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"Die Kanzlerin muss Klarheit schaffen"

Eigentlich ist der Atomausstieg längst beschlossene Sache. Doch von Unions- und FDP-Politikern in Auftrag gegebene Gutachten beschäftigen sich plötzlich wieder mit Kernenergie in Deutschland. Planen CDU und FDP etwa den Ausstieg vom Ausstieg? Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) meint: ja.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Guten Morgen, Herr Gabriel!

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie!

    Dobovisek: Vermutlich Asche von menschlichen Leichenteilen in der Asse – was wissen Sie darüber?

    Gabriel: Wir haben diese Akten aus der Helmholtz-Gesellschaft, dem damaligen Betreiber, bekommen, die haben allerdings einen Zustand der, na, sagen wir mal, für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich ist, und wir haben bislang zu dem Thema dort keine Belege dafür gefunden. Und um ehrlich zu sein ist das auch nicht unser Hauptproblem, und mir tun eher die Angehörigen leid, die so lange nach dem Tod der beiden Menschen dort jetzt noch mal auf sehr unangenehme Weise an den Tod ihrer Verwandten erinnert werden.

    Dobovisek: Was heißt ungewöhnlicher Zustand der Akten?

    Gabriel: Na ja, ich würde mal sagen, in jeder normalen Kommunalverwaltung würden Sie für die Art Aktenführung, die wir da bekommen haben, doch schon mit Ihrem Vorgesetzten mal ein ernstes Wort reden müssen. Die sind eben in einem nicht sehr geordneten Zustand zu uns gekommen und wir mussten die erst mal vernünftig aufarbeiten.

    Dobovisek: Kommen wir zu diversen Studien über neue Atomkraftwerke, die für Streit sorgen. Lassen Sie mich für unsere Hörer etwas rausholen. Zunächst soll es eine von CDU-Forschungsministerin Schvavan gegeben haben, das wurde dementiert. Auch CSU-Wirtschaftsminister zu Guttenberg muss sich für eine Studie rechtfertigen, sie diene der Sicherheit moderner, nicht neuer Reaktoren, sagt er, und verweist wiederum auf Sie, Herr Gabriel, denn Sie sollen nach der Sicherheit neuer Reaktoren forschen lassen. Wohin, Herr Gabriel, soll uns dieses Schwarze-Peter-Spiel führen?

    Gabriel: Es geht nicht um Schwarze-Peter-Spiele. Herr Guttenberg untersucht Reaktoren, die es nicht gibt in Deutschland. Die technische Art des Hochtemperaturreaktors gibt es in Deutschland nicht, und wenn man das untersucht, das ergibt auch der Auftrag, dort, heißt es, ist die Übertragbarkeit nach Deutschland zu untersuchen, das bedeutet, dass man diese Reaktoren, die gibt es im Ausland, das ist ein neuer Reaktortyp, dass man den nach Deutschland importieren will. Das steht im Gutachterauftrag. Wir untersuchen Reaktortypen, die wir in Deutschland haben, die moderner sind als die deutschen, auf die Frage hin: Können wir Sicherheitsbestandteile dieser Reaktortypen, die wir auch in Deutschland haben, eigentlich auf unsere Reaktoren übertragen, um damit den Sicherheitsstandard zu erhöhen? Der eine untersucht einen Reaktor, den gibt es nicht, das ist Herr Guttenberg, sagt aber, er will ihn nach Deutschland übertragen, das steht da ausdrücklich drin, und wir untersuchen Reaktortypen im Ausland, die moderner sind als unsere eigenen, aber technisch verwandt sind. Das ist der Unterschied, und ich meine: Was immer die CDU dort erzählt, sie hat ... Herr Koch hat erklärt, er möchte den Neubau von Atomkraftwerken, Herr Oettinger hat das getan, Herr Pinkwart von der FDP in Nordrhein-Westfalen hat das getan, Frau Schavan hat 100 Wissenschaftler beauftragt offensichtlich, sich Gedanken über die Wiedereinführung – das muss man sich mal vorstellen – der Plutoniumwirtschaft in Deutschland zu machen, die hat die Kernenergiewirtschaft in Deutschland selber mal eingestellt, weil sie damit nicht klargekommen ist, und Herr zu Guttenberg lässt Reaktortypen überprüfen, die in Deutschland nicht existieren. Da muss man schon den Eindruck haben: Um Klarheit zu schaffen, wäre es gut, wenn die Frau Bundeskanzlerin zum Beispiel sagen würde, dass dieses Gutachten von Herrn zu Guttenberg nicht in Auftrag gegeben wird.

    Dobovisek: Zu Guttenberg – entschuldigen Sie, Herr Gabriel –, zu Guttenberg sagt aber auch, es gehe ihm um die Forschung, um eben nicht den Anschluss an die Forschung zu verlieren. Ist das glaubwürdig?

    Gabriel: Nein, es ist mal schlicht die Unwahrheit, weil der Titel des Gutachtens lautet, dass neue Reaktortypen des Hochtemperaturreaktors, den es in Deutschland nicht gibt, geprüft werden sollen auf die Übertragbarkeit nach Deutschland.

    Dobovisek: Sie gehen also davon aus, dass die Union nach der Wahl neue Atommeiler bauen will?

    Gabriel: Na, jedenfalls gibt es in der Union starke Kräfte, die das wollen. Da mag es auch andere geben, aber da die FDP auch solche Vorschläge macht wie ja Herr Pinkwart, ist jedenfalls von dem Märchen, Frau Merkel wolle nur über eine Brückentechnologie reden, kaum was zu halten. Ich muss einfach sagen: Die Kanzlerin muss Klarheit schaffen. Herr zu Guttenberg verstößt gegen das ganz normale Verfahren der Bundesregierung. Wir haben nämlich diesem Gutachterauftrag widersprochen. Er vergibt ihn trotzdem, und zwar interessanterweise mit dem Datum 1. Oktober, also kurz nach der Bundestagswahl. Er hofft auf eine Mehrheit von schwarz-gelb. Dann soll Frau Merkel sagen, okay, dieses Gutachten wird es nicht geben, weil, den Reaktortyp haben wir gar nicht in Deutschland, von daher kann man auch nichts nach Deutschland übertragen.

    Dobovisek: Nun haben sich aber Angela Merkel und Horst Seehofer gestern ganz klar gegen neue Atomkraftwerke positioniert. Hören wir, was Sie gesagt haben.

    Angela Merkel: Nein. Wir haben festgeschrieben, wir wollen keine neuen Kernkraftwerke. Ich kenne niemanden in der Union, der sich mit dem Gedanken trägt, und in unserem Regierungsprogramm ist das auch noch mal niedergelegt und solche Gedanken habe ich nicht, kenne ich nicht, will ich nicht, nein.

    Horst Seehofer: Definitiv nein, ich konnte es auch für die CDU garantieren, da gibt es niemanden bei uns, der daran denkt oder plant oder im Hinterkopf hat, neu Atomkraftwerke zu bauen.

    Dobovisek: Ein klares Nein also von der Union zu neuen Atomkraftwerken. Herr Gabriel, glauben Sie der Kanzlerin nicht?

    Gabriel: Ja, das glaube ich ihr nicht, und zwar deshalb nicht, weil sie sagt, sie kennt keinen in der Union, dann würde ich mal vorschlagen, Sie soll mal Herrn Koch und Herrn Oettinger anrufen. Herr Koch hat öffentlich die Atomkraftwerksbetreiber aufgefordert, gegen das geltende Gesetz den Neubau von Atomkraftwerken beim Staat zu beantragen. Es steht ja im Gesetz, dass der Neubau verboten ist. Herr Koch hat den Betreibern von Atomkraftwerken gesagt: Bitte stellt einen Antrag, damit klar ist, dass wir das Gesetz ändern müssen. Also, wenn Frau Merkel sagt, Sie kennt keinen in der CDU – Ministerpräsidenten der Union fordern sowas, ...

    Dobovisek: Lügen ihre Unionskollegen im Kabinett?

    Gabriel: Na, ich glaube, dass Frau Merkel schlicht und ergreifend trickst an der Stelle oder jedenfalls Ihren Laden nicht im Griff hat, eins von beidem. Und wie gesagt, da es in der FDP mit Herrn Pinkwart ebenfalls – immerhin der stellvertretende Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, das größte Industrieland in Deutschland –, da die öffentlich erklären, sie sind für den Neubau, würde ich doch mal vorschlagen, dass Frau Merkel, wenn das glaubwürdig sein soll, was ihre Stellungnahme ist, die in ihre Schranken weist und ein Gutachten stoppt. Das ist doch ganz einfach, wenn das stimmt, was sie sagt, muss sie nur sagen: Wir brauchen in Deutschland keinen Forschungsauftrag über Hochtemperaturreaktoren, weil wir keine haben und weil man auch nichts aus Hochtemperaturreaktoren im Ausland nach Deutschland übertragen kann. Wir haben solche hier nicht. Das wäre ein klarer Beweis, dass sie sozusagen das nicht will. Dann bleibt immer noch meine Kritik an ihrer Position, dass sie ausgerechnet alte Atomkraftwerke länger laufen lassen will, ich meine, wenn sie sagt, ich will keine neuen – sie will die ältesten Reaktoren in Deutschland 10, 15 Jahre länger laufen lassen.

    Dobovisek: Aber was ist nicht klar an einem klaren Nein?

    Gabriel: Ich kann es Ihnen ja nur noch mal sagen: Wenn es andere Unionsabgeordnete gibt, Ministerpräsidenten, CDU-Präsidiumsmitglieder, die das Gegenteil sagen, wenn es einen Wirtschaftsminister gibt, der einen Auftrag zur Erforschung eines Reaktortypen gibt, den es in Deutschland nicht gibt, diesen Auftrag zum 1.10.2009 vergeben will, dann muss man doch von der Bundeskanzlerin verlangen, dass sie sich nicht mit uns auseinandersetzt, sondern denen sagt: Herr Koch, ich bin anderer Meinung als Sie, meine Meinung gilt und nicht die von Herrn Koch und von Herrn Oettinger – und nicht behauptet, sie würde keinen kennen in der Union, der sowas fordert –, und zweitens, Herrn zu Guttenberg sagt: Wissen Sie, es ist nicht Aufgabe des deutschen Steuerzahlers, mit 1,3 Millionen Euro ein Gutachten zu finanzieren, das wir in Deutschland nicht brauchen.

    Dobovisek: Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier geben sich weiterhin relativ großkoalitionär, Angriff und Verteidigung überlassen sie meist anderen. Hat man Ihnen die Rolle des SPD-Chefangreifers zugeteilt, Herr Gabriel?

    Gabriel: Na, das ist bei uns nicht so wie in einer Redaktionskonferenz, dass bei uns Rollen zugeteilt werden und Berichte, sondern ich habe ein Fachgebiet, um das ich mich zu kümmern habe, das ist unter anderem die Frage von Energieversorgung und des Umgangs mit radioaktiven Abfällen. Und was ich überhaupt nicht nachvollziehen kann, ist, dass die Partei, die am lautesten nach Laufzeitverlängerungen alter Atomkraftwerke schreit, die CDU und auch die CSU, sich weigert, in ihren Bundesländern, in Bayern und Baden-Württemberg, mal zu prüfen, ob es da einen Endlagerstandort gibt. Daher kommen die Konflikte, das ist nicht ein Rollenspiel im Wahlkampf, sondern es geht am 27. um die Frage: Sollen alte Reaktoren länger laufen, mehr Atommüll produzieren, wo soll der hin, und gibt es Bestrebungen, sogar neue zu bauen?

    Dobovisek: Aber Sie sind schon im Moment der lauteste Wahlkämpfer innerhalb der SPD. Wo bleiben denn Steinmeier, Steinbrück, Schmidt und die anderen? Gegen Sie, Herr Gabriel, wirken die doch im Moment geradezu blass.

    Gabriel: Erstens stimmt das glaube ich nicht, die Werte von Frank-Walter Steinmeier gehen ja insbesondere nach seiner Auseinandersetzung mit Frau Merkel im Fernsehen deutlich rauf. Das Zweite ist: Wenn es jemanden gibt, der in Deutschland dafür gesorgt hat, dass wir einigermaßen vernünftig durch die Finanzkrise kommen, dann ist es Peer Steinbrück, dessen Popularitätswerte sind auch sehr, sehr stark gewachsen. Es ist einfach so, dass Kernenergie und Atomkraft die Emotionen bewegt, das ist so. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch eine Entscheidung über Arbeitsplätze. Schauen Sie, wir haben die Chance, allein im Bereich Offshore-Windtechnik 30.000 neue Jobs zu bekommen, aber da investiert natürlich nur jemand, wenn der auch weiß, dass er seinen Strom ins Elektrizitätsnetz kriegt. Wenn die alten Kernkraftwerke länger laufen, kriegt der die da nicht rein, da werden die Investitionen nicht kommen und die 30.000 Jobs auch nicht.

    Dobovisek: Der Bundesumweltminister und Sozialdemokrat Sigmar Gabriel, vielen Dank für das Gespräch! Sie können es kommentieren und zwar auf der Internetseite buergerinfo09.de.

    Gabriel: Okay, tschüss!