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Die humanitäre Situation im Irak

    Spengler: Das rote Kreuz ist äußerst besorgt über die humanitäre Lage im Irak. Aufgrund der Kämpfe sei es mittlerweile zu gefährlich für die Teams der Hilfsorganisation, ihre Arbeit In Basra, Bagdad oder im Nordirak zu verrichten, hieß es. Man erwarte, dass sich die Situation noch weiter verschlechtere. Am Telefon ist die für Entwicklungshilfe zuständige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Guten Morgen, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

    Wieczorek-Zeul: Guten Morgen.

    Spengler: Die Bilder, die allabendlich aus den Fernsehgeräten flimmern, lassen uns ahnen, wie groß das Grauen für viele Menschen im Irak sein muss. Frau Wieczorek-Zeul, Sie dürften über genauere Informationen verfügen, können Sie die humanitäre Katastrophe mit Worten beschreiben?

    Wieczorek-Zeul: Das fällt mir schwer wie jedem anderen auch, denn wer die Bilder sieht und selbst weiß oder erlebt hat, wie Bombardierungen sind und welche schrecklichen Verletzungen und Traumatisierungen sie bewirken, weiß, zumal die Kinder leiden und es bleibt daran zu erinnern, dass etwa fünfzig Prozent der gesamten irakischen Bevölkerung unter fünfzehn Jahren sind. Es bleibt mein Appell erstens dafür zu sorgen, dass es freien und ungehinderten Zugang aller humanitären Organisationen zu den Menschen gibt, dass das nicht von militärischer Taktik und Kalkül abhängig gemacht wird und dass die Organisationen ihre Arbeit leisten können.

    Spengler: Aber Frau Wieczorek-Zeul, wie soll das gehen? So lange noch Bomben fallen, kann man doch da nicht die Helfer reinschicken.

    Wieczorek-Zeul: Das ist aber die Verpflichtung der kriegsführenden Parteien und deshalb bleibt es, ich weiß wie schwierig das ist, aber das ist der Appell, das sicherzustellen und nicht einfach die humanitären Hilfsorganisationen, auch im Bereich der privaten Hilfsorganisationen zu registrieren und sozusagen in die militärische Aktion hinter sich miteinzubeziehen. Das ist nicht akzeptabel.

    Spengler: Woran fehlt es vor allem im Irak?

    Wieczorek-Zeul: Das erste ist das Trinkwasser und das hat schreckliche Auswirkungen, wenn Kinder und Erwachsene, wenn sie unter schwierigen, geschwächten gesundheitlichen Bedingungen sind, verdorbenes Wasser trinken. Das bedeutet den sicheren Tod. Zugang zu sauberem Trinkwasser, Herstellung von elektrischer Versorgung sind die allerwichtigsten Dinge. Wir haben uns darüber hinaus noch einmal mit dem Welternährungsprogramm abgestimmt, damit Nahrungsmittelreserven im Land sind und damit sichergestellt ist, dass das über die nächsten Wochen hin so bleibt.

    Spengler: Man muss schnell helfen. Wie steht es denn um die Spendenbereitschaft der Deutschen? Das sah vor einer Woche noch nicht so weit her damit.

    Wieczorek-Zeul: Ich appelliere noch mal an alle Menschen, ich weiß, wenn man sieht, wie die Bomben fallen, kann man sich schwer vorstellen, was eine Spende bewirken kann. Aber es ist das Mindeste, was jeder von uns tun kann und Sie sehen ja, dass auch die Aktion 'Deutschland hilft' alles unternimmt, Unicef oder das Internationale Rote Kreuz ebenso und es ist ja so, dass wir die auch unterstützen bei der Wiederherstellung etwa der Wasserversorgung und es ist ersichtlich, dass selbst unter den eingeschränkten Bedingungen sie eine wirklich wertvolle Arbeit für die Menschen leisten. Bitte, bitte unterstützen Sie mit Ihren Spenden diese Arbeit.

    Spengler: Können Sie beziffern, wie viel die Bundesregierung bislang an humanitärer Hilfe leistet?

    Wieczorek-Zeul: Wir haben in einer ersten Phase, ganz zu Anfang schon, 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt an humanitärer Hilfe. Das ist einmal für das Welternährungsprogramm, aber eben auch für die wichtige Arbeit des Internationalen Roten Kreuzes und auch für die UN-Flüchtlingshilfe und selbstverständlich, wenn es notwendig ist, werden wir aufstocken und können das auch.

    Spengler: Sollte, muss man unterscheiden zwischen dieser humanitären Hilfe für die notleidende Bevölkerung einerseits und andererseits der Hilfe zum Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg?

    Wieczorek-Zeul: Sicher, denn im Moment ist das, was vordringlich ist, eben die humanitäre Situation. Deshalb habe ich das eben auch so betont und mir fällt die abstrakte Spekulation über die Frage der Nachkriegsordnung, den Wiederaufbau oder über die Frage, welches Unternehmen welche Aufträge bekommt, eigentlich etwas schwer. Aber eines ist völlig klar und das ist auch gestern im UN-Sicherheitsrat mit einer breiten Mehrheit betont worden, dass die Vereinten Nationen mit einem Auftrag des UN-Sicherheitsrates auch die Verantwortung im Bereich der Nachkriegsordnung und des Wiederaufbaus haben sollen und dass ihre Autorität in dem Bereich besonders wichtig ist, bleibt es zu betonen. Da unterstützen wir auch den UN-Generalsekretär Kofi Annan.

    Spengler: Sie haben gesagt, dass die Entwicklungspolitik nicht dazu da sein, die Trümmer der Militärs wegzuräumen und dass die Hauptfinanzlast bei denen liegen sollte, die diesen Krieg begonnen haben. Gilt dieser Satz noch?

    Wieczorek-Zeul: Das ist ja klar, denn das ist das einfache Völkerrecht. Wer den Krieg begonnen hat, ist auch dafür verantwortlich, dass die finanziellen Leistungen erbracht werden.

    Spengler: Also wäre es doch auch sinnvoll, oder ist es doch richtig, wenn die USA sagen, dass sie wieder eine Führungsrolle übernehmen wollen?

    Wieczorek-Zeul: Nein, das sind zwei ganz unterschiedliche Aspekte. Das eine ist die Verpflichtung des Völkerrechtes bei einem Krieg und darauf hat Annan gestern auch noch einmal aufmerksam gemacht, bei einem Krieg, der überhaupt nicht vergleichbar ist mit der Situation Afghanistan oder auch in anderen Regionen. Das ist ein Krieg, der begonnen worden ist ohne die Zustimmung und sogar gegen die Mehrheitssauffassung der internationalen Gemeinschaft. Das ist der eine Punkt, der festzuhalten bleibt. Das andere ist doch aber die Frage, dass man zwar den Krieg gewinnen kann als Alliierte, die Koalition der Willigen, aber doch für die Legitimation der Zeit danach und für die Gewinnung des Friedens die Vereinten Nationen unabdingbar sind. Das sind zwei sehr unterschiedliche Aspekte und ich denke, wir sollten dazu beitragen, dass auch dieses rechtstaatliche Denken durch das Verhalten nicht zerrüttet wird.

    Spengler: Nun wird die UNO frühestens in einigen Monaten am Ruder sein, wenn denn die Amerikaner es zulassen. Heißt das dann auch, dass es Wiederaufbauhilfe seitens der Bundesrepublik frühestens in einigen Monaten geben wird.

    Wieczorek-Zeul: Ich glaube, das ist jetzt wirklich sehr verfrüht zu spekulieren. Denn es ist doch eigentlich völlig unklar: wird es eine Situation geben, die nachher mit Guerillakämpfen verbunden ist, wo es eben sehr schwierig ist, auch diejenigen, die für den Wiederaufbau zuständig sind, da entsprechend zu betrauen. Da ist es sehr schwierig, dies zu diskutieren. Und im Übrigen; so wie Sie jetzt sprechen, klingt das ja fast, als gingen Sie davon aus, dass die Frage, wer gestaltet die Nachkriegsordnung eigentlich entschieden sei. Ich habe den Eindruck, dass auch mit der Benennung des UN-Sonderbeauftragten durch den UN-Generalsekretär er auch sehr deutlich die Position der Vereinten Nationen noch einmal in den Mittelpunkt rücken wollte. Bleibt auch festzuhalten, was auch der Bundeskanzler in seiner Rede gesagt hat, dass die natürlichen Ressourcen, zumal das Öl, im Besitz der irakischen Bevölkerung bleiben und ihr zugute kommen müssen, darauf hat auch der für das UN-Entwicklungsprogramm zuständige Mark Malloch Brown deutlich gemacht.

    Spengler: Danke Ihnen für das Gespräch. Das war die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

    Link: Interview als RealAudio