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Ute Cohen: "Falscher Garten"
Die Hexen vom Grunewald

Eigentlich hat der Frauenmörder Valverde sein Glück gefunden, aber das Verschwinden einer Nachbarin bringt ihn auf die Spur eines Schokoladenkönigs mit eigentümlichen Vorlieben. Ute Cohens düstere Groteske „Falscher Garten“ karikiert männliche Selbstherrlichkeit, ist als Story aber zu abgedreht.

Von Oliver Jungen | 12.10.2022
Ute Cohen: "Falscher Garten"

Zu sehen sind die Autorin und das Buchcover
Überdreht und antiwoke: Ute Cohen erzählt eine wilde Story voller Sex, Drogen und greller Gewalt (Buchcover: Septime Verlag / Foto: Tan Kadam)
Viel wird gelitten in der Gegenwartsliteratur, noch mehr moralisiert. Da tut es gut, auf einen Roman zu stoßen, der sich keinen Deut um eine politisch korrekte Tonlage zu scheren scheint. „Falscher Garten“ von Ute Cohen ist eine grotesk überdrehte Berlin-Story mit Punk-Attitüde: ein Undergroundroman, der Ausflüge ins Hardcore-Genre nicht scheut:
„Valverde konzentrierte sich auf seine Leichen, die wohl längst schon in der Erde verrottet waren. Leichenschmaus! Das Wort bekam nun eine ganz andere Bedeutung... Er hätte die Damen mundgerecht zubereiten müssen. Besonders Nerminas durchtrainierte Schenkelchen hätte er sich gern mit einem herzhaften Biss einverleibt.“
Die erkennbare Mühe, die erzählte Geschichte voller Sex, Drogen, Gesäusel und greller Gewalt auch nur einigermaßen beisammen zu halten – von Plausibilität soll gar nicht die Rede sein –, darf als Kennzeichen der Undergroundliteratur als entschuldigt gelten.

Antiwoker Held mit Konzentrationsproblemen

Tatsächlich lässt die Autorin ihren in jeder Hinsicht anti-woken Protagonisten Valverde, einen Ex-Knacki, der sich bei seiner neuen Flamme in einer schicken Berliner Grunewald-Villa eingenistet hat, sogar selbstreflexiv darüber sinnieren, erzähltechnisch nicht bei der Stange bleiben zu können:
„Vielleicht sollte er sich lieber mal Gedanken über seine Konzentrationsschwierigkeiten machen. Inzwischen hatte er die Aufmerksamkeitsspanne eines Eichhörnchens.“
Die von ihm angehimmelte Susa weiß nichts von seiner kriminellen Vergangenheit, seinem Callboy-Nebenjob oder der Tatsache, dass er, der sich für einen Moralisten hält, für die Grunewald-Morde verantwortlich ist: Fünf reiche Frauen, „Schlampen“ in Valverdes Diktion, waren aufgespießt und mit Goldfarbe übergossen aufgefunden worden. Der Protagonist sieht darin ein barockisierendes Kunstwerk, außerdem eine gerechte Bestrafung. Was er den „Damen“ anlastet, wird nie ganz klar. So untreu und verwöhnt sie waren, haben sie sicher kein verruchteres Leben geführt als die Männer in diesem Buch.
Schon da wird deutlich, dass dieser launig brachiale Text, der die Drastik zur Methode und De Sade zur wichtigsten Referenz erhebt, ganz und gar kein amoralischer ist. Das steigert sich mit der Zeit, wenn der anfangs lustige Zynismus, mit dem Valverde über seine Umwelt herfällt – die geschmacklosen Reichen, die unsolidarischen Feministinnen, die naiven Linken oder die verzärtelten Millenials – als penetrante Obsession erkennbar wird.

Eine verschwundene Nachbarin

Was die Handlung in Gang hält, ist das Interesse Valverdes an den Vorgängen im Nachbarhaus. Dort wohnt ein Schokoladenbaron, dessen Gattin eines Tages wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint. Der Gatte, ein gewisser Ballenberg, tröstet sich mit einem brünetten Escort und spricht von einer Kur seiner Frau.
„Valverde spitzte die Ohren. Verlogene Bagage! (...) Es war die übliche Verlogenheitsmaschinerie, die Ballenberg da in Gang setzte. So sehr sie auch das Großbürgertum zur Schau stellten, was den miesen Charakter betraf, standen sie den Neureichen in nichts nach.“
Valverdes Neugier ist geweckt. Unter Zuhilfenahme zweier Freunde – einer ist Journalist, der andere leitet eine NGO für fairen Kakaohandel – will er dem Geheimnis auf den Grund gehen. Schnurstracks führt ihn dies ins Escort-Milieu, zu Experimenten mit der Droge Meskalin und zu aztekischen Opfer- und Strafritualen, von denen sich nicht nur der Schoko-König fasziniert zeigt. Das alles ist mindestens so trashig wie der aus dem Keller des Nachbarhauses dröhnende Horrorfilm-Klassiker „Suspiria“, der in eine finale Rachephantasie überleitet, eine Art privaten Hexenprozess. Das zu Bestrafende erweist sich nämlich einmal wieder als weiblich. Es geht um Frauen, die es wagen, wie Männer zu leben.

Stilistisch zu schlicht, inhaltlich zu überdreht

Literarisch überzeugend ist dieser wilde Ritt jedoch nur in Maßen. Das liegt erstens daran, dass die Figuren karikiert und inkonsistent wirken. Beim Protagonisten etwa kollidiert der breitbeinige Machostil des Frauenschlächters mit einem abgeklärten Bildungswissen und einer recht belämmert wirkenden sexuellen Hörigkeit, die sich in Diminutiven wie „Pitschepatschehändchen“ ausdrückt. Ähnlich stark zerfällt die Persona Susas: mal Punkerin, mal Kuschelmaus, aber meist dozierende Intellektuelle: die Heilige zu all den Huren.
Stilistisch bleibt die Autorin zudem weit unter ihren Fähigkeiten. Das ungelenke Erzählpräteritum, mit dem sie sich in ihren Helden hineinversetzt, führt ständig zu banalsten Formulierungen:

„Er ließ den Blick über die Anrichte schweifen: Das Müsli war perfekt. Genau die richtige Menge an Reisdrink, Flocken und Apfelstückchen.“
Drittens stört der doch zu überdrehte Inhalt, der nicht gut mit all den kulturgeschichtlichen Verweisen harmoniert. In ihren ersten beiden Romanen hat Ute Cohen an ihrem Leben entlang erzählt, dramatisch das eine, spitzzüngig das andere Mal, in beiden Fällen ergreifend. Der Ausflug ins groteske Noir-Genre hingegen bleibt bei allen Exzessen seltsam blass.
Ute Cohen: „Falscher Garten“. Eine schwarze Kapriole
Septime Verlag, Wien. 192 Seiten. 22,90 Euro.