen sich untereinander koordinieren müssen. Das liegt einfach daran, dass die Außen- und Sicherheitspolitik nun mal der Kernbereich der staatlichen Souveränität ist. Ehe wir so weit sind, dass wenigstens Teile der Außen- und Sicherheitspolitik eine echte Gemeinschaftspolitik werden, wird noch etwas Zeit vergehen.
Spengler: Eine Illusion ist es nicht?
Verheugen: Nein, eine Illusion ist es nicht. Ich glaube, dass die Erfahrungen der letzten Woche insoweit hilfreich sein können, als sie allen Beteiligten gezeigt haben, dass sie sich besser durchsetzen können und ihren Einfluss besser geltend machen können, wenn es im Kontext europäischer Gemeinsamkeit geschieht.
Spengler: Ich bedanke mich. - Das war Günther Verheugen, der für die Erweiterung zuständige EU-Kommissar in Brüssel.
Link: Interview als RealAudio