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Die Katholische Kirche und die Schwangerenberatung

Sanders: Es ist zwar noch nicht amtlich, aber vieles spricht dafür, dass die katholische Kirche in Deutschland sich nicht mehr an der Schwangeren-Konfliktberatung beteiligen wird. Rund zwei Drittel dieser Beratungsstellen in Deutschland werden vom Karitas-Verband oder dem Sozialdienst Katholischer Frauen unterhalten. Ein Ausstieg aus diesem System würde gleichsam einen Kollaps für die gesetzlich vorgeschriebene flächendeckende Beratung bedeuten. Barbara Stamm ist die bayerische Arbeits-, Sozial- und Familienministerin. Guten Morgen Frau Stamm!

    Stamm: Frau Stamm, in Bayern gibt es insgesamt nach Angaben Ihres Ministeriums 115 Beratungsstellen. 24 davon werden indirekt durch die katholische Kirche geführt. Wie wollen Sie denn in Zukunft die flächendeckende Beratung ohne die Kirche sicherstellen?

    Stamm: Nun bin ich natürlich trotz der enttäuschenden Entwicklung, die jetzt auf uns zukommt, nicht nur bestrebt, sondern ich habe auch großes Interesse daran, dass wir nach wie vor auch ein katholisches Element, wenn ich das einmal so sagen darf, in der Beratung belassen. Deswegen sind wir ja dabei, auch nach Wegen zu suchen, trotz des Ausstiegs der Bischöfe, die erfahrenen Beraterinnen und Berater in der Arbeit zu belassen.

    Sanders: Es ist ja schon angekündigt worden, es wird wahrscheinlich eine Stiftung gegründet. Laiengruppen werden dann die Beratung von der katholischen Seite her sicherstellen wollen. Aber das wird ja wohl seine Zeit dauern?

    Stamm: Das ist richtig, und deswegen erwarte ich zumindest von den Bischöfen, dass sie uns jetzt eine längere Übergangszeit geben. Ich bin der Auffassung, unter einem halben Jahr darf diese Übergangszeit nicht sein. Ich plädiere sogar dafür, dass sie mindestens ein Jahr lang andauert.

    Sanders: Kann das Land Bayern in irgendeiner Art und Weise denn diese Entwicklung der Gruppen in freier Trägerschaft unterstützen?

    Stamm: Das werden wir mit Sicherheit tun. Ich denke sogar daran, auch einer solchen Stiftung beziehungsweise einem solchen Verein beizutreten, um dort auch unterstützend mit dabei sein zu können. Zum anderen gehört aber natürlich dazu, dass auch die derzeitigen Beratungsstellen, vor allen Dingen die dort verantwortlichen Beraterinnen, mit einer solchen Entwicklung einverstanden sein müssen. Da bedarf es zunächst noch vieler Gespräche mit den Betroffenen, um die es geht, nämlich diejenigen, die bisher in der Beratung gewesen sind, in der Konfliktberatung, und die bisher eben auch vielen, vielen Frauen in schwierigsten Situationen geholfen haben. Das ist eben das, was ich nicht begreife, dass sich hier die katholische Kirche tatsächlich jetzt zurückziehen will. Ich habe dafür keine Worte mehr. Für mich als zuständige Ministerin ist diese Entwicklung auch sehr enttäuschend.

    Sanders: Was glauben Sie, wie sich diese Entwicklung auf die Kirche in Deutschland auswirken wird?

    Stamm: Das ist mit Sicherheit eine innerkirchlich sehr, sehr schwierige Sache. Man sieht ja schon, dass die Laien-Gremien nicht mit dieser Entscheidung der Bischöfe einverstanden sind. Das bringt natürlich Konflikte, und das bringt natürlich auch Unruhe in das ganze hinein.

    Sanders: Ein großes Unverständnis zu der Entscheidung der Bischöfe, wie sie wahrscheinlich kommen wird. Es wird ihnen ja gar nichts anderes übrig bleiben. Wie kann es jetzt weitergehen? Muss man nicht einmal die Frage stellen, ist die Institution Kirche, nicht der Glaube, in der Form überhaupt noch zeitgemäß?

    Stamm: So weit möchte ich natürlich nicht gehen. Kirche hat nach wie vor einen Auftrag. Aber hier waren natürlich, wenn ich das einmal so formulieren darf, Kräfte am Werk, die im Grunde genommen das Kirchliche zu sehr in den Mittelpunkt gestellt haben und weniger die Frauen, um die es geht. Ich bin einfach der Auffassung, dass Kirche heute auch einen Auftrag hat, sich um diejenigen zu kümmern, die in schwierigsten Situationen sind. Da ist nun einmal die Konfliktberatung und die Bejahung dieses staatlichen Systems, was den Schutz des ungeborenen Lebens anbelangt, von ganz entscheidender Bedeutung.

    Sanders: Sie haben gesagt, das war auch ein Machtkampf in der Kirche. Das ist es mit Sicherheit. Was glauben Sie, wie dieser auf Dauer und langfristig ausgehen wird?

    Stamm: Darüber laut nachzudenken beziehungsweise dies auch zu kommentieren, das steht mir nicht zu, sondern meine Aufgabe ist es jetzt, mit dieser schwierigen Situation, vor die wir von den Bischöfen beziehungsweise von einem Teil der Bischofskonferenz gestellt werden, fertig zu werden, dass wir diese schwierige Situation meistern und dass wir auch weiterhin für die Frauen in schwierigsten Situationen während einer Schwangerschaft da sind und dass auch das plurale Angebot und damit auch das katholische Element weiterhin in der Konfliktberatung vertreten ist.

    Sanders: So ein wenig wankt ja jetzt auch der mühsam gefundene Kompromiss zum Paragraphen 218. Das war ja ein langes Tauziehen. Die Bayern galten ja nicht gerade, wenn ich das einmal so sagen darf, als die größten Fans dieses Kompromisses. Könnte Ihnen dort vielleicht sogar die Entscheidung der Bischöfe irgendwie entgegenkommen?

    Stamm: Dass wir den Kompromiss im Bundesrat nicht mitgetragen haben, das ist bekannt, das ist richtig. Dennoch glaube ich aber nicht daran, dass wir jetzt auf Bundesebene an eine Neuordnung beziehungsweise an eine Veränderung kommen. Das glaube ich nicht, und ich weiß auch nicht, ob dies zum jetzigen Zeitpunkt auch günstig ist. Was wir tun müssen ist, ob das jetzige Beratungssystem auch dem Schutz des ungeborenen Lebens tatsächlich dient. Das ist ja die sogenannte Beobachtungspflicht, die uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat.

    Sanders: Sie haben gerade eben gesagt, Sie wünschen sich von den Bischöfen eine Übergangszeit. Es ist natürlich gut möglich, dass sich die konservativen Kräfte durchsetzen und diese Übergangszeit nicht zur Verfügung steht. Was dann?

    Stamm: Das kann ich mir nicht vorstellen, dass es diese Übergangszeit nicht gibt. Ich bin der Auffassung, dass die deutsche Bischofskonferenz, selbst wenn der weitere Brief des Papstes jetzt ganz eindeutig ist, dass der Ausstieg erfolgen muss, auch dafür Sorge tragen muss, dass wir in Würde die Dinge regeln können. Da kann es keinen Ausstieg von heute auf morgen geben, noch dazu, wo uns ja die deutsche Bischofskonferenz in ihrer Frühjahrskonferenz sozusagen sogar aufgefordert hat, den Weg, den die Bischofskonferenz beschlossen hat, mitzugehen und die Weichen zu stellen, dass die katholische Kirche in der Konfliktberatung verbleiben kann. Wenn hier jetzt dennoch der Ausstieg kommt, muss uns die deutsche Bischofskonferenz auch die Möglichkeit der Übergangszeit geben. Wenn das nicht gegeben wäre, dann hätte ich ja überhaupt kein Verständnis mehr.

    Sanders: Wir haben eben darüber gesprochen, es geht auch um eine Machtfrage in der Kirche. Für den Kompromiss stand immer Bischof Lehmann, der sich heute voraussichtlich zur Wiederwahl stellen wird. Glauben Sie, dass er genügend Stimmen bekommen wird?

    Stamm: Ich hoffe es für Bischof Lehmann.

    Sanders: Barbara Stamm war das, die bayerische Arbeits-, Sozial- und Familienministerin. Vielen Dank für das Gespräch.