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Die Idee Spende

    Heinlein: Am Telefon begrüße ich Jürgen Becker. Er ist Kölner Kabarettist, ein Spezialist für das Mysterium Rheinischer Kapitalismus. Guten Morgen, Herr Becker.

    Becker: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Becker, verstehen Sie die Aufregung: Man kennt sich, man hilft sich - schon unter Adenauer hatte der Klüngel in Köln eine lange Tradition?

    Becker: Die Aufregung ist zum Teil eine bisschen künstlich. Man muss natürlich auch sehen: Der Kölner Dom, zum Beispiel, wäre ohne fingierte Spendenquittungen gar nicht möglich gewesen. Damals hat der Kölner schon, vor allem die Kirche, den Verbrechern im Lande gesagt: Ihr könnt euer Diebesgut spenden, dann sind eure Sünden vergeben. Und so ähnlich war das mit der Firma Trienekens ja auch: Die Firma Trienekens wollte bestechen, und da hat die Kölner SPD gesagt: Spende uns reichlich, dann ist dir vergeben. Jetzt soll das auf einmal falsch sein.

    Heinlein: Hatte Sie also nicht überrascht, was da in den letzten Tagen an die Oberfläche gekommen ist?

    Becker: Nein, überhaupt nicht. Man muss ja sagen, dass viele Kölner Bürger, gerade aus der links-alternativen Szene, ja schon immer auf die Müllverbrennungsanlage hingewiesen haben und gesagt haben: Das kann doch nicht sein, das Ding ist ja so was von unmöglich überdimensioniert, da muss Schmiergeld geflossen sein. Das haben viele schon vorher behauptet, konnten es aber nicht beweisen und sind jetzt froh, dass es endlich mal ans Licht gekommen ist. Also, überraschend fand ich das überhaupt nicht, und man muss ja auch mal sehen, dass dabei eines deutlich wird: Die Wirtschaft würde ja am liebsten das bisschen Politik nebenbei noch mitmachen. Das ist denen ja lästig, dass es da Parlamente und Rathäuser gibt. Bis die das entscheiden, was sie wollen, das dauert ja immer, und deswegen wollen die quasi die Abgeordneten sukzessiv aufkaufen und dann vom Markt nehmen und gleich selber entscheiden. Man muss hier mal sehen: Köln ist die nördlichste Stadt Italiens, und wir verbrennen nicht nur italienischen Müll aus Neapel in dieser Müllverbrennungsanlage. Herr Trienekens wäre in Italien längst Regierungschef. Und das ist eben der Unterschied: der Berlusconi, der sendet den Müll.

    Heinlein: Ist denn das, was wir erleben, Herr Becker, ein Beispiel für Klüngelei oder sind die Spielregeln von den rheinischen Genossen verletzt worden?

    Becker: Die Spielregeln werden natürlich dauernd verletzt. Man muss ja mal sehen, dass es plötzlich eine Sünde ist, wenn man eine falsche Spendenquittung annimmt. Das Problem ist ja: Wenn man immer sündigt, dann ist es irgendwann kein Thema mehr. Das permanente Sündigen ist eine Mischung aus Sünde und Thema, also ein System quasi. Ich bekomme ja auch permanent Spendenquittungen angeboten: Wenn man bei einem Benefiz-Auftritt mal was Gutes tut, dann wollen sich die Leute auch revanchieren und sagen: Brauchen Sie eine Spendenquittung? Ich habe das ja nie verstanden und gedacht: Ich habe doch gar nichts gespendet. Dann habe ich beim Steuerberater mal gefragt und der hat gesagt: Da hast Du auch Recht, lass es, mach den Auftritt und fahr wieder nach Hause. Nimmt so etwas nicht an. Und deswegen war mir das irgendwie klar, aber wenn einer da unbedarft ist, dann sagt der natürlich: Nehme ich die halt, dann kann ich die von der Steuer absetzten. Das ist im Grund genommen noch das, was wir aus dem Universalismus kennen, also von ganz früher. Da war ja alles nur eine Idee, die Menschen lebten in einer Welt voller Ideen, also, die Idee reichte aus. Das merkt man in katholischen Städten besonders, zum Beispiel auch das päpstliche Denken, wenn der Papst sagt: Man soll keine Verhütungsmittel benutzen. Das ist eine Idee. Die Katholiken können damit umgehen und sagen: Ja, ist klar, ich habe die Idee verstanden. Und damit ist es gut. Das muss aber nicht in die Realität umgesetzt werden. Und das ist eben das Problem der Spendenquittung: Das ist die Idee Spendenquittung, man hätte was gespendet, man hat es aber gar nicht. Und das ist in Köln im Denken so drin, weil das eine sehr Katholische Stadt ist, und man denkt sich: Dann macht das gar nichts. Man kann das ja hinterher beichten.

    Heinlein: Glauben Sie denn, dass die Herren Rüther oder Biciste, die mutmaßlichen Schlüsselfiguren dieser Affäre, von diesem Hintergrund, den sie gerade geschildert haben, ein Schuld-oder Unrechtsbewusstsein haben, oder denken sie vielleicht ja sogar: Was denn, was soll das denn, das haben wir doch schon immer so gemacht?

    Becker: Ja, ich glaube, dass sie das denken.

    Heinlein: Ist denn Köln, das Rheinland insgesamt, ein besonderes Biotop für den kreativen Geldverkehr?

    Becker: Ich meine ja, weil das natürlich durch die Tradition hier so gewachsen ist. Der Kölner war immer sehr erfolgreich damit - sagen wir mal - Ideen zu verkaufen, hinter denen in Wirklichkeit wenig stand. Ich sage jetzt mal: Die Knochen der Heiligen Drei Könige, Reliquien, die wurden ja einfach in Mailand geklaut und dann wurde hier ein riesiger Dom herum gebaut und Köln wurde zum Pilgerzentrum West. Jetzt haben ja Forscher zum Beispiel bei Bayer Leverkusen festgestellt, das die Dinger gar nicht echt sind. Das macht aber nichts. Die Idee reicht aus, und das ist eben auch hier dasselbe Denken und derselbe Fall: Die Idee Spende.

    Heinlein: Warum ist denn jetzt die ganze Sache aufgeflogen. Wer hat denn da die Spielregeln des Klüngelns der Vergangenheit verletzt?

    Becker: Also, genau weiß ich das nicht, aber man hört in Kölner Kreisen, dass im Grunde genommen bei einer Geburtstagsfeier, bei einer Festlichkeit zu viel Kölsch getrunken wurde, und dann hat das einer ausgeplappert. So ähnlich wird das auch gewesen sein.

    Heinlein: Liegt das vielleicht auch daran, dass mit Generalsekretär Müntefering ein Sauerländer an der Aufklärung beteiligt?

    Becker: Ja, das ist in der Sache dienlich. Der Westfale, dem reicht das nicht aus. Es ist auch immer gut, wenn Protestanten ins Spiel kommen. Man merkt das zum Beispiel bei unserem Kölner Regierungspräsidenten Antwerpes: Der hat ja zum Beispiel schon mehrere Sachen gehabt, die man ihm vorwerfen konnte, zum Beispiel, dass er für seine Wohnung - er wohnt in Köln Lindenthal - zu wenig Miete bezahlt. Der zahlte für 140 qm ungefähr 1200 DM. Das ist preiswert in der Gegend und das war zum Beispiel eine Landeswohnung. Da hat man direkt Klüngel mit der Landesregierung in Düsseldorf vermutet, und die CDU hat ihn dann angeschwärzt. Das war derselbe Fall mit Kurt Biedenkopf in Sachsen. Das ist ja bei bestimmten Berufsgruppen immer dasselbe: Regierungspräsidenten, Ministerpräsidenten, Küster und Hausmeister - das ist ein scheiß Job, aber eine billige Wohnung. So, und jetzt ist das Problem bei Biedenkopf in Sachsen, da sind das alles Protestanten, und die wollen das genau wissen. Da sieht der Biedenkopf blöd bei aus. Die laufen ihm hinterher bis nach IKEA. Hier im Rheinland bei Antwerpes, da verläuft das im Sande. Die CDU steckt nicht drin, die kann das Maul nicht so weit aufmachen und da sagte der Antwerpes einfach damals vor laufenden Kameras der CDU, die ihn da angeschwärzt hat: Das sind so große Arschlöcher, da können Sie mit einem LKW durchfahren. Ein herrliches Bild. Und danach war Ruhe.

    Heinlein: Wird es denn gelingen, Herr Becker, die Klüngelei im Rheinland nun auszumerzen, wie die SPD vorhat, oder ist dies ein vergeblicher Kampf?

    Becker: Das kann man nur im Detail jetzt beenden und dann sind sie alle ein bisschen still, dann haben sie Angst, erwischt zu werden, aber ich schätze, etwas später bricht das wieder auf. Deswegen brauchen wir die Protestanten, die genau hingucken und sich nichts sagen lassen.

    Heinlein: Und der Kölner an sich, wird der den schwarzen Schafen in der SPD irgendwann vergeben?

    Becker: Ja, sicher. Das geht ja schnell. Das merkt man ja auch bei der CDU. Erst waren die Umfragewerte ganz unten und jetzt ist es völlig vergessen, jetzt hat sie wieder eine Mehrheit. Also, da muss sich die SPD keine Sorgen machen. Es ist nur schlecht getimed. Man hätte das Ganze mal ein Jahr früher herausfinden sollen. Dann wäre es jetzt schon vergessen.

    Heinlein: Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Becker, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio