Heinemann: Welche Kenntnisse über die Finanzen der Union und die Partei und die Spendenpraxis zu Gunsten der CDU hatten Sie als Generalsekretär?
Rühe: Nein, ich habe nichts mit der Spendenpraxis zu tun gehabt. Das können Sie sich auch aus der Finanzordnung anschauen. Im Grunde genommen ist einmal im Jahr der Haushalt der Bundesgeschäftsstelle aufgestellt worden, und dann hat der Schatzmeister das dort vorgetragen und bei der Gelegenheit dann eben auch erzählt, wie insgesamt allgemein die finanzielle Lage ist. Ich habe mich bemüht zu sparen, den Apparat um 25 Prozent abzubauen. Im übrigen habe ich politische Entscheidungen getroffen. Wenige Tage nach meiner Amtsübernahme kam ja dann die Bewegung in die Wiedervereinigung, die Frage, wie gehen wir mit der Ost-CDU zusammen. Da habe ich aus politischen Gründen eher dafür gesorgt, dass wir weniger Geld haben werden, indem ich frühzeitig durchgesetzt habe, dass wir verzichten auf jegliches Immobilienvermögen, was in der Ost-CDU vorhanden war. Ansonsten habe ich mich um Politik gekümmert, die Organisation von Parteitagen. Es ist so wie ich das gesagt habe. Als Generalsekretär habe ich keine Kenntnis von irgendwelchen Schwarzgeldkonten gehabt.
Heinemann: Aber Heiner Geißler sagt, er habe Kenntnisse von diesen Konten gehabt. Wie ist zu erklären, dass Sie in der gleichen Funktion nichts darüber wussten?
Rühe: Das weiß ich nicht. Er war zwölf Jahre lang Generalsekretär und auch am Anfang. Ich bin es gut zwei Jahre gewesen. Aber man muss vielleicht auch genauer hinschauen, was er gesagt hat. Er hat gesagt, das was er meint sei ein Problem der innerparteilichen Demokratie. Deswegen kann ich das nicht beurteilen, was er dort im einzelnen gemacht hat. Ich kann nur für mich sprechen. Von Schwarzgeldkonten hatte ich keine Kenntnis. Ich habe als Generalsekretär mich nicht beteiligt an der Spendeneinwerbung. Darüber ist im einzelnen auch nicht im Präsidium berichtet worden, welche Spenden dort eingegangen sind. Das ist nach meiner Meinung ja auch das, was der Heiner Geißler gesagt hat, dass hier der Parteivorsitzende und der Schatzmeister die Kenntnis gehabt haben.
Heinemann: Heißt das, dass die Affäre Kiep auch eine Affäre Kohl ist?
Rühe: Nein. Ich würde sagen, es ist ein riesiges Problem der CDU, und das ist das einzige was interessiert, die Zukunft der CDU, wenn es uns nicht gelingt, das jetzt schnell aufzuklären und dann auch richtig zu kommunizieren. Es wird ja unglaubliches miteinander verbunden. Fragen Sie mal die anderen Parteien. Natürlich werden Landesverbände von der Bundespartei unterstützt. Daran ist ja auch gar nichts Falsches, solange es sich um ordentliches Geld handelt, was in den Rechenschaftsberichten verzeichnet wird. Insofern geht es im Augenblick auch durcheinander. Manches sind Fragen der innerparteilichen Demokratie, der innerparteilichen politischen Gewichte. Anderes sind aber eindeutig Fragen nach der Einhaltung des Parteiengesetzes, und das sind die wirklich schwerwiegenden Vorgänge.
Heinemann: Herr Rühe, der "Spiegel" berichtet, Ende der 80er Jahre wurde Rüdiger May entlassen, Hauptabteilungsleiter im Adenauer-Haus, weil er sich weigerte, die Abschlussrechnung der Partei für das Haushaltsjahr _88 zu unterschreiben. Er störte sich an einem Einzelposten von 800.000 Mark, dessen Herkunft unklar war. - Wieso musste May gehen?
Rühe: Das kann ich nicht beurteilen. Ich kenne den Vorgang nicht, sondern der war nach meiner Erinnerung abgeschlossen, bevor ich mein Amt angetreten habe. Ich kann also den Sachverhalt nicht bestätigen und auch nicht beurteilen.
Heinemann: Nun hat Heiner Geißler gesagt, nach seinem Wissen habe es keine großen Finanzvorgänge gegeben, von denen der Parteivorsitzende nichts wusste, nichts gewusst hat. War das so?
Rühe: Das weiß ich nicht. Ich weiß das, was im Präsidium geschehen ist, und dort ist im Prinzip einmal im Jahr berichtet worden, und im Bundesvorstand vorher auch unter Einschaltung der Finanzkommission der Partei, die sich übrigens aus Leuten aus allen Landesverbänden zusammensetzt. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wie häufig der Parteivorsitzende und der Schatzmeister miteinander gesprochen haben. Ich weiß nur, dass ich mit dem Schatzmeister darüber nicht gesprochen habe.
Heinemann: Was erwarten Sie jetzt von Helmut Kohl?
Rühe: Ich glaube, er hat das richtige gemacht, im Einvernehmen mit Wolfgang Schäuble jetzt grünes Licht zu geben für einen unabhängigen Wirtschaftsprüfer, dem alles Material - und da muss jeder mitwirken - zur Verfügung gestellt wird. Der muss dann sagen, wo die Dinge in Ordnung sind und wo sie nicht in Ordnung sind. Ich glaube, mit der Klarheit, auch wenn sie in dem einen oder anderen Punkt unbequem ist, kann die CDU besser leben als mit weiteren Wochen Unklarheit. Da bin ich ganz sicher, dass das der frühere Parteivorsitzende genauso sieht wie der jetzige Parteivorsitzende.
Heinemann: Sollte Helmut Kohl Herrn Weyrauch von seiner Schweigepflicht entbinden?
Rühe: Das kann ich nicht beurteilen, wer das machen kann. Das ist eine rechtliche Frage im Zusammenhang auch mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Da bin ich einfach überfordert. Falls aber dahintersteht, dass irgend Jemand ein Interesse haben könnte, etwas zu verschleiern, dann würde ich eine solche Annahme für falsch halten. Tatsache ist ja: alle Materialien, die wir haben, die die Partei angehen, im Adenauer-Haus, aber eben auch bei dieser Kanzlei, die sollen von dem unabhängigen Wirtschaftsprüfer untersucht werden. Wer das macht, dem kann man schlecht Verschleierung vorwerfen.
Heinemann: Herr Rühe, entwickelt sich Leisler-Kiep zum besten Wahlkampfhelfer für die schleswig-holsteinische SPD?
Rühe: Ich will das nicht personalisieren. Ich habe ein großes Interesse, dass dies vor Weihnachten wieder klargestellt wird. Ich kann jedenfalls sagen, die Versuche der Sozialdemokraten, auch mich dort mit hineinzuziehen, sind hier gescheitert. Ich habe gerade auch in den letzten Tagen viele Veranstaltungen durchgeführt, weil ich schon glaube, dass die Menschen spüren, dass ich jemand bin, der im Zweifel schon versucht hat, besonders gradlinig seinen Weg zu gehen, und der jetzt auch sagt, es muss alles schnell aufgeklärt werden, auch wenn es der CDU weh tut. Mit der Wahrheit können wir allemal besser leben als mit der Unklarheit. Deswegen bin ich sicher: Wir haben jetzt Gegenwind, das ist richtig, aber wir werden damit fertig werden. Das Land Schleswig-Holstein darf nicht darunter leiden, dass die Chance des Neuanfangs beeinträchtigt wird durch diese Vorgänge.
Heinemann: Rechnen Sie damit, dass der Untersuchungsausschuss des Bundestages Sie noch vor der Landtagswahl wird hören wollen?
Rühe: Ich weiß es nicht. Der Vorsitzende hat am Wochenende ein Interview gegeben, wo er gesagt hat, das sei nicht möglich. Ich glaube auch, dass die Sozialdemokraten sehr behutsam sein müssen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie das in den Wahlkampf ziehen wollen. Die Schleswig-Holsteiner haben ein feines Gespür dafür, wenn man so etwas versucht. Es hat ja auch schon Ausforschungen meines Privatlebens gegeben, etwa meiner Examensarbeit durch einen SPD-Pressesprecher. Die SPD ist schon vorbelastet. Ich weiß nicht, wie das technisch geht. Ich sage mal, der Untersuchungsausschuss muss ja auch in erster Linie die Frage klären, ob hier politische Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland finanziell erkauft worden sind, ein Vorwurf im Zusammenhang mit der Waffenlieferung nach Saudi-Arabien, den ich für absurd halte. Diese Frage der inneren Vorgänge in der CDU, das sollte die CDU klären, und zwar sehr schnell und schneller als das ein Untersuchungsausschuss machen kann mit Hilfe eines unabhängigen Wirtschaftsprüfers. Das ist, glaube ich, ganz wichtig, hier noch vor Weihnachten Klarheit zu schaffen.
Heinemann: Jetzt sind wir schon mitten im Wahlkampf. Günter Grass kämpft in Schleswig-Holstein an der Seite von Heide Simonis für die SPD. Der Literatur-Nobelpreis-Träger hat Sie als "Rambo" und die CDU als "Barschel-Union" bezeichnet. Namhafte deutsche Autoren wie Walter Kempowski oder Hans-Joachim Schädlich haben Grass deswegen scharf kritisiert. Entwickelt sich der Wahlkampf zur Schlammschlacht?
Rühe: Nein. Dazu gehören immer zwei, und ich werde mich zurückwerfen. Ich finde, es hat schon was Tragisches. Ich lese Grass auch gerne, muss ich sagen: "Katz und Maus", "die Blechtrommel". Wir sind ja damit aufgewachsen auch als Schüler. Es hat was Tragisches, wenn sich dann jemand so in die Politik verirrt. Ich finde das gut, was die anderen Schriftsteller gesagt haben. Es ist auch ein bisschen was wie die 70er Jahre: hol ich einen Schriftsteller, dann holst du deinen Schriftsteller. Ich finde, der Günter Grass trägt nicht dazu bei, sein Bild als großartiger Schriftsteller nun mit neuem Glanz zu versehen, indem er dort solche völlig unmöglichen Bemerkungen macht, was die Gefahr der Weimarer Demokratie und ähnliches angeht. Ich glaube, die Menschen kennen mich hier zu gut, so dass sie sich nur wundern über Günter Grass. Ich werde aber nicht mit Schlamm zurückwerfen. Ich werde auch weiter Grass lesen, aber den Politiker Grass den braucht man wirklich nicht zu lesen.
Heinemann: Wobei "Rambo" sein Ziel ja meistens erreicht hat?
Rühe: Na ja, mit "Rambo" hat er ja anderes gemeint. Indem er den Vergleich zum Zusammenbruch der Weimarer Demokratie gezogen hat, hat er wirklich Unglaubliches gesagt, als ob meine Wahl in Schleswig-Holstein irgendeine Gefahr für die Demokratie wäre. Das ist so absurd, dass ich glaube, es gibt keinen einzigen Menschen in diesem Land, der ihm das abnimmt. Das ist nicht werbewirksam für die SPD, sondern eher das Gegenteil.
Heinemann: Herr Rühe, in Pinneberg kommen heute die CDU-Partei- und -Fraktionschefs der norddeutschen Bundesländer zusammen. Ein Thema: die Situation in Niedersachsen. Sigmar Gabriel wird dritter Ministerpräsident des Landes innerhalb gut eines Jahres. Auf welche Politik stellen Sie sich ein?
Rühe: Wir wollen den Norden in der CDU insgesamt stärken. Deswegen ist jetzt auch Solidarität mit unserer Arbeit hier in Schleswig-Holstein. Der Norden wird ja immer schwächer im Vergleich zum Süden, und die Ereignisse in Niedersachsen haben noch einmal dazu beigetragen, wenn ich mir die wirtschaftliche Dynamik im Süden anschaue, die Bildungsinnovationen. Da wollen wir ein Gegengewicht entwickeln. Wir haben ja bedeutende Politiker aus der Führungsspitze der Union wie Christian Wulf, Angela Merkel, ich selbst auch, die in der Führung der Partei sind. Jetzt wollen wir dafür sorgen, dass wir auch zum richtigen Zeitpunkt Regierungsverantwortung in Norddeutschland übernehmen. Wir werden uns ganz eng abstimmen und natürlich auch die aktuellen Vorgänge bewerten. Ich bin auch sicher, dass die Nord-CDU das so sieht wie ich. Die CDU braucht jetzt Klarheit, egal wie das aussieht. Deswegen wird das auch heute ein weiterer Beitrag sein.
Heinemann: Das Gespräch mit dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Volker Rühe haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.