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"Die Integrationskurse sind überlaufen gewesen"

Vor gut einer Woche haben sich die Schweizer mehrheitlich gegen den Bau neuer Minarette entschieden. Günter Piening, der Integrationsminister von Berlin, zeigt sich vor diesem Hintergrund besorgt und sagt, dass Vorurteile gegenüber Einwanderern leider nicht abgenommen hätten.

Günter Piening im Gespräch mit Mario Dobovisek | 08.12.2009
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Günter Piening, er ist Integrationsbeauftragter des Landes Berlin. Guten Tag, Herr Piening.

    Günter Piening: Guten Tag.

    Dobovisek: Eine breite und oft sehr emotionale Diskussion zog die Schweizer Entscheidung gegen Minarette nach sich, auch hier in Deutschland. War die Schweizer Entscheidung bloß ein ernst zu nehmender Warnschuss?

    Piening: Nein. Ich glaube, es ist mehr als ein Warnschuss, sondern es zeigt schon, dass wir in den letzten Monaten, in den letzten Jahren eine gefährliche Schieflage in der Diskussion bekommen haben, dass Ressentiments und Vorurteile gegen Einwanderer nicht abgenommen haben. Da spielt sicherlich auch eine Rolle die derzeitige ökonomische Situation. Ich erinnere daran, dass in London Gewerkschafter demonstriert haben "british first". Wir haben hier Diskussionen. Ich glaube, insgesamt sind alle europäischen Länder zurzeit sehr stark unter Druck, eine an Menschenrechten und auch an den mittelfristigen Interessen der Wirtschaft orientierte Einwanderungspolitik aufrecht zu erhalten.

    Dobovisek: Was können wir aus dieser Diskussion der vergangenen Tage lernen?

    Piening: Ich glaube, dass wir vor einem paradigmatischen Wechsel in der Integrationspolitik stehen müssen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel über Integration geredet und haben uns immer nur die Einwanderer angeschaut, was die alles machen müssen und was die nicht machen und so weiter, und wir haben ganz vergessen, dass Integrationspolitik eine zweiseitige Angelegenheit ist, dass auch die Aufnahmegesellschaft sich verändern muss, dass eine Kultur der Anerkennung und des Wir-Gefühls dazu gehört, und da müssen wir, glaube ich, in der nächsten Zeit sehr stark dafür sorgen, denn wir dürfen eines nicht vergessen: welche Signale gehen von solchen Diskussionen in der Schweiz, aber auch zum Beispiel von den Äußerungen des Bundesvorstandsmitglieds Sarrazin über Türken und Araber an die junge Generation, auch an die neuen türkischen und arabischen Mittelschichten aus. Die erfahren genau, dass sie nicht dazu gehören, egal wie sie sich anstrengen, und da sehe ich die größte Befürchtung, dass wir integrationspolitische Erfolge zunichte reden, weil wir Ressentiments und Vorurteile in der Mehrheitsgesellschaft nicht angehen.

    Dobovisek: Ressentiments, Vorurteile, auch Ängste, auch Ängste gegenüber dem Islam, den viele Menschen nicht so richtig greifen können. Wie können wir das vermeiden?

    Piening: Ängste gehören zum Leben dazu. Wir müssen die Ängste auf den Tisch bringen und wir müssen dann auch darüber diskutieren. Jeder Moschee-Konflikt, den wir haben, bringt auch eine gesellschaftspolitische Chance. Beide Seiten verändern sich. Aber eines ist klar: diese Ängste haben ihre Grenze in menschenrechtlichen Orientierungen in der Verfassung und wir können Verfassungsrechte nicht einer Gruppe zugestehen und der anderen nicht. Sobald dieses in Frage gestellt ist, dann gerät unser Gefüge auseinander. Nein, ich glaube aber, gerade was den Islam betrifft muss man auch anerkennen, dass in den letzten Jahren die islamischen Gemeinschaften unglaublich viel gemacht haben. Hier in Berlin sind sie integrationspolitische Akteure, sie arbeiten im Kiez, in den Schulen inzwischen. Auch eine Kultur der Anerkennung, dass große Teile des Islams angekommen sind, gehören dazu. Dazu gehört aber auch, dass man nicht nur Ängste der Mehrheitsbevölkerung vor dem Islam thematisiert, sondern auch Ängste der Muslime. Nach dem Mord an der Muslima in Dresden haben viele Muslime in der Tat Angst und fragen, wie weit kommt das hier noch, wenn jemand wegen seines Kopftuches ermordet wird. Auch Ängste sind unteilbar.

    Dobovisek: Maria Böhmer, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, hat vor einigen Tagen angekündigt, verbindliche Integrationsverträge für Einwanderer einführen zu wollen. Was halten Sie davon?

    Piening: Das ist auch wieder so ein Ding, wo man immer nur fragt, was soll das? Wir hatten gehofft, dass Frau Böhmer uns das ein bisschen erläutern kann auf unserer Konferenz, was denn da geregelt werden soll, wer mit wem einen Vertrag abschließt. Auch Herr de Maizière, der Innenminister, fand das ja ein bisschen merkwürdig. Leider hat Frau Böhmer hier auch nicht in irgendeiner Form etwas präzisieren können. Man darf ja eines auch nicht vergessen: Wir haben inzwischen Unmengen von Verträgen, von Regelungen, die Einwanderer über sich ergehen lassen müssen, beziehungsweise die wir ihnen anbieten. Sie müssen sechsmonatige Deutschkurse machen, Schulen schließen Verträge mit Eltern, in den Jobcentern gibt es Eingliederungsverträge und so weiter. Was das jetzt noch zusätzlich soll, ist für mich auch ein Rätsel und das konnte leider auch nicht aufgeklärt werden durch Frau Böhmer auf der Tagung.

    Dobovisek: Wenn ich das richtig verstanden habe, soll der Vertrag ja mehr oder weniger wie ein Symbol wirken, dass sich die Einwanderer zu den Grundrechten bekennen, zur deutschen Sprache und umgekehrt auch eine Handreichung bekommen und genau erfahren, was sie sozusagen vom Staat zu erwarten haben. Was soll daran schlecht sein?

    Piening: Aber das haben wir doch alles! Die Einwanderer machen doch einen Orientierungskurs. Wenn sie kommen, werden sie beraten und es wird ihnen aufgesagt, was von ihnen erwartet wird. Wenn sie sich einbürgern lassen wollen, müssen sie inzwischen Teste machen. Man tut immer so, als ob diese ganzen Dinge nicht stattfinden, und das finde ich das Problematische und da verstehe ich inzwischen auch die großen Gruppen der Einwanderer, die sagen, wir haben jetzt die letzten Jahre all das gemacht, was soll denn das jetzt noch. Man tut immer so, als ob man am Anfang einer Debatte wäre und jetzt noch eine Schaufel nachgelegt werden müsste, obwohl wir in den letzten Jahren alle diese Dinge gemacht haben im breitesten Sinne. Man musste das ja nicht durchsetzen gegen die Einwanderer. Die Integrationskurse sind überlaufen gewesen. Man musste sie da nicht hinprügeln. Auch bei den Staatsbürgerkursen und Orientierungskursen ist von denen verlangt worden, wir wollen mehr Stunden haben. Mit solchen Themen wie Integrationsverträge schafft man ein Bild und bestätigt ein Bild, das eigentlich der Einwanderer überhaupt nicht willens ist und er muss geprügelt werden zu seiner Anerkennung von Rechten hier, und das spiegelt die Realität nicht wieder.

    Dobovisek: Günter Piening, Integrationsbeauftragter des Landes Berlin. Vielen Dank für das Gespräch.