Engels: Herr Nowottny, in Ihre Amtszeit fiel ja die Zeit, als Kirch ganz besonders stark war. Hat die Politik damals Fehler gemacht? Wie liefen damals die Verhandlungen im Vergleich öffentlich-rechtlich zu den privaten im Fall Kirch?
Nowottny: Im nachhinein wird man bei der Analyse der Vorgänge aus dieser Zeit immer wieder auf Fehler stoßen, und das ist in einem Zeitraum, in dem eine neue Wirtschaft angekurbelt wurde - die Medienwirtschaft, Faszination für jeden Politiker - selbstverständlich. In einem solchen Zeitraum läuft das eine oder andere schon einmal schief, klar, aber Kirch ist das Produkt auch eigener Initiative und politischer Unterstützung.
Engels: Woran machen Sie das vor allen Dingen fest?
Nowottny: Kirch war dabei, als die ersten freigewordenen Fernsehfrequenzen in Deutschland an private Unternehmer vergeben wurden. Durch das Kabelpilotprojekt Ludwigshafen hat er schon mitgemischt. Er war sozusagen einer derjenigen, der als erster erkannt hatte, dass Fernsehen ein großes Geschäft sein könnte, und so ist es dann weitergegangen. So wie ihm in Ludwigshafen geholfen wurde, wurde ihm dann in den unionsregierten Ländern überall geholfen, Frequenzen zu bekommen, die Sendungen möglich gemacht haben.
Engels: Heute hat Kirch über 7 Milliarden Euro Schulden aufgehäuft, darunter 2 Milliarden allein bei der halbstaatlichen bayerischen Landesbank. Hätte man vorher gewarnt sein müssen, Kirch so lange zu stützen?
Nowottny: Kirch war für mich sowieso immer ein Bankenphänomen: Kirch hat es immer wieder verstanden, Geld zu besorgen, und er hat den Banken suggeriert, dass er so viel Sicherheit in Form von Firmen und Senderechten habe, dass eigentlich nichts passieren konnte. Die Banken haben ihm das geglaubt. Er hat ihnen eine lange Liste gegeben, auf denen alle Firmen drauf standen, die er bei ihnen hinterlegt haben will und verpfändet hat, und das hat sie beruhigt. Sie haben ihn immer wieder neu finanziert, auch wenn überhaupt nichts mehr zu finanzieren war.
Engels: Nun hat ja der Bayerische Ministerpräsident Stoiber eine Auffanggesellschaft angekündigt, die vor allen Dingen wieder die Banken tragen. Damit soll ein Auseinanderbrechen des Konzerns verhindert werden - was davon bekannt ist. Halten Sie das für eine sinnvolle Maßnahme oder fließen da dann neue Steuergelder hinein?
Nowottny: Es fließen keine Steuergelder hinein, aber es fließen sicherlich wieder Bankgelder hinein, denn die Banken werden ihre Forderungen an Kirch in Beteiligungen an seinem Reich umwandeln müssen. Und ob Banken gut genug sind, um Fernsehgeschäfte zu machen, das möchte ich doch schon mal sehr stark bezweifeln. Fernsehtheater, das machen sie schon die ganzen Monate und Jahre mit Kirch, aber Fernsehgeschäfte und Fernsehveranstalter das können sie nicht sein.
Engels: Kommen wir auf einen Spezialaspekt zu sprechen: Vergangenen Woche wurde ja noch um eine Perle des Konzerns geschachert, und zwar geht es um die Übertragungsrechte der Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006. Offenbar hat Kirch diese Rechte in allerletzter Minute an seine Schweizer Tochterfirma verkauft, die nicht von der Insolvenz betroffen sein wird. Kann man denn so etwas machen und was bedeutet das wiederum für den Fußballfan?
Nowottny: Also, wenn das tatsächlich alles zutrifft, was man zu diesem Thema hört, kommt man ja aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da ist ein Schiff leck geschlagen, liegt schon ganz schief und da hebt einer eine Goldkiste auf der rechten Seite heraus, schmeißt sie in eine Rettungsboot und rudert auf eine Insel zu. Das ist eigentlich ein unmöglicher Vorgang, der sicherlich noch ein juristisches Nachspiel haben wird, denn so einfach sollte man es Kirch nicht machen. Ein Sportpaket in der Größenordnung von 1,9 Milliarden Mark, wie ich gehört habe, in die Schweiz zu schaffen und es damit denen zu entziehen, die dabei sind, aus den Restbeständen des Reiches eine Auffanggesellschaft zu machen, die zumindest mithilft, Programme und Mitarbeiter zu retten, denn es stehen ja immerhin 7500 Arbeiter auf der Kippe, wenn man sich das einmal überlegt, dann ist dieser Vorgang ungeheuerlich.
Engels: Blicken wir - Sie haben gerade schon die rechtliche Seite angesprochen - noch etwas weiter: Von der SPD her werden nun Stimmen laut, die das Medienrecht verschärfen wollen. Nicht so sehr in dem Zusammenhang, den sie gerade angesprochen haben, sondern vielmehr um den Medienzaren Berlusconi und Murdoch den Einstieg hier im deutschen Markt doch noch zu verwähren. Ist das sinnvoll oder wäre hier nicht Marktwirtschaft gefragt?
Nowottny: Das ist eine sehr typisch, kleinkarierte, provinzielle Betrachtungsweise der deutschen Politiker, die nichts dagegen hatten, dass Daimler Benz in die Vereinigten Staaten und dort ein bedeutendes Automobilunternehmen gekauft hat, die nicht verhindern konnten, dass Vodaphone nach Deutschland kam und Mannesmann geschluckt hat, nur um an die Handy-Aktivitäten dieses Konzerns zu kommen, die wollen verhindern, dass nun Berlusconi oder Murdoch nach Deutschland kommen. Die können sich zurücklehnen, können abwarten, wie sich die Auffanggesellschaft neu sortiert und versucht Programme zu finanzieren und die können dann einsteigen, denn mit einem kleinen Bein sind sie ja schon bei Kirch beteiligt, und zwar Murdoch und Berlusconi. Murdoch mehr als Berlusconi. Murdoch ist mit 22 Prozent an der Bezahlfernsehorganisation von Kirch beteiligt und Berlusconi hat auch eine Beteiligung an der Holding von Kirch. Also, was soll das? Da können Sie mit Gesetzen nicht sehr viel machen, denn es gibt ja auch noch ein europäisches Recht der Freizügigkeit und dem sind natürlich auch Murdoch und Berlusconi verpflichtet, oder sie können sich dem verpflichten, wenn sie sich denn in Deutschland weiterhin engagieren wollen.
Engels: Sie haben als aktiver Intendant bereits einen großen Wandel in der Medienlandschaft beobachtet. Nun könnte die Entwicklung mit Berlusconi und Murdoch, wenn sie dann doch kommen, weitergehen. Wird das der deutsche Fernsehzuschauer aushalten?
Nowottny: Der deutsche Fernsehzuschauer ist einmalig. Er kommt mit 34 Programmen zurecht, wenn er denn verkabelt ist. Er kauft sich Satelliten, um weltweit Programme empfangen zu können. Je größer die Schüssel desto mehr Programme - das kennt man alles. Er muss auf nichts verzichten. Das wird alles so weitergehen wie er es gewohnt ist. Vielleicht wird der Fußball neu verteilt werden. Vielleicht wird das der Kirch-Nachfolgeorganisation zu teuer und man wird die Fußballrechte neu verhandeln und wird sie neue platzieren, und zwar bei allen Sendern. Wenn Sie mich fragen, werden alle Sender - auch die, die sich heute noch zieren, wie ARD, ZDF und RTL - gerne zugreifen, wenn die Preise so sind, dass das alles machbar ist. Der deutsche Fernsehzuschauer wird zunächst einmal keine Entzugserscheinungen haben müssen, wenn er gewohnt ist Programme zu sehen, die aus dem Kirch-Laden kommen.
Engels: Vielen Dank. Wir sprachen mit Friedrich Nowottny, dem ehemaligen WDR-Intendanten. Ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio