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Die Kinder des Dschihad

Die Attentäter der Bombenanschläge in London vor einem Jahr waren junge, britische Muslime. Aufgewachsen in einer westlichen Gesellschaft mit westlichen Werten und Normen. Während die erste Einwanderergeneration dieses Wertesystem oft weitestgehend angenommen hat, lässt sich in den vergangenen Jahren beobachten, dass manche junge Muslime genau das ablehnen, sich von der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind abwenden, sich radikal dagegen auflehnen.

Moderation: Stefan Maas |
    Souad Mekhennet ist Co-Autorin des Buches "Die Kinder des Dschihad".

    Stefan Maas: Warum ist eigentlich die zweite oder dritte Einwanderergeneration besonders von diesem Phänomen betroffen?

    Souad Mekhennet: Auf der einen Seite hat man sich bemüht, so britisch zu werden wie die Briten, aber man wurde doch immer ab einem bestimmten Punkt abgewiesen, das fing auch schon mit der Hautfarbe an, also viele dieser jungen Muslime, über die wir sprechen, sind pakistanischer Abstammung, oder ihre Eltern kamen aus Bangladesch oder aus Kaschmir, und auf der anderen Seite fühlten sie sich auch nicht mehr zugehörig zu den Ländern ihrer Eltern. Das Phänomen führte einfach dazu, dass man dann eine andere Identität suchen musste oder gesucht hat, und die lag dann in der Religion, und das ist der Islam, und nach deren Verständnis oder nach dem, was ihnen auch radikale Prediger eingeschärft haben, kennt der Islam auch eben keine Nationalität, da ist es egal, ob Sie Brite sind, ob Sie Deutscher sind, ob Sie Araber, Pakistani sind, alle sind gleich, solange sie Muslime sind, und das war eben das, was dazu geführt hat, dass man sich viel stärker über die Religion identifiziert hat und teilweise dann auch radikalisiert hat.

    Maas: Wir sprechen auch von den jungen Muslimen, die sich immer mehr radikalisieren. Sind das wirklich die jungen Muslime, oder von welcher Gruppe reden wir eigentlich?

    Mekhennet: Nein, es sind natürlich nicht alle Muslime, und da muss man auch aufpassen. Ich selbst bin auch Muslime und, toi, toi, toi, bin immer noch ganz gut integriert, denke ich, und habe auch noch nicht den Glauben an die Institution verloren, und da wären wir auch schon beim Punkt. Wir reden über Muslime, und es ist dann auch egal, ob es männliche oder weibliche Muslime sind, die in Europa aufgewachsen sind, die ihren Glauben an die Institution verloren haben. Die sehen nicht mehr, dass es irgendeine Institution gibt, sei es die Vereinten Nationen oder sei es jetzt auch die Regierung ihrer Heimatländer, nämlich Großbritannien in dem Falle, die wirklich eine faire Politik führt. Man sieht die Kriege, die jetzt geführt werden in Afghanistan, im Irak und jetzt auch Libanon noch dazu als Kriege gegen den Islam an, und man sieht, dass diese Regierung, so interpretieren es diese jungen Muslime, die diesen Glauben eben verloren haben an die Institution, diese Kriege auch mit unterstützt, und die Vereinten Nationen schauen dabei zu.

    Wir reden über junge Muslime in Großbritannien, aber auch in Europa, die den Glauben an die Politik und an Institution verloren haben. Wir haben auch gesehen, dass die Anschläge in Großbritannien letztes Jahr, was für verheerende Auswirkungen sie hatten, und natürlich auch die Videos, die Bekennervideos, die letztes Jahr und dann auch dieses Jahr aufgetaucht sind, was zwei der Attentäter mitgeteilt haben, nämlich dass sie im Krieg sind und dass ihr Briten gegen uns Muslime, gegen unsere Brüder und Schwestern einen Krieg führt. Wir haben gesehen, es gab Anschläge in Madrid. Das lag daran, dass spanische Soldaten damals auch Teil der Truppen waren, die im Irak waren. Das heißt, diese Dinge haben natürlich noch mal die Radikalisierung gefördert. Also insofern sind im Moment in Großbritannien geborene Muslime oder dort lebende Muslime auch etwas anfälliger und gelten auch als eine Gruppe der Geheimdienste dort, die als besonders gefährdend angesehen werden.

    Maas: Dabei hat Großbritannien sich in der Vergangenheit immer besonders einer liberalen und gelungenen Integrationspolitik gerühmt. Aber gerade in Großbritannien hört man ja besonders oft Meldungen über Hassprediger und radikale Tendenzen. Warum gerade Großbritannien?

    Mekhennet: Das war das Problem in der Vergangenheit. Es gab viele arabische Geheimdienste, gerade syrische, jordanische, aber auch nordafrikanische Geheimdienste, die in der Vergangenheit die Briten, aber auch Europäer sehr davor gewarnt haben, ihr habt bei euch in euren Ländern Hassprediger, die eine Art von Islam predigen, der irgendwann auch den Hass gegen euch richten wird. Die Briten hatten jahrelang Leute wie Omar Bakri Mohammed oder auch Scheich Abu Hamza öffentlich predigen lassen, weil die in ihren Predigten eben nicht direkt Großbritannien angesprochen haben, sondern man sagte diesen jungen Muslimen, geht und führt einen Dschihad, geht und lasst euch ausbilden, geht und führt Krieg in Palästina, in Tschetschenien usw., und das war damals, obwohl die Briten es wussten, ja anscheinend noch kein Grund, um dort zu intervenieren. Das ist eben etwas, was jetzt wie ein Bumerang zurückschlägt, dass man eben diese britische Gesellschaft auch als Teil dieses Kreuzzuges sieht und eben auch nicht nur die Regierung, sondern jeden Briten, der auch wählt.

    Maas: Sind denn die jungen Muslime eigentlich für die westlichen Gesellschaften verloren, oder was können westliche Gesellschaften tun, um junge Muslime wieder für sich und ihre Werte zu gewinnen?

    Mekhennet: Man muss natürlich auch dafür sorgen, dass man diesen jungen Muslimen, die hier aufwachsen, auch nicht das Gefühl gibt, ihr seid alle dran Schuld, dass man jetzt mit dem Finger zeigt, also eben dieses Verallgemeinernde, alle sind gefährlich, alle sind radikal. Ich selbst bin hier in Deutschland geboren und aufgewachsen, und ich habe meine Ausbildung hier gemacht, aber glauben Sie mir, auch ich bin immer an die Grenze gekommen oder gebracht worden, wo es hieß, ja, ist sie denn auch wirklich loyal zu diesem Land. Es gab immer einen Punkt, wo man gemerkt hat, man gehört nicht voll und ganz dazu, und das sind einfach Dinge, die man abschaffen muss, dass man den jungen Menschen hier vermittelt, ihr gehört dazu, wir akzeptieren euch voll und ganz, und wir wissen, dass das, was jetzt gerade im Namen eurer Religion getan wird, nichts direkt mit der Religion zu tun hat, sondern das eure Religion als Geisel genommen wird für die Ziele von radikalen Predigern und Scheichs, die auch nur ein politisches Ziel verfolgen. Also ich denke, das ist sehr wichtig, dass man das auch über die Medien aber auch über die Politik den Leuten ganz klar vermittelt. Es werden ja hier Diskussionen geführt, es muss mehr christliche Werte geben. Also ich denke, dass sowohl jüdische aber auch die islamische Religion auch Werte haben, die sehr wichtig sind und sich auch nicht sehr von den christlichen Werten unterscheiden übrigens, also du sollst nicht lügen, du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Aber das sind einfach so Dinge, die passieren, die, ich sage jetzt mal, unvorsichtigerweise auch in den Mund genommen werden, wo sich Leute ausgegrenzt fühlen, und da müssen wir aufpassen in Zukunft.