Samstag, 27. April 2024

21. März 2024
Die internationale Presseschau

Diesmal mit Stimmen zum Rücktritt des irischen Ministerpräsidenten und zur Europawahl im Juni. Zunächst aber ein Blick auf die deutsche Ukraine-Politik. Dazu schreibt die türkische Zeitung BIRGÜN:

21.03.2024
Der irische Premierminister Leo Varadkar sitzt in einem Sessel, man sieht ihn vom Seitenprofil.
Neben der deutschen Ukraine-Politik steht der Rücktritt des irischen Premierministers Varadkar Thema der internationalen Presseschau. (Evan Vucci / AP / Evan Vucci)
"Deutschland steht im In- und Ausland wegen der Taurus-Marschflugkörper unter Druck. Zwar hat Bundeskanzler Scholz einen Oppositions-Antrag zu Taurus-Lieferungen vorerst abgewehrt. Aber einige Abgeordnete der Ampelregierung stimmten für den Antrag. Das stellt die Stabilität der Ampelregierung in Frage. Auch die eigene Partei steht nicht geschlossen hinter Scholz: SPD-Fraktionschef Mützenich denkt lieber darüber nach, wie der Krieg eingefroren werden kann. Dabei fanden einige der wichtigsten Treffen zur Unterstützung der Ukraine im Verteidigungskrieg gegen Russland in Deutschland statt. Der Krieg in Osteuropa verändert Deutschland", konstatiert BIRGÜN aus Istanbul.
Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN erinnert daran, dass bei der NATO personelle Veränderungen anstehen und das Auswirkungen auf die Ukraine-Politik haben wird: "Die Ära Stoltenberg ist bald vorbei. Zurzeit gilt Mark Rutte als Favorit für seine Nachfolge. Als Alternative wird die estnische Premierministerin Kaja Kallas genannt, aber oh weh, sie gilt als 'Falke' in den Beziehungen zu Russland. Aber demokratische Länder mit einer Grenze zu Russland haben es nun einmal an sich, dass ihre Politiker klare Kante zeigen, wenn es um Moskau geht. Bei der Entscheidung über Stoltenbergs Nachfolge geht es um die Ukraine, und in Kiew wird man sich wohl mit einem Osteuropäer am sichersten fühlen", notiert AFTENPOSTEN aus Oslo.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN geht auf eine Idee des EU-Außenbeauftragten Borrell zur Ukraine ein. Er will Waffenlieferungen durch Zinserträge aus eingefrorenen russischen Staatsgeldern finianzieren. "Das wäre ein großer Schwenk. Es sind zwar Proteste aus Ungarn und Vergeltungsaktionen aus Russland zu erwarten. Aber dagegen steht die Sorge der EU, dass ein Ausbleiben weiterer militärischer Hilfe für die Ukraine zu erheblichen Problemen an der Front führen könnte. Würden die Zinserträge für weitere Waffen genutzt, hätte das durchaus positive Auswirkungen: Von vielen EU-Staaten wäre wohl weniger Kritik an den Lieferungen zu erwarten. Außerdem würde die europäische Rüstungsindustrie angeregt. Man kann gespannt sein auf die Diskussionen auf dem EU-Gipfel in Brüssel", meint NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Bereits vor dem Gipfel hat sich die EU darauf geeinigt, wieder Zölle auf bestimmte Agrarprodukte aus der Ukraine zu erheben. Dabei war die Öffnung des Binnenmarktes für ukrainische Exporte im Jahr 2022 ursprünglich einmal eine gute Aktion, findet DER STANDARD aus Wien: "Sie trug zur Stabilisierung der Ukraine bei. Aber: Das führte gleichzeitig zu einer Verzerrung im Binnenmarkt, erhöhte den Druck auf die Bauern, die seit Monaten protestierten. Daher werden nun wieder Exportbeschränkungen mit Kontingenten und Zöllen gesetzt, wenngleich nicht allzu scharfe. Die EU-Ukraine-Hilfe im Agrarsektor wird schwierig, wenn sie von den eigenen Bauern nicht mitgetragen wird", lautet das Urteil des österreichischen STANDARD.
Auch die polnische RZECZPOSPOLITA sieht die Ursache für die Probleme der heimischen Bauern nicht nur in den bisherigen Zöllen: "Die schwierige Situation unserer Landwirtschaft ist das Ergebnis der fehlerhaften polnischen Agrarpolitik der letzten 20 Jahre – einer Politik, die es unseren Landwirten erschwert hat, sich auf den Wettbewerb auf dem europäischen Markt und dem Weltmarkt vorzubereiten. Und deshalb sind sie heute wirtschaftlich schwächer als ihre Konkurrenten. In Polen erhalten diejenigen, die Lebensmittel produzieren und verkaufen, am Ende viel weniger als in Ländern mit ähnlichen klimatischen Bedingungen. Wie soll man unter solchen Umständen das nötige Kapital für Investitionen im Zusammenhang mit dem Green Deal ansammeln?". Sie hörten eine Frage der RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Nach Irland: Dort hat Ministerpräsident Varadkar seinen Rücktritt angekündigt - "aus heiterem Himmel", wie THE IRISH TIMES betont. "Natürlich beharren die Regierungsparteien nun darauf, dass der Rücktritt nicht zu Neuwahlen führen wird. Das war ebenso vorhersehbar wie die Behauptung der Opposition, es seien nun Neuwahlen notwendig. In jedem Fall bringt Varadkars Ankündigung neue Unsicherheiten für die kommenden Monate. Bisher ging man davon aus, dass wahrscheinlich im Herbst Wahlen stattfinden. Das ist nun weit weniger klar. Ein neuer Vorsitzender der Fine-Gael-Partei könnte zwar versucht sein, die Wähler zu befragen - in der Hoffnung, von der allgemeinen Aufbruchstimmung zu profitieren. Er könnte aber auch bis März nächsten Jahres warten, um erste politische Erfolge vorweisen zu können", überlegt THE IRISH TIMES, die in Dublin erscheint.
Aus Dublin kommt auch der IRISH INDEPENDENT, der schwere Zeiten für den Nachfolger Varadkars vor allem im Amt des Parteichefs vorhersagt: "Seine Behauptung, dass ein neuer Vorsitzender das Team erneuern und die Fine Gael so zu besseren Ergebnissen bei der Europawahl im Juni führen kann, ist absurd. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Verantwortung der Partei an akuten Problemen in den Bereichen Gesundheit, Wohnungsbau und Migrationspolitik so schnell in Vergessenheit gerät", schätzt die Zeitung IRISH INDEPENDENT.
"Fine Gael muss mit Verlusten rechnen", ist sich der britische GUARDIAN sicher. "Das Debakel bei einem Referendum über zwei Verfassungsänderungen in diesem Monat hat die Stimmung weiter verschlechtert. Angesichts dessen sah der Premierminister einer ungewissen Zukunft entgegen. Doch niemand hat damit gerechnet, dass er so schnell abspringen würde. Varadkar sagte, er habe keinen anderen Job in Aussicht - keinen Spitzenposten in Brüssel oder bei der UNO. Aber so richtig glaubt das niemand", unterstreicht der GUARDIAN aus London
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN hebt hervor, dass in diesem Jahr die gesamte Europäische Kommission neu bestimmt wird: "Binnenmarkt, Wettbewerb, Außenpolitik, Klima – das sind die Schwergewichte, die man sich nicht durch die Lappen gehen lassen sollte. Oder warum nicht gleich den wohl wichtigsten Posten anstreben – dem des EU-Kommissars für Verteidigung? Aber vielleicht sind wir dafür schon zu spät dran. Andere Länder betreiben bereits knallharte Lobbyarbeit bei Kommissionspräsidentin von der Leyen: Mit ihr unterwegs war gerade erst war Dänemarks Premierministerin Frederiksen. Worüber die beiden da wohl gesprochen haben?", spekuliert EXPRESSEN aus Stockholm.
Die griechische Zeitung KATHIMERINI wirbt dafür, nur die Besten für die europäische Politik zu nominieren: "Griechenland ist ein mittelgroßes Land, das von einem starken Europa profitiert - vor allem in wirtschaftlicher und geopolitischer Hinsicht. Wenn wir fähige Vertreter im Europaparlament haben, können wir unserer Stimme mehr Gehör verschaffen. Es ist eigentlich ganz einfach: Je höher die Qualität unserer Vertreter im Europäischen Parlament, desto besser wird es Griechenland gehen", argumentiert KATHIMERINI aus Athen.
THE DAY aus dem US-Bundesstaat Conneticut befasst sich ebenfalls mit dem Europäischen Parlament - und zwar vor dem Hintergrund, dass es sich auf ein umfassendes Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz geeinigt hat. Das sollten die USA nachmachen, fordert die Zeitung: "Während viele Regierungen in der Welt immer lächerlicher werden, ist das Europäische Parlament häufig ein Leuchtturm der Kompetenz. Das sollte den US-Kongress aus seinem Dornröschenschlaf wachrütteln. Es besteht keine Gefahr, dass Europa zum führenden Markt für KI-Technologien wird; der Vorsprung der USA bei Talenten, Infrastruktur und Kapital ist zu groß. Aber wenn Regulierung für gutes Regieren steht, dann schafft es Europa, individuelle Rechte zu schützen und gleichzeitig ein verführerisches Umfeld für KI-Unternehmen zu schaffen", lobt THE DAY aus New London.