Ein Stuhl, eine Blume,
ein gefüllter Teller,
ein geschlossener Mund,
eine Hand, die sehr weiß ist,
ein Bild, ein Baum,
eine Note -
dies alles will nichts und
heißt nicht
und segelt lautlos durch den Tag.
Malkowskis erste Bücher erschienen zur Zeit der so genannten "Neuen Subjektivität", reichen mit ihrer poetischen Verdichtung aber weit über deren meiste Texte hinaus. In einigen Gedichten finden sich Verse, die man gleichsam als kleine "Maximen und Reflexionen" des Autors verstehen kann - nicht nur was sein Leben, sondern auch, was seine Unabhängigkeit von literarischen Moden betrifft:
Ein Ausdruck der Freiheit:
sich eine eigene
Notwendigkeit schaffen…
…heißt es einmal. Und an anderer Stelle:
Wer nicht achtgibt,
dem geraten die Gefühle
literarisch.
Auch später blieb Malkowski seiner Ästhetik der Kürze und Prägnanz treu. "Wo Meister am Werk sind, gibt es nichts Besseres zu vermelden als die Tatsache des Weitermachens", notierte Albert von Schirnding 1994. Gerade war der Band "Ein Tag für Impressionisten" erschienen. Hier das Titelgedicht, gelesen von Malkowski selbst:
Ein Tag für Impressionisten
Auch nach drei Wochen
noch keine Spur von Langeweile
beim Anblick des Sees.
Das Wasser schmatzt am Ufer
mit ungestilltem Appetit.
Ein Tag für Impressionisten,
vielleicht etwas windig.
Der alte Mann auf der Bank
hält die flatternde Buchseite fest.
Nichts überschlagen.
Jedes Wort ist das gesuchte.
Eine Glocke buchstabiert die Mittagsstunde
ruhig und bestimmt ins Blaue.
Rainer Malkowski schrieb auch Prosa: Erzählungen und lakonische Kindheitsbilder wie den Zyklus "Frühe Landschaften". Gelegentlich äußerte er sich über Texte von Kollegen, die er schätzte: Heine, Brecht, Walter Helmut Fritz. Er tat dies mit wenigen Worten - nicht, weil er nichts zu sagen hatte, sondern aus Respekt. Literaturtheorie bedachte er mit Skepsis. Seine wenigen poetologischen Texte sind denn auch alles andere als abstrakt, sondern anschaulich:
Zum Schreiben gehört die Erfahrung der Ohnmacht. Aber in glücklichen Augenblicken ist es die Lust, etwas zu machen, in dem sowohl die Welt als auch ich selbst auf geheimnisvolle Weise anwesend sind - durch nichts als eine Handvoll Wörter. Und das zugleich ein Drittes ist, ein Ding für sich, mit eigenem Atem.
2000 publizierte Malkowski den Prosaband "Im Dunkeln wird man schneller betrunken" - eine regelrechte Fundgrube von Einsichten und Beobachtungen, Porträts und Minidramen, lyrischer Prosa und Sentenzen. Und es gibt darin wunderbar schlichte Bemerkungen, die auch auf sein eigenes Werk zutreffen:
Das Einfache lässt viel beiseite. Das heißt: Es muss von einer Fülle ausgehen. - Das Einfache kann federleicht sein - und hat doch, wenn es glückt, das Gewicht der Welt.
Jetzt hat der Hanser-Verlag ein neues Buch Malkowskis vorgelegt: "Die Herkunft der Uhr". Es enthält Gedichte und Prosagedichte, die zuvor verstreut erschienen - und Unveröffentlichtes aus dem Nachlass, das er noch überarbeiten wollte; Malkowski starb am 1. September 2003. Auch diese späten Texte über Menschen und Dinge, Reisen und Spaziergänge, Kunst und Musik belegen seine Meisterschaft: sie sind hochverdichtet - und doch klar. Allerdings gibt es, nach Jahren der Krankheit, mehr traurige, auch düstere Gedichte als früher. Eines seiner letzten, in dem er wie so oft das Wort "ich" vermeidet:
Bist du das noch?
Ohne Herrschaft über das Alphabet
und die Lautstärke
deiner Stimme?
Schmerz, das ist,
was du nicht aushalten kannst.
Der Verlust
des Stolzes,
der Erinnerung
an Glück.
Amoralische
Vereinzelung.
Das Hirn degeneriert
zu einem einzigen Gedanken.
Alptraum,
noch lange danach:
dass du die Hand
nicht an die Klingel bringst.
Doch gibt es auch zuversichtliche, fast heitere Verse. Wie im Gedicht mit dem Titel "Was ich unter anderem noch schreiben will". Ein schönes Paradox: Es geht darin um ein Vorhaben, das das Gedicht selbst schon einlöst:
Was ich unter anderem
noch schreiben will:
Einen schimmernden Vers
über einen Frauenschenkel.
Meinen Dank an einen Rock,
der wußte,
wann er sich zurückziehen muss.
Ein Spottlied
über alternde Männer,
die sich zum Narren machen.
Eine Verteidigungsrede
für jede Narrheit,
die das Leben ist.
Zum Schluss liest Rainer Malkowski noch einmal selbst - das Gedicht "Zwei Sessel", das 1991 entstand. Es ist eines seiner schönsten. Ein Lob auf die Treue der Gegenstände, ein Lob des Geistes und der Phantasie - und zugleich ein Abschiedsgedicht:
Zwei Sessel
Sie haben mir gedient.
Und ich besinge sie so nüchtern,
wie es ihnen entspricht.
Schwarz gestrichenes Holz
und Segeltuch -
Material für ein Schiff,
eine Reise.
Und bin ich nicht
in ihnen gereist?
Manchen Tag, manche Nacht
denkend
und träumend?
Sie gaben immer,
was Dinge geben können:
zuverlässig scheinenden Halt,
Orientierung
und ein leises
Echo
des entschwundenen Lebens.
"Die Herkunft der Uhr". Gedichte
(Hanser Verlag)
95 Seiten, 14 Euro 90