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Die Kälte studieren

Wer einen Platz am Antarktis-Studiengang in Hobart im tasmanischen Südpolarmeer erhält, braucht warme Kleidung. Doch darf er oder sie dort auch mit den weltweit renommiertesten Südpol-Forschern zusammen arbeiten.

Von Andreas Stummer | 17.08.2013
    Pinguine in der Antarktis
    Pinguine in der Antarktis (picture alliance / dpa Foto: Yonhapnews Agency)
    Tasmanien hat seinen Polarpionieren schon immer gerne ein Denkmal gesetzt. In der Hauptstadt Hobart schickt einen die verbindliche Stimme der "Audio- Stadtführung" hinunter zum Hafen, vorbei an Fischkuttern, Segelbooten und Ausflugsdampfern, zu den lebensgroßen Figuren von James Ross und Louis Bernaci – zwei Antarktisforschern in Bronze.

    Über "Mawson’s Place", benannt nach Australiens berühmtesten Antarktisabenteurer, geht es weiter zu Hadley’s – der Kneipe in der 1912 der Norweger Roald Amundsen abstieg, als er von der ersten erfolgreichen Eroberung des Südpols zurückkehrte.

    Hobart ist nicht das Ende der Welt, aber man kann es von hier aus sehen – und spüren. Der eisige Nordwestwind, der einem ungeniert ins Gesicht bläst, kommt direkt aus der Gefriertruhe des Südpolarmeeres. Wohin man in Hobart auch geht – die Antarktis ist immer und überall. Auch an der Uni."

    "Die ganze Stadt nimmt an unserer Arbeit viel mehr Teil als anderswo in Australien. Es vergeht kaum eine Woche in der nicht eine Geschichte, die mit der Antarktis zu tun hat, hier in den Nachrichten auftaucht. Das hat auch damit zu tun, dass Hobart die zweitgrößte Konzentration von Polarforschern in der ganzen Welt hat. Nach dem Alfred Wegener-Institut in Bremerhaven in Nord-Deutschland."

    Der Meeresbiologe Andrew McMinn ist nicht nur irgendein x-beliebiger Akademiker an der Universität Tasmanien, er ist ein Pionier: Professor Pol, wie ihn jeder nennt. Denn McMinn leitet den einzigen Studiengang der Welt, in dem man im Fach "Antarktis" nicht nur einen Abschluss, sondern auch seinen Doktor machen kann. Laut Antarktisvertrag von 1961 soll die Antarktis friedlich und nur von der Wissenschaft genutzt werden. Und weil Australien mit 42 Prozent der Gesamtfläche das größte Gebiet dort beansprucht, zählte man in Hobart einfach eins und eins zusammen.

    Vorlesungssaal 3 der Universität Tasmanien. Die etwa 60 Studenten im Antarktis-Grundkurs lernen über die Charakteristiken von Pack- und Schelfeis. Ihre Dozenten sind keine staubtrockenen Bücherwälzer, sondern vom Fach. Mit Jahren Antarktiserfahrung. Ozeanografen, Meeresbiologen, Wetterexperten, Geologen und Gletscherkundler, Zoologen – und Klimaforscher. Der Hauptgrund warum Kate Förster nach sechs Semestern Meeresbiologie an der Uni Bremen alles stehen und liegen ließ und nach Hobart kam.

    "Die Motivation war irgendwie, dem Klimawandel Einhalt bieten zu können, in der Hinsicht, dass ich die Forschung betreibe und rausfinde: Der Klimawandel wird diese oder jene Konsequenzen haben. Und dann hoffentlich die Politiker überzeugen, dass sie was machen müssen. Und ich glaube mit antarktischen Studien ist das sehr gut möglich, denn Antarctica – da ist der Klimawandel so rapide. Und weil es einfach genial nahe zur Antarktis ist und man da immer wieder hinfahren und – fliegen kann mittlerweile."

    Egal ob man die CO2-Übersättigung des Südpolarmeeres untersuchen, die Antarktis in Literatur und Film studieren oder seinen Doktor über die Rolle von Plankton in der Nahrungskette machen will – in Hobart gibt es dafür einen Experten. Und später eine Karriere. In der 200.000 Einwohner-Stadt finden sich fast zwei Dutzend wissenschaftliche Einrichtungen und Institute, die in der Antarktis forschen.

    "Es ist schon beeindruckend, wenn man die Leute sieht, die eigentlich genau das gemacht haben, was man die nächsten fünf, zehn Jahre vorhat und sich so motivieren kann. Das ist schon etwas sehr Wichtiges."

    Der Schweizer Thomas Behrli hat das, was jeder Antarktis-Student gerne hätte: Er hat einen Job. Mit seiner Studie über die Folgen des Klimawandels für die Krill-Bestände im Südpolarmeer hat er bei der australischen Antarktisgesellschaft einen Fuß in die Tür bekommen. Die ist so international wie die Studenten an der Uni. Australier, Kanadier und Amerikaner, Brasilianer, Deutsche und Südamerikaner – sogar ein Student aus dem Sudan ist eingeschrieben.

    "Aber schlussendlich ist jeder Wissenschaftler, der dort arbeitet, überzeugt, dass die Antarktis so erhalten bleibt für Hunderte Generationen. So wie das heute ist. Frei von Mineralöl-Förderungen und Ölbohrungen und dass es wirklich für Frieden und Wissenschaft ein riesiges Labor ist, wo man wirklich noch Zugang hat zu den Infos, die es weltweit nicht mehr gibt."

    45 Milliarden Barrel Öl und gigantische Erdgasvorkommen sollen unter der Eisschicht der Antarktis liegen, dazu enorme Mengen Eisenerz und Kohle. Und jeder will sie haben. Nicht nur die zehn Länder, die dort Stationen betreiben. Kim Holt ist 22, aus Melbourne und im dritten Antarktissemester. "Der Südpol mag für die übrige Welt weit weg sein", gesteht sie. Aber was dort passiere, das ginge uns alle an.

    "Mit einem Studienabschluss in "Antarktischen Wissenschaften" haben wir eine fundierte Allround-Ausbildung. Nicht nur Spezialwissen. Dadurch können wir auch Laien unsere Forschungsarbeit erklären und ihnen verständlich machen, dass die Antarktis bedroht ist."

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    Zurück im Vorlesungssaal 3 der Uni. Der Antarktis-Grundkurs paukt Gletscherkunde. Wie die gigantischen Eismassen entstanden sind und warum sie zusehends verschwinden. Die Eisschmelze in der Arktis hat auch zu politischem Tauwetter geführt. Russland, Kanada, Frankreich, China – jeder möchte mitreden. Bisher legt der Antarktisvertrag das Ausbeuten von Rohstoffen auf Eis. Professor Pol, Andrew McMinn, aber fragt sich - wie lange noch? Mit dem Antarktis-Studiengang in Hobart rüstet sich Australien für einen Kalten Krieg am Südpol. Damit der Einfluss der ältesten Polarnation auf dem weissen Kontinent nicht einfach dahinschmilzt.

    "Wir konzentrieren uns auf die Forschung. So steht es im Antarktisvertrag und nur so kann Australien seinen Gebietsanspruch in der Antarktis auch rechtfertigen. Wir werden unser Bestes tun, um die Antarktis zu schützen. Aber vieles wird sich dort ändern. Das ist nun einmal die Realität."