Dirk Müller: Die westlichen Verbündeten haben in der Nacht die zweite Welle ihrer Luftangriffe auf Libyen gestartet, um die Flugverbotszone durchzusetzen. Die französische Regierung bleibt dabei: Nach Ansicht aus Paris hat es keine zivilen Opfer gegeben. Das behauptet aber andererseits die offizielle libysche Seite. Nun sollen ab heute auch Soldaten aus Katar einbezogen werden, damit die Militäraktion eben nicht als rein westliche Intervention gilt.
Stunden über Stunden liefen die Verhandlungen in Brüssel. Gebracht hat das alles nicht sehr viel – höchstens das, dass die NATO wieder einmal völlig zerstritten ist, diesmal eben über das Vorgehen gegen Muammar al-Gaddafi. Keine Einigung darüber, wie die westliche Militärallianz gemeinsam vorgehen kann, um die Flugverbotszone auch durchzusetzen.
Keine Einigung also im westlichen Militärbündnis über das Vorgehen in Libyen. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Tag.
Michael Lüders: Schönen guten Tag!
Müller: Herr Lüders, brauchen wir die NATO?
Lüders: Nun, in der Verfassung, wie sie sich gegenwärtig präsentiert, muss sie wahrscheinlich grundsätzlich einmal über eine Reform an Haupt und Gliedern nachdenken, denn in der Tat ist es doch etwas absurd. Es ist ja ein Militäreinsatz, der gemeinsam getragen wird von der westlichen Staatengemeinschaft plus der Arabischen Liga, aber an zwei Fronten sozusagen gibt es Probleme. Die Franzosen wollen die Führung haben bei diesem militärischen Angriff auf Libyen, damit sind die USA nicht einverstanden, sie würden niemals ihre Truppen einem ausländischen Oberkommando unterstellen, und die Türken wiederum, sie kochen ihr eigenes Süppchen, denn sie wollen sich in der islamischen und arabischen Welt präsentieren als deren Sachverwalter.
Müller: Herr Lüders, reden wir über die umstrittene Rolle der Franzosen. Jetzt nimmt einer einmal das Heft in die Hand, übernimmt Verantwortung, und zwar als Europäer, dann ist das auch schon wieder nicht recht.
Lüders: Ja, es ist in der Tat nicht ganz einfach, es in der Politik allen recht zu machen. Bei aller Egomanie, die Sarkozy natürlich zueigen ist, muss man sagen, es war sicherlich richtig, in dieser Situation zu handeln. Hätte es kein Eingreifen gegeben seitens der westlichen Staatengemeinschaft, dann wäre mit Sicherheit Gaddafi in Bengasi einmarschiert, es hätte ein Blutbad gegeben und darüber hinaus, Gaddafi wäre wieder fest im politischen Sattel gewesen für die nächsten Jahre. Dieses ist eine schwer zu verdauende Vorstellung, denn er wäre natürlich in einer Situation gewesen, sich rächen zu wollen an den Europäern, beispielsweise indem er Flüchtlinge aus Afrika in großer Menge Richtung Europa flüchten lässt. Niemand mochte sich das vorstellen, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten, nicht einmal die arabischen und afrikanischen Despotenkollegen.
Müller: Wenn die Arabische Liga sagt, wir machen irgendwo mit, und Katar soll ja heute, spätestens heute mit einbezogen werden, ist das ernst gemeint?
Lüders: Katar wird militärisch sich engagieren in Libyen, das ist beschlossene Sache, das verkündet zumindest die Regierung in Katar. Ansonsten redet natürlich auch die Arabische Liga mit gespaltener Zunge, wenn ich so sagen darf. Auf der einen Seite will man natürlich den Sturz von Gaddafi, der sich unbeliebt gemacht hat bei allen anderen Despotenkollegen, wie erwähnt, aber andererseits haben natürlich die in der Arabischen Liga zusammengeschlossenen Alleinherrscher der arabischen Welt große Sorge, dass sie als Nächstes an der Reihe sein könnten, die Macht abgeben zu müssen, und wenn dieses nicht geschieht, entsprechend militärisch hinauskomplimentiert zu werden. Deswegen diese gespaltene Haltung der Arabischen Liga. Es ist also eine sehr unerfreuliche Situation, aber das ist bei dieser geopolitischen Gemengelage nicht anders zu erwarten. Jetzt ist der Krieg losgebrochen, Gaddafi wird sich wahrscheinlich nicht ewiglich an der Macht halten können, er gerät massiv in Bedrängnis. Entscheidend ist, ob die Stämme, die er bislang unter sich hat vereinen können, weil er sie bezahlt hat, oder sie mit Druck gefügig machte, ob sie weiterhin zu ihm halten, oder jetzt im Zuge der zu erwartenden Angriffsbewegung aus dem Osten in Richtung Tripolis erneut die Seite wechseln.
Müller: Wenn wir da Ihnen folgen, Michael Lüders, indem Sie sagen, die sprechen mit gespaltener Zunge auf arabischer Ebene, dann war das alles nur aus Sicht des Westens Kosmetik?
Lüders: Nein, das war es ganz sicher nicht. Das war schon eine sehr rational durchdachte Entscheidung, denn Libyen ist ein zu wichtiges Land, als dass man es zu einem Fail-safe, zu einem Staat hätte machen lassen können, der von einem rational nicht mehr zugänglichen Diktator regiert wird, der zudem Europa große Schwierigkeiten hätte machen können. Gleichwohl muss man sagen, wenn wir schon bei Widersprüchen sind: Die Intervention in Libyen wird sich nicht wiederholen. Im Jemen haben wir beispielsweise gehört, ebenso in Bahrain, dass die Demonstranten dort ebenfalls die Einrichtung einer Flugverbotszone und ein militärisches Eingreifen des Westens verlangen. Das wird es mit Sicherheit nicht geben. Die USA werden niemals in Bahrain eine Position einnehmen, die den saudischen Kollegen, den saudischen Verbündeten nicht gefällt, und Saudi-Arabien hat diesen Aufstand in Bahrain erst einmal niedergeschlagen.
Müller: Bleiben wir, Herr Lüders, noch einmal bei der Perspektive der Arabischen Liga. Die hat jetzt schon heftig kritisiert die konkreten Luftschläge. Auch die Arabische Liga geht davon aus, dass es offenbar zu zivilen Opfern gekommen ist. Die westliche Seite wiederum widerspricht dieser Darstellung. Wenn die Arabische Liga um Katar in irgendeiner Form beteiligt ist und alle anderen halten sich zurück, ist es dann nach wie vor eine westliche Intervention?
Lüders: Nein, das ist es auf gar keinen Fall, weil diese Intervention das Mandat des Sicherheitsrates hat der Vereinten Nationen und auch die Unterstützung der Arabischen Liga, und es ist ja interessant, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Arabische Liga zunächst Kritik geübt hat an diesem westlichen, das heißt westlich geführten Militäreinsatz, jetzt aber schon wieder zurückrudert und sagt, das alles beruhe auf einem Missverständnis, man habe keine Kritik üben wollen. Das zeigt die ganze Schizophrenie der Situation und man kann nur hoffen, dass in dieser ganzen Unübersichtlichkeit, in dieser chaotischen Lage dann am Ende die Dinge sich gut fügen. Das schlimmste Szenario wäre, dass Gaddafi jetzt mit Spielchen, die er treibt, zum Beispiel der von ihm angekündigte Grüne Marsch in Richtung Bengasi, Zivilisten, die zu Tausenden in Richtung Osten aufbrechen wollen, seinen Abgang, der eigentlich unwiderruflich ist, noch hinauszögert.
Müller: Jetzt sagen Sie, das ist keine westliche Intervention, weil unter anderem ab heute Katar mit einbezogen ist. Dann gibt es den UNO-Sicherheitsrat, das UNO-Mandat. Interessiert das tatsächlich auch in der libyschen, in der arabischen Bevölkerung?
Lüders: In der arabischen Bevölkerung wird dieser Militäreinsatz des Westens und der Arabischen Liga durchweg positiv aufgenommen. Es gibt keinen Diktator in der arabischen Welt, der so verhasst wäre wie Gaddafi, und die Menschen sind zum ersten Mal in der arabischen Welt nach allem, was man liest in den Leitartikel, oder über Al-Dschasira vernehmen kann, zum ersten Mal wirklich glücklich und dankbar über eine westliche Militärintervention in ihrem Kulturkreis. Man macht das im Gegenteil dem Westen keineswegs zum Vorwurf, sondern das ist die Chance, hier viel wieder gut zu machen für das, was in der Vergangenheit zerschlagen worden ist an Porzellan. Aber die arabischen Regime, wie erwähnt, sie sind natürlich da sehr zweischneidig in ihrer Haltung.
Müller: Und wenn die ersten Unbeteiligten sterben?
Lüders: Dann wird man sehen müssen, wie das Ganze propagandistisch ausgeschlachtet werden wird. Gaddafi wird das natürlich tun. Aber ich glaube, dass die meisten Araber klug genug sind zu erkennen, dass unter Gaddafi sehr viel mehr Zivilisten umgebracht worden sind, als hier möglicherweise bei den Militärangriffen ums Leben kommen werden. Machen wir uns nichts vor: Es werden Zivilisten sterben.
Müller: Nahost-Experte Michael Lüders heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Stunden über Stunden liefen die Verhandlungen in Brüssel. Gebracht hat das alles nicht sehr viel – höchstens das, dass die NATO wieder einmal völlig zerstritten ist, diesmal eben über das Vorgehen gegen Muammar al-Gaddafi. Keine Einigung darüber, wie die westliche Militärallianz gemeinsam vorgehen kann, um die Flugverbotszone auch durchzusetzen.
Keine Einigung also im westlichen Militärbündnis über das Vorgehen in Libyen. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Nahost-Experten Michael Lüders. Guten Tag.
Michael Lüders: Schönen guten Tag!
Müller: Herr Lüders, brauchen wir die NATO?
Lüders: Nun, in der Verfassung, wie sie sich gegenwärtig präsentiert, muss sie wahrscheinlich grundsätzlich einmal über eine Reform an Haupt und Gliedern nachdenken, denn in der Tat ist es doch etwas absurd. Es ist ja ein Militäreinsatz, der gemeinsam getragen wird von der westlichen Staatengemeinschaft plus der Arabischen Liga, aber an zwei Fronten sozusagen gibt es Probleme. Die Franzosen wollen die Führung haben bei diesem militärischen Angriff auf Libyen, damit sind die USA nicht einverstanden, sie würden niemals ihre Truppen einem ausländischen Oberkommando unterstellen, und die Türken wiederum, sie kochen ihr eigenes Süppchen, denn sie wollen sich in der islamischen und arabischen Welt präsentieren als deren Sachverwalter.
Müller: Herr Lüders, reden wir über die umstrittene Rolle der Franzosen. Jetzt nimmt einer einmal das Heft in die Hand, übernimmt Verantwortung, und zwar als Europäer, dann ist das auch schon wieder nicht recht.
Lüders: Ja, es ist in der Tat nicht ganz einfach, es in der Politik allen recht zu machen. Bei aller Egomanie, die Sarkozy natürlich zueigen ist, muss man sagen, es war sicherlich richtig, in dieser Situation zu handeln. Hätte es kein Eingreifen gegeben seitens der westlichen Staatengemeinschaft, dann wäre mit Sicherheit Gaddafi in Bengasi einmarschiert, es hätte ein Blutbad gegeben und darüber hinaus, Gaddafi wäre wieder fest im politischen Sattel gewesen für die nächsten Jahre. Dieses ist eine schwer zu verdauende Vorstellung, denn er wäre natürlich in einer Situation gewesen, sich rächen zu wollen an den Europäern, beispielsweise indem er Flüchtlinge aus Afrika in großer Menge Richtung Europa flüchten lässt. Niemand mochte sich das vorstellen, mit ihm weiter zusammenzuarbeiten, nicht einmal die arabischen und afrikanischen Despotenkollegen.
Müller: Wenn die Arabische Liga sagt, wir machen irgendwo mit, und Katar soll ja heute, spätestens heute mit einbezogen werden, ist das ernst gemeint?
Lüders: Katar wird militärisch sich engagieren in Libyen, das ist beschlossene Sache, das verkündet zumindest die Regierung in Katar. Ansonsten redet natürlich auch die Arabische Liga mit gespaltener Zunge, wenn ich so sagen darf. Auf der einen Seite will man natürlich den Sturz von Gaddafi, der sich unbeliebt gemacht hat bei allen anderen Despotenkollegen, wie erwähnt, aber andererseits haben natürlich die in der Arabischen Liga zusammengeschlossenen Alleinherrscher der arabischen Welt große Sorge, dass sie als Nächstes an der Reihe sein könnten, die Macht abgeben zu müssen, und wenn dieses nicht geschieht, entsprechend militärisch hinauskomplimentiert zu werden. Deswegen diese gespaltene Haltung der Arabischen Liga. Es ist also eine sehr unerfreuliche Situation, aber das ist bei dieser geopolitischen Gemengelage nicht anders zu erwarten. Jetzt ist der Krieg losgebrochen, Gaddafi wird sich wahrscheinlich nicht ewiglich an der Macht halten können, er gerät massiv in Bedrängnis. Entscheidend ist, ob die Stämme, die er bislang unter sich hat vereinen können, weil er sie bezahlt hat, oder sie mit Druck gefügig machte, ob sie weiterhin zu ihm halten, oder jetzt im Zuge der zu erwartenden Angriffsbewegung aus dem Osten in Richtung Tripolis erneut die Seite wechseln.
Müller: Wenn wir da Ihnen folgen, Michael Lüders, indem Sie sagen, die sprechen mit gespaltener Zunge auf arabischer Ebene, dann war das alles nur aus Sicht des Westens Kosmetik?
Lüders: Nein, das war es ganz sicher nicht. Das war schon eine sehr rational durchdachte Entscheidung, denn Libyen ist ein zu wichtiges Land, als dass man es zu einem Fail-safe, zu einem Staat hätte machen lassen können, der von einem rational nicht mehr zugänglichen Diktator regiert wird, der zudem Europa große Schwierigkeiten hätte machen können. Gleichwohl muss man sagen, wenn wir schon bei Widersprüchen sind: Die Intervention in Libyen wird sich nicht wiederholen. Im Jemen haben wir beispielsweise gehört, ebenso in Bahrain, dass die Demonstranten dort ebenfalls die Einrichtung einer Flugverbotszone und ein militärisches Eingreifen des Westens verlangen. Das wird es mit Sicherheit nicht geben. Die USA werden niemals in Bahrain eine Position einnehmen, die den saudischen Kollegen, den saudischen Verbündeten nicht gefällt, und Saudi-Arabien hat diesen Aufstand in Bahrain erst einmal niedergeschlagen.
Müller: Bleiben wir, Herr Lüders, noch einmal bei der Perspektive der Arabischen Liga. Die hat jetzt schon heftig kritisiert die konkreten Luftschläge. Auch die Arabische Liga geht davon aus, dass es offenbar zu zivilen Opfern gekommen ist. Die westliche Seite wiederum widerspricht dieser Darstellung. Wenn die Arabische Liga um Katar in irgendeiner Form beteiligt ist und alle anderen halten sich zurück, ist es dann nach wie vor eine westliche Intervention?
Lüders: Nein, das ist es auf gar keinen Fall, weil diese Intervention das Mandat des Sicherheitsrates hat der Vereinten Nationen und auch die Unterstützung der Arabischen Liga, und es ist ja interessant, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Arabische Liga zunächst Kritik geübt hat an diesem westlichen, das heißt westlich geführten Militäreinsatz, jetzt aber schon wieder zurückrudert und sagt, das alles beruhe auf einem Missverständnis, man habe keine Kritik üben wollen. Das zeigt die ganze Schizophrenie der Situation und man kann nur hoffen, dass in dieser ganzen Unübersichtlichkeit, in dieser chaotischen Lage dann am Ende die Dinge sich gut fügen. Das schlimmste Szenario wäre, dass Gaddafi jetzt mit Spielchen, die er treibt, zum Beispiel der von ihm angekündigte Grüne Marsch in Richtung Bengasi, Zivilisten, die zu Tausenden in Richtung Osten aufbrechen wollen, seinen Abgang, der eigentlich unwiderruflich ist, noch hinauszögert.
Müller: Jetzt sagen Sie, das ist keine westliche Intervention, weil unter anderem ab heute Katar mit einbezogen ist. Dann gibt es den UNO-Sicherheitsrat, das UNO-Mandat. Interessiert das tatsächlich auch in der libyschen, in der arabischen Bevölkerung?
Lüders: In der arabischen Bevölkerung wird dieser Militäreinsatz des Westens und der Arabischen Liga durchweg positiv aufgenommen. Es gibt keinen Diktator in der arabischen Welt, der so verhasst wäre wie Gaddafi, und die Menschen sind zum ersten Mal in der arabischen Welt nach allem, was man liest in den Leitartikel, oder über Al-Dschasira vernehmen kann, zum ersten Mal wirklich glücklich und dankbar über eine westliche Militärintervention in ihrem Kulturkreis. Man macht das im Gegenteil dem Westen keineswegs zum Vorwurf, sondern das ist die Chance, hier viel wieder gut zu machen für das, was in der Vergangenheit zerschlagen worden ist an Porzellan. Aber die arabischen Regime, wie erwähnt, sie sind natürlich da sehr zweischneidig in ihrer Haltung.
Müller: Und wenn die ersten Unbeteiligten sterben?
Lüders: Dann wird man sehen müssen, wie das Ganze propagandistisch ausgeschlachtet werden wird. Gaddafi wird das natürlich tun. Aber ich glaube, dass die meisten Araber klug genug sind zu erkennen, dass unter Gaddafi sehr viel mehr Zivilisten umgebracht worden sind, als hier möglicherweise bei den Militärangriffen ums Leben kommen werden. Machen wir uns nichts vor: Es werden Zivilisten sterben.
Müller: Nahost-Experte Michael Lüders heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.